Leutesdorf am Mittelrhein

Leutesdorfer Kreuze

Leutesdorf liegt in einer reichgesegneten Weinlandschaft. Wer durch seine Gassen und Wingerte geht, den wird immer wieder das Marterbild des Gekreuzigten anblicken. Der Grund dafür liegt in einer leidvollen Vergangenheit: Verursacht durch die Not zahlloser Kriege, Truppendurchzüge und Seuchen, von denen die Rheinlande besonders stark heimgesucht wurden, ist in Leutesdorf eine ausgeprägte Kreuzverehrung gewachsen, die gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) mit dem Bau der Kreuzkirche einen beispiellosen Höhepunkt erreichte. Im Kircheninneren befindet sich an der linken Seitenwand nahe dem Ausgang der wuchtige Kreuzaltar. Er wurde erst 1722 geschaffen. Bei der Aufrichtung des Kreuzaltars wurde ein Trachytkreuz in diesen eingefügt. Von dem vorhergehenden alten Basaltkreuz übernahm man den Corpus. Die übrigen Figuren wurden aus Lindenholz geschnitzt.

Siechenkreuz

Eine kurze Wegstrecke von der Kreuzkirche entfernt steht in gleicher Höhe mit ihr am Rhein eine Kreuzigungsgruppe, die die Bezeichnung "Siechenkreuz" führt. In ihrer Nähe befand sich ehemals das Siechenhaus, dessen Fundamente in einem nahe liegenden Garten festgestellt worden sind. Siechenhäuser, auch Gutleut-, Pest- oder Melatenhäuser (vom französischen malade = krank) gab es in den Rheinlanden seit dem frühesten Mittelalter. Sie waren eine Notwendigkeit, weil Kriegsvölker, Kaufleute, Wallfahrer, Nichtsesshafte mancherlei ansteckende Krankheiten einschleppten und dadurch die Landesherren und die Ortsbehörden zwangen, durch Absonderung der Kranken die Untertanen zu schützen. So mag auch das Leutesdorfer Siechenhaus auf Anordnung des Kurfürsten schon sehr früh entstanden sein, vielleicht aber hat auch eine Pestepidemie sein Entstehen veranlasst. Auffällig ist auch die Errichtung des Siechenkreuzes in einem Pestjahr. Eine am Kreuzesstamm lehnende Steintafel in Form einer barocken Kartusche wurde vor vielen Jahren entwendet. Sie trug die Inschrift: "Anno 1643, den 6. Juni, hat Herr Lotharius Smitz, Churtrierischer Schultheis zu Leutesdorf, zur Ehrung Gottes dieses Crucifix aufrichten lassen. Amen." Was mag wohl der Anlass gewesen sein? Schultheiß Schmitz wohnte in der "Zinn", jenem kleinen Renaissancehäuschen mit dem rheinzugewandten Giebel in der Rheinstraße. Seine Eltern, Kuno Schmitz und Agnes von Eller, hatten dieses Haus im Jahre 1618 erbauen lassen. Ein Schultheiß war damals Gerichtsbeamter, hier des Kurfürsten von Trier, zu dessen Gebiet Leutesdorf gehörte.

Aus einem der Kirchenbücher erfahren wir, dass 1751 das Kreuz am Siechenhaus mit den Bildnissen von Maria, Johannes und Magdalena, unter einem hohen Dach stehend, anfängt zu verfallen. Dem Pastor war auch hinterbracht worden, es seien "Passanten und liederliches Gesindel" unter diesem abgelegenen Kreuz abends spät und nachts in "unzüchtigen Werken" ertappt worden. Darum sollte das hohe Dach abgetragen und aus dem Abfall des Holzes und der Leyen ein kleines Dach über den Figuren errichtet werden, damit "dergleichen Gesindel sich nicht darunter retirieren" (treffen) könne. Eines Sonntags im September 17561 verkündete der Pastor von der Kanzel, es möchten sich Wohltäter melden, die zur Wiederherstellung des Siechenkreuzes beitragen wollten. Es wurden 12 Petermännchen (kleine Münze) gespendet. Diese hat Bürgermeister Mohr empfangen und das Kreuz reparieren lassen.

