Bad Ems im Rhein-Lahn-Kreis

0.Bad Ems und die französische Besatzung in den 1920er Jahren

0.1.Allgemeine Entwicklung und Politik

In der Kleinstadt Bad Ems ging es in den bewegten Tagen der Revolution vor allem darum, den Übergang in Ruhe und Ordnung zu vollziehen. [Anm. 1] Am 9. November 1918, als in Berlin die Republik ausgerufen wurde, wandten sich Bürgermeister Dr. Eugen Schubert und der Magistrat mit einem Aufruf in genau diesem Sinn an die Bevölkerung. Am 13. November wurde ein Arbeiter- und Soldatenrat berufen, der offenbar einvernehmlich mit dem Magistrat zusammenarbeitete und bereits nach wenigen Tagen kaum noch in Erscheinung trat. Für den Durchmarsch der von der Front zurückkehrenden deutschen Truppen wurde eine Bürgerwehr gebildet. Eine Anzeige des Hohenstaufenkinos vom 23. November deutet auf eine gewisse Normalisierung und Entspannung der Lage und auf den Versuch hin, zum Alltag zurückzukehren. In der Stadtverordnetensitzung vom 12. Dezember dankte der Bürgermeister dem Arbeiter- und Soldatenrat wie auch der Bürgerwehr, „daß die Umwälzung hier so ruhig und glatt verlaufen sei.“ Die kommunalen Gewalten blieben bestehen und wirkten als Garant für diese Art des Übergangs.

Kurpark 1914[Bild: Stadtarchiv Bad Ems]

Ein großes Ereignis war die Vertretertagung des Soldatenrates des Feldheeres [Anm. 2] am 1. Dezember. Die Kurstadt bot sich dazu an, weil sie mit dem Kursaal geeignete Räumlichkeiten für die Tagung und mit den Hotels auch für die Unterbringung der etwa 400 Teilnehmer hatte. In einer Resolution stellten sich die Delegierten hinter die junge Republik und ihre demokratische und soziale Ausrichtung und erklärten ausdrücklich ihre Bereitschaft, sie gegen Angriffe von rechts wie von links zu verteidigen. Bemerkenswert für die neue Zeit war sicher auch, dass für den 4. Dezember zu einer Volksversammlung und zur Bildung eines Volksausschusses eingeladen wurde, der ausdrücklich auch Frauen offenstand, die mit der Revolution das Wahlrecht erhalten hatten.

War die Revolution relativ ruhig über die Bühne gegangen, so war das einschneidende Ereignis in Bad Ems das Einrücken der Besatzung. Seit Anfang Dezember war bekannt, dass Bad Ems zum Brückenkopf Koblenz gehören würde. Amerikanische Offiziere kamen am 8. Dezember, um Unterkünfte zu besichtigen. In der Stadt rechnete man mit Amerikanern oder Engländern und war völlig überrascht, als schließlich Franzosen kamen. [Anm. 3] Manche sahen darin ein Symbol, wie die französische Zeitung „La Petite Gironde“, die in ihrer Ausgabe vom 10. Mai 1921 unter dem Titel „Ems, eine Stadt unseres Schicksals“ an die Emser Depesche und das „Emser Verbrechen“ erinnerte. Tatsächlich waren wohl einfach die Lage im Brückenkopf und die guten logistischen Bedingungen ausschlaggebend gewesen.

Amerikanische Militärpolizei um 1927[Bild: Stadtarchiv Bad Ems]

Auf der kommunalpolitischen Ebene brachte die Revolution für die Menschen vor allem zwei Neuerungen, die Aufhebung des Dreiklassenwahlrechts und das Frauenstimmrecht. Die Wahlen zur Nationalversammlung und zum Reichstag zeigten in den Jahren 1919 bis 1933 [Anm. 4] in Bad Ems gegenüber den Ergebnissen auf der Ebene des Reiches keine auffälligen Besonderheiten. Bemerkenswert ist eine bis zum Ende der Weimarer Republik starke Stellung der Zentrumspartei und in den ersten Jahren der beiden liberalen Parteien DDP und DVP. Ersteres ist wohl dadurch zu erklären, dass der katholische Teil der Arbeiterschaft noch überwiegend dem Zentrum anhing, letzteres erklärt sich vielleicht aus der Struktur als Kurstadt. In den letzten Weimarer Krisenjahren war die Entwicklung der radikalen Parteien NSDAP und KPD in Bad Ems ähnlich wie auf der Reichsebene. Die Stadtverordnetenversammlung wurde mit wechselnden Mehrheiten von Zentrum, SPD und den bürgerlichen Parteien beherrscht. Das Zentrum stellte ab 1921 die erste und lange Zeit einzige Frau in der Stadtverordnetenversammlung. Im April 1929 wurde eine Ortsgruppe der NSDAP gegründet, die Partei spielte jedoch bei den Kommunalwahlen jenes Jahres mit 4 Prozent der Wählerstimmen keine große Rolle.

