0.Die Weimarer Republik im Spiegel der Quellen des Trierer Landes
Das Ende des Ersten Weltkrieges war begleitet von Arbeitslosigkeit durch die Demobilisierung der heimgekehrten Soldaten und die schleppende Umstellung der Kriegsgüterindustrie auf zivile Produktion, durch die fortbestehende Blockade, bis im Juni 1919 der Versailler Vertrag unterzeichnet und im Januar 1920 ratifiziert war, die Besetzung des Rheinlandes, die Gebietsverluste des Reiches in Ost und West sowie die immensen Reparationsleistungen. Dazu kam die sich steigernde Inflation, die schon während des Krieges begonnen hatte. Das Trierer Land, durch die Abtretung Lothringens, das Ausscheiden Luxemburgs und des Saargebietes aus dem Zollverband in eine gefährliche Grenzlage gedrängt und seines wirtschaftlichen Hinterlandes weitgehend beraubt, war von den Folgen des Krieges härter betroffen als andere Gebiete des Reiches. Hier war man – im Gegensatz zu den Gebieten jenseits des Rheins – mit der Besatzung und deren Folgen unmittelbar konfrontiert.
Die größeren Industriebetriebe der Region – z.B. die Walzwerke in Quint und Kürenz, die Maschinenfabrik Laeis, Mariahütte und Weilerbacher Hütte, die zahlreichen Gerbereien und Lederfabriken, das Keramikwerk in Ehrang, die Kalk- und Dolomitwerke in Wellen – hatten vor dem Ersten Weltkrieg ihre Beziehungen zum Saargebiet, nach Lothringen und Luxemburg gepflegt, dort ein Großteil ihrer Erzeugnisse abgesetzt und im Gegenzug von dort Kohle und Erze bezogen. Nach Errichtung der neuen Zollgrenzen war dies alles nicht mehr möglich. Der Weinbau litt unter starkem Preisverfall, weil durch die neuen Zollgrenzen traditionelle Käuferschichten wegbrachen und durch den Versailler Vertrag französische und Luxemburger Weine begünstigt wurden. Dazu kam die kleinteilige Landwirtschaft, die schon unter unzulänglichem Bau und zu geringer Düngung während des Krieges gelitten hatte und auch 1919 und 1921 nur eine schlechte Getreide-, Kartoffel- und Futterernte hervorbrachte sowie durch den Ausbruch der Maul- und Klauenseuche 1920 und 1922 schwer in Mitleidenschaft gezogen war. [Anm. 1] Der Mangel an Lebensmitteln war so groß, dass die amerikanischen Besatzungsbehörden im Januar 1919 ihren Mannschaften und Offizieren verboten, Lebens- und Futtermittel in der Besatzungszone aufzukaufen oder zu requirieren, es war ihnen sogar verboten, in Gaststätten zu speisen. [Anm. 2]
Hinzu kam noch das, was man damals „Besatzungsverdrängung“ nannte. Zwar hatte vor dem Krieg in Trier eine Garnison mit 7.000 Soldaten gelegen, aber 1919 rückten die Franzosen mit einer Garnison von bis zu 14.000 Mann in Trier ein. Deren Offiziere und die Verwaltungsmitarbeiter benötigten Wohnraum, der nun requiriert wurde – allein in Trier waren dies 598 Wohnungen. [Anm. 3] Die bisherigen Bewohner mussten sehen, wo sie blieben. [Anm. 4] Sie wurden z.T. auch im Landkreis verteilt, manche in Barackenlager rund um Trier eingewiesen. Eines dieser Lager, „Kolonie“ genannt, lag in Euren und war lange Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen Stadt und Landkreis Trier. Dorthin hatte Trier einen Teil seiner Armen abgeschoben. Unmittelbar daneben, auf der „Eurener Kipp“, standen dann auch bald 20-30 Wohnwagen von Trierer Familien, die ebenfalls dorthin in diese Art Niemandsland zwischen Stadt und Landkreis abgeschoben worden waren. Auf Vermittlung des Regierungspräsidenten wurde am 3.10.1925 die Vereinbarung getroffen, dass die Stadt die Schul- und Polizeilasten zu tragen hat und der Kreis vorläufig die Fürsorgepflicht übernimmt. Die Fürsorgepflicht sollte endgültig erst später geregelt werden. Das Lager blieb über Jahre ein Streitpunkt. [Anm. 5]
Dazu kamen die Deutschen aus dem nun wieder französischen Lothringen, die zwischen Dezember 1918 und Oktober 1920 ins Deutsche Reich ausgewiesen wurden, weil sie die französische Staatsbürgerschaft nicht annehmen wollten. Der Lehrer in Kasel schreibt 1919 in die Schulchronik: „Von den aus Elsaß-Lothringen ausgewiesenen Familien wurden mehrere in hiesiger Gemeinde untergebracht.“ [Anm. 6] Ein Verwaltungsbericht des Kreises Trier-Land gibt genaueren Aufschluss: Zum 1.1.1921 waren 329 Familien aus Elsass-Lothringen mit 1103 Personen, am 31.12.1921 bereits 425 Familien mit 1358 Personen „in Fürsorge“ des Landkreises Trier. Dazu kamen 8 Familien (35 P.) aus den verlorenen Ostgebieten, 5 Familien (12 P.) aus Luxemburg, 5 Familien (21 P.) aus Eupen-Malmedy, 2 Familien (11 P.) aus dem Saargebiet und 24 Personen aus dem sonstigen Ausland – alle „in Fürsorge“ des Landkreises Trier. Nicht gezählt wurden die besser situierten Flüchtlinge, die bei wohlhabenderen Verwandten untergekommen waren. [Anm. 7]
Die Wohnungsnot war groß in der Region: Obwohl von April 1921 bis August 1922 im Landkreis Trier 616 Wohnungen gebaut worden waren, davon 108 in der Bürgermeisterei Konz, 160 in der Bürgermeisterei Ehrang und 142 in der Bürgermeisterei Trierer Vororte, fehlten immer noch 693 Wohnungen, besonders in Konz (für 200 Familien), Ehrang (150 F.) und Pfalzel (80 F.) – die Eisenbahndienststellen wurden stetig vergrößert und der Zuzug von Ausgewiesenen und Flüchtlingen hielt an. [Anm. 8] Noch 1929 waren in Trier 2307 Wohnungsuchende registriert, darunter 1404 Familien mit Kindern. [Anm. 9]
