0.Kaspar Sturm - Ein Oppenheimer im diplomatischen Dienst des Kaisers
von Frieder Zimmermann
Veröffentlichung für den Geschichtsverein Oppenheim
0.1.Von der erzbischöflichen Kanzlei an den Kaiserhof
Vor 500 Jahren, am 27. Oktober 1520, rückte der 1475 in Oppenheim geborene Kaspar (auch Caspar) Sturm, bis dahin leitender Beamter in der kurmainzer Erzkanzlei des Fürstbischofs Albrecht von Brandenburg, in die vordere Reihe der Spitzendiplomaten des Heiligen Römischen Reichs auf. Damit ist der Sohn eines kurpfälzischen Beamten der Oppenheimer mit dem höchsten politischen Amt und neben Johann von Dalberg (1455 – 1503), dem in Armsheim geborenen Johann Paulsackel (1805 – 1855) und Jakob Steffan (1888 – 1957) der bedeutendste Politiker mit Oppenheimer Wurzeln, um nicht zu sagen der größte Sohn seiner Heimatstadt ihrer Geschichte. Vor 500 Jahren erstieg dieser Kaspar Sturm die höchste Sprosse seiner Karriereleiter, um wenige Monate später als verantwortlicher Führer der Eskorte für Martin Luther auf dessen Reise zum Reichstag in Worms und zurück bis heute berühmt zu werden.
Nach Aachen reiste der Kanzleirat Sturm im Gefolge seines Dienstherren Albrecht von Brandenburg (1490 - 1545), der seit 1514 als Erzkanzler des Reiches, als Kurfürst und Erzbischof des großen Bistums Mainz zu den bedeutendsten Gästen der Feierlichkeiten anlässlich der Krönung Karls V. zum römisch-deutschen König sowie seiner Ernennung zum römischen Kaiser zählte. Kindheit, Jugend und Ausbildung Kaspar Sturms liegen im Dunkeln. Eine humanistische Bildung, vielleicht gar ein Studium, dürfen angenommen werden. Die verschiedenen von ihm erhaltene Schriften deuten darauf hin.[Anm. 1] Zum Anforderungsprofil einer Position im unmittelbaren Umfeld des Erzbischofs wird nicht nur die Fähigkeit des Lesens und Schreibens gehört haben. Vielmehr ist anzunehmen, dass eine höhere Bildung, womöglich sogar ein abgeschlossenes Studium vorausgesetzt wurde. Dass Kaspar Sturm diese Anforderungen als Nichtadliger und Nichtkleriker erfüllte, war im frühen 16. Jahrhundert alles andere als selbstverständlich. Neben seiner Position an den Höfen des Erzbischofs, später des Kaisers und des pfälzischen Kurfürsten deutet die Qualität der von ihm verfassten Schriften auf einen hohen Bildungsgrad hin. In Mainz war er bereits 1515 zum Beamten auf Lebenszeit aufgestiegen. Seine Besoldung bestand in acht Malter Korn (1 Malter = 109,387 Liter in Mainz; www.deacademia.com), ein Fuder Wein (1 Fuder = 955 Liter in Mainz. www.wikipedia.org) und ein Sommer-Hofkleid zu.[Anm. 2] Bargeld verschaffte ihm schon früh eine 'Nebentätigkeit' für den Rat der Stadt Nürnberg, den er regelmäßig mit politischen Nachrichten belieferte und mit dem Übermitteln von Schreiben dienstbar war. Dafür erhielt Sturm ab 1518 ein jährliches „Dienstgeld“ von 24 Gulden (für 1 mittelalterlicher Gulden darf eine damalige Kaufkraft von 485,0 Euro angenommen werden.