Historische Gesellschaft Bingen

Die Besucherbücher der Burg Klopp in Bingen als Quelle zur Geschichte der Rheinreise im 19. Jahrhundert. Ein Werkstattbericht

Matthias Schmandt

Als „die größte Merkwürdigkeit Bingens" bezeichnete Schreibers populäres „Handbuch für Reisende am Rhein" (1816) die Burgruine Klopp und empfahl allen Touristen, die sich auf romantischer Pilgerfahrt am sagenumwobenen und burgenbekränzten Mittelrhein befanden, unbedingt ihren Besuch. „Sie erhebt sich" -so heißt es weiter - „auf einem Hügel dicht über Bingen, in einem Garten, welcher dem Notar Faber gehört. Schon beim Ersteigen des Thurms hat man, von einigen Stellen, schöne Aussichten. Oben auf der Höhe, ohngefähr 150 Fuß über der Rheinfläche, entfaltet sich das herrlichste Schauspiel. Man überblickt einen weiten Bergkreis, vom Rhein und der Nahe durchschnitten. - Hier der Donnersberg und das weinreiche Nahthal mit der Drususbrücke, und am jähen Stromufer, auf einem Rebenhügel, die mit Epheu umwachsenen Trümmer von St. Hildegards Kirche und Kloster; dort das schauerliche Bingerloch mit Hatto's Thurm; gegenüber die Ruine von Ehrenfels und hoch über derselben die Rössel. Aufwärts, am herrlichen Rheine, Rüdesheim, das Kloster Eubingen, Geissenheim, der Johannisberg und die Thürme von Ellfeld. Bingen mit seiner Gothischen Kirche und seinen düstern Leyendächern liegt unten am Gestade aufgerollt, und den Fluß beleben zahlreiche Schiffe."1

Die so als touristische Attraktion gepriesene Burg Klopp hatte - wie so manch andere Rheinburg auch - während der hundert Jahre zuvor jedoch ein eher unbeachtetes Dasein gefristet. Die spätestens im 13. Jahrhundert zum Schutz des Bingen-Ehrenfelser Rheinzolls errichtete Festung mit Bergfried und Palas war im verheerenden Jahr 1689 von französischen Truppen weitgehend zerstört worden.2 Das Mainzer Domkapitel, bei dem die Herrschaft über die Stadt Bingen lag, verzichtete auf einen Wiederaufbau und ließ 1713 sogar noch weitere Sprengungen durchführen, damit die Burg im Falle erneuter Besetzung nicht als militärischer Stützpunkt für den Feind dienen konnte. So war aus dem „unüberwindbaren Haus Klopp", wie man die Burg ehrfurchtsvoll genannt hatte, endgültig eine Ruine geworden. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts war das verbleibende Gemäuer

Aloys Schreiber: Handbuch für Reisende am Rhein [...]. - Heidelberg,  1828, S. 157 2 Vgl. (auch zum folgenden): J. H. A. Hockenbeck: Geschichte des Schlosses Klopp bei Bingen [...]. -Bingen 1882

mitsamt dem umgebenden Gelände weiterem Verfall preisgegeben, ehe es in den Privatbesitz des Notars Hermann Faber überging. Faber, aufgrund seines politischen Wirkens und seiner humorvoll-literarischen Tätigkeit eine der wichtigsten Persönlichkeiten im damaligen Rheinhessen3, war durch und durch ein Mann des neuen Zeitalters: Seine juristische Karriere hatte er in Diensten der Revolutionsarmee begründet. So übergab er auch die Burg einer entschieden neuen Nutzung. Hermann Faber ließ das Burggelände großzügig mit Bäumen und Weinstöcken bepflanzen sowie Blumenbeete und Spazierwege anlegen. Die Ruine wurde damit Bestandteil und malerischer Höhepunkt eines für die Zeit typischen romantischen Landschaftsgartens. An die Überreste des Bergfrieds wurden Außentreppen angebracht, in einem oberen Stockwerk richtete Faber ein Besucherzimmer ein, „welches", wie Johanna Schopenhauer, die Mutter des Philosophen, nach ihrem Bingen-Besuch im Jahre 1815 berichtete4, „eine gewählte Sammlung unsrer besten Dichter, ein bequemes Sopha und einen wohl besorgten Schreibtisch enthält." Und Johanna Schopenhauer fügte hinzu: „Es ist ein so anmuthiges ruhiges Plätzchen, daß es mir schien, als brauche ich nichts mehr von der Welt, wenn dieses Kabinetchen nur mein wäre." Um die romantische Stimmung des Ortes noch zu erhöhen, ließ man oben am Turm, wo der Wind am kräftigsten blies, eine Äolsharfe anbringen. Schließlich wurde das ganze Gelände zum Besuch für Jedermann - Einheimische wie Touristen - freigegeben5.

Vermutlich in jenem von Johanna Schopenhauer so behaglich beschriebenen Turmzimmer lag spätestes seit 1826 auch ein Gästebuch aus, in das sich alle Besucher frei eintragen konnten, und dessen Bände bis zum Ende des 19. Jahrhunderts im Binger Stadtarchiv vollständig erhalten sind. Schätzungsweise 75.000 Reisende haben sich darin verewigt. Mit diesen Büchern sind Quellen von seltenem Aussagewert für eine (noch zu schreibende) Geschichte der Rheinreise im

3 Zu ihm vgl.: Franz Dumont; Im Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons. - In: Bingen -Geschichte einer Stadt am Mittelrhein, Bingen 1989, S. 333-377, hier S. 353, 370 und S. 594 (Anm. 111)

Johanna Schopenhauer: Ausflucht an den Rhein und dessen nächste Umgebung im Sommer des ersten friedlichen Jahres. - Leipzig 1816, S. 261f.