Infolge der Kriegsschulden und Reparationsleistungen trat verstärkte Teuerung ein. Häufig finden sich in Schulchroniken des Landkreises Klagen über die große Teuerung besonders bei den Lebensmitteln. So war der Preis für ein Pfund Kaffee von 1,50 Mark 1914 im Juni 1922 auf 95 Mark gestiegen, im August 1922 auf 900 Mark und im November auf 2.000 Mark, schreibt der Lehrer aus Kastel. [Anm. 10] Der Beurener Lehrer berichtet, dass im Herbst 1921 ein Zentner Kartoffeln 100 Mark und mehr kostete und der Preis im Winter bis auf 300 Mark gestiegen sei. [Anm. 11] Im Frühjahr 1922 notiert der Geisfelder Lehrer: „Die Preissteigerung für Lebensmittel geht ins unerschwingliche: 1 Zentner Kartoffeln 400 Mark, 1 Zentner Korn 500 Mark, 1 Zentner Weizen 700-900 Mark.“ Ende August 1922: „Die Preise für Lebensmittel sind infolge der Geldentwertung und der Nähe des Saargebietes ungeheuer gestiegen: Korn 3.000 M, Kartoffeln 540 M, Butter 180 M, Milch 20 M, Weizenmehl 15.000 M (Dpztr), Roggenmehl 8000 M (Dpztr) … Eine gute Kuh kostet bis 60.000 M.“ [Anm. 12]
Ein deutsch-französisches Zollabkommen hatte der Saarindustrie und dem Saarhandel Erleichterungen gebracht. Aber im April 1921 hatte die Reparationskommission in Paris der Errichtung einer Zollgrenze zwischen dem besetzten Rheinland und dem Reich zugestimmt. So waren dann Ein- und Ausfuhren zwischen Reich und Rheinland genehmigungs- und zollpflichtig geworden und die Winzer in eine ausweglose Lage gekommen: Französische Weine kamen preiswert ins Land und ihre eigenen Weine konnten sie nicht mehr kostendeckend verkaufen. Ähnlich erging es auch anderen Produktionszweigen (s.o.), die Arbeitslosigkeit war enorm. [Anm. 13] Zusätzlich fehlte es an Rohstoffen und an Transportmöglichkeiten, sodass die Industrieproduktion nur schleppend in Gang kam. [Anm. 14] Viele suchten Arbeitsmöglichkeiten außerhalb, arbeiteten im Bergbau oder in Hüttenbetrieben des Saargebietes, in Lothringen oder Luxemburg. Von dort brachten sie Geld in stabiler Währung mit, so waren sie als „Frankenverdiener“ im Vorteil – das war besonders im Bereich des Hochwaldes und des Kreises Saarburg der Fall, die an das Saargebiet bzw. an Lothringen angrenzen.
In der Kreistagssitzung vom 18. November 1921 hielt Landrat Pohl anlässlich der Haushaltsberatungen eine Rede zur Lage des Kreises Trier-Land: Es herrsche überall grausame Not, so stünden für die Industriegemeinden der Bürgermeisterei Pfalzel mit 700 Kindern unter 2 Jahren, 100 schwangeren oder stillenden Frauen und etwa 300 Kranken nur eine Milchmenge von 550 Litern täglich zur Verfügung. Am schlimmsten sei es in den Industriegemeinden Konz und Merzlich. In Merzlich stünden für 85 Kinder unter 2 Jahren nur 10-20 Liter Milch täglich zur Verfügung. Gründe seien die Maul- und Klauenseuche, die die Region heimgesucht habe, und die große Futterknappheit durch die Missernte 1921. Selbst Futtermittel, die der Kreis aufgekauft hatte und auf Kredit zur Verfügung stellen wollte, konnten meist nicht genutzt werden, weil die Bauern kein Geld hatten und in dieser Situation Schulden scheuten. Viele der Arbeiter aus den Grenzbezirken, „die bei dem heutigen Stande unserer Währung Löhne in einer Höhe verdienen, die in keinem Verhältnis zu den hiesigen Löhnen stehen, haben damit nach glaubwürdigem Berichte noch nicht genug und missbrauchen die Vergünstigungen des kleineren Grenzverkehrs, um täglich Lebensmittel, insbesondere Butter dort hinüberzubringen“. Die zusätzliche Kartoffel-Missernte im Kreis führte zu Kartoffelknappheit. Lediglich die Bezirke, die nahe zum Saargebiet lägen, hätten bessere Ernten eingefahren und die in Franken gelöhnten Arbeiter des Saargebietes hätten sie aufgekauft und damit die Preise in die Höhe getrieben. „Die übrigen Nichtselbstversorger sind auf Kartoffeln aus dem Osten angewiesen. Aber sie kommen spärlich, sehr spärlich“. So fehlten allein in den Industriegemeinden um Trier noch 80.000 Zentner Speisekartoffeln. „Und sonstige Lebensmittel! Was da noch zu erträglichen Preisen zu haben war, ist meist von Ausländern aufgekauft worden. Jetzt kann man außer Fleisch nur noch zu den Valutapreisen kaufen. Auch Fleisch ist teurer geworden. Weil aber infolge der Futternot immer mehr Vieh abgeschlachtet wird, gibt es noch Fleisch. Wie soll es aber im nächsten Jahr werden, wenn kein Vieh zum Abschlachten mehr da ist?“ [Anm. 15]