[Anm. 3]). Sturm erhielt sich diese Einnahmequelle auch noch lange nach seiner Ernennung zum Reichsherold. Erzbischof Albrecht, der Sturms Karriere immer gefördert hatte, war es auch, der dem jungen König Karl empfahl, Sturm in seinen Dienst zu nehmen. Karl war zwar noch jung an Jahren (geboren am 24. Februar 1500 in Gent als Sohn des Habsburgers Philipp des Schönen [gestorben 1506], 1515 vorzeitig für volljährig erklärt), aber bereits seit 1515 Herzog der burgundischen Niederlande, seit 1516 spanischer König (inklusive der spanischen Herrschaftsgebiete in Italien und Übersee) und seit 1519 Erzherzog von Österreich. Allerdings sprach der Enkel des (ungekrönten) Kaisers Maximilian I. muttersprachlich Französisch sowie Latein und Niederländisch und lernte gerade mühsam Spanisch. Die politischen Verhältnisse im deutschen Teil seines Riesenreiches waren ihm genauso fremd wie die schwere Sprache. Einen kundigen und verlässlichen Partner aus den deutschen Landen an seiner Seite zu haben, musste Karl als Glücksfall betrachten. Seine Herrschaft war äußerst fragil. Separatistische Bewegungen bedrohten in allen Ecken den Zusammenhalt des Reichs. In Spanien herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände infolge von Aufständen gegen den ungeliebten Habsburger. Selbstbewusste Reichsstände, aufsässige Städte und Herrschaften, ein sich abzeichnender Religionskonflikt, chronische Finanznot (allein bei der Bankiers-Familie Fugger in Augsburg stand Karl zu diesem Zeitpunkt mit 600.000 Gulden [entspricht rd. 291.000.000 Euro Kaufkraft] in der Kreide) und dazu der ewige Streit mit dem Vatikan und mit Frankreich und die latente militärische Bedrohung durch die Osmanen im Osten. Es fehlte ein „überlegenes Kraftzentrum“ in Deutschland. Damit drohte eine feindliche Übernahme durch eine auswärtige Macht, der es darüber hinaus gelingen konnte, „die immer noch beachtlichen deutschen Kräfte sich dienstbar zu machen.“[Anm. 4] „Deutschland als ganzes war damals das größte und volkreichste christliche Gebiet und konnte, wenn seine Machtmittel aufgeboten und einem gemeinsamen Ziel unterstellt wurden, auch als das stärkste gelten.“[Anm. 5] Der Kreis von Karls Spitzendiplomaten, seiner Räte, Gesandten und Kanzleibeamten dürfte sich überwiegend aus Burgundern aus dem Gebiet der heutigen BeNeLux-Staaten zusammengesetzt haben, „die zwischen Frankreich und der Eidgenossenschaft nicht wählen konnten und deshalb aufs engste der Habsburger Dynastie verpflichtet waren.“[Anm. 6] Der wichtigste Berater Karls aber war (seit 1518) Italiener, genauer gesagt Piemonteser, der Großkanzler Mercurino Gattinara, auf den das Programm zurück geht, wonach Karl zur Weltherrschaft berufen sei. Der Schlüssel dafür sollte in der Kaiserwürde und im Besitz Italiens liegen.[Anm. 7] Eine deutsche Stimme in den Führungsgremien muss Karl als logische Ergänzung überzeugt haben. In Aachen hatte er zwar erstmals im Leben deutschen Boden betreten, aber gerade aus dem Zentrum des Reiches schlug ihm eine außerordentliche Erwartungshaltung entgegen. Die deutschen Stimmen hatten Karls Wahlsieg gegen die starke Konkurrenz des französischen Königs Franz I. und anfangs noch des englischen Königs Heinrich VIII. entschieden, auch wenn Bestechungsgelder, „Wahlgelder“ genannt, in gewaltiger Höhe hatten nachhelfen müssen. Die Loyalität der deutschen Fürsten musste dringend konserviert werden. Kaspar Sturm kannte sie alle und wusste Rang und Bedeutung eines jeden einzuschätzen.