5 „Faber kaufte die Besitzung Klopp an sich, und da dieselbe jedermann freien Zugang verstattete und die herrlichste Aussicht auf die Rhein- und Nahegegend gönnte, so kann man wohl ohne Uebertreibung sagen, daß Faber sich ganz Europa verpflichete." (Humoresken von Hermann Faber. -Mainz 1842, S. XV (Vorwort von ,,Einigen[n] Freunden des Verfassers"). Auch die nachfolgenden Besitzer (seit 1840) hielten die Anlage frei zugänglich (vgl. etwa Carl Bädecker: Rheinreise von Basel bis Düsseldorf [...]. Sechste verbesserte und vermehrte Auflage der Klein'schen Rheinreise. - Koblenz 1849,3. 178).

19. Jahrhundert überliefert, denn sie erfüllen wichtige methodische Postulate für eine wissenschaftliche Auswertung:

1. Derzeit ist mir für kein weiteres Reiseziel am Rhein ein Besucherregister bekannt, das derart früh einsetzt und derart vollständig über sieben Jahrzehnte hinweg fortgeschrieben wurde.

2. Da nachweislich eine prinzipielle Zugänglichkeit zu Burg und Besucherbuch für alle Reisenden gegeben war, besteht eine gewisse Chance, in den Büchern auf einen echten Querschnitt des Reisepublikums zu treffen. Es muß jedoch als methodisches Problem in Rechnung gestellt werden, daß kulturelle Schwellen in nicht ermittelbarem Ausmaße bestimmte Besuchergruppen davon abhalten konnte, sich in das Buch einzutragen.

3. Aufgrund der Tatsache, daß die Burg Klopp im 19. Jahrhundert zum Kanon der rheinischen Sehenswürdigkeiten zählte6, dürften die hier gewonnenen Ergebnisse ein relativ hohes Maß an Repräsentativität für die Geschichte der Rheinreise insgesamt beanspruchen können.

Die Auswertung der Besucherbücher steht noch ganz am Anfang. In Form eines Werkstattberichtes sollen aber im Folgenden erste Ergebnisse und beispielhafte Interpretationsmöglichkeiten aus dem zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts vorgestellt werden. Für diesen Zeitraum, der die Entfaltungsphase eines modernen Tourismus am Rhein abbildet, wurden das früheste, jedoch nur unvollständig dokumentierte Jahr 1826 sowie der erste vollständige Besucherjahrgang 1827 und dann - jeweils in Zehnjahressprüngen - die Einträge für 1837 und 1847 ausgewertet.

Besucher auf Burg Klopp 1826 - 1827 - 1837 -1847

Mitte August 1826, just zum Zeitpunkt der im 19. Jahrhundert unter den Vorzeichen romantischer Volksfrömmigkeit so populären, selbst von Goethe wohlwollend beschriebenen Binger Rochuswallfahrt7, setzt die Überlieferung der Besucherbücher ein. Es herrschte damals Hochsaison in Bingen, und so haben sich in der zweiten Augusthälfte bereits 180, im September dann 208 Klopp-Besteiger mit ihren

Vgl. neben der eingangs zitierten Stelle aus Schreibers frühem „Handbuch" z.B. auch noch „Voigtländer's Rheinbuch"- [Bad] Kreuznach 2 1865, S. 81: „Selbst bei gemessener Zeit versäume man den Besuch der *K l o p p nicht [...]."

7 „Sanct-Rochus-Fest zu Bingen". Am 16. August 1814 - In: Adolf Bach: Aus Goethes rheinischem Lebensraum, Neuss 1968, S. 407-418

Unterschriften in das Buch eingetragen. Insgesamt 578 Personen werden es bis zum Jahresende.

