Stierstall
Stellvertretend für eine typische dörfliche Gemeinschaftseinrichtung seien Stierstall und Viehwaage der Gemeinde Neuerkirch aufgelistet.
Der Stierhaltung in den Gemeinden war über Jahrhunderte eine überaus wichtige Angelegenheit, denn ein gesunder und kräftiger Viehbestand war die wesentliche wirtschaftliche Grundlage auf privater wie auf gemeindlicher Ebene. So gab es zwischen der Obrigkeit bzw. den Behörden und den Viehhaltern auf diesem Gebiet vom Grundsatz her übereinstimmende Interessen – jedem war ein intakter Viehbestand nützlich. Dennoch konnte es über die genaue Ausführung von Bestimmungen oder Verordnungen unterschiedliche Auffassungen geben.
In der Regel wurde die Bullen reihum gehalten. In einem bestimmten Turnus wurden ältere Stiere verkauft und neue angekauft. Dies geschah auf den Hunsrücker Viehmärkten.
Spezielle Nachrichten über die Stierhaltung bzw. die Viehzucht finden sich in Archivalien und Gemeindeordnungen seit dem 18. Jahrhundert. Die Ausführlichkeit, mit welcher die Thematik oft behandelt wurde, hebt die steigende Relevanz der Viehzucht in den Gemeinden seit dem 18. Jahrhundert hervor.
Durch die französische Gesetzgebung, die nach der Besetzung des linken Rheinufers im Hunsrück-Naheraum seit 1797 Gültigkeit erlangte, galt die Zuchtstierhaltung jedoch nicht mehr ausschließlich als allgemeine Gemeindeangelegenheit. Man verteilte die Kosten auf alle, die aus der Stierhaltung den entsprechenden Nutzen zogen.
Auf der Basis der preußischen Gemeindeordnung von 1845 und weiteren Bestimmungen über die Gemeindeverfassung von 1856 finden sich in fast allen Gemeinden örtliche Statuten über die Haltung und Pflege der Zuchtstiere.
Erst 1882 wurde die Stierhaltung per Gesetz zur Gemeindesache erklärt, wobei schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auf kommunaler Ebene der Bau von gemeindeeigenen Stierställen diskutiert wurde.
Die praktische Umsetzung der gesetzlichen Regelungen findet sich in den Beschlussbüchern der Ortsgemeinden oft umfangreich dargestellt, verbunden mit der Abschrift von vorgegebenen Satzungen über die Stierhaltung in den Gemeinden. Baukonzepte mussten sich an Vorschriften orientieren, an den finanziellen Möglichkeiten der Gemeinden und an der Größenordnung der Dörfer.
Mit der Durchsetzung der Baubestimmungen entstand eine Einrichtung, die als typisch dörfliche Gemeinschaftseinrichtung empfunden wurde: der Stierstall.
Zu Hebung und Verbesserung der Viehzucht wurde3 1901 die Hunsrücker Herdbuchgesellschaft gegründet.
Mit Einführung der künstlichen Besamung der Kühe in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts und verbunden mit einem allgemeinen Strukturwandel in der Landwirtschaft wurde die Stierhaltung in den Gemeinden nach und nach abgeschafft und mit ihr die gemeinschaftlichen Leistungen, welche zur Stierhaltung erbracht werden mussten.
Hinzu kam der Funktionsverlust der Stierställe. In manchen Orten sind die Gebäude längst abgerissen, in anderen zu Feuerwehr-Gerätehäusern umgebaut oder der Jugend zur Verfügung gestellt. Baupläne für Stierställe finden sich insbesondere noch in kommunalen Bauarchiven seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert.
Der Neuerkircher Stierstall entstand 1849, nachdem sich die Einwohner von Neuerkirch diesseits und Jenseits (Der Külzbach trennte die Gemeinde) auf den Bau geeinigt hatten. 1898 wurde der Bau erweitert, da man für rund 100 Kühe in der Gemeinde einen zweiten Stier einstellen wollte.
1938 wurde schließlich der bestehende Bau gegenüber dem Gemeindehaus errichtet. Die alten Stallungen dienten anschließend, wie viele weitere Bespiele, der Unterbringung der Feuerwehr.
Die Stierhaltung wurde wie in vielen Gemeinden durch den Beitritt zur Besamungsstation Neumühle in den 1960er Jahren aufgegeben. Im Zuge des Dorferneuerunsgprogramm wurden der Stall und die Viehwaage einem neuen Nutzungskonzept zugeführt.
Literaturhinweis:
Gustav Schellack/ Willi Wagner, Neuerkirch ein Dorf im Hunsrück. Vergangenheit und Gegenwart. Oestrich-Winkel 1986