Und so, das entnehmen wir dem Verwaltungsbericht des Landkreises Trier von 1920-1922, waren auch viele Bauern auf Nebenerwerb angewiesen, der nur im „Saarland“ [Anm. 16] oder Luxemburg zu finden war – oder „der Bauer schickt seinen Sohn in die Industrie, damit er bei der hohen Frankenlöhnung im Saargebiet einen ungewöhnlich hohen Verdienst zum Unterhalt seiner Familie beitragen kann. … Bei den zurzeit angesichts unseres Valutaelendes ungewöhnlich günstigen Erwerbsverhältnissen in der Industrie des Saargebietes geht es manchem Hochwäldler wirtschaftlich sehr gut“. Ende August 1922 war der am 11.5. gleichen Jahres aufgestellte Etat 1922/23 für den Kreis Trier nur noch Makulatur: „Die mit Riesenschritten fortschreitende Teuerung hat zur Folge, dass … schon jetzt (…) große Etatüberschreitungen bei einer Reihe von Positionen eingetreten“ sind. Vom anfänglich angedachten Nachtragsetat habe man abgesehen, weil man die Entwicklung der Teuerung nicht abschätzen könne und man nicht wisse, wann und in welcher Höhe die erwartete Hilfe des Reiches kommen werde. Man fasste die Erhöhung der Hunde- und der Vergnügungssteuer ins Auge – denn, so Landrat Pohl, „rein bäuerlich sparsam sind nur noch wenige Dörfer des Kreises, in den anderen aber, besonders in den größeren und in denen in der Nähe von Trier, jagt ein Vergnügen das andere. Es muss als eine Schmach für unser Volk bezeichnet werden, dass in einer Zeit, wo Reich, Länder und Gemeinden unter ihren finanziellen Lasten zusammenbrechen, wo Not bittere, furchtbare Not im weitaus größten Teile der Familien des deutschen Volkes herrscht, trotzdem ein großer Teil der deutschen Jugend sich nicht genug tun kann in unsinnigen und verschwenderischen Vergnügungen. … Diese tolle Vergnügungssucht ist ein Krebsschaden am Volkskörper, der seine besten Lebens- und Arbeitskräfte verzehrt.“ [Anm. 17]
Am 9. Januar 1923 notierte der Geisfelder Lehrer neidvoll in der Schulchronik: „Die Preise für die Gegenstände des täglichen Bedarfes steigen infolge der Verschlechterung der Mark ins Unermessliche: 1 Pfund Butter kostet 2.000 Mark, 1 Pfund Zucker 280 Mark, 1 Pfund Reis 450 Mark, 1 Pfund Tabak 1.600 Mark, 1 Ztr Weizenmehl 60.000 Mark. Die Arbeiter, die im Saargebiet in Franken entlohnt werden, können die Preise zahlen. Sie tun es gerne und sie führen unter den Augen der notleidenden Massen ein ekelhaftes Schlemmerleben. … Daneben treiben sie auch noch lebhaften Schmuggel mit Butter, Fleisch u. dgl. Die Behörde sieht ziemlich tatenlos zu. Auch steuerlich werden diese Schlemmer nicht gerecht erfasst, dafür die schwach in Mark entlohnten Beamten u. Arbeiter umsomehr.“ [Anm. 18]
0.1.Passiver Widerstand
Aber es sollte noch schlimmer kommen. Kurz nach diesem Eintrag besetzten Franzosen und Belgier das Ruhrgebiet, weil Deutschland angeblich mit Reparationsleistungen im Wert von 24 Millionen Goldmark im Rückstand war. Daraufhin stellte die Reichsregierung die Reparationszahlungen ein, wies die Beamten an, Anordnungen der Besatzungsmacht nicht zu folgen und verbot den Eisenbahnern, Ladungen nach Belgien und Frankreich abzufertigen – das war der Beginn des passiven Widerstandes. Am 22. Januar trafen sich Behördenvertreter zur Besprechung in der Trierer Bezirksregierung und Regierungspräsident Saassen teilte ihnen mit, dass er von der Rheinlandkommission aufgefordert worden sei, seinen Beamten den Befehl zu erteilen, in Fragen der Zölle und Forsten nicht mehr den Weisungen der Reichsregierung, sondern der Rheinlandkommission zu folgen. Daraufhin veröffentlichten die Spitzen der regionalen Behörden, Beamte, die Vertreter von Parteien und Wirtschaftsverbänden am 23. Januar – durchaus provokant – die Erklärung, dass sie nur den Anordnungen der Reichs- und der preußischen Landesregierung Folge leisten würden. [Anm. 19]
Umgehend kamen Ausweisungsbefehle für den Trierer Landrat Pohl, den Saarburger Landrat Mirbach, den Trierer OB von Bruchhausen, den Regierungspräsidenten und weitere Verwaltungsleiter. In einer eilig einberufenen Sitzung des Kreistages Trier-Land unterrichtete der Kreisdeputierte Vanvolxem am 27. Januar die Mitglieder – diese protestierten gegen die Ausweisung und beschworen die Treue zum Reich: „Kernig, hart von Eisen sollen nicht nur unsere Worte, sondern auch unsere Taten sein. So wollen wir denn in treuester Pflicht ausharren und arbeiten nach dem Beispiel des Landrats Dr. Pohl, dem ein Ehrenkranz in der Geschichte der Trierer Lande geflochten sei“. [Anm. 20] Es sollten noch zahlreiche weitere Ausweisungen folgen, viele Amtsbürgermeister und leitende Beamte mussten das Rheinland verlassen. [Anm. 21] Christian Stöck, der als ehrenamtlicher Beigeordneter den ausgewiesenen Trierer Oberbürgermeister ersetzen musste, hielt so viel Bekennermut zu Recht für ungeschickt: „In einem solchen Krieg sollte jeder seinen Führerposten so lange und so zähe verteidigen wie möglich. Jedenfalls widerspricht es den elementarsten Grundsätzen moderner Kriegstaktik, bei Beginn der Schlacht sämtliche Kommandeure mit der Kriegstrompete bewaffnet vor die vorderste Front zu stellen um sie – abschießen zu lassen.“ [Anm. 22] Die Zurückgebliebenen konnten sehen, wie sie mit der Situation zurechtkamen, während die Ausgewiesenen mit patriotischen Gesängen zur Bahn geleitet wurden, die sie ins Rechtsrheinische brachte, wo sie bei vollem Gehalt ihr reines Gewissen pflegen konnten.