Gleich der allererste Eintrag - „Campbell William Hoff, 14th August" - deutet auf die Internationalität des Publikums hin. Daß nun gerade ein Engländer am Anfang der Liste steht, scheint keineswegs zufällig: Die reisefreudigen Briten gelten ja als die „Entdecker" der Rheinromantik8; in den zeitgenössischen Publikationen wurde - schon bald ironisch - auf ihre Omnipräsenz im Rheintal hingewiesen. Überall anzutreffende Hotelnamen wie „Englischer Hof" und - nach der Thronbesteigung der jungen Königin 1837 - „Victoria" waren eine Huldigung an dieses zahlungskräftige Publikum.9 Jedoch: Unter den Klopp-Besuchern von 1826 finden sich nur noch zwölf weitere Briten, mit 2,25% ist ihr Anteil an den Gesamtbesuchern geradezu sensationell gering - beinahe ebenso zahlreich sind Holländer vertreten (10 Personen). Einzelne Touristen aus Dänemark, Frankreich, Italien, Luxemburg, Österreich-Ungarn, Polen und der Schweiz sind anzutreffen und - ein interessanter Befund - drei aus dem Baltikum und zwei schon aus den USA. Aber auch die deutschsprachigen Gäste stammten zumeist aus entfernteren Gefilden: Nur etwa 21% der Jahresbesucher sind einem Herkunftsort zuzuordnen, der bis zu etwa 50 km Luftlinie von Bingen entfernt liegt. Für dieses Publikum könnte der Abstecher auf die Ruine -je nach vorhandener, damals allerdings regional noch stark unterschiedlicher Verkehrsinfrastruktur und zur Verfügung stehendem Fortbewegungsmittel - durchaus Teil oder Höhepunkt eines Tagesausflugs gewesen sein, während die übrigen ca. 79 % (inklusive der „Ausländer") sich auf einer zumindest mehrtägigen (Rhein-)Reise befanden. Erwartungsgemäß dominieren unter den Nahbesuchern v.a. Mainzer (48 Personen), daneben weitere Rheinhessen und rechtsrheinische Nassauer. Eigentlich schon über den 50 km-Radius hinaus weist die Strecke, die die recht zahlreichen (17) Besucher aus Frankfurt am Main zurückgelegt haben. Aufgrund der traditionellen wirtschafts- und kulturräumlichen Nähe zwischen der Messestadt und dem Rheingau und der damit einhergehenden engen Verkehrsanbindung (zunächst durch Marktschiff, seit 1826 Liniendampfer Frankfurt-Mainz, Main- und Rheinuferstraße) können wir sie jedoch auch zu den „Nahbesuchern" rechnen.

8 Vgl. Gisela Dischner: Ursprünge der Rheinromantik in England. Zur Geschichte der romantischen Ästhetik. - Frankfurt am Main 1972

9 Vgl. etwa Angelika Riemann: „Der Engländer" auf Reisen. Die britischen Touristen in Karikaturen des frühen 19. Jahrhunderts. - In: Klaus Honnef u.a. (Hrsgg.): Vom Zauber des Rheins ergriffen... Zur Entdeckung der Rheinlandschaft, München 1992, S. 297-306

Was die soziale Herkunft der Klopp-Besucher von 1826 betrifft, so lassen sich anhand von angegebenen Titeln 45 Personen oder 7,8 % als Adlige identifizieren. Ein „Baron E. v. Knigge aus Hannover" - sicher ein Verwandter des Benimmbuch-Schreibers - ist darunter, „Der großherzoglich Mecklenburgische Bundes-Tags-Gesandte Staatsminister von Gentz", „Freifrau von Papen" aus Köln und einige ostelbische Junker. Etwas geringer als der Adel ist eine sozialgeschichtlich jüngere Elite, das Bildungs- und höhere Beamtenbürgertum, im Besucherbuch repräsentiert. Gut 6 % der Jahresbesucher geben sich als Professoren und Doktoren zu erkennen, stellen staatstragende Titel vor oder weisen sich als (zumeist protestantische) Geistliche bzw. Vertreter freier akademischer Berufe aus. So treffen wir auf Hofräte, Post- und Gymnasialdirektoren, Notare, Anwälte, Kammergerichtsassessoren, auf „Dr. med. Fiedler und Frau Dr. Fiedler" aus Frankfurt und einen „Professor der Musik aus Paris". Kaum ins Gewicht fallen die neun Vertreter des Militärs, die 1826 die Burg besuchten. Noch weniger zahlreich vertreten sind Besucher, die sich als Angehörige des gewerblich orientierten Bürgertums zu erkennen geben. Die nur fünf diesbezüglichen Einträge umfassen denjenigen von „L. zur Mühlen, Kfm. aus Bremen" ebenso wie den sozial sicher wesentlich niedrigerstehenden „Mergens, Handelsmann aus Trier". Hinweise auf klein- und unterbürgerliche Schichten, z.B. Handwerker, sucht man hingegen ganz vergebens - von einer einzigen Ausnahme abgesehen: Am Heiligabend des Jahres 1826 war Ludwig Gottlieb der einzige, der den Weg auf die Burg fand. In feierlicher Sonntagsschrift, wenn auch mit großen, ungelenken Buchstaben, trug er ein: „Ludwig Gottlieb aus Saarbrücken im Groszherzogthum Niederrhein Drechslergesell in Kundiziern bei Madam Hager den 24en Dezember 1826". Man glaubt hier geradezu vor sich zu sehen, wie der gesellschaftlich Geringstehende im sicheren Gefühl des Unbeobachtetseins die seltene Chance ergreift, einmal im Gestus der „bedeutenderen Herrschaften" ein Dokument seines Hierseins, seiner Herkunft und seines Standes der Nachwelt zu hinterlassen. Mit seinem absoluten Ausnahmecharakter unterstreicht der Eintrag aber zugleich, daß die Rheinreise des Jahres 1826 von Angehörigen der Oberschichten zumindest kulturell geprägt war.