0.2.Wirtschaft, Soziales, Inflation

Wie überall, so waren auch in Bad Ems die ersten Jahre der Weimarer Republik geprägt von der Inflation. Sie wurde hier noch dadurch angeheizt, dass die Stadt zu einer Hochburg des Separatismus wurde (s.u.) und die Rädelsführer im Rathaus hemmungslos Geld druckten. Auch nachdem Mitte November 1923 im Reichsgebiet die Rentenmark eingeführt und die Währung stabilisiert wurde, hielt die Inflation im besetzten Gebiet noch wochenlang an. Was sie im Alltag bedeutete, zeigt ein Schreiben des Magistrats vom 4. Dezember an den Reichsminister für die besetzten Gebiete:

Für die Woche vom 18. bis 24.11.1923 betrug die zu zahlende Erwerbslosenunterstützung für einen Verheirateten mit 2 Kindern 7,7 Billionen Mark. Daß damit ein Familienvater auch nicht einmal die allernotwendigsten Lebensbedürfnisse für eine Familie bestreiten kann, beweisen treffend folgende Zahlen. In der angeführten Woche kosteten hierselbst:

1 Katenbrot 1 Bill. 3 mal 1 =                                          3,000 Bill.

1 Pfund Schmalz 2,6 Bill.                                                2,600 Bill.

1 Zentner Hausbrand                                                      8,000 Bill.

1 Liter Milch                                                                    0,900 Bill.

½ Zentner Kartoffeln                                                       3,000 Bill.

1 Pfd. Margarine                                                             1,500 Bill.

Zus.                                                                                  19,000 Bill.

Die Preise für die vorstehend ausgeführten Lebensbedürfnisse sind zum Teil inzwischen noch weiter gestiegen. Es ist daher dringend notwendig, daß die Höchstsätze der Erwerbslosenfürsorge den besonderen Teuerungsverhältnissen des besetzten Gebietes angepaßt werden.

Der in Bad Ems gedruckte 25-Billionen-Mark-Schein soll der höchste Wert einer Banknote überhaupt gewesen sein

Inflationsgeld[Bild: Stadtarchiv Bad Ems]

Die Wirtschaftsstruktur von Bad Ems war, wie im 19. Jahrhundert, geprägt von der Kur einerseits und vom Bergbau andererseits. Zum neuen Bewusstsein gehörten auch gewerkschaftliches Engagement und Streiks. Bereits im Herbst 1919 stellte die Kurkommission fest, dass nun alle Angestellten (gewerkschaftlich) organisiert seien. Hier wie im Blei- und Silberwerk kam es 1929 zu kurzfristigen Streiks. Das Blei- und Silberwerk war 1924 mit 550 Beschäftigten größter Arbeitgeber. Nach einer Krise im Jahr 1924, in der die Werksleitung aufgrund ausbleibender Gewinne und hoher Arbeitslöhne mit einer Stilllegung des Betriebs drohte, kam es mit den „Goldenen Zwanzigern“ zu einer Stabilisierung, in deren Verlauf 1925 zwar die Emser Hütte stillgelegt, aber auch eine neue große Zentralaufbereitung erbaut wurde. Mit dieser Modernisierung ging allerdings der Verlust von etwa einhundert Arbeitsplätzen einher.