0.2.Reichsherold Teütschlandt
Die Königswahl hatte in Frankfurt am Main am 28. Juni 1519 stattgefunden. Karl hielt sich damals in Spanien und aus Angst vor einer grassierenden Pest in einem Kloster auf dem Land nahe Barcelona auf und erhielt dort die Nachricht von dem für ihn einstimmigen Ergebnis. Für die Krönung ließ er sich und dem Organisationskomitee viel Zeit, während der er sich um Normalisierung der Beziehungen zu Frankreich und England bemühte. Über Gent und London reiste er schließlich gen Aachen, wartete, bis eine auch dort wütende Pest abgeklungen war und zog dann mit seinem Gefolge in dessen Mauern. Am 23. Oktober 1520, einem Samstag, nahm im Kaiserdom der Kölner Erzbischof Hermann von Wied die Krönung vor. Kern des umfänglichen Titels des neuen Herrschers war 'König der Römer, erwählter römischer Kaiser, immer Augustus'. Sechs Tage später wurde die päpstliche Legitimation durch Zustimmung des Pontifex Leo X. in Rom erlassen. Als Kaspar Sturm am darauffolgenden Mittwoch zum Reichsherold berufen wurde, stand er damit in der Dienstpflicht nicht nur des römisch-deutschen Königs, sondern auch des designierten Kaisers (gekrönt durch Papst Clemens VII. 1530). Sturms offizieller Titel (Amtsname) war von da an 'Reichsherold Teütschlandt' [Anm. 8] So wurde er ausdrücklich als ein deutscher neben den romanischen Herolden installiert und die Bedeutung der deutschen Regionen, Herrschaften und Städte manifestiert. Sturm selbst bezeichnete sich selbst als „römisch kayserlicher und hispanisch königlicher Majestät Ernholt und Parsivant in deutschen Landen, genannt Deutschland“ [Anm. 9] Sturms Bestallung mit der ausdrücklichen Zuständigkeit für Deutschland darf als kleiner Teil des kaiserlichen Bemühens, ein Reichsregiment zu institutionalisieren, betrachtet werden. Eine derartige Reichsregierung, wie sie etwa in Frankreich oder England mit Beratern, Spitzenbeamten und Thronvasallen, die zusammen den Hofstaat (curia regis) bildeten, seit Jahrhunderten gab. Abgesehen von einer kurzen Episode 1500 – 1502 unter Maximilian I. gab es im Reich ein derartiges Reichsregiment nicht, wurden Regierungsaufgaben vom Reichstag oder der Versammlung der Reichsstände wahrgenommen und lagen spezifische Kompetenzen bei den Erzbischöfen von Mainz (Erzkanzler), Köln und Trier. Priorität für die Habsburger musste nach Karls Krönung zum König und seiner Wahl zum Kaiser die dauerhafte Sicherung der Nachfolge in Deutschland sein, zumal der neue Regent sich überwiegend nicht in Deutschland aufhalten würde. Ein Reichsregiment versprach eine Win-Win-Chance für Habsburg und die Reichsstände. Wenngleich damit nicht die Abgabe von Regierungsmacht durch den König und Kaiser verbunden war, ist die Gründung des Reichsregiments 1521 ein nicht unwesentlicher Schritt in Richtung Teilhabe.[Anm. 10] Sturms Amtsname 'Teütschland' steht für die Zuständigkeit als Diplomat im kaiserlichen Dienst. Sein Zuständigkeitsbereich ist das riesige Zentrum eines gewaltigen Reichs zwischen Polen, Ungarn und dem Osmanischen Reich im Osten und Frankreich im Westen, zwischen England, Dänemark und Schweden im Nordwesten und Norden und dem Kirchenstaat, der Republik Venedig und zunehmend auch dem Osmanischen Reich im Süden. Wenn man Sturms offiziellen Titel mit 'Kaiserlicher Botschafter für Deutschland' übersetzt, werden Rang und Bedeutung besonders deutlich.