Die mit Abstand am häufigsten explizit genannte Gruppenzugehörigkeit im Besucherbuch des Jahres 1826 ist die Selbstbezeichnung „Student" - lateinisch oder deutsch, ausgeschrieben oder abgekürzt, mit oder ohne Angabe der Fakultät, der Alma mater und des Herkunftsortes: Insgesamt 86 und damit knapp 15 % aller

Jahresbesucher waren an einer Universität eingeschrieben und dokumentierten ein ausgeprägtes studentisches Selbstbewußtsein. Besonders aus Bonn und Heidelberg, jenen Universitäten, wo Rheinromantik im akademischen Umfeld gepflegt wurde - die „Heidelberger Romantik" und die späteren, nicht mehr ganz so originellen rheinbegeisterten Bonner Zirkel („Maikäferbund") sind bekannt10-, „pilgerte" man in den Semesterferien an die Stätten rheinischer Geschichts- und Naturoffenbarung. Bevorzugt reisten die Studiosi, ganz dem romantischen Geselligkeits- und Freundschaftskult verpflichtet, in Gruppen von vier bis acht Personen - auch das zeigt das Besucherbuch.

Auch der Aufenthalt von Malern und Künstlern auf der Burg, die sich hier von der überwältigenden Aussicht auf das Binger Loch inspirieren ließen, hat Niederschlag gefunden. Ende Oktober 1826 ist etwa „F. W. Delkeskamp, Maler aus Bielefeld, wohnhaft in Frankfurt a/M" nachzuweisen -jener Friedrich Wilhelm Delkeskamp, dessen Name bis heute mit den immer noch beliebten Panaroma-Leporelli zahlreicher Landschaften und Städte in Verbindung gebracht wird.11 Damals hatte er gerade (1825) sein erstes „Panorama des Rheins und seiner nächsten Umgebungen von Mainz bis Cöln" erfolgreich veröffentlicht; vermutlich war er nun auf Zeichenreise, um die Vorlagen für seine 1829 erschienene Kupferstichserie von 104 Rheinansichten zu fertigen.

1827

Das folgende Jahr 1827 ist das erste, das vollständig im Besucherbuch dokumentiert ist. Die Unterschriften lassen sich mit insgesamt 1238 Reisenden in Zusammenhang bringen, wobei die Monate August und September-wie es auch heute noch am Rhein der Fall ist - die besucherstärksten waren. Zugleich war 1827 ein Epochenjahr in der Geschichte der Rheinreise: Der Dampfer „Concordia" der Preußisch-Rheinischen Dampfschiffsgesellschaft nahm am 1. Mai seinen Linienverkehr zwischen Mainz und Köln auf12; das zweite Schiff „Friedrich Wilhelm" wurde einen Monat später in Dienst gestellt. Etwa 18.000 Passagiere bereisten schon in der

10 Vgl. etwa Heinz Stephan: Die Entstehung der Rheinromantik. - Köln 1922 (Rheinische Sammlung), S. 32 -37

11 Zu Delkeskamp und den Rheinpanoramen vgl. Rolf-Barn im Foth: Art. „Delkeskamp, Friedrich Wilhelm"- In: Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 25, Leipzig 2000; Cornelius Steckner: Das erste Rheinpanorama. - In: Werner Schäfke u. Ingird Bodsch (Hrsgg.): Der Lauf des Rheines, Köln, Bonn 1992, S. 33-39

12 Zum folgenden vgl. Christian Eckert: Rheinschiffahrt im XIX. Jahrhundert. - Leipzig 1900 (Staats­und socialwissenschaftliche Forschungen XVIII), bes. S. 338ff.

Hoffmann, Stud. med. aus Frankfurt", bei dem es sich vermutlich um den späteren Arzt, liberalen Politiker und Autoren des „Struwwelpeter" Heinrich Hoffmann handelt.

Die große Präsenz von Frankfurtern auf der Burg Klopp am Binger Loch steht sicher in Zusammenhang mit der Tatsache, daß gerade die Stadt am Main ein frühes Zentrum für die Popularisierung der Rheinromantik bildete. Hier gab es ein altes reichsstädtisches Bürgertum, das angesichts der politisch-staatlichen Umwälzungen seit 1789 gerade in den Ruinen der Rheinburgen die romantischen Überreste mittelalterlicher Reichsherrlichkeit verklären konnte und sich, durch das Aufblühen einer geschichtlich orientierten Lebenshaltung sensibilisiert, zugleich der historischen Zugehörigkeit Frankfurts zu den Rheinlanden („Rheinfranken") deutlich bewußt wurde14. Der romantische Zirkel um die Brentanos, von dem wohl die Initialzündung zur Entfaltung der Rheinbegeisterung in Deutschland ausging, stand in vielfältigen persönlichen Beziehungen zu solchen literarischen Frankfurter Kreisen.15 Als einer der ersten Künstler in Deutschland führte der Frankfurter Landschaftsmaler Christian Georg Schütz d. J. um 1810 eine dem romantischen Zeitgeschmack entsprechende Sichtweise der Rheinlandschaft ein16, und 1811 erfand die Frankfurter Patriziergattin Elisabeth von Adlerflycht das Reliefpanorama vom Rhein als neues, zukunftsweisendes Medium17. Von Frankfurt ging das romantische Bild vom Rhein auch insofern aus und in die Welt, als hier mit Esslinger, Wilmanns und später Jügel wichtige Verleger der bald nach 1800 populär werdenden illustrierten Rheinbücher ansässig waren18.

