Elsheim in Rheinhessen

0.Die 1920er Jahre in Elsheim

Die als Aufzeichnungen eines Bürgers aus Elsheim benannten, im folgenden transkribierten, Tagebucheinträge von Georg Hamm IV. geben einen Eindruck vom alltäglichen Leben in Elsheim zu Beginn der 1920er Jahre.

0.1.Zur Erinnerung an den Bau der Waschküche 1921

Das Jahr 1921 war das heißeste und das trockenste seit Menschengedenken. Von der Elsheimer Kirchweih Anfang Mai bis Oktober fiel überhaupt kein Regen. Vor dieser Zeit waren ebenfalls die Niederschläge sehr gering. Die Sommerfrucht Gerste und Hafer war sehr, sehr schlecht, außerdem herrschte eine mächtige Mäuseplage. Ganze Fruchtäcker waren total kahl-gefressen! Der 21er Wein erreichte ein außerordentlich hohes Mostgewicht, obwohl die Weinberge, die schon fingerlang gewachsen waren, im Mai stark erfroren waren.

Wir haben seit November 1918 französische Besetzung, hoffentlich erleben wir bald, daß unsere Heimat wieder frei wird. Die deutsche Mark (Papiergeld, anderes gibt’s ja schon lange nicht mehr) hat zur Zeit einen Goldwert von etwa 2 Pfennigen. Die Preise für alle Waren sind ins Unermessliche gestiegen. Butter kostet 40 bis 60 Mark, Fleisch 40 Mark pro Pfund. Dieser Tage wurde Wein verkauft (1921er) das Stück 12001 zu 7000 Mark.

Die Waschküche wurde gebaut von Gg. Hamm IV zur Zeit Beigeordneter, geb 13.10.1868. Die weiteren Familienmitglieder sind: seine Ehefrau Magdalena geb. Dapper, geb 13.10.1872, Sohn Karl Hamm geb. 20.2.1900, Tochter Käthchen Hamm geb. 4.4. 1901, Sohn Otto Hamm geb. 7.2.1906.

Elsheim, den 26.April 1922 Karl Hamm gest. 12. Juli 1922

0.2.25. September 1923

25. September 1923

An Umstehendes anschließend:

In dem großen Kriege 1914-1918 war Deutschland und Österreich vollständig von der Welt abgeschnitten, standen doch Frankreich, England, Belgien, Dänemark, Rußland, Italien, Rumänien, Griechenland, Nord-Amerika und noch ca. 17 oder 18 kleinere Staaten außer Asien, Afrika, Süd-Amerika und Australien mit uns zu gleicher Zeit im Kriege. Unsere Soldaten waren alle in Feindesland auf der ganzen Erde verteilt und kämpften auf dem Wasser, unter dem Wasser und in der Luft, ohne besiegt zu werden. Infolge dessen fehlte es an Allem, besonders an Lebensmittel. Und so kam der Zusammenbruch und die Revolution. Die Soldaten warfen die Waffen weg und eilten nach Hause. Die feindlichen Heere zogen nach und besetzten das ganze Rheinland.

Alles Gold und Silber zogen die Feinde an sich und so begann nun die Teuerung. Es wurde Papiergeld gemacht, sogenanntes Notgeld. Alle möglichen Scheine bekam man. Jedes Land, jeder Kreis