Am härtesten traf es die Bahnbediensteten. Da sie so zahlreich der Besatzung ihre Dienste versagten, wurde die Verwaltung der Eisenbahn im Rheinland einer französischbelgischen Eisenbahnregie übertragen. Die Bahnbediensteten mussten ihre Wohnungen für französische Eisenbahner räumen und wurden zunächst allein, später mit ihren Familien aus dem Rheinland ausgewiesen. „Nicht unerwähnt lassen kann ich die Vorgänge in Euren, Conz, Karthaus und Hermeskeil. Gerade in unserem Landkreis sind die meisten Familien der Eisenbahner von der Räumung ihrer Wohnung betroffen worden“, kommentiert der Trierer Kreisdeputierte Vanvolxem das Geschehen in der Kreistagssitzung vom 13.4.1923. [Anm. 23] In Euren wurden 170 Eisenbahnerfamilien ausgewiesen, in Pfalzel 19, in Ehrang und Konz 442 und im Raum Saarburg über 50. Wo es Eisenbahnerkolonien gab, wurden die Straßen von Spahis, den nordafrikanischen Truppen der Franzosen, während der Räumung abgeriegelt. Die ausgewiesenen Familien wurden unter Bewachung zur Bahn geführt und ins rechtsrheinische Deutschland ausgewiesen. [Anm. 24] Es kam auch zu Eskalationen: In Saarburg-Beurig wurde im Juni 1923 ein Eisenbahner von Spahis bei den Gleisen erschossen, weil diese einen Sabotageakt befürchteten. In Hermeskeil und Trier ließen Lokführer ihre Loks in Drehscheiben laufen und blockierten so vorübergehend den Verkehr. [Anm. 25] Stolz wurde von Verwaltung und Bevölkerung die Nutzung der Regiebahn verweigert, was natürlich Reisen und den Transport von Waren sehr schwierig machte – und prompt kam es auch zu weiteren Versorgungsschwierigkeiten: „... ist seit Februar die Zufuhr von Brennstoffen, infolge Mangel an Transportmaterial, gänzlich unterblieben“, teilte Vanvolxem dem Trierer Kreistag in der Sitzung vom 23.4.1923 mit. [Anm. 26]
Auch den so oft beneideten Frankenverdienern ging es nicht mehr so gut, viele wurden entlassen. Der Geisfelder Lehrer notiert in der Schulchronik Ende Mai 1923: „Infolge des Ruhreinmarsches der Franzosen u. Belgier macht sich bei uns auf dem Hochwalde die Arbeitslosigkeit auch bemerkbar. Hinzu kommt noch der Bergarbeiterstreik im Saargebiet. In der Gemeinde werden auf Veranlassung der Reichsregierung die sog. Notstandsarbeiten vorgenommen. Die Kosten trägt das Reich“. [Anm. 27] Das Reich trug die Kosten für den Unterhalt der Ausgewiesenen und Streikenden und stellte Mittel für Notstandsarbeiten bereit, um die vielen Arbeitslosen zu beschäftigen. Aber woher kam das Geld? Aus der Druckerpresse. So wurde die Inflation in ungeahnte Höhen getrieben. Der Lehrer von Kastel hatte von 1914 bis September 1923 die Preise verschiedener Lebensmittel und Bedarfsgüter akribisch aufgelistet und dann resigniert bemerkte: „Die Aufzeichnung fortzusetzen ist zwecklos; täglich steigen die Preise ins Ungeheuerliche. Man rechnet nur mehr mit Milliarden und Billionen.“ [Anm. 28] Städte und Kreise gaben Notgeld in schwindelerregenden Summen heraus, um ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, allein zu Lasten des Kreises Trier wurden für 1.049.034.344.350.930.000 Mark Notgeld ausgegeben! [Anm. 29] Ende September 1923 brach der neugewählte Reichskanzler Stresemann den passiven Widerstand ab – das Reich war finanziell am Ende.