Ebenso stark wie die Frankfurter waren wiederum die Studenten unter den Klopp-Besuchern von 1827 vertreten (128 Personen); erneut dominieren die Universitäten Bonn (28) und Heidelberg (22), gefolgt von Göttingen (10). Nach Fakultäten aufgeschlüsselt waren die Theologen (mit 29 Personen) und v.a. die Juristen (58) die reisefreudigsten Studiosi. So war auch der damals 18jährige „Struwwelpeter"-Autor Heinrich Hoffmann bei seinem zweiten Klopp-Besuch des Jahres am 6. September als einziger angehender Mediziner mit einer Gruppe von drei Jura-Studenten unterwegs. Unter diesen Begleitern fand sich übrigens auch der

Leipzig 1903 (Schriften des Vereins für Sozialpolitik; Cl), S. 197

14 Vgl. Erwin Kleinstück: Johann Friedrich Böhmer. - Frankfurt 1959, u.a. S. 24-41

15 Vgl. ebd., u.a. S. 139f. (über Niclas Vogt und den Brentano-Kreis) und S. 165-172 (über Clemens Brentano und die Frankfurter Thomasgesellschaft)

16 Vgl. Matthias Schmandt: Bilder von Bingen 1780 - 1880. Eine kleine Geschichte der rheinromantischen Druckgrafik. - Bingen 2002, S. 13-15 (Binger Museumshefte; 2)

17 Vgl. Steckner (wie Anm. 11)

8

gleichaltrige Nicolaus Beckeraus Bonn, dessen Rheineuphorie dereinst bekanntlich in die folgenschwere „Sie sollen ihn nicht haben"-l_yrik münden sollte.

Aber auch andere Gelegenheitsdichter fanden 1827 - wie in allen Jahren -ihren Weg auf die Burg Klopp und wurden von dem sich hier bietenden Naturschauspiel derart inspiriert, daß sie dem Besucherbuch ihre poetischen Empfindungen auf der Stelle anvertrauten. Das Buch ist damit auch ein mentalitätsgeschichtliches Dokument, das Aufschluß darüber gibt, welche Assoziationen das „Rheinburg-Erlebnis" bei Besuchern auslöste und mit welchen sprachlichen Chiffren diese spontan zum Ausdruck gebracht wurden. So treten aus den Gedichten und Sinnsprüchen z.B. häufig melancholische Gedanken an Tod und Vergänglichkeit entgegen: „Tempel und Gebäude stürzen ein, auf der Ruine wächst trauriges Moos, aber unzerstörbar ist das Gebäude, welches auf Tugend, Liebe und Religion gegründet ist" [15. Mai 1827]. Für die Autoren bzw. Rezitatoren solcher Zeilen steht das religiös geprägte Erleben der Ruine als Memento mori im Vordergrund. Regelmäßig wird jedoch auch das Landschaftserlebnis, das sich von der Burg aus bietende Panorama, mit biblischen Vokabeln als „Paradies" oder „Eden" beschrieben: „[...] Ich glaubte in die Gefilde der Seeligen zu schauen [...]", heißt es gar am 26. August 1826. Selbst, wo die von der Erhabenheit des Ortes ausgehende Forderung nach Ernsthaftigkeit im poetischen Beitrag provozierend verletzt werden sollte, trifft man auf sprachliche Verweise auf die Sphäre des Religiösen: So reimten fünf übermütige - vermutlich junge - Leute, die sich am 25. August 1827 neben dem herrlichen Ausblick auch an den Rebengewächsen des Burgbesitzers gelabt hatten: „[wir] fallen fast vom Glauben / und fressen dem H. Faber die Trauben". Patriotische Konnotationen des „Rheinburg-Erlebnisses" sind demgegenüber für das Jahr 1827 noch nicht auszumachen - lediglich einmal, am 18. Oktober, vermerkt ein Besucher zum Datum, dessen er sich offenbar während seines Eintrags bewußt geworden war: „Tag der denkwürdigen Schlacht bei Lepzig".

1837

Im Verlauf der vergangenen zehn Jahre hatte der Rheintourismus eine enorme Steigerung erfahren. Seit 1828 stand ein praktisches „Handbuch für Schnellreisende" für die Rheinpassage zur Verfügung - so der Untertitel jener „Rheinreise" von Klein, deren spätere Auflagen die Erfolgsgeschichte der Baedeker-Reiseführer begründen