Kaserne Colonel-de-Chéron, die spätere Bundeswehrschule[Bild: Stadtarchiv Bad Ems]

Dramatisch wirkte sich die Besatzung auf den Kurbetrieb aus, insbesondere in der Anfangsphase, als viele Hotels und Unterkünfte beschlagnahmt waren. Auch nach dem Bau der Kaserne Colonel-de-Chéron (s.u.) blieb die Anwesenheit von Besatzungstruppen, zumal von Kolonialtruppen, denen man besonders misstrauisch begegnete, für viele Menschen ein Grund, einen anderen Kurort zu wählen. Der Staat griff den besetzten Kurorten ab Mitte der 1920er Jahre mit Bäderkrediten unter die Arme, die vor allem dazu dienten, die in der Regel erheblichen Schäden an den freigegebenen Wohnungen zu beseitigen. So vergab die preußische Staatsbank an Bad Ems 483.000 Mk. Die Rückzahlung konnte nicht, wie geplant, bis 1929 erfolgen. Zwar waren die Gästezahlen wieder angestiegen, jedoch ging die maßgebliche Zahl der Übernachtungen weiter zurück. Auch die Produktion von Emser Pastillen und der Versand von Emser Wasser brachten nach der Überwindung der Inflation einige Jahre Gewinne ein. Dem Ansehen des Kurortes diente auch die 1925 neu errichtete ärztliche Untersuchungsanstalt als wichtige Forschungseinrichtung der Kurmedizin.

Auch ohne Besatzung wären allerdings die Glanzzeiten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nicht wiedergekehrt. Besuche von Prominenten wie im Jahr 1929 von Philipp Scheidemann, [Anm. 5] der am 9. November 1918 in Berlin die Republik ausgerufen hatte, blieben eine Ausnahme, die Zeit der Kaiser und Könige auf der Kurpromenade war längst Vergangenheit.

0.3.Separatismus

Mit der französischen Besatzung kamen im Rheinland Überlegungen auf, das Gebiet vom preußischen Staat zu lösen. [Anm. 6] Einer der führenden Köpfe war der ehemalige Staatsanwalt Hans-Adam Dorten. Unter dem Schutz der französischen Besatzung, teils auch von ihr unterstütz, riefen Separatisten am 21. Oktober 1923 in Aachen die Rheinische Republik aus. Bad Ems nahm im Putsch in zweifacher Hinsicht eine herausragende Stellung ein. Zum einen residierte hier zeitweise Dorten, zum anderen agierte hier mit Karl Kaffine der wohl bedeutendste Aktivist im rechtsrheinischen Koblenzer Brückenkopf. Kaffine war Postsekretär und Vorsitzender der Bad Emser SPD, bis die Partei ihn 1922 in einer tumultartigen Sitzung wegen seiner Sympathie für den Separatismus und seiner Beziehungen zu französischen Besatzungsvertretern ausschloss. Sofort gründete er eine „Republikanische Volksgemeinschaft“ und gab eine eigene Zeitung heraus, den „Republikaner“, der in großen Teilen mit den separatistischen Blättern übereinstimmte, die Dorten in seiner Koblenzer Gutenbergdruckerei herausgab. Eine für den 9. Dezember 1922 mit Dorten geplante Kundgebung in Bad Ems scheiterte am geschlossenen politischen Widerstand in der Stadt und im Kreis. Kaffine stand fortan unter Beobachtung polizeilicher Spitzel. Im Mai 1923 wurde er über ein Disziplinarverfahren wegen Korruption vom Amt des städtischen Beigeordneten, das er nach wie vor bekleidet hatte, suspendiert.

Am Tag nach der Ausrufung der Rheinischen Republik, am 22. Oktober 1923, schlug Kaffine in Bad Ems los. Seine Anhänger drangen ins Rathaus ein und erklärten dem Beigeordneten Stroh, der den ausgewiesenen Bürgermeister Schreck vertrat, dass die Rheinische Republik ausgerufen sei und dass die militärische Gewalt nun bei ihnen liege. Der eilig zusammengerufene Magistrat wurde am Betreten des Rathauses gehindert. Die Separatistenfahne wurde gehisst. Die Verwaltung verweigerte die Zusammenarbeit. Als sich Menschen vor dem Rathaus versammelten, hielten die bewaffneten Separatisten sie in Schach. Die Besatzung griff nicht ein. Kaffine erklärte sich zum militärischen Oberbefehlshaber und kommissarischen Bürgermeister. Nachmittags verlangte er die Herausgabe von städtischem Notgeld. Als die Bediensteten dies verweigerten, zwangen bewaffnete Separatisten Angestellte der neben dem Rathaus befindlichen Druckerei Sommer, während der Nacht Notgeld zu drucken.

