Leiselheim liegt nur 4 km von Worms entfernt. Worms war im frühen Mittelalter Kreuzungspunkt der wichtigsten Fernstraßen und deswegen eine der führenden Städte in Deutschland. Hier kreuzten sich die Nord-Süd-Straße (Basel - Mainz) mit der West-Ost-Straße (Paris - Worms - Frankfurt/M. - Norost-Deutschland bzw. Paris - Worms – Do-naugebiet). An seinem hochwassergeschützten, leichten Südhang auf fruchtbaren Löß-boden hätte sich Leiselheim ruhig entwickeln können, wenn nicht immer wieder furchtba-re Kriegszüge durch unser Gebiet gegangen wären.
Der Name Leiselheim ist aus Luzilheim (1141), Luzelheim (1300), Lusselheim (1315), Lußeinheim (1384), Leusseinheim (1496), Liszelnheim (1499) entstanden. Althochdeutsch heißt luzil = klein. Dies lässt zwei Deutungen zu:
1. Leiselheim hat eine ungewöhnlich kleine Gemarkung im Verhältnis zu den umliegen-den Dörfern (nur 140 ha). Leiselheim = kleines Dorf (mit der kleinen Gemarkung und wenigen Einwohnern). Dasselbe trifft auch auf das andere Leiselheim am Kaiserstuhl zu.
2. Der Name Leiselheim geht auf einen Franken »Luizilo« zurück, was »kleiner Mann« bedeutet.
Das Wort »luzil« und die Endsilbe »heim« deuten auf fränkischen Ursprung, d.h. Leisel-heim müsste um 500 n. Chr. von Franken besiedelt worden sein.
Im Gegensatz zu manchen umliegenden Dörfern wurde Leiselheim verhältnismäßig spät zum ersten Mal genannt: 1141.
1991 lag die erste Erwähnung 850 Jahre zurück. Dass Leiselheim nicht schon rund 300 Jahre früher schriftlich festgehalten wurde, liegt an unseren Vorfahren. Um 800 war es nämlich in unserer Gegend üblich, dem Kloster Lorsch Acker oder Weinberge zu schen-ken - zum eigenen oder anderer Seelenheil. Aber kein Leiselheimer tat dies in dieser frühen Zeit. Leiselheim ist trotzdem sehr alt; das beweisen die Funde. Herr Dr. Ilert sen. stellte fest, dass für unseren Ort eine kontinuierliche Besiedlung durch vier Jahrtausende nachzuweisen ist.
Aus der Jungsteinzeit stammt ein reich verzierter Glockenbecher. Aus der Bronzezeit (1600 - 800 v. Chr.) sind Becher, Schüsseln und Radnadeln im Wormser Museum aus-gestellt.
Aus der Hallstattzeit (800 - 450 v. Chr.) und der Latänezeit (450 bis zur Zeitenwende etwa) sind mehrere Fund-plätze bekannt. Aus der Römerzeit stammen Urnen, Öllämp-chen, Gläser, Münzen und Ziegelreste.
Bei den Aushubarbeiten im Herbst 1997 in der Pfeddersheimer Straße wurde ein römi-sches Gräberfeld ange-schnitten. Vier Sarkophage konnten vom Landesat für Denkmalpflege in Mainz vorbildlich ausgewertet werden. Einer ist jetzt auf dem Leiselheimer Friedhof aufgestellt. Ein fünfter Sarkophag wurde beim Ausbaggern zu spät entdeckt und vollkommen zerstört.
Während diese Begräbnisstätte die Römer etwa um 300 nach Christi Geburt anlegten, sind die römischen Urnengräber, die etwa 1000 m westlich bei Kanalarbeiten gefunden wurden, 200 Jahre älter. Sie alle gehörten zu einer Villa Rustica, einem römischen Sied-lungshof in unmittelbarer Nähe. Andere Funde lassen auf zwei weitere römische Gutshö-fe auf dem Gebiet der Leiselheimer Gemarkung schließen: in der August-Hermann-Francke-Straße und in der Nähe der Autobahnbrücke.
Leiselheim gehörte zu Rheindörfern (wie Hochheim, Pfiffligheim, Horchheim usw.), die ursprünglich Eigentum des Kaisers waren. Durch Schenkung wurde das Domstift in Worms Eigentümer. Im 11. Jahrhundert kam es als Lehen zur Herrschaft Stauf. Ab 1422 teilten sich die Grafen von Nassau-Saarbrücken und das Domstift die Verwaltung. Im 16. Jahrhundert gelangten Leiselheim, Hochheim und Pfiffligheim zur Kurpfalz. Das bedeu-tet, dass bis heute in diesen Dörfern die evangelische Bevölkerung in der Überzahl ist, im Gegensatz zu den Dörfern, die bei einer kath. Herrschaft blieben (Abenheim, Herms-heim ...).