0.3.Vom Wappenexperten zum Diplomaten
Gerhard Wahrig leitet 'Herold' vom spätmittelhochdeutschen heralt ab, das auf altfranzösisch héralt oder fränkisch heriwald zurück geht; heriwald (Heer und walten) bezeichnete einen 'Heeresbeamten'.[Anm. 11] Fuchs und Raab kennen noch ein althochdeutsches heriowaldo als im Spätmittelalter „der mit der Kenntnis der Turnierregeln und Ritterwappen vertraute Beamte. (…) Darüber hinaus war er an völkerrechtlich Vorgängen beteiligt, so bei einer feierlichen Kriegserklärung; dann auch als Friedensbote bei der Verkündigung des Friedens. (…) Die H. teilten sich in drei Rangstufen: a) Wappenkönige (nur am Königshof oder am Hof eines regierenden Fürsten); b) gewöhnliche H.; c) Persevanten. Die H. aller Rangstufen besaßen einen Amtsnamen; er glich dem eines Territoriums oder eines Emblems (…) H. trugen eine besondere Amtstracht, Wappenrock oder Tappert genannt; auf ihm waren die Wappen des Fürsten, dem man diente, eingestickt.“[Anm. 12] Nachdem Turniere als ritterliche Wettkämpfe nach und nach an Bedeutung verloren und bald ganz verschwanden „hat man die Herolde mehr und mehr zu diplomatischen und protokollarischen Diensten herangezogen.“[Anm. 13] Der Reichsherold war offizieller Bote (= Botschafter) seines Lehnsherren und damit das, was man heute 'Diplomat' nennen würde. Als solcher genoss er Immunität und war einem besonderen Ehrenkodex verpflichtet, der vor allem Offenheit, Ehrlichkeit und Loyalität beinhaltete. Eine spezielle Kompetenz des Reichsherolds war die Rechtskunde und das Wissen um die Struktur der Herrschaftsverhältnisse in dem höchst heterogenen Riesenreich. Hermanns Bewertung, Reichsherolde seien „kleine Beamte“ gewesen, die „keine Rolle“ spielten [Anm. 14], ist eine Fehleinschätzung. Der Herold, insbesondere der Reichsherold hatte eine wichtige und vor allem eine politische Funktion und war nicht vergleichbar mit den zahlreichen Höflingen, die mit protokollarischen oder organisatorischen Aufgaben betraut waren. Der Reichsherold vertrat im diplomatischen Dienst die kaiserliche Autorität. Die Verkörperung dieser Autorität war etwa bei Sturms Geleitschutz für Martin Luther im Frühjahr 1521 sehr viel wichtiger als die militärische Eskorte. Der Reichsherold konnte offiziell belegen, dass die Bannbulle gegen Luther für die Zeit des Wormser Reichstags sowie für Hin- und Rückreise außer Kraft gesetzt war und Luther freies Geleit zugesichert worden war.
Der Herold kannte Namen Titel und Rang aller geistlichen und weltlichen Würdenträger, und er identifizierte sie bei offiziellen Ereignissen, bei Turnieren, kriegerischen Auseinandersetzungen oder zwischenstaatlichen Konsultationen anhand ihres Wappens (Heraldik = Wappenkunde). Üblicherweise verfasste sich der Herold zu diesem Zweck ein eigenes Nachschlagewerk als Wappenrolle oder Wappenbuch.
Das Wappenbuch von Kaspar Sturm mit 110 Wappenabbildungen ist in einer bearbeiteten Fassung von Jürgen Arndt 1984 neu aufgelegt worden. Es enthält auch die genannte Abbildung, ein Selbstbildnis Sturms, das ihn in fortgeschrittenem Alter nach 1538 in Nürnberg zeigt und auf dem er den kaiserliche Wappenrock mit dem habsburger Doppeladler trägt.[Anm. 15] Im Wappenbuch [Anm. 16] selbst findet sich Sturms Selbstbildnis in Amtstracht und mit den zwei Wappen der Reichsstadt Nürnberg (Bl 60v). Das Schriftband darüber enthält folgenden Text:
„Die konig auch sonsten und alle Regierende Hern sein darumb
furgesetzt das sie mit Irer Weyssheit sollen Regieren
und mit Irer Hilff und gerechtigkeit land vnnd
leudt beschirmen.“
0.4.Dürer