18 Vgl. etwa Fried Lübbecke: Fünfhundert Jahre Buch und Druck in Frankfurt am Main. - Frankfurt am

sollten.19 Ein Kanon von Sehenswürdigkeiten - Singen, Rüdesheim, Bacharch, Oberwesel, St. Goar, Boppard, Koblenz - im Rheintal erlangte Gültigkeit, drängte die Individualität in der Reiseplanung zurück und lenkte die Besucherströme: Es stand fest, wo man gewesen sein mußte, und wo nicht. Schon 1834 lag die jährliche Passagierzahl auf den Rheindampfern bei über 100.000, Tendenz weiter steigend20. Am Binger Rheinufer und an den Promenaden der anderen Städte entstanden große Hotels, um die Touristen aufzunehmen; aus den rheinischen Kleinstädten wurden kleine Tourismuszentren mit entsprechender Infrastruktur. Diese Entwicklung brachte sicherlich neue gesellschaftliche Gruppen an den Rhein: Das Gästebuch der Klopp, das zu 1837 insgesamt 1369 Unterschriften aufweist, verzeichnet nun jedenfalls eine vorher nicht festzustellende Vielfalt von Berufsbezeichnungen. Nicht nur Kaufleute (11) sowie je ein Bankier, „Direktor", Fabrikant, Kapitän, Reederund Verleger sind anzutreffen; auch ein Bierbraumeister, Gastwirt, mehrere Handwerker, ein Lohnkutscher, „Gehilfe" etc. ließen sich den Ausblick von der Burg nicht entgehen. Es ist unter diesen Voraussetzungen durchaus bemerkenswert, daß der Anteil des Adels und des Bildungs- bzw. höheren Beamtenbürgertums mit 7,4% (101 Personen) und 8,3% (114) gegenüber dem eine Dekade zurückliegenden Vergleichsjahr erneut völlig konstant geblieben bzw. - im Falle der Akademiker - sogar deutlich angestiegen ist. Das traditionelle, von hohem Sozialprestige bestimmte Reisepublikum besuchte also noch immer in gleicher Intensität den romantischen Fluß und seine Burgen, obwohl das „Rheinerlebnis" doch inzwischen offenkundig an gesellschaftlicher Exklusivität verloren hatte. Bei einem Teil des Stammpublikums schien das Interesse an einem Burgbesuch jedoch langsam abzunehmen: Die Zahl der Studenten hat sich gegenüber 1827 beinahe halbiert (nunmehr 68 Personen), und auch bei den Besuchern aus Frankfurt (91) ist ein deutlicher Rückgang festzustellen.

Der Anteil der „Nahbesucher" pendelte sich 1837 mit 25% auf einen exakten Mittelwert zwischen den Daten von 1826 und 1827 ein, und auch die Internationalität der Besucher blieb im Rahmen des für die 20er Jahre Gültigen. Neben zwei US-Amerikanern und einem Reisendem aus dem Surinam war in diesem Jahr auch ein „E. L. Berange, Cap der guten Hoffnung" (4. Juli) auf der Burg zu Gast. Der Anteil der Briten hielt sich weiterhin auf überraschend geringem Niveau (65 Personen bzw.

19 Vgl. Helmut Frühauf: Das Verlagshaus Baedeker in Koblenz 1827- 1872. - Koblenz 1992, v.a. S.

Main 1948,5. 115-117 19 Vgl. Helmut Frühauf: 52-57 (Schriften der Rheinischen Landesbibliothek; 2)

4,75%). Unter den Besuchern von den Inseln traf man 1837 aber immerhin auf einen der führenden Londoner Verleger populärer Rheinliteratur: „Charles Tut, Editeurde Londres" (24. oder 25. August). Tut brachte u.a. im Jahre 1840 eine zweite Auflage von Bulwer Lyttons „Pilgrims of the Rhine" auf den Markt21 und verhalf dem englischen Rheintourismus damit möglicherweise zu einem neuen Schub.

Die „führende Nation" auf dem Kloppberg aber waren 1837 die Holländer, deren Anteil gegenüber 1827 um das Doppelte zugenommen hatte und mit über 5% (71 Personen) erstmals den britischen überwog. Ein beliebtes Reiseziel blieb die Ruine auch weiterhin bei baltischen Adligen, ja: bald, im Jahr 1840, sollte sie sogar in den Besitz des kurländischen Freiherrn Gustav Johann von Mengden übergehen22. Mengden plante einen Wiederaufbau in historisierendem Stil, aus ungeklärten Gründen scheiterte das Projekt jedoch. Daraufhin wandte er sich der Kaiserpfalz in Ingelheim zu, regte vermutlich ihre archäologische Erforschung an und erwarb dort ein Gebäude, das als Teil der ehemaligen Kaiserwohnung galt. Aufgrund finanzieller Nöte mußte Mendgen seine geschichtsträchtigen Liegenschaften in Bingen und Ingelheim 1855 wiederverkaufen. Die interessanten Aktivitäten Mengdens und die schon zuvor regelmäßig festgestellte Reiseaktivität baltischer Besucher am Rhein deuten insgesamt jedenfalls auf eine beachtliche Rezeption der Rheinromantik im Ostseegebiet hin.

Unter den noch heute bekannten Persönlichkeiten, die das Buch von 1837 verzeichnet, sei beispielhaft auf „Jenny v. Westphalen aus Trier" (12. August) hingewiesen, die sich im Jahr zuvor mit Karl Marx verlobt hatte und 1843 - die Hochzeit fand im nahen Bad Kreuznach statt - dessen Ehefrau wurde („die rote Jenny"). Alleine oder in Gruppen reisende Frauen traf man am Rhein seit dem frühen 19. durchaus regelmäßig an: „Ganz Europa wurde um 1800 von einer Reisewelle von Frauen erfaßt"23. Auch das Besucherbuch dokumentiert Frauenreisen in großer Zahl. Der Sonntagsausflug einer Gruppe aus der Umgebung - „Frau Voltz von Mainz, den 15. August 1827, in Gesellschaft von den Fräulein Katarina Melleta, Francisca Otto" -kommt dabei ebenso vor, wie die große Tour gutsituierter Damen aus dem Ausland:

20 Vgl. Eckert (wie Anm. 12), S. 339.

21 Vgl. Michael Schmitt: Die illustrierten Rhein-Beschreibungen. Dokumentation der Werke und Ansichten von der Romantik bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. - Köln, Weimar, Wien 1996, Nr. 31, S. 62 (Städteforschung; C 7)