Karl (links) und Wilhelm Kaffine (rechts)[Bild: Der Rhein-Lahnfreund. Heimatjahrbuch 1973, S. 87]

Bereits am Tag darauf war die Situation völlig verfahren. Auf dem Rathaus wehte die grün-weiß-rote Flagge der Rheinischen Republik, aber die Verwaltungsarbeit war zum Erliegen gekommen. Kaffine und Stroh als stellvertretender Bürgermeister kamen schließlich überein, dass die Verwaltung ihre Arbeit wieder aufnehmen würde, wenn die Separatisten das Rathaus räumten und die Flagge einholten. Sie zogen daraufhin in das Kursaalgebäude um und hissten dort ihre Flagge. Bewaffnete Separatisten verunsicherten die Bevölkerung, bis die französische Gendarmerie ihnen verbot, die Waffen offen zu tragen. Am folgenden Tag, dem 24. Oktober, wäre die Situation beinahe eskaliert, als aufgebrachte Bad Emser Separatisten bedrängten und bedrohten, bis auch hier die Gendarmerie eingriff.

Inzwischen hatten die Separatisten auch in der Kreisstadt Diez geputscht. Als sich die Bad Emser Verwaltung weigerte, dem separatistischen selbst ernannten Kreiskommissar im Diezer Landratsamt Folge zu leisten, besetzte Kaffine erneut das Rathaus und ernannte sich unter Duldung der Besatzung zum Bezirks- und Ortskommissar. Er war auf dem Höhepunkt seiner Macht. Nun wollte er eine Art Sozialpolitik betreiben, um seine teilweise aus Erwerbslosen bestehende Anhängerschaft an sich zu binden. Er verfügte Lohnerhöhungen und realisierte sie durch den ungehemmten Druck von neuem Geld, mit dem er nicht nur die Stadt, sondern den ganzen Unterlahnkreis überschwemmte. Anfang November waren Geschäftsleute und Kunden im Besitz großer Mengen wertlosen „Kaffinegeldes“, die Stadt drohte im Chaos zu versinken. Schließlich erreichte die Stadtverwaltung, dass die Besatzungsbehörde die Separatisten am 16. November erneut zum Rückzug in den Kursaal veranlasste.

Nachdem in Diez Separatisten das Landratsamt besetzt hatten, kamen ihnen auch Gesinnungsgenossen aus Bad Ems zu Hilfe. Kaffine war Anfang November der Kopf der Separatisten der gesamten Region und steckte auch hinter der Besetzung der Landratsämter in Langenschwalbach (Bad Schwalbach) und Montabaur, ja selbst in Limburg. Dagegen scheiterte die Machtübernahme in Nassau, weil die Nassauer Feuerwehr die aus Bad Ems auf einem LKW nahenden Separatisten auf der Emser Straße vertrieben.

Mitte November ließ sich auch Hans Adam Dorten, einer der zerstrittenen Anführer der „Rheinischen Republik“, in Bad Ems nieder. Kaffine scheint aber weiterhin recht selbständig agiert zu haben und hatte gute Kontakte zum Präsidenten der Interalliierten Rheinland-Kommission, Paul Tirard.

Fast ruhig gingen die Tage der Rheinischen Republik um die Jahreswende 1923/24 zu Ende. Die französischen Besatzungsbehörden mussten auch auf Druck Englands ihre Unterstützung der Separatisten aufgeben. Dorten verließ das Rheinland zum Jahresende, die letzten Separatisten verließen am 8. Februar 1924 unter Druck der Besatzung das Kurhaus. Frankreich setzte jedoch eine Amnestie für sie durch. Kaffine blieb noch bis zum Ende der Besatzungszeit in Bad Ems und siedelte dann nach Frankreich über, in das Heimatland seiner Frau.

Der Separatismus hatte nie Rückhalt in der Bevölkerung. Die Kerntruppe der Bad Emser Separatisten bestand aus der persönlichen Anhängerschaft Kaffines, die ihm bereits in seiner Zeit in der SPD gefolgt war. Was ihn antrieb, war wohl eine merkwürdige Mischung aus sozialistischen Idealen, persönlichen und privaten Bindungen an Frankreich sowie auch eine Lust an der Macht. Als glänzender Redner verstand er es, seine Anhänger zu begeistern, die ihm in der Hoffnung auf Linderung ihrer eigenen materiellen Not oder auch schlicht aus Abenteurertum folgten.