In den letzten Oktobertagen des Jahres 1520 war Kaspar Sturm im Zentrum der Parade gekrönter Häupter, hochrangiger Kleriker und Heerführer, mächtiger Banker und Kaufleute. Auch die angesagtesten Künstler dieser Zeit mischten sich unter das hochkarätige Publikum des politischen und gesellschaftlichen Großereignisses in Aachen. Darunter auch Albrecht Dürer (1471 – 1528), der von Antwerpen gekommen war, um sich vom neuen König und designierten Kaiser die ihm von seinem Vorgänger Maximilian I. zuerkannte Leibrente bestätigen zu lassen. In seinem Tagebuch notiert er seinen Eindruck von der Krönungsfeier „Item am 23. Tag Octobris hat man König Carl zu Ach gekrönt, da hab ich gesehen alle herrlich Köstlichkeit, desgleichen Keiner, der bei uns lebt, köstlicher Ding gesehen hat."[Anm. 17]
Er schreibt „den Sturm“, was darauf hinweist, dass der Oppenheimer 1520 schon ein prominenter Mann war, der nicht mit Titel oder Vornamen genauer bezeichnet werden musste; „der Sturm“ genügte, und jeder wusste, wer gemeint war. Das Konterfei Sturms befindet sich als Silberstiftzeichnung in Dürers Skizzenbuch und wird heute im Musée Condé in Chantilly im nordfranzösischen Departement Oise verwahrt. Dürers Notiz über dem Porträt „CASPER STURM ALT 45 IOR“ lässt uns zurück schließen, dass Sturm 1475 in Oppenheim geboren wurde. Ob es Sturms 'markantes Gesicht' war, das Dürer zum Anfertigen einer Skizze reizte [Anm. 18], oder er dafür ein Honorar von dem Porträtierten, wie üblich in Naturalien, erhielt, ist nicht bekannt. Dürers Tagebuch besteht zu großen Teilen aus Listen von Auftragsarbeiten und dafür erhaltenen Honoraren.
Das Bild zeigt einen stämmigen Mann mit ernster, aber nicht unfreundlicher Miene. Sturm scheint nicht unwesentlich geschielt zu haben. Während das linke Auge den Betrachter anvisiert, ist das rechte unter dem leicht gesenkten Lid etwas zur Seite gerichtet. Die Nase ist kräftig und leicht schief, die Lippen voll und geschwungen. Auf dem Kopf trägt Sturm, tief über die Stirn und das rechte Ohr gezogen, eine Art Kappe offenbar aus mehrfach gefaltetem, weichen Leder. Der Kragen um den kräftigen Hals ist leicht geöffnet. Über dem Hemd zeichnet sich ein Wams ab, das zur Robe des Herolds, dem Wappenrock, gehören dürfte und auf der Vorderseite großflächig vom Habsburger Doppelkopfadler bedeckt war, der auf Dürers Skizze allerdings nicht erkennbar ist. Sturm wirkt hier eher wie ein Landsknecht als wie ein blasierter Diplomat. Dass er abweichend von diplomatischen Gepflogenheiten ein Schwert zu tragen pflegte, überrascht nicht. Die Feststellung in einem Beitrag in den Oppenheimer Heften des Geschichtsvereins [Anm. 19], es habe sich dabei um „das Heroldsschwert“ oder „Lutherschwert“ gehandelt, ein Zweihänder „von 1,68 m Länge“, kann nicht aufrecht erhalten werden. Das im Friedberger Wetterau-Museum ausgestellte Schwert, das Sturm zugeschrieben wird, ist über 2 m lang und stammt wahrscheinlich aus dem späten 16. Jahrhundert. Das Wetterau-Museum selbst räumt ein: „Nicht alles, was erzählt wird, ist auch historisch gesichert.“[Anm. 20] Dass Sturm einen sog. „Biedenhänder“ als Waffe bei sich trug, ist wenig wahrscheinlich; eher ein einhändiges Kurzschwert, wie von Heinz Hindorf im Stadtfenster des Westchors der Oppenheimer Katharinenkirche (Oppenheimer Geleit) dargestellt wurde. Sturms Porträt strahlt Verlässlichkeit und Entschlossenheit aus. Das Porträt, das ganz offensichtlich nicht höfischen Idealen folgend geschönt wurde, wirkt sehr authentisch und zeigt Sturm als sympathisches, gestandenes Mannsbild.