22 Vgl. Margarete Köhler: Ingelheimer Persönlichkeiten. - In: 2000 Jahre Ingelheim im Spiegel der Kunst. Von den Römern bis zur Gegenwart, Hrsg. Stadt Ingelheim am Rhein, Ingelheim 2000, S. 52

„Frau Young aus England mit Fräulein Hulbert und Fräulein Maelley, Turnham Green bei London" (zwischen 12. und 15. September 1837). Sobald Frauen jedoch als Ehefrauen mit ihren Gemahlen anzutreffen sind, verschwinden sie, was die Einträge betrifft, in konventioneller Anonymität. Kaum einmal nimmt eine Frau in Gegenwart ihres Mannes den Stift selbst zur Hand; ganz selbstverständlich erhebt der Gatte den Anspruch, das Paar oder die gesamte Familie alleine zu repräsentieren. Die Unterschriften folgen dann fast immer dem Typus „Dr. Schulz nebst Frau aus Bremen" (2. August 1837). Eine absolute Ausnahme ist daher die Zeile vom 18. September 1837: „Elisa Zimmer nebst Gemahl (vice versa) Dr. Z.".

1847

Die Jahre nach 1840 sahen den Rheintourismus auf einem nie geahnten Höhepunkt. Rund eine Million Fahrgäste konnte die Köln-Düsseldorfer Schiffahrts AG um die Jahrhundertmitte verbuchen24. Dementsprechend schnellte die Produktion von illustrierten Reisebegleitern in die Höhe: Für das Jahrzehnt bis 1850 läßt sich eine im 19. Jahrhundert nie wieder erreichte Rekordzahl von rund 85 neuerschienenen Rheinbüchern ermitteln25. Schon erkannte man allerorten im Rheintal den Tourismus als Wirtschafts- und Wachstumsfaktor Nr. 1. „Um den schönen Gingen einen grössern Wohlstand, einen lebhafteren Verkehr zu sichern" und die Reisenden „auf längere Zeit zu fesseln", investierte die Stadtverwaltung 1844 in ein vornehmes Badhaus direkt am Rheinufer26. Hier warteten - modern gesprochen - zahlreiche „Wellness-Angebote" auf den unternehmungslustigen Gast.

Erneut aberzeigt sich das Besucherbuch der Burgruine Klopp relativ unbeeindruckt von der rasch um sich greifenden Entwicklung: Bei insgesamt 1243 Einträgen haben wir es immer noch mit 85 Adligen und 72 Vertretern des Bildungs­und höheren Beamtenbürgertums zu tun, was einem Anteil von 6,84% bzw. 5,79% entspricht. Beim Adel ist damit erneut nur ein minimaler Rückgang auszumachen, während die Zahl der Akademiker gegenüber 1837 zwar deutlich geringer ausfällt, aber immer noch etwa bei dem Wert von 1826 liegt. Gleiches gilt für die „Nahbesucher", die nun einen Anteil von ca. 21% stellen. Noch immer sind die Briten

23 Bettina Bab: Reisen aus Lust: Von der Bildungsreise zur Hochzeitsreise. - In: Bettina Bab, Marianne Pilzen (Hrsgg.): Romantik, Reisen, Realitäten. Frauenleben am Rhein, Bonn 2002, S. 76-81, hier S. 76

24 Vgl. Bädecker (wie Anm. 5), S. III

25 Vgl. Schmitt (wie Anm. 21), S. XXVIII

26 J. B. Schmitl: Das Helenen-Bad zu Bingen. - Mainz 1844, S. 64

unterdurchschnittlich auf der Burg repräsentiert, wenn auch in diesem Jahr in höherer Zahl als je zuvor (90 Personen bzw. 7,24%). Der deutlich rückläufige Trend bei den Besuchern aus Frankfurt und bei den Studenten, der schon 1837 klar erkennbar war, setzte sich fort: Nur noch 54 Reisende aus der Mainstadt und gerade 21 Studiosi verzeichnet das Buch. Daß auch der Anteil der Handwerker erstmals wieder abgenommen hat- nurmehr je ein Kappenmacher und ein Küfermeister-, dürfte jener letzten vorindustriellen Wirtschafts- und Hungerkrise der 1840er Jahre zuzuschreiben sein, die insbesondere die kleinst- und unterbürgerlichen Schichten hart getroffen hat (Pauperismus). In größerer Zahl noch als 1837 trifft man hingegen auf die Standes- und Berufsbezeichnung „Kaufmann" (15 Personen). Ebenfalls ein Reflex auf die unruhigen Zeitläufte am Vorabend der Revolution von 1848 ist es wohl, wenn zwei Besucher sich im Mai 1847 selbstbewußt als „Turner" bezeichnen und damit ihre revolutionäre Gesinnung - die Turnerbewegung um „Vater Jahn" hat als politischer Faktor im Vormärz einige Bedeutung gehabt - zum Ausdruck brachten.