Im Jahre 1888 war die Kreuzigungsgruppe so stark verwittert, dass man das Christusbild durch ein neues ersetzen musste, die Marienfigur wurde jedoch ganz entfernt. Die kniende Figur stellt also nicht Maria, sondern Magdalena dar. Als vor Jahren bei einem Sturm ein umstürzender Baum das Christusbild zerschlagen hatte, stellten Leutesdorfer Künstlerinnen im Auftrag des Bürgermeisters die Figuren wieder her. Auch in den Jahren 1989 und 2008? war eine Aufarbeitung nötig.

"Linngässer Kreuz"

An der August-Bungert-Allee steht ein mächtiges Basaltkreuz, das im Sommer von blühenden Rosen umrankt ist. In alten Güterverzeichnissen über die zur Leutesdorfer Pastorei gehörenden Weingärten wird ein Kreuz in der Linngasse genannt. "In der Linngasse" war eine heute nicht mehr gebräuchliche Flurbezeichnung. Sie grenzte an die Lagen "Im Rosenberg", "Im Eppenroth" und "Auf dem Sand". Das "Linngässer Kreuz" wurde in einer kleinen Kapelle in der Nähe seines jetzigen Standortes verehrt, die aber beim Bau der Eisenbahn im Jahre 1868 an die Stützmauer des Bahndammes verlegt wurde. Heute befindet sich das Kreuz in einem würdigen Zustand und Umfeld unmittelbar an der August-Bungert-Allee. Vor über hundert Jahren war das wohl nicht der Fall, wie wir einem Leserbrief an die Rhein-Wied-Zeitung vom 10. Februar 1906 entnehmen können, in dem es heißt, dass das Kreuz "dem Verfall sehr nahe ist. Das Dach hat sich in zwei Teile getrennt, und es wird nicht manchen Tag mehr dauern, so ragt das in dem Häuschen befindliche große Kruzifix aus den kahlen Mauern heraus. Durch die Aeste und die herabfallenden Kastanien des vor dem Häuschen stehenden Kastanienbaumes ist das Dach meistenteils zertrümmert worden, und es wird sehr am Platze sein, dass der Baum verschwindet. In früheren Jahren wurde in dem Heiligenhäuschen am Fronleichnamstage bei der Prozession de Segen gespendet. Nachher ist der Prozessionsgang verlegt worden, und seitdem ist dieser Segensort verwahrlost und verkommen. Herumziehende Korbmacher und Kesselflicker schlugen in und vor demselben ihr Lager auf und verunreinigten diese Stätte. Dem hat man später Einhalt geboten, indem die Stelle eingezäunt wurde. Aber damit ist dem Übelstand noch immer nicht abgeholfen, das Heiligenhäuschen ist einer gründlichen Reparatur dringend bedürftig, wenn es nicht total verfallen soll […]". In späteren Jahren ist das Kreuz an die Straße versetzt worden.

Basaltkreuz am Altdeutschen Weinkeller

Im Ort selbst finden wir am Altdeutschen Weinkeller ein Basaltkreuz. Es trägt die Jahreszahl 1778 und folgende Gebetsaufforderung: "Gedenk, o Mensch, was der Heiland gelitten! Bete Vaterunser Ave Maria zu den 5 Wunden Jesu." Darunter stehen HH, wahrscheinlich die Initialen des Stifters und SHF, die damals übliche Abkürzung für "seine Hausfrau". Stifter und Grund sind nicht näher bekannt.

"Schweden-Kreuz"

Am ehemaligen Sträßchen "Am Türchen" – zwischen Hauptstraße und Bahn – finden wir ein Kreuz in einer Gartenmauer. Man erzählte sich früher, dort seien zwei schwedische Offiziere begraben oder tödlich verwundet worden, welche beim Angriff auf das Dorf ihr Leben ließen. 1632 verheerten die Schweden während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) das Rheinland.

Fußfall-bzw. Kreuzwegstationen

Zwischen Pfarr- und Kreuzkirche befinden sich Fußfall- bzw. Kreuzwegstationen an verschiedenen Häuserfronten. Sie werden in den alten Leutesdorfer Nachbarschaftsbüchern als die "Sieben Fußfälle" erwähnt. Diese Nachbarschaftsbücher berichten, dass bei Todesnot eines Nachbarn sieben Kinder die sieben Stationen aufsuchten, dort sieben Vaterunser und sieben Ehre-sei-dem-Vater beteten und bei letzterem jedes Mal eine Kniebeuge – daher der Name "Fußfall" – machten und die Sieben-Schmerzen-Mariäs beteten. Die Kinder erhielten ein kleines Geschenk, meistens wohl einen Wecken. Dieses Kulturmuster kennen wir aus dem gesamten Rheinland. Im Barockzeitalter (17. Jahrhundert) wurden die sieben Stationen dann unter dem Einfluss der Franziskaner zu dem auch heute noch in der Fastenzeit üblichen Gebet an vierzehn Kreuzwegstationen erweitert.