0.4.Alltag unter der Besatzung

Personal des Ein- und Ausfuramtes Bad Ems in den 1920er Jahren[Bild: Stadtarchiv Bad Ems]

Der Alltag in den 1920er Jahren war zutiefst geprägt durch die französische Besatzung. Das galt insbesondere für die ersten, von einem angespannten Verhältnis, gegenseitigem Misstrauen und umfangreichen Einquartierungen geprägten Jahre. Am 12. Dezember 1918 rückten, wie es in der Presse und den amtlichen Bekanntmachungen hieß, „feindliche Truppen“ in Bad Ems ein. Statt der erwarteten Amerikaner waren es Franzosen, vor allem Nordafrikaner vom 1. Zuavenregiment. Die Stadtverwaltung arbeitete weiter, unterstand jedoch französischer Kontrolle. Zunächst etwa 4000 Soldaten (bei etwa 7000 Einwohnern) mussten untergebracht werden. Ihre Zahl wurde später verringert und betrug 1923 etwa 1200. Hinzu kamen noch die Bediensteten des französischen Ein- und Ausfuhramtes, über dessen Stärke die deutschen Behörden nicht informiert wurden. Dieses Amt hatte den Warenverkehr mit dem Rheinland abzuwickeln und beschäftigte auch viele Einheimische. 1926, nach einer weiteren Verringerung und Auflösung von Ämtern, lagen noch etwa 579 Mann Besatzung in der Stadt.

Hotel Schloss Langenau als Kaserne Malmaison[Bild: Stadtarchiv Bad Ems]

Der Kurbetrieb kam beinahe zum Erliegen. Zwar wurde das Kurhotel bald wieder freigegeben, aber mehrere große Hotels wurden zu Kasernen. [Anm. 7] Im März 1923 waren 12 Hotels und Logierhäuser ganz belegt, hinzu kamen 338 beschlagnahmte Räume in 63 weiteren Häusern. Hinzu kamen Räumlichkeiten für verschiedene Einrichtungen der Besatzung. Dazu gehörten neben dem Ein- und Ausfuhramt die Militärpolizei, ein Autopark, ein Schießstand, ein Sportplatzt, ein Offizierskasino, eine französische Schule und ein Bordell, das wie alle anderen Einrichtungen der Besatzung vom Deutschen Reich getragen werden musste. Die Stadt hatte die Kosten für die regelmäßige Untersuchung der Prostituierten zu tragen.

Rue du Casino (Römerstraße) auf einer Ansichtskarte für Besatzungssoldaten[Bild: Stadtarchiv Bad Ems]

Für die Beschlagnahme von Wohnraum in der von den Franzosen geforderten Menge war das städtische Einquartierungsamt zuständig. Es sah sich mit erheblichen Interessenskonflikten konfrontiert. Es lag nahe, zunächst die großen Hotels zu belegen, da nur so die hohe Zahl an Soldaten schnell unterzubringen war. Die Hotelbesitzer beklagten sich. Bürgermeister Schreck berichtete 1924 dem Regierungspräsidenten, die geringe Entschädigung für beschlagnahmten Wohnraum reiche nicht für den Lebensunterhalt der Eigentümer, viele Bürger könnten kaum noch ihre Steuern zahlen, was wiederum die Verschuldung der Stadt erhöhe.

Umzug der Zuaven anlässlich eines Regimentsfestes am 29. Januar 1919[Bild: Stadtarchiv Bad Ems]

Eine entscheidende Entlastung für die Stadt war der Bau einer Kaserne, gemäß dem Versailler Vertrag ebenfalls durch das Reich. Diese wurde 1925 fertiggestellt und erhielt den Namen „Caserne Colonel de Chéron“. Die meisten beschlagnahmten Häuser und Zimmer konnten nun geräumt werden. Die Anwesenheit von Truppen des früheren Kriegsgegners musste fast zwangsläufig zu Konflikten führen. Für die männliche Bevölkerung bestand zunächst eine Grußpflicht gegenüber französischen Offizieren, was dazu führte, dass viele Männer den Hut lieber zu Hause ließen. Die Römerstraße wurde zur Paradestrecke, der Kurpark zum Aufmarschgelände und die Wiese vor der katholischen Kirche zum Exerzierplatz des Zuavenregiments. [Anm. 8]