0.5.Ein streitbarer Mann auf Augenhöhe mit den Mächtigen
Unter den prächtig gewandeten, schmuckbehangenen, gepuderten und kunstvoll frisierten Höflingen im Gefolge des Kaisers dürfte der Oppenheimer Klotz auf seine ganz spezielle Weise herausgestochen sein. Seine couragierte, konsequente Haltung, sein bestimmtes, unerschrockenes Auftreten konnte er schon im Januar 1521 in Worms unter Beweis stellen. Unmittelbar nach den Aachener Krönungs- und Ernennungsfeierlichkeiten hatte er sich zusammen mit dem kaiserlichen Hofstaat in die Nibelungenstadt begeben, um den einberufenen Reichstag vorzubereiten. Hier vertrat er seine eigenen Positionen auch gegen die dogmatischen Aussagen höchster kirchlicher Würdenträger, wodurch er sich diese, mit dem päpstlichen Nuntius Hieronymus Aleander an der Spitze, zu erklärten Feinden machte. Das Urteil des päpstlichen Legaten über Sturm ist eindeutig: ein „übermütiger Mann und Tölpel, ein grimmiger Feind des Klerus“.[Anm. 21] Da hatte sich der heilige Zorn Bahn gebrochen. Dass es überhaupt zu dem heftigen Disput zwischen Sturm und hochrangigen Klerikern, wie dem Magister Michael Sander, der im Dienst des Schweizer Kardinals Matthäus Schinner stand, kommen konnte, zeigt, dass Sturm keineswegs ein kleiner Beamter war, sondern als Bürgerlicher im feudalen Ständestaat aufgrund seiner Stellung im kaiserlichen Dienst von Angehörigen des ersten Standes (der Geistlichkeit) durchaus auf Augenhöhe gesehen wurde. Der 'Reichsherold Germania genand Teutschland' wurde offenbar als Vertreter einer abweichenden, gar ketzerischen, Meinung zwar verachtet, aber als Gesandter des Kaisers durchaus respektiert. Mit einem kleinen Beamten hätten sie nicht diskutiert. Sie hätten ihn hinauswerfen lassen.
In seiner Geburtsstadt Oppenheim ist Kaspar Sturms Anwesenheit nach seiner Ernennung zum Reichsherold noch zweimal belegt, als er als Kommandant, Chefdiplomat und Amtsautorität den Geleitschutz für Martin Luther auf dem Weg von Wittenberg nach Worms am 15./16. April 1521 und auf dem Rückweg von Worms bis Liebenstein am 26./27. April hier Station machte und im Gasthaus 'Zur Kanne' übernachtete.
Ob Sturm in die Hintergründe des wohl inszenierten Überfalls und der „Entführung“ Martin Luthers am 4. Mai bei Altenstein (heute Ortsteil Steinbach der Stadt Bad Liebenstein) eingeweiht war, ist nicht belegt, darf aber angenommen werden. Warum hätte er Luther verlassen und damit seiner Pflicht, für dessen Sicherheit zu sorgen, nicht nachkommen sollen? Und der Geleitschutz war nicht nur die militärische Aufgabe einer Leib und Leben schützenden Eskorte. Die Reise ging ein Stück weit durch kurpfälzisches Gebiet, den kurrheinischen Reichskreis und über Hessen nach Sachsen. Die von Sturm verkörperte kaiserliche Autorität ermöglichte problemlos jeden Grenzübertritt. Sturm dürfte darüber hinaus gewusst haben, dass das freie Geleit bei einer Rückkehr nach Wittenberg geendet hätte und die Bannbulle vom 3. Januar 1521 (am 26. Mai durch das auf den 8. Mai zurückdatierte Wormser Edikt bestätigt) wieder in Kraft getreten wäre, was Luther in tödliche Gefahr gebracht hätte. Die „Übernahme“ Luthers durch einen Trupp des Kurfürsten Friedrich III. von Sachsen, die seinen Mönchshabit gegen Zivilkleidung tauschten und als „Junker Jörg“ auf die Wartburg brachten, dürfte mit Sturms Wissen und Billigung erfolgt sein. Damit hatte ein Oppenheimer in nicht unerheblichem Maße Einfluss auf den Verlauf der Geschichte genommen.