Hochkreuz

Die auffälligste Kreuzigungsgruppe befindet sich in der Weinbergsgemarkung außerhalb Leutesdorfs – das Hochkreuz. Ursprünglich stand es an de B 42 in einer Baumgruppe. Die beschädigte Kreuzigungsgruppe wurde im Jahre 1989 um einige Meter in den Weinberg zurück versetzt. Im Jahre 1856 ließ der Kölner Kaufmann Anton Neus, der in Leutesdorf geboren worden war, das Hochkreuz errichten "in der Leutesdorfer Gemarkung, an dem Weg, der nach Hammerstein führt, an einer Stelle, die nach einheimischem Sprachgebrauch Hochkreuz genannt wird, wo in uralten Zeiten ein Kreuz errichtet wurde, das aber jetzt gänzlich verwüstet war. Es kam ihm die Eingebung, dort ein Bildnis unseres am Kreuz hängenden Herrn Jesus Christus nebst den Bildern der seligen unbefleckten Jungfrau und des heiligen Apostels Johannes neu zu errichten… zum Heil seine Seele und der Seelen seiner verstorbenen Frau und aller seiner Verwandten." Im 19. Jahrhundert fanden zu den Festen Kreuzauffindung (3. Mai)  und Kreuzerhöhung (15. September) von Leutesdorf aus Prozessionen zum Hochkreuz statt, wobei der Schlussgottesdienst dann in der Kreuzkirche gehalten wurde; so  war Leutesdorf seit dem 16. Jahrhundert ein Ort mit besonderer Kreuzverehrung.

Nachweise

Verfasser: Werner Schönhofen

Bearbeiter: Rebecca Mellone

Erstellt am: 26.07.2010

"Mohrsches Mordkreuz"

Am 17. Oktober 1715 ist die 26-jährige Leutesdorferin Gertrud Mohr in der Nähe des Olterbachs von Nicklas Kotzet ermordet worden. Über die genauen Todesumstände ist nichts bekannt − doch hat diese schreckliche Tat ihren Ehemann Daniel Mohr dazu veranlasst, ein Kreuz aufzustellen.

Das "Mordkreuz" ist ein Beispiel für unzählige Basaltkreuze, die uns im Gebiet von Mittelrhein und Eifel als Memorialüberlieferungen begegnen. "Memoria" bedeutet, dass die Menschen den Tod und das Vergessen durch "Gedächtnis" und "Erinnerung" überwinden wollen. Im Mittelalter war "Memoria" ein weit verbreitetes Phänomen, das die Mentalität in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Recht und Religion beeinflusste.

Dass Daniel Mohr dieses Kreuz für seine Frau aufgestellt hat, geht also auf mittelalterliche Denkweisen und Handlungsmuster zurück. Diese haben sich insbesondere in nicht reformierten Gebieten bis weit in die Neuzeit erhalten. Nach damaligem Denken starb Gertrud Mohr einen "schlechten" Tod. Denn da sie ermordet wurde, konnte sie nicht mehr das Sterbesakrament empfangen. Daniel Mohr wollte dennoch dafür Sorge tragen, dass seine Frau die Gnade Gottes empfängt, um das Seelenheil zu erlangen.

Das Kreuz als "Stiftung fürs Seelenheil" erfüllt mehrere Zwecke: Erstens bittet er Gott damit um die Gnade für seine Frau. Zweitens steht das Kreuz nicht nur am Tatort, sondern auch am ehemaligen Durchgangsweg von Leutesdorf nach Hammerstein. Es erfüllt somit ebenfalls den Zweck eines Wegkreuzes und wird dadurch zu einem gottgefälligen, religiösen Kultgegenstand. Zusätzlich wendet sich der Witwer damit an die breite Öffentlichkeit und bittet so um Fürbitten für die Verstorbene. Der stummen Aufforderung nachzukommen ist für jeden Vorbeigehenden "allgemeine Christenpflicht".

Nachweise

Verfasser: Rebecca Mellone

Erstellt am: 26.07.2010