Das Besucherbuch von 1847 bietet einiges Material für anekdotenhafte Einzelbeobachtungen. Da ist zum einen jener sicher weit über 70jährige Lateiner, der nun zum zweiten Mal in seinem Leben nach Bingen kam und sich sogar noch an das Tagesdatum seines ersten Besuches vor 61 Jahren erinnert, als die Burgruine noch nicht zu besichtigen war: „Primo vidi Civitatem Bingiensem die primo mensis Octobris Anni 1786, hodie autem eandem adii secunda vice: primam vero hanc turrim, Klopp dictam. J. A. Seubert. Dr." (7. August). Der nachfolgende Besucher kommentiert die gelehrten Erinnerung des alten Mannes an die vorrevolutionäre Zeit mit einem bissigen „Vivat Dr. Seubert, philos. antiquar. confusionarius". Außerdem treffen wir auf eine illustre Hochzeitsgesellschaft: Carl Giesen und seine frisch angetraute Susanne, geb. Soherr, Tochter aus hochangesehener Binger Kaufmanns- und Hotelierfamilie, trugen sich am 30. September als „ganz junge Eheleute" ein; man war - offenbar zur Auflockerung der Feier - mit einigen der weitgereisten Gäste (darunter „Ludewig Giesen - Candidat aus Antwerpen", „Georg Rick aus Buenos Aires") auf den Turm gestiegen und präsentierte die Aussicht. „Ganz junge Eheleute" waren wohl auch „Le Comte de Bismark et La Comtesse de Bismark, 27 Sept 47". Es scheint, daß es sich bei ihnen um den jungen Otto von Bismarck und seine Frau Johanna, geb. von Puttkammer, handelt. Ende September 1847 waren die beiden gerade auf dem Rückweg von ihrer Hochzeitsreise nach Österreich und Norditalien zum bismarck'sehen Familiengut in der Altmark. Der Weg des Paares gen Norden

führte nachweislich durch das Rheintal, in Mainz stieg man von der Eisenbahn auf das Schiff um27 - und ließ sich offensichtlich einen Abstecher ins romantische Bingen angeraten sein.

Ergebnisse: Bausteine für eine Geschichte der Rheinreise

Die Auswertung von knapp 4.500 Eintragungen, die das Besucherbuch der Burgruine Klopp für die Jahre 1826,1827,1837 und 1847 aufweist, kann nur erste Hinweise auf die Struktur des Reisepublikums in der Entfaltungsphase des Rheintourismus während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bieten. Insbesondere sollte die hier gewählte Methode eines Vergleichs der Jahresdaten im Zehnjahresabstand mögliche längerfristige Trends andeuten. Dabei fiel zunächst ein relativ großes Maß an Kontinuität ins Auge: Das für den Rheintourismus epochemachende Ereignis der Einführung eines regelmäßigen Dampfschiffverkehrs zeitigte - zunächst im Übergang von 1826 zu 1827 - keine signifikanten Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Besucher. Für die folgenden 20 Jahre bleibt etwa der Anteil der adligen Reisenden außerordentlich stabil; dies gilt - trotz kleiner Schwankungen, die jedoch keineswegs linear in eine bestimmte Richtung weisen - auch für das Bildungs- und höhere Beamtenpublikum. Auch die Zahl der „Nahbesucher" (bis 50 km) bleibt bis 1847 im Rahmen der bereits 1826 und 1827 feststellbaren Werte. Als wichtigstes Ergebnis der Untersuchung scheint es daher angezeigt, mit pauschalen Formulierungen über weitreichende Veränderungen des Rheinreisepublikums unter den Voraussetzungen der beginnenden Tourismusindustrie eher vorsichtig umzugehen. Deutliche Trends ließen sich hingegen in Bezug auf zwei zahlenmäßig sehr bedeutsame „Sondergruppen" ausmachen: War 1827 noch ein wahrer Ansturm von Besuchern aus Frankfurt zu verzeichnen, so ging deren Anteil 1837 und 1847 kontinuierlich um schließlich mehr als 50% zurück. Noch deutlicher fällt der Befund bei den Studenten aus, wo 1847 nur noch ein Sechstel der Zahl von 1827 erreicht wurde. Bei der Erklärung dieser Entwicklung wird man wohl auch die Bedeutung von vergänglichen Modeerscheinungen für das Reiseverhalten bestimmter gesellschaftlicher Gruppen in Rechnung stellen müssen; doch bedarf es hier noch weiterer Recherchen. Schwer erklärbar ist ebenfalls der unerwartet geringe Anteil von Briten in den Besucherbüchern. War es möglicherweise das „typisch" englische Understatement,

27 Vgl. Wolfgang Windelband u. Werner Frauendienst (Hrsgg.): Bismarck. Die gesammelten Werke, Bd. 14,1: Briefe 1822-1861. - Berlin 1933, S. 99 (Nr. 120)

ihre sprichwörtliche Diskretion, die v.a. gesellschaftlich höhergestellte Besucher von den Inseln häufiger als andere davon abhielt, sich im Buch zu verewigen? Neben den quantifizierenden Analysen lassen sich die Besucherbücher jedoch auch als Quelle zur Kultur- und Mentalitätsgeschichte des Reisens auswerten, wie anhand einiger Beispiele demonstriert wurde. Schließlich können die Bücher mit ihren zahlreichen Eintragungen prominenter Zeitgenossen auch als ein regelrechtes „Who is Who der Rheinromantik" gelesen und somit etwa für personenbezogene Forschungen dienstbar gemacht werden.

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