Im Oktober gab es Umsturzversuche von Kommunisten in Thüringen und Sachsen. Am 9. November versuchte Hitler mit rechten Kräften einen Putsch im Münchner Bürgerbräukeller, der beim Marsch auf die Feldherrnhalle von der Bayerischen Landespolizei niedergeschlagen wurde. Im Oktober und November 1923 besetzten dann auch noch Separatisten unter dem Schutz der französischen Besatzer die Amtsstuben der Kreis- sowie diverser Bürgermeisterei- und Stadtverwaltungen des Rheinlandes, bis schließlich das Unternehmen an der Reichstreue der Rheinlandbewohner scheiterte und die Separatisten entwaffnet wurden. [Anm. 30] Als die Reichsregierung am 13. November verlauten ließ, dass angesichts der katastrophalen Lage der Reichsfinanzen alle Zahlungen an das Rheinland eingestellt würden, machte sich Enttäuschung breit – das Rheinland fühlte sich im Stich gelassen. Aber es wurde im Reich die Rentenmark geschaffen, die sofort von der Bevölkerung angenommen wurde, und so gelang es, die Inflation zu stoppen. [Anm. 31] Und im Laufe des Jahres 1924 beruhigte sich die Situation. Im April 1924 trat der Dawes-Plan in Kraft, der die Reparationszahlungen neu regelte. Nach der Abwahl Poincarés in Frankreich beendete sein Nachfolger Herriot im August die Ruhrbesetzung. Im September wurden der Personenverkehr zwischen besetztem und unbesetztem Gebiet freigegeben und die Zollgrenze aufgehoben. Im November endete die Regiebahn und der Bahnverkehr wurde wieder an die Reichsbahn übergeben, nach und nach wurden die Eisenbahnerwohnungen wieder freigemacht für deutsche Bahnbeamte. Im September des Jahres waren der Saarburger Landrat Mirbach und der Trierer Landrat Pohl zurückgekehrt und mit der Zeit auch die anderen Ausgewiesenen. [Anm. 32]
0.2.Der Aufschwung kommt nicht an
Während sich in der Folgezeit die Wirtschaft im Reich gut erholte, blieb der Aufwärtstrend im Trierer Land verhalten – nach wie vor fehlten die Absatzgebiete. Die auf den Haupteisenbahnstrecken des Trierer Landes beförderten Bruttoregistertonnen erreichten 1927 nur etwas mehr als die Hälfte derer von 1913. Die Zahl der Beschäftigten sank bis 1928 (im Vergleich zu 1913) bei den Laeiswerken von 400 auf 25, beim Walzwerk von 1.100 auf 500, beim Eisenbahnausbesserungswerk von 1.200 auf 630. Während 1927 die Einkommens- bzw. Körperschaftssteuer im preußischen Durchschnitt bei 32,17 RM lag, erreichte sie in Trier nur 8,85 RM pro Kopf der Bevölkerung. [Anm. 33]
Rund 48 Prozent der berufstätigen Bevölkerung der Landkreise Trier und Saarburg bestand aus selbstständigen Winzern und Landwirten, dazu kamen die Menschen, die unselbständig in der Landwirtschaft beschäftigt waren, sowie die Nebenerwerbslandwirte und -winzer. [Anm. 34] Viele hatten sich Arbeit, zum Teil nur für die Wintermonate, im Saargebiet oder in Lothringen gesucht: So stellte der Kreis Saarburg 1926 rund 3.000 Grenzgänger, davon 1.500 zur Saar, 800 nach Lothringen und 600 nach Luxemburg. [Anm. 35] Aber die Grenzgänger hatten nach dem Ende der Inflation keinen Vorteil mehr, der Franc hatte an Wert verloren. Im Landkreis Trier war die Situation ähnlich und der Trierer Landrat Pohl beschrieb die wirtschaftliche Lage im Vorwort zum Verwaltungsbericht des Kreises 1922–1925, der im November 1926 erschien: „Die Industrie im Kreise liegt nahezu still, die außerhalb des Kreises im Saargebiete, in Luxemburg und Elsaß-Lothringen arbeitenden Kreiseingesessenen – rund 2.125 Personen – werden in Franken entlöhnt. Ihre Lohnerträgnisse sind so gering, daß sie vom Reiche noch unterstützt werden müssen. Aber sie haben wenigstens noch ein gewisses … Einkommen, haben selbst oder im Vaterhaus noch eine kleine Landwirtschaft. Allerdings hat die Landwirtschaft des Hochwaldes keinen Absatz.
Ihr wichtigstes Produkt ist die Kartoffel. Früher wurden fast sämtliche Hochwaldkartoffeln nach dem Saargebiet umgesetzt. Das hat infolge der Zollgrenze aufgehört. Woher soll der Bauer jetzt seine Einnahmen nehmen? … Der Hochwaldbauer hat also sozusagen keine Einnahmen, und das nachdem das Jahr 1924 für die Landwirtschaft des Kreises ein volles Mißjahr war. … Am schlimmsten geht es aber dem Winzer. Die Erträgnisse der guten Jahre 1920 und 1921 sind ihm durch die Inflation in den Händen zerflossen. Die Jahrgänge 1922 bis 1925 … liegen infolge der Konkurrenz der Auslandweine und weil den früher weintrinkenden Kreisen das Geld fehlt, meist noch in den Kellern. … Die Not der auf die Einnahmen aus dem Wein angewiesenen Winzer ist unbeschreiblich groß. … Besonders hart getroffen von der Not der Zeit wurden die abgebauten Beamten, Angestellten und Arbeiter. Reich, Staat, Industrie und Handel, kurzum fast alle Betriebe, mußten der Not der Zeit Rechnung tragen und ihre Produktions- oder Betriebs- oder Geschäftskosten gewaltsam heruntersetzen. Das geschah durch die Entlassung von Personal. … So herrscht Not in allen Ständen des Kreises.“ [Anm. 36] Im Hochwald versuchte man der Not mit der Etablierung von Heimarbeit, der Anfertigung hölzerner Küchengeräte und Stöcke sowie Nagelschmiedearbeiten, beizukommen. [Anm. 37]
