Die Wasserversorgung der Stadt
Ich wiederhole die Annahme, dass die Finthen umgehende Strecke eine nachträgliche Erweiterung war und die aus dem Kemperich-Floss die ältere, denn auf sie zielt der weitere Lauf. Allerdings hätte man die Leitung vom Königsborn her kaum anders führen können.
Eine zweite gedankliche Weiterführung kann ich mir nicht versagen: Nach gut kilometerlang geradem, gut dokumentiertem Verlauf (auf einer kleinen Wasserscheide) durch die Flur Attach (in heutigen Karten auch „Aduch“) schwenkt bekanntlich die Leitung vor dem Universitätsstadion wieder ab, um zu den heutigen „Römersteinen“ zu führen.
Zöge sie geradeaus weiter, käme dann allmählich den Westhang des Zaybachtals herunter, überquerte mit vielleicht 4 m Höhe oder einer Dükerleitung den Zaybach, dann endete sie etwa bei Altmünster. Ein Becken dort brächte genügend Druck für die „Unterstadt“. Ich behaupte nicht, dass es diese Trasse gab, sondern nur, dass sie für eine Versorgung der Innenstadt mit Finthen(/Drais)er Wasser zweckmäßiger gewesen wäre als der Umweg über das Kästrich-Plateau. Wenn es diese Führung vor der Erbauung des Steinlagers und der Wasserbrücke gegeben hätte, wäre es übrigens nicht notwendig gewesen, die Attach-Strecke über die Erdoberfläche „aufzustelzen“, um genügend Höhe über dem Endpunkt zu haben.
Dieser Standort eines Verteilungsbeckens könnte identisch sein mit dem mit dem für eine barocke, offensichtlich sehr leistungsstarke Wasserleitung. Dort (etwa überm Tunneleingang in einer völlig umgebauten Situation) lag nämlich die Brunnenstube für die von Erzbischof Lothar Franz für den Neuen Brunnen 1724-28 gebaute Leitung mit Quellwasser aus dem Gebiet der Bretzenheimer Mühle. Diese Quellen existierten gewiss bereits zur Römerzeit, und nur der, der sich ausschließlich auf archäologische Reste, nicht aber auf den gesunden Menschenverstand verlässt, wird ausschließen, dass die doch sehr pragmatischen Römer die stadtnächsten, leicht herzuleitenden Quellen verschmähten zugunsten des mit einem aufwendigen Aquädukt weit her geholten Finther Wassers.
Doch diese Überlegung muss genau so relativiert werden wie eine weitere. „Da die Quellen“ (gemeint sind die vorgenannten an Fuß und Abhang von Kästrichplateau und Stefansberg) „aber nicht genügten, mussten sich die Bewohner des römischen Moguntiacum Ziehbrunnen anlegen“. „Der Unterbau zahlreicher römischer Brunnen dieser Art wurde im Stadtgebiet gefunden, so. z. B. 1972 auf der Großbaustelle „Brand“ ein sogenannter Kastenbrunnen aus Eichenbohlen, um 230 n. Chr. angelegt, und ein sogenannter Fassbrunnen aus Fichten holz
Bei den Sicherungsarbeiten am Mainzer Dom 1910 bis 1927 wurden unter dem Fundament allein sieben römische Brunnen gefunden
“
Entscheidend ist nämlich die Frage: Ab wann gab es da unten überhaupt eine regelrechte Stadt? Dr. Rupprecht schrieb mir, die Römer hätten gleichzeitig mit dem Lager dort eine Stadt gegründet und eine keltische Siedlung hätte es, nach Aussage der Funde, im Stadtgebiet nicht gegeben. Ich bezweifle beides. Bei der ersten Anlage eines Legionslagers dürften die Römer im Gebiet der heutigen Innenstadt nur lockere, kleine Besiedlung vorgefunden und wohl nicht viel daran geändert haben. Eine systematische Stadtgründung gab es nicht, jedenfalls nicht da unten. Zumindest das Isis-Heiligtum lag bei seiner Gründung, also etwa 100 Jahre später, noch „außerhalb“ einer geschlossenen Siedlung, wie Rupprecht selber festgestellt hat.
Wenn und soweit die „Unterstadt“ als geschlossene Siedlungsfläche nicht älter als das Steinlager ist, mag es durchaus sein, dass sie vom „Überfluss“ des Lagerwassers mitversorgt wurde.
Alle datierbaren Funde zu „unterstädtischen“ Leitungen gehören jedenfalls, wenn ich die Publikationen recht verstehe, genau so wie die innerhalb des Lagers, in die zweite Zeit der Legio XIV Gemina (jetzt auch Martia) und der I Adiutrix, d. i. 69–89. Ob sie das ganze System oder nur Einzelteile datieren, ist nicht gesagt. Doch schon wenige Jahre oder Jahrzehnte vor 70 mag es in der Unterstadt einzelne größere und wohl öffentliche Wasserverbraucher gegeben haben. Wie sie versorgt wurden, wenn es sie wirklich gab, lässt sich nicht sagen. Eine Wasserversorgung des Lagers muss es dagegen bereits in der Drusus-Zeit gegeben haben.
Um über eine statische, d. h. unhistorische Betrachtung der Mainzer Aquädukt(e)-Struktur hinauszukommen, müsste man zuguterletzt noch wissen, ob beim Abbruch des Lagers die Leitung noch funktionierte und dann der Stadt zugute kam. „
wo Lager schließlich aufgegeben wurden,
wird natürlich auch eine bestehende Wasserversorgung in zivile Dieste übergeführt worden sein. Mogontiacum/Mainz
(ist) hierfür beispielhaft.“ (Klaus Grewe, Römische Wasserleitungen nördlich der Alpen, in: Wasserversorgung antiker Städte
, hier S. 46 und 52). Ein Beleg für diese Behauptung fehlt, ich kann nicht recht daran glauben.
Wurde das Lager gar aufgegeben, weil die Leitung nicht mehr funktionierte, d. h. entweder zerstört war oder nicht mehr genug Wasser heranbrachte?
Auch Rupprecht spricht eine „Relativierung der einzelnen Entwicklungsstadien“ an und verweist auf „eine vorgesehene zusammenfassende Veröffentlichung aller Erkenntnisse zu römischen Wasserleitung von Mainz“ an. Sie wird sicher alle hier aufgeworfenen Fragen eines Laien beantworten, oder einer Klärung näherbringen.