Nachweise
Verfasser: Frieder Zimmermann
Literatur:
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- Dürer, Albrecht: Schriftlicher Nachlass. Berlin 1920. (Heidelberger historische Bestände, online. digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/duerer1920/0218).
- Fuchs, Konrad und Raab, Heribert: Wörterbuch zur Geschichte Bd. 1. München 3/1977.
- Fuchs, Walther Peter: Das Zeitalter der Reformation. Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte Bd. 8. Stuttgart 6/1982.
- Hermann, Fritz: Kaspar Sturm aus Oppenheim, der Reichsherold. In: Oppenheim. Geschichte einer alten Reichsstadt. Hrsg. Hans Licht. Oppenheim o.J. (1975), S. 127 – 129. (= Nachdruck von 1925)
- Kaspar Sturm (Reichsherold), de.wikipedia.org/wiki/Kaspar_Sturm_(Reichsherold)
- Lutz, Heinrich. Der politische und religiöse Aufbruch Europas im 16. Jahrhundert. In PWG 7.1, 1976, S. 25-132.
- Hubatsch, Walter: Frühe Neuzeit und Reformation in Deutschland. Frankfurt/M u.a. 1981.
- Reichsherold Kaspar Sturm (1475-1552). Schülerarbeit. In: Oppenheimer Hefte Nr. 3, 1991 (= jährl. Publikation des Oppenheimer Geschichtsvereins), S. 39 – 44.
- Schlu, Martin: Karl V. Kaiserwahl und Kaiserkrönung 2005 (online, www.martinschlu.de).
- Sturm, Caspar: Das Wappenbuch des Reichsherolds Caspar Sturm. Bearbeitet von Jürgen Arndt (Wappenbücher des Mittelalters Bd. 1) Neustadt an der Aisch 1984.
- Wagner, Jürgen: Das Rätsel um das Lutherschwert. In. Wetterauer Zeitung, 3.3.2020. Kopie im Besitz des Verfassers.
- Wahrig, Gerhard: Deutsches Wörterbuch. Berlin 1977.
- www.deacademia.com
- www.mittelalterrechner.de
- Zimmermann, Frieder: Kaspar Sturm. Ein übermütiger Mann. In: Zimmermann, F.: Nicht nur Luther war hier. Geschichten um historische Persönlichkeiten und ihre Zeit in Oppenheim. Bad Kreuznach 2016, S. 23 – 30.
- Zimmermann, Frieder: Martin Luther. Und morgen vogelfrei. Ebda S. 31 – 42.
Die verwendeten Bilder sind allesamt gemeinfrei.
Bei Susanne Pohl, Vorsitzende des Geschichtsvereins Oppenheim, bedanke ich mich für das Korrekturlesen und ihre nützlichen Hinweise.
Erstellt am: 16.10.2020
Anmerkungen:
- Bartelmeß, S. 185. Zurück
- Bartelmeß, S. 186. Zurück
- www.mittelalterrechner.de. Zurück
- Fuchs, S. 73. Zurück
- Hubatsch, S. 176f. Zurück
- Hubatsch, S. 178. Zurück
- Lutz, S. 30. Zurück
- so der Wortlaut in der Bestallungsurkunde, In Sturm, S. 20. Zurück
- Quittung für den Nürnberger Ratsherrn Leonhard Groland, zitiert nach Bartelmeß, S.187. Zurück
- siehe dazu die Ausführungen von Heinz Angermeier in Sturm, S. 43 – 49. Zurück
- Wahrig, S. 1774. Zurück
- Fuchs und Raab, S. 346. Zurück
- Bartelmeß, S. 185. Zurück
- Hermann, S. 128. Zurück
- Sturm, Caspar: Das Wappenbuch. Zurück
- Sturm, S. 302. Zurück
- Dürer, S. 61. Zurück
- Bartelmeß, S.187. Zurück
- Reichsherold Kaspar Sturm, 1991, S. 39. Zurück
- Wagner 2020. Zurück
- Bartelmeß, S. 187. Zurück