Bereits Ende Oktober 1925 hatte Landrat Pohl dem Kreisausschuss mitgeteilt, dass man das für das kommende Jahr geplante Wegebauprogramm vorziehen müsse, da das Walzwerk Kürenz infolge Arbeitsmangels und nur langsamem Eingang der Außenstände gezwungen sei, das Werk stillzulegen und 500 Arbeiter zu entlassen. Um diesen Menschen Arbeit zu verschaffen, solle nun mit dem Bau der Straßen Minden-Menningen, Wasserliesch-Oberbillig, Kürenz-Aveler Tal und der Ruwerstraße Waldrach-Pluwig begonnen werden. Mit erhöhter Grundförderung des Arbeitsamtes Trier, Staatszuschüssen und -darlehen sowie Restwegebaumitteln des Rheinischen Provinzialverbandes und Besatzungsschadensgeldern wurden die Maßnahmen finanziert. [Anm. 38] Dazu kamen günstige Darlehen aus der produktiven Erwerbslosenfürsorge. [Anm. 39] Damit nahm ein riesiges Arbeitsbeschaffungsprogramm aus Straßen- und Wegebau, Rodungs- und Meliorationsmaßnahmen etc. seinen Anfang, das bis weit in die NS-Zeit fortgeführt wurde. Im Herbst 1927 begannen die Arbeiten an der Mittelmoselstraße mit Notstandsarbeitern aus Stadt und Landkreis Trier und den angrenzenden Kreisen. An den Kosten beteiligten sich Provinz, Kreis und Gemeinden zu je einem Drittel. [Anm. 40] Der Bau der Sauertalstraße und der Obermoselstraße begann 1930 bzw. 1931 und wurde aus Grenzfondsmitteln finanziert. [Anm. 41] Natürlich waren das keine Traumarbeitsplätze, ein Notstandsarbeiter erhielt wöchentlich nur netto 24,80 Mark – so kam es z.B. beim Bau der Mittelmoselstraße auch zu Streiks, weil die Arbeiter lange Anmarschwege, miserable Arbeitsbedingungen und geringen Lohn hatten und sich eine Verpflegung vor Ort nicht leisten konnten. Es wurden zwar Baracken aufgestellt, um ihnen den Heimweg zu ersparen, aber diese waren weitgehend untauglich. Landjäger wurden eingesetzt, um die Arbeit aufrechtzuerhalten. Im Kreisausschuss und im Kreistag kam es deswegen mehrfach zu hitzigen Auseinandersetzungen. [Anm. 42]
Von all diesen Wegebaumaßnahmen konnte z.B. auch die Firma Zettelmeyer in Konz profitieren, die seit 1910 Dampfwalzen baute und ganze Dampfwalzenzüge samt Personal für den Straßenbau zur Verfügung stellte. Das Unternehmen war 1925 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden und hatte reichsweit Niederlassungen gegründet. Eine weitere Erfolgsgeschichte war damals die Firma Romika in Gusterath, die seit 1922 mit einer Produktion von Gummischuhen, Gummistiefeln und Sportschuhen mit Gummisohlen weltweit auf Erfolgskurs war, 75 Prozent ihrer Erzeugnisse exportieren konnte und 1929 bereits eine Belegschaft von 1.000 Arbeitern und 50 Angestellten hatte. [Anm. 43] Aber dies reichte nicht aus, das allgemeine Arbeitslosenelend zu beseitigen. Und ohne dass es vorher unserer Region gut gegangen wäre – der Kreis Trier hatte im März 1929 immerhin schon 3.799 Arbeitslose [Anm. 44] –, brach mit dem „schwarzen Freitag“ am 25. Oktober 1929 die Weltwirtschaftskrise über die Menschen herein. Nicht nur in den USA, auch in Europa und natürlich auch im Deutschen Reich waren die „Goldenen Zwanziger“ schlagartig vorbei. Die amerikanischen Kredite, die sie möglich gemacht hatten, wurden zurückgezogen und Arbeitslosenelend zog ein. Im Saargebiet wurden massenweise Menschen entlassen, die Schulchronik Damflos berichtet im Mai 1930: „Infolge einer überspitzten Rationalisierung, die in allen großen Industrieländern Europas und den Vereinigten Staaten Nordamerikas durchgeführt wird, beginnt als Folgeerscheinung die Massenarbeitslosigkeit. Am heutigen Tage (17.5.) haben die französischen Saargrubenverwaltungen 1.400 Bergleute aus dem Landkreis Trier und den Restkreisen Wadern und Baumholder abgelegt. Aus Damflos wurden 31 Mann entlassen, die teilweise schon bis zu 30 Jahren in den Saargruben gearbeitet haben“. [Anm. 45] Auch die Betriebe im Landkreis Trier bekamen Schwierigkeiten: Das Eisenwerk in Quint hatte nur noch 135 Beschäftigte, das Mosaik- und Wandplattenwerk in Ehrang hörte auf zu produzieren und 350 Menschen verloren ihre Arbeit, [Anm. 46] selbst Romika verlor 1930 rund 60 Prozent des Exports und musste Arbeiter entlassen. [Anm. 47]
0.3.Rheinlandräumung
Eine gute Nachricht gab es 1930: Zum 30. Juni wurde das Rheinland von den Alliierten geräumt. Mit der Annahme des Young-Planes durch das Reich, der die deutschen Zahlungsverpflichtungen bzgl. der Reparationen neu regelte, hatte Außenminister Stresemann erreicht, dass das Rheinland fünf Jahre vor der im Versailler Vertrag vereinbarten Frist geräumt wurde. Das Ereignis wurde gebührend gefeiert. Aus Ensch meldet die Schulchronik: „Hurra, unser Land ist nochmals frei von der Besatzung! Überall herrscht Freude, auch an unserem Dorfe geht die Freude nicht so ganz vorüber. Der Abend des 30. Juni zeigt dahier munteres Treiben. Der Trompeter der freiw. Feuerwehr ruft die Bewohner zur Teilnahme an dieser Freude auf. Im Nu sind diese auf dem nahegelegenen Martinikopf. Ein Freudenfeuer ist angezündet. Hell lodern die Flammen zum Himmel auf. Böllerschüsse verkünden weithin die Freude. Der Männergesangverein gibt seine Freude durch einige Lieder kund. Durch kurze, knappe Worte wurde auf die Bedeutung dieses Tages hingewiesen. Ein dreifach donnerndes Hoch schloß sich heran, worin alle einstimmten. Hierauf erscholl das Deutschlandlied weithin durch das Tal.“ [Anm. 48]
