Studientage zur Geschichte der Juden am Mittelrhein
Anlässlich des 20jährigen Bestehens des Arbeitskreises jüdisches Bingen bietet ein Studientag im Museum am Strom Gelegenheit, neuere Forschungsergebnisse zur Geschichte der Juden am Mittelrhein kennenzulernen. Schwerpunktmäßig wird das Augenmerk dabei auf das Mittelalter gerichtet auf jene Epochen also, in der die SchUM-Gemeinden Mainz, Worms und Speyer von derart herausragender Bedeutung waren, dass ihre bis heute vorhandene Überlieferung zum UNESCO-Welterbe der Menschheit erhoben werden soll. Gleichsam im Schatten dieser jüdischen Metropolen gab es damals jedoch auch im gesamten Mittelrheintal zahlreiche Orte, in denen das Zusammenleben von Juden und Christen von großer Bedeutung war. Diesen Kleinstädten und ihren oft vergessenen jüdischen Traditionen möchte sich die Tagung widmen. Dabei werden exemplarische Einzelbeiträge über die enorme kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung der Juden in unserer Region ebenso geboten wie ein Überblick zur Geschichte der Juden Bingens, wo seit der Zeit Hildegards von Bingen bis zu ihrer Auslöschung durch die Nationalsozialisten über acht Jahrhunderte hinweg stets eine bedeutende Gemeinde bestand.
Samstag, 27.10.2018
Jüdische Geschichte in der Region - ein Überblick
Dr. Franz Josef Ziwes (Sigmaringen)
Zur Geschichte der Juden am Mittelrhein während des hohen und späten Mittelalters. Ein Überblick
Das mittlere Rheingebiet gilt als Keimzelle des aschkenasischen Judentums. Von den bedeutenden jüdischen Gemeinden in Speyer, Worms und Mainz gingen starke religiöse und kulturelle Impulse aus, die bis über die Grenzen des römisch-deutschen Reiches hinauswirkten. Im weiteren Verlauf des hohen und späten Mittelalters bildeten sich aber auch abseits der traditionsreichen SCHUM-Städte neue jüdische Niederlassungen, die ihrerseits das christlich-jüdische Zusammenleben nachhaltig prägen sollten.
Andreas Göller M.A. (Darmstadt)
jüdisches Leben am oberen Mittelrhein in der Frühen Neuzeit (16.-18. Jh.)
Das obere Mittelrheintal war in der Frühen Neuzeit eine Region vielfältigen jüdischen Lebens. In den geistlichen Kurstaaten Mainz und Trier, aber auch in den hessischen Orten am Rhein, waren Juden über Generationen ansässig und in das jeweilige lokale und regionale Wirtschaftsleben fest integriert. Anhand von Beispielen u.a. aus Bingen und dem Kurmainzer Rheingau werden die Aktivitäten und Handlungsspielräume der jüdischen Bevölkerung vorgestellt.
Dr. Jürgen Krome (Witten)
Angekommen in der Mitte der Gesellschaft. Zur Geschichte der Binger Juden 1871-1918
Bingen hatte zur Zeit des Kaiserreichs, bezogen auf das Gebiet der heutigen Bundesrepublik, einen unvergleichlich hohen jüdischen Bevölkerungsanteil von etwa 8 %. Im letzten Viertel des 19. Jh.s stieg die Zahl der Binger Juden trotz rückläufiger Geburtenrate um fast 50 %.
1910 waren elf der zwanzig Höchstbesteuerten in Bingen Weinhändler oder Bankiers jüdischen Glaubens. Das jüdische Bürgertum engagierte sich in Lokalpolitik, politischen Parteien (Freisinn), Stiftungen und Vereinen und wurde respektiert. Der jüdische Komunalpolitiker Mayer Levi erreichte bei den Gemeinderatswahlen 1874 die höchste Stimmenzahl. 1898 - zu Zeiten eines anschwellenden Antisemitismus im Reich - erhielt Dr. Isaac Ebertsheim in Bingen die Ehrenbürgerwürde.
Jüdische Geschichte des Mittelalters in
Einzelaspekten
Dr. Matthias Schmandt (Bingen)
Die Juden, die Heiden und das jüngste Gericht. Neue Erkenntnisse zu den Anfängen der Prophetin Hildegard von Bingen
Prof. Dr. Elisabeth Hollender (Frankfurt) Synagogaler Gottesdienst in Boppard im 13. Jahrhundert: Die Handschrift Kues, St. Nikolas Hospital 314, als Quelle zur jüdischen Kulturgeschichte am Mittelrhein
Prof. Dr. Gerd Mentgen (Trier)
Jüdische Präsenz in Münster-Sarmsheim bei Bingen am Ende des Mittelalters.
In der Zeit um 1500 war die Lebenssituation für die Juden in den deutschen Landen sehr schwierig geworden. Aus vielen Städten, in denen ihre Gemeinden teils seit Jahrhunderten einen festen Platz hatten, waren sie im 15. Jahrhundert vertrieben worden. Neue, bescheidene Ansiedlungen bildeten sich hingegen auf dem Lande. Auch am Mittelrheingebiet war dies der Fall, so etwa in Münster bei Bingen, unter dem Schutz der Pfalzgrafen. Der Vortrag beleuchtet, was wir über diese Frühzeit der Juden zu Münster (MünsterSarmsheim) den Quellen entnehmen können.
Sonntag, 28.10.
Ort: Saal Caritashaus, Rochusstraße 8
Festvortrag Prof. Dr. Karl E. Grözinger (Potsdam) „Ein ungelöstes Rätsel"- das jüdische Mysterium von Bingen Warum hat der Ba'al Schem von Michelstadt im 19. Jahr¬hundert ein spektakuläres Heilungswunder ausgerechnet durch mysteriöse Ereignisse in der fernen Binger Synagoge bewirkt? Noch viel größer wird das Erstaunen, wenn ein jiddisches Legendenbüchlein aus dem 17. Jahrhundert den mächtigsten Ba'al Schem des 16. Jahrhunderts, Rabbi Adam, der seine Wunder am kaiserlichen Hof in Wien und Prag vor¬führte, als gebürtigen Binger vorstellt, der dem Kaiser in Prag sogar das Versprechen abnahm, dass er ihn nach seinem Tod auf seinem Heimatfriedhof in Bingen bestatten werde, was der Kaiser auch eingehalten hatte. War Rabbi Adam der Konkurrent des christlichen Dr. Faust? Und schließlich: Die Legende des Begründers des osteuropäischen Chassidismus, Israel Ba'al Schem Tov, meint, dieser sei der Schüler und Nachfolger des Binger gewesen. - All diese Fragen lassen Bingen und seine Juden in einem neuen erstaunlichen Lichterscheinen.
Musikalisch im dreistimmigen Gesang begleitet mit Jiddischen Liedern von Guido Blume, Selina Diehl, Prisca Weisenberger und Manfred Weiner (Akkordeon).
Freitag, 9.11.2018
Ort: Technikum Bingen
Vortrag Dr. Birgit Bernard
"... alles war beschmutzt und besudelt - Das Judenpogrom in Bingen und die Zerstörung der Binger Synagogen am 10. November 1938"
Aufgezeigt wurden Ablauf des Pogroms vom 9./10. November 1938 und die Akteure.