Aufsehen erregte ein Zwischenfall im Jahr 1927. Die Bad Emser Turner marschierten nach der Rückkehr von einem Turnfest unter den Klängen ihrer Musikkapelle vom Bahnhof kommend durch die Römerstraße, wo sie just der zum Manöver ausrückenden Garnison begegneten. Da ihnen der an der Spitze marschierende Garnisonskommandeur Dufour, den Bad Emsern als freundlicher Offizier bekannt und geachtet, lächelnd zuwinkte, setzten die Turner ihren Marsch entgegen der Vorschrift mit Musik fort, brachten damit aber einen Teil der Kolonne aus dem Tritt. Das erboste den Hauptmann der letzten Kompanie derart, dass er auf die Turner zustürmte, sie mit „Schluss, ihr Schweine“ beschimpfte und auf einen Musiker einschlug, was Turner und Passanten empörte. Einen Protest des Bürgermeisters wies die Besatzung scharf zurück.

Magistrat nach dem Brand der Mooshütte 1919[Bild: Stadtarchiv Bad Ems]

Besonders spektakulär war ein Vorfall gleich zu Beginn. Auf dem markanten Aussichtspunkt „Mooshütte“ wurde jeden Morgen die französische Flagge gehisst. So auch am 4. Juli 1919. Bald darauf stand die Fahne und mit ihr die Mooshütte in Flammen. Die Militärverwaltung machte die Stadt „für diese feindselige Handlung“ verantwortlich. Der gesamte Magistrat musste mit schwarzem Rock und Zylinder auf dem Kurhof antreten, um beim Hissen der Ersatzfahne seine Ehrerbietung darzubringen. Während Frankreich eine gezielte Provokation der Bad Emser Bevölkerung vermutete, kam die örtliche Polizei nach einer eingehenden Untersuchung zu der Vermutung, dass das Feuer wohl durch die Zigarette oder das Streichholz eines französischen Soldaten verursacht wurde. Absichtlich hingegen zerstörten französische Soldaten gleich zu Beginn der Besatzung ein Terrakotta-Standbild Kaiser Wilhelms I. auf dem Malberg.

Zu den Maßnahmen der Besatzung gehörte eine strenge Pressezensur. Immer wieder wurde die Emser Zeitung für einige Tage verboten. 1923 wurde im Verlauf des Ruhrkampfes ein Redakteur aus dem besetzten Gebiet ausgewiesen. Die Monate der Ruhrbesetzung und des passiven Widerstandes waren auch in Bad Ems die Zeit größter Anspannung. Der französische Kreisdelegierte ermahnte den Bürgermeister, „Zusammenrottungen, Manifestationen, Schreiereien, Singen etc. zu verhüten…“. Zeitweise über 60 Bad Emser wurden aus dem besetzten Gebiet ausgewiesen, unter ihnen Bürgermeister Schreck, Hotelbesitzer und Ärzte, vor allem aber Eisenbahner, die sich am passiven Widerstand beteiligten und sich weigerten, für die französische „Regiebahn“ zu arbeiten.

Mit dem Ende des Ruhrkampfes und dem Rückzug der Soldaten in die neue Kaserne entspannte sich die Situation. 1925, mit einem Jahr Verspätung, konnte die Stadt den 600. Jahrestag der Stadtrechtsverleihung begehen. Allerdings stand auch sie unter dem wachsamen Auge Frankreichs. So wurden Böllerschüsse und Fackelumzug verboten. Im großen historischen Festzug musste aus der Barbarossa-Gruppe die Darstellung von Kaiser Friedrich Barbarossa gestrichen werden, die Musikstücke mussten vorab zur Genehmigung vorgelegt werden. Die Feier selbst verlief ohne Zwischenfälle, unauffällig beobachtet durch die französische Polizei.

Von Anfang an bemühte sich die Besatzung darum, das Verhältnis zu entkrampfen. Sie achtete auf ein korrektes Verhalten der Soldaten und veranstaltete öffentliche Konzerte. Sie unterstützte zum Beispiel 1922 auch ein Wohltätigkeitskonzert zu Gunsten von Armen in der Stadt. [Anm. 9] Vorurteile und Misstrauen der Bevölkerung richteten sich vor allem gegen farbige Soldaten. Es gab vereinzelte Fälle von Vergewaltigungen, die es aber auch in jeder anderen Garnisonsstadt geben konnte. Auch gab es Beziehungen zwischen einheimischen Frauen und Franzosen. Nach dem Abzug der Besatzung „blieben auch sieben uneheliche Besatzungskinder und ihre dem Spott preisgegebenen Mütter” [Anm. 10] zurück.

0.5.Nachklang

Im August 1929 wurde auf einer Konferenz in Den Haag vereinbart, vorzeitig mit der Räumung des Rheinlandes zu beginnen – ein Erfolg der Außenpolitik Gustav Stresemanns. Am 16. Oktober 1929 räumte die Besatzung Bad Ems. Ihren Abzug beging die Stadt am 15. Dezember mit einer großen Befreiungsfeier auf dem Kurhof, dem Hissen der Reichsflagge in der ehemaligen Kaserne, einem Feuerwerk und einer umfangreichen Beilage der Lahnzeitung.

Flaggenhissung bei der Befreiungsfeier 1929[Bild: Stadtarchiv Bad Ems]

Die Besatzungsbehörden mussten sich von vornherein Respekt verschaffen, Autorität zeigen und klarstellen, dass sie nun die Herrschaft ausübten, solang sie anwesend waren. Ihr Verhalten war ebenso konsequent wie die ablehnende Haltung der örtlichen Bevölkerung. Im Laufe der Jahre gelang es beiden Seiten, Spannungen abzubauen. Die Überwindung der politischen und wirtschaftlichen Krise ab 1924, die Freigabe beschlagnahmter Häuser, die „vertrauensbildenden Maßnahmen“ wie Konzerte, aber auch das Gewöhnen aneinander führten dazu, dass man besser miteinander auskam.

Der Kurbetrieb als wichtigster Wirtschaftszweig der Stadt hatte erheblich gelitten. Jedoch wäre er auch ohne Besatzung den Krisen der Inflationszeit und der Weltwirtschaftskrise ausgesetzt gewesen, vor allem aber den Umbrüchen, die spätestens nach 1914 die Glanzzeiten, als Kaiser und Könige zur Kur kamen, unwiederbringlich beendeten. So ist auch zumindest in Bad Ems nicht erkennbar, dass die Kräfte, die letztlich zur Zerstörung der Weimarer Republik führten, in Wahlergebnissen messbare Vorteile durch die Besatzung gehabt hätten.

Verfasser: Hans-Jürgen Sarholz

Erstellt am: 26.02.2020

Literatur:

  • Dieterichs, Wilfried: Herrenjahre in der Provinz. Die Stadt. Bad Ems 1914-1964. Ein Beispiel deutscher Zeitgeschichte. Weilburg 2013, S. 22 ff.
  • Müller-Werth, Hermann: Die Separatistenputsche in Nassau unter besonderer Berücksichtigung des Stadt- und Landkreises Wiesbaden. In: Nassauische Annalen 79 (1968), S. 245-328.
  • Sarholz, Hans-Jürgen: Geschichte der Stadt Bad Ems. Hrsg. Vom Verein für Geschichte, Denkmal- und Landschaftspflege e.V., Bad Ems ²1996.

Anmerkungen:

  1. Soweit nicht anders angegeben nach: Sarholz, Hans-Jürgen: Geschichte der Stadt Bad Ems. Hrsg. Vom Verein für Geschichte, Denkmal- und Landschaftspflege e.V., Bad Ems ²1996.  Zurück
  2. Dieterichs, Wilfried: Herrenjahre in der Provinz. Die Stadt. Bad Ems 1914-1964. Ein Beispiel deutscher Zeitgeschichte. Weilburg 2013, S. 22 ff.  Zurück
  3. Sarholz 1996, S. 458  Zurück
  4. Zusammenstellung der Wahlergebnisse in Sarholz 1996, S. 454 f.  Zurück
  5. Dieterichs 2013, S. 52.  Zurück
  6. Sarholz 1996, S. 470-480; Dieterichs 2013, S. 36-48; Müller-Werth, Hermann: Die Separatistenputsche in Nassau unter besonderer Berücksichtigung des Stadt- und Landkreises Wiesbaden. In: Nassauische Annalen 79 (1968), S. 245-328.  Zurück
  7. Das Folgende, soweit nicht anders angegeben, nach Sarholz 1996, S. 458 ff.  Zurück
  8. Dieterichs 2013, S. 28.  Zurück
  9. Dieterichs 2013, S. 55.  Zurück
  10. Dieterichs 2013, S. 55.  Zurück