Auch in Greimerath wurde an diesem Abend ein Freudenfeuer auf dem Bergenweg entzündet. [Anm. 49] In Schoden wurde am 30.6. „aus Anlaß der Befreiung unseres lieben Rheinlandes von der französischen Besatzung um Mitternacht ein Freudenfeuer auf dem Bismarckturm abgebrannt“. [Anm. 50] In Bekond formierte sich ein Fackelzug aus Feuerwehr, Gesangverein, DJK, älteren Schülern und Teilen der Bevölkerung und zog durchs Dorf auf den Berg hinauf ,um ein Freudenfeuer zu entzünden. [Anm. 51] Der Lehrer aus Damflos schrieb in seine Schuchronik: „Schon seit Wochen spricht man überall vom Abzug der Besatzungstruppen. Auf Anordnung des Hochwürdigsten Herrn Bischofs, Dr. Franz Rudolf Bornewasser, Trier, fand gestern ein feierlicher Dankgottesdienst in der ganzen Diözese statt. Da wir am gestrigen Tag Kirmessonntag hatten und keinen Geistlichen finden konnten, der uns nach alter Sitte in unserem Kirchlein ein Amt gehalten hätte, nahmen unsere Leute wie allsonntäglich am Gottesdienst in Züsch teil. … Damflos hat von der 12-jährigen Besatzung unserer Heimat wenig gemerkt. Hier und da durchfuhren einige französische Gendarmen das Dorf. Fremde Truppen waren nie hier im Quartier. Unsere Arbeiter (Saargänger) wurden in dieser Zeit fast alle arbeitslos, da die französische Grubenverwaltung infolge der allgemeinen Weltwirtschaftskrise zunächst die im Saargebiet beheimateten Arbeiter in den Arbeitsprozess eingliederte.“ [Anm. 52]
Mitte Dezember waren von den 125 Damfloser Saargängern 80 arbeitslos geworden. Im Sommer 1932 waren 87 Prozent der Saargänger ohne Arbeit und „da wenig Aussicht besteht, daß die Leute in der saarl. Industrie wieder aufgenommen werden“, versucht man sie durch Rodungsmaßnahmen mit Pachtland zu versorgen. [Anm. 53] Der Abzug der Besatzung änderte also wenig an den wirtschaftlichen Problemen. Von Januar bis Dezember 1931 war die Zahl der Saar-, Lothringen- und Luxemburggänger von 1.577 auf 1.005 gesunken. [Anm. 54] In seinem kurzen Verwaltungsbericht für die Sitzung des Trierer Kreistages am 10. Januar 1933 schreibt Landrat Pohl [Anm. 55] : „Das Jahr 1932 war kein glückliches Jahr. Die Wirtschaftskrise, die schon im Jahr 1931 einen bis dahin nicht für möglich gehaltenen Umfang hatte, hat sich noch weiter verschärft (S.2). … Noch viel schlimmer als diese kleinliche, unfruchtbare Kritik ist aber der Streit und die Zwietracht, die in der Bevölkerung wüten. Seit unserer letzten Kreistagssitzung sind zwei Fälle in unserem Kreise vorgekommen, in denen dem politischen Parteifanatismus Menschenleben zum Opfer fielen. Einmal in Pfalzel am 10.7.1932 und das letzte Mal am Neujahrsmorgen in Ehrang.“ (S. 7) Natürlich hat sich dieses Elend auch in den Wahlen niedergeschlagen. Bei den Reichstags- und Landtagswahlen am 20. Mai 1928 hatten im Landkreis Trier nur 632 Wähler – „die Wahlbeteiligung war infolge der lebhaften Agitation der einzelnen Parteien stark“ – die NSDAP gewählt. [Anm. 56] Bei der Kreistagswahl im November 1929 konnte die NSDAP mit 1.114 Stimmen einen Sitz im Trierer Kreistag erreichen. Und als im September 1930 wegen der Eingemeindungen von Kürenz, Olewig, Biewer und Euren nach Trier ein neuer Kreistag für den Landkreis Trier gewählt werden musste, verloren Zentrum und SPD deutlich und die NSDAP erhielt 3.770 Stimmen – mehr als das Dreifache im Vergleich zum Vorjahr, obwohl sich die Zahl der Wahlberechtigten um rd. 5.000 verringert hatte. [Anm. 57] Bei der Reichstagswahl am gleichen Tag gaben sogar 6.323 Wähler aus dem Landkreis Trier der NSDAP ihre Stimme und machten sie im Landkreis damit zur zweitstärksten Partei. [Anm. 58]
Auch im Kreis Saarburg hatten 1930 noch 3.110 Personen im Saargebiet, in Lothringen und Luxemburg gearbeitet – ein Jahr später waren es noch 982. Auch die Hartsteinwerke in Saarhausen, die Lederfabrik Alff in Taben und die Kalksteinbrüche auf dem Eiderberg in Freudenburg litten unter der Weltwirtschaftskrise und mussten den Betrieb einstellen. Der verregnete Sommer 1931 hatte im Kreis Saarburg zu Missernten geführt und zwei Drittel der Bauern mussten ihr Brotgetreide zukaufen. [Anm. 59] Im Saarburger Kreistag saß seit den Kreistagswahlen 1929 ebenfalls ein NSDAP-Mitglied: Der Landwirt Freiherr von Landenberg, der fast 4 Prozent der Stimmen erreicht hatte. [Anm. 60] Aber noch dominierte das Zentrum die Kreispolitik. Im August 1930 sprach im Vorfeld der Reichstagswahl im September der spätere Gauleiter Simon vor über 300 Personen im Saal des Hotels Salm. Die NSDAP konnte mehrere Neuaufnahmen verzeichnen. Und als kurz darauf eine SPD-Veranstaltung in Saarburg stattfand, kaperte der NSDAP-Parteiführer Wipper (später Trier) die Veranstaltung mit etlichen seiner Gesinnungsgenossen. Im Juli 1931 überfielen Trierer und Saarburger Nationalsozialisten eine SPD-Veranstaltung im Saarburger Hagen. [Anm. 61]