Weinbau gab es hier sehr wahrscheinlich schon seit der Römerzeit. Die Gemarkungs-namen »Plenzer« und »Kammert« - 4 Reben wurden in einem Gestell zusammengehal-ten - sind lateinischen Ursprungs und lassen darauf schließen. Zum Seelenheil seiner verstorbenen Brüder schenkt ein Eberhardus von Worms mit dem Willen seiner Frau Judde der St. Martinuskirche Weingärten bei Luszelheim (1227). Um 1700 lebte hier schon ein richtiger Winzer mit 15 Weingärten. »Meine Hantierung ist die Weingartenar-beit und damit nehre ich mich«. Etwa 1/5 der Nutzfläche unserer Leiselheimer Landwirte sind heute Weingärten (Wingerte).
In Leiselheim gab es im Mittelalter schon starke, charakterfest Menschen, die für ihren Glauben ihr Leben gaben. 1527 -wurden drei Leiselheimer Bürger zusammen mit acht an-deren aus der Umgebung durch das Schwert hingerichtet. Sie waren Wiedertäufer und hielten die Erwachsenentaufe für richtig. Ihre Namen: Philipp Hoffmann (25 J.), Johannes Kratz (40 J.), Henselin, d.h. Johannes von Mainz (40 J.). Drei andere Leiselheimer schwo-ren ab und retteten damit ihr Leben. Sie wurden aber in den großen Kirchenbann getan, d.h. sie mussten Leiselheim verlassen. »Ihre Habe«, ihr Besitz, fiel an die Herrschaft.
Im großen deutschen Bauernkrieg 1525 hatten sich die Bauern gegen die Fürsten erho-ben. Im nur 3 km entfernten Pfeddersheim fand die Entscheidungsschlacht statt. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass auch Leiselheimer Bauern beteiligt waren. Sie wurden ver-nichtend geschlagen. Doch der aufkeimende Selbstbestimmungswille blieb. So wurde 1548 hier ein Rathaus errichtet, das älteste in einem Dorf, weit und breit. Vorher gab es solche nur in Städten. Eine erstaunliche Leistung für die etwa 300 Einwohner. Zur ebenen Erde war die Gemeindeschmiede untergebracht, ebenso die »Betzenkammer«, das Orts-gefängnis.
Das älteste bekannte Siegel der Leiselheimer Gemeinde stammt aus dem Jahre 1712. Es zeigt einen Rost, den Laurentius-Rost. Diesem Heiligen und Märtyrer ist seit altersher die Kirche auf dem Friedhof geweiht. In der Römerzeit - in der Zeit der Christenverfolgung - soll Laurentius den Kirchenschatz versteckt haben. Wenn er ihn herausrücke, könnte er sein Leben retten, wurde ihm versprochen. Drei Tage später erschien er auch mit dem Schatz - aber nicht mit Gold ... sondern mit Kindern, Alten, Krüppeln und Bettlern. Lauren-tius wurde dann auf einem glühenden Rost zu Tode gequält. Dieser Rost ist in unserem Ortswappen dargestellt.
Im 16. und 17. Jahrhundert musste unser Dorf immer wieder schlimmste Notzeiten durch-stehen. Im 30-jährigen Krieg zogen Spanier, Schweden, Franzosen und Kaiserliche durch unser Gebiet. Alle lebten von der Bevölkerung. 1628 war keine Feldbestellung möglich. Ein 5-Pfund-Brot kostete einen halben Morgen Land. Manche Leiselheimer flohen nach Worms hinter die schützenden Stadtmauern. Hinzu kamen Pest und andere Infektions-krankheiten. Nur zwei Familiennamen haben diese schlimmen Zeiten überstanden: Rod-rock und Loth.
Aus Anlass der pfälzischen Erbfolge wurde 1689 die Pfalz von den Franzosen verwüstet und niedergebrannt. Jahre später stritten sich noch zwei Leiselheimer Familien um ihre Hausgrenze, weil sie nicht wussten, wo der »Schaden hingegangen« ist. 1697 wurden die kriegsflüchtigen Bewohner zur Rückkehr aufgefordert, da sonst ihre Häuser und Äcker eingezogen und billig an Ansiedlungswillige verkauft werden. Michel Rothrock besaß da-mals 15 Felder und 1 Weingarten - 4 Weingarten waren wüst. Er hatte aber kein Vieh zur Bewirtschaftung, also musste der Pflug von Menschenhand gezogen werden. Hinzu ka-men die Abgaben. Fast alle Einwohner waren Leibeigene, Versteigerungen zur »Bezah-lung der Herrschaftsgelder« kamen oft vor.
