Bibliothek

Arbeiten am keramischen Wandbild "Die heilige Gertrud"

Der erste Brand (Gar- und Schrühbrand)

Die Idee zur Herstellung einer großen Gemeinschaftsarbeit, die dauerhaft zugängig sein sollte, entstand vor zwei Jahren [1981] bei der Planung des Sprendlinger Ferienprogramms. Zwei Programmpunkte hatten hier eine eigene Tradition entwickellt: zum einen, freies Töpfern und keramisches Gestalten mit Kindern im Annenhof und zum anderen, die lebendige Begegnung mit der Lokalgeschichte, vermittelt durch eine Historikerin. Warum also nicht an diese Traditionen anknüpfen und in ihnen fortfahren? Die begreifende Auseinandersetzung mit der heimatlichen Geschichte und deren Veranschaulichung durch gesicherte Überlieferung und bildreiche Legendenbildung bildeten den geistigen und gefühlsmäßigen Zugang zu der Gestalt der heiligen Gertrud, deren Namen viele der Beteiligten nur durch eine Straße und ein Fest kannten. Zugängigmachen, begreifbarmachen und erlebbarmachen hieß daher: das Gehörte auf dem Weg über die Verinnerlichung nach außen tragen und in der kreativen Nachgestaltung sichtbar werden zu lassen in einer keramischen Bildwand.

Von dem wohl ältesten und traditionsreichsten Werkstoff der Menschen, dem Ton, gehen für Kinder und Erwachsene gleichermaßen beeindruckend starke Materialreize aus. Der Klumpen Ton in der Ahnd führt zur spontanen unaufgeforderten Bearbeitung durch Rollen, Kneten, Drücken; ein Werkstück entsteht ohne die hemmende Zwischenschaltung von Werkzeugen zwischen formender Hand und plastischem Material. Der anschließende Brand lässt es dauerhaft verwendbar werden.

Die Umsetzung von spontanen Zeichnungen zum geplanten Thema in den Werkstoff Ton führte notwendigerweise weg von der ursprünglichen Begegnung mit dem Material hin zu einer ernsthaften Bindung an die eigenen selbstgeschaffenen Vorlagen. Kindliche Gestaltungsfreude konnte sich so mit dem konstruktiven Entwicklungsprozess einer handwerklichen Baukeramik verbinden.

Während zunächst eine kleiner Gruppe von Kindern und Jugendlichen den Ausführungen der Mainzer Historikerin [Dr. Ingrid Ringel] zuhörte, wechselten an den folgenden Nachmittagen und Abenden die Zusammensetzung und die Größe der mitarbeitenden Gruppen; so haben etwa 40 verschiedene Kinder, Jugendliche und Erwachsene bei der Entstehung des Wandbildes mitgeholfen, Schnell entstanden die ersten spontanen Zeichnungen und Bilder - losgelöst und unabhängig von vorhandenen Abbildungen - die Historie, die Legendenbildung, das Brauchtum, Texte in alter Schrift und die raum-zeitliche Verbindung vom Kloster der hl. Gertrud in Belgien zum Klosterbesitz in Sprendlingen in kindlicher Aussage miteinander verquickend. Die fertigen Zeichnungen wurden zu einer ersten Komposition angeordnet; langsam wurde die Vorstellung über die fertige Wand immer konkreter. weitere Entwürfe der ganzen Wand entstanden, die in Rechtecke und Quadrate eingeteilt, die Aufteilung ('Netz') für die einzelnen Platten wiedergaben. Passend zu der inzwischen lebensgroß gezeichneten Gertrud mussten die anderen Bildteile auch auf den Maßstab 1:1 gebracht werden. Etwa 140 kg Steinzeugton mussten nacheinander geknetet, gewalkt, ausgerollt und zu Platten in vorgegebenen Formaten geschnitten werden. Auf die zusammengelegten Platten wurde der Entwurf übertragen und anschließend aufmodelliert. Nach ausreichender Trockenzeit erfolgte dann der erste Brand in einem elektrischen Steinzeugofen in der Werkstatt in Jugenheim. Einige wenige Platten mussten nachgearbeitet werden. Jetzt stand nur noch der Werkstattprozess des Glasierens, der farbigen Gestaltung der Kachelwand aus. Aus der Farbskala der eigens für dieses Projekt hergestellten Spezialglasuren wurden gemeinsam die Farben für die Wand ausgesucht und auf den Schnittmusterteilen des Rasterentwurfs ('Karton') vermerkt. Die nun aufgebrachten Glasuren wurden in einem zweiten Brand bei über 1200° aufgebrannt. Die Wand kann nun an dem Haus Gertrudenstraße Nr.37/Ecke Ernst-Ludwig-Straße angebracht werden.
Im gemeinsam begeisterten Schaffen wurde Geschichte erfahrbar zur erlebten Gegenwart und damit für die aktiv Beteiligten und für die Betrachter ein Stück subjektiv deutbarer Realität.

Nachweise

Verfasser: Dieter Görgen

Quelle: Villa Sprendelinga. Mitgeteilt von Ursula Schnell. Sprendlingen, o.J.

Redaktionelle Bearbeitung: Stefan Grathoff