Bei der Reichstagswahl am 31.7.1932 erhielt zwar das Zentrum in den Landkreisen Trier und Saarburg mit 59,5 bzw. 60,3 Prozent die Mehrheit, allerdings war in beiden Landkreisen die NSDAP mit 22,6 bzw. 27,5 Prozent die zweitstärkste Partei geworden. Bei der Reichstagswahl im November 1932 sank die NSDAP im Landkreis Trier auf 20,2 und im Landkreis Saarburg auf 22,7 Prozent ab. In der Juli-Wahl 1932 war die NSDAP in 5 Gemeinden des Landkreises Trier stärkste Partei, in der November-Wahl noch in 3. Im Kreis Saarburg hatte die NSDAP bei der Juli-Wahl in 7 Dörfern die Mehrheit gewonnen, bei der November-Wahl noch in 2. Der Damm brach nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933. Bei der darauffolgenden Reichstagswahl am 5. März 1933 stieg die Zahl der Gemeinden im Landkreis Trier auf 31 deutlich an, die mit Mehrheit NSDAP gewählt hatten. Im Landkreis Saarburg hatten die Wähler in 17 Orten mehrheitlich NSDAP gewählt. Insgesamt hatten 1933 im Landkreis Trier 38,8 Prozent und im Landkreis Saarburg 41,9 Prozent der NSDAP ihre Stimme gegeben. Das Zentrum konnte immer noch seine Mehrheit verteidigen – hatte aber insbesondere viele Winzerdörfer an Mosel, Saar, Sauer und im Konzer Tälchen verloren. [Anm. 62] Das war aber nicht mehr von Belang. Reichsweit hatten die NSDAP 43,9 Prozent und die mit ihr kooperierende DNVP 8 Prozent erhalten. Bei der ebenfalls am 5.3.1933 durchgeführten preußischen Landtagswahl erreichte die NSDAP gemeinsam mit der „Kampffront schwarzweiß-rot“ (früher DNVP) die absolute Mehrheit. Lehrer Carls aus Ensch, er wird im September 1933 Leiter der neugegründeten NSDAP-Ortsgruppe, vermerkte im März 1933 spöttisch in der Schulchronik: „In Ensch ist das Wahlinteresse gestiegen; von 334 erschienen nochmals 234 an der Wahlurne, gültig wurden 224 Stimmen abgegeben; davon entfielen a. d. NSDAP 92 Stimmen … Nach Ausgang dieser Wahl suchen schon manche ihr Glück im fremden Lande, denn ihre fetten Lämmer schwimmen ab. Ihnen ist bange geworden um ihr Dasein“. [Anm. 63] Dem ist nichts mehr hinzuzufügen – die Weimarer Republik war Geschichte.
Verfasserin: Barbara Weiter-Matysiak
Veröffentlicht am: 20.04.2020
Quellen und Literatur:
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Anmerkungen:
- Karl-Heinz Rothenberger: Das Trierer Land in der Weimarer Republik. In: Beiträge zur Trierischen Landeskunde/ hrsg. von Leo Friedrich, Richard Laufner u.a.-Trier 1979, S. 235-251. Auch Edgar Christoffel: Die Geschichte des Landkreises Trier-Saarburg.- Trier 1993, S. 235-244; Bericht über die Verwaltung und den Stand der Kommunalangelegenheiten im Landkreise Trier für die Zeit vom 1. Oktober 1920 bis 31. März 1922 (= Verwaltungsbericht LK Trier 1920-22), S. 16f; KrArch F 19.1, Schulchronik Greimerath S. 121 u. S. 124. Zurück
- KrArch, F 31.2, Schulchronik Castel, Bd. 2, S. 151. Zurück
- Elisabeth Dühr u.a. (Hrsg.): Trierer Garnisonsbuch.- Trier 2007, S. 17. Juliane Tatarinov: Kriminalisierung des ambulanten Gewerbes.- Frankfurt 2015 (Inklusion/Exklusion. Studien zu Fremdheit und Armut, Bd. 19), S. 35. Zurück
- Rothenberger S. 247; auch Christian Stöck: Aus meinen Erinnerungen an die Besatzungszeit der Stadt Trier.- Trier 1930, S. 24ff, S. 102 u.a. Zurück
- KrArch, KA-Prot. Trier-Land vom 27.10.1925, Punkt 18; Tatarinov, S. 177-180. Zurück
- KrArch F 29, Schulchronik Kasel; auch KrArch F 5, Schulchronik Bekond von 1920. Zurück
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- KrArch, KT-Prot. Trier-Land, 29.8.1922, Bericht über die Wohnungsnot. Zurück
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- KrArch, KT-Prot. Trier-Land 1921, dem Prot. vom 18.11.1921 beigeheftet. Zurück
- Es wird ausdrücklich das Wort Saarland gebraucht! vgl. Verwaltungsbericht LK Trier 1920-22, S. 19. Zurück
- KrArch, KT-Prot. Trier-Land 1922, 29.8.1922. Zurück
- KrArch F 18.1, S. 86. Zurück
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- KrArch , KT-Prot. Trier-Land 1923, 13.4.1923. Vgl. auch Rudolf Müller in Saarburg. Geschichte einer Stadt, Bd. 1: Im Strom der Zeiten.- Saarburg 1991, S. 267ff. Zurück
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- KrArch KT-Prot.1932-33, der Bericht ist dem Protokoll der Kreistagssitzung vom 10.1.1933 vorgeheftet. Zurück
- Verwaltungsbericht LK Trier 1926-1929, S. 36. Zurück
- Bericht über die Verwaltung und den Stand der Kommunalangelegenheiten im Landkreise Trier für die Zeit vom 1.4.1929 bis 31.12.1930, S. 5ff. Zurück
- Verwaltungsbericht LK Trier 1929-30, S. 10f. Zurück
- Philipp Wey: Kreistag und Kreisausschuß Saarburg in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Kreisjahrbuch Trier-Saarburg 1973, S. 141-147, bes. S. 143. Zurück
- Günter Heidt: Auch hier bei uns … Saarburg und der Nationalsozialismus. In: Saarburg. Geschichte einer Stadt. Bd. 2: Epochen und Episoden.- Saarburg 1991, S. 67-158, hier S. 72. Zurück
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- Emil Zenz: Wie wählten die Bewohner des Trierer Raumes in den Schicksalsjahren 1932 und 1933?, In: Kreisjahrbuch Trier-Saarburg 1980, S. 225-230. Zurück
- KrArch F.102.1 SC Ensch. Zurück