Trotzdem ging es nach 1700 langsam bergauf. Es wurden Häuser gebaut, die zum Teil noch heute stehen - zwar aufgestockt und renoviert. Fast alle hatten Geheimkeller, Ver-bindungs- bzw. Fluchtgänge, die häufig in Anspruch genommen werden mussten, denn fremde Armeen und Soldaten zogen weiter durch unsere Heimat. Man kann sich die Not vorstellen, als 1735 20.000 Franzosen hier in der Nähe ihre Zelte aufbauten. Nur weni-gen war es damals beschieden, alt zu werden. 1731 war bei 330 Einwohnern der älteste 74 Jahre alt. Der einzige über 70 Jahre. Die älteste Einwohnerin war 64 Jahre alt. 30 über 50-jährigen standen 150 Kinder bis 18 Jahre gegenüber.
Die menschenarmen Gebiete wirkten magnetisch auf ausländische Bevölkerungsgrup-pen. Aus Südtirol (Jennewein), aus der Schweiz (Fuhry, Gradinger), aus Ostdeutschland (Nischwitz) und aus dem nächsten Gebiet (Schwärm, Tempel, Prior, Puder, Orb, Nagel ...) ließen sich Menschen nieder, deren Familien die Leiselheimer Geschicke bestimm-ten. Andere zogen es vor auszuwandern. So gibt es heute ein USA über 300 Familien Rothrock, die alle von einer Familie abstammen, die 1733 auswanderte. Einer von ihnen verkauft heute in den USA Leiselheimer Rothrock-Wein.
Die Überwachung unserer Vorfahren war streng. Nicht nur, dass sie Frondienste leisten mussten, den großen und kleinen Zehnt abzugeben hatten, auch ihr Privatleben wurde genau reglementiert. Wehe dem, der gegen Gesetze verstieß. Er musste in die Betzen-kammer, in das Ortsgefängnis im Rathaus.
1794 gab es neue Aufregungen. Die franz. Revolutionstruppen marschierten ein. Wieder schrieben die Menschen den erlittenen Schaden auf. Unsere Vorfahren sollten nun Franzosen werden. Offiziell waren sie es auch von 1798 -1814. Die Amtssprache war französisch. Die Zehntagewoche wurde eingerührt. Viele junge Leiselheimer dienten in der Napoleonischen Armee. Manche kehrten nicht zurück (Radmacher, Rothrock ...).
Die neue Botschaft beeinflusste aber alle: Freiheit - Gleichheit -Brüderlichkeit. Die Leib-eigenschaft wurde abgeschafft. Das neue Rechtsgesetz, der »code Napoleon« bestimm-te 100 Jahre lang die Rechtssprechung. 1813 strömte die geschlagene »Grande Ar-mée« von Rußland kommend zurück. Viele mussten in Leiselheim beherbergt und ver-sorgt werden. Die Leiselheimer Schuhmacher wurden verpflichtet, für sie Schuhe anzu-fertigen. Nach 1815, nach der Neueinteilung Deutschlands, wurden aus unseren Vorfah-ren - nachdem sie ursprünglich Pfälzer, dann kurzfristig Franzosen waren - jetzt Hessen.
Jeder 7. Leiselheimer war damals des Lesens und Schreibens unkundig. Schulbesuch war bis 1828 freiwillig. Dem reformierten Lehrer - die Schule war links neben der ev. Kir-che - mussten l 1/2 Gulden pro Kind bezahlt werden, dem kath. Lehrer 2 Gulden; diese Schule war rechts neben dem Friedhofseingang. Ein Knecht bekam damals etwa 20 Gulden im Jahr. Die beiden Weltkriege haben großes Leid gebracht. Viele Eingezogene kehrten nicht mehr in die Heimat zurück. Ein Wohnhaus und mehrere Scheunen wurden durch Bomben zerstört. Auch hier waren Tote zu beklagen.
Aus den Hessen wurden nach dem 2. Weltkrieg Rheinhessen bzw. Rheinland-Pfälzer. 1942 erfolgte die Eingemeindung von Leiselheim in die Stadt Worms.
Wollen wir hoffen, dass wir in Zukunft unserem Alltag endlich in Frieden nachgehen dür-fen!
Text und Fotos: Eugen Schüler
1. Vors., Heimatverein Worms-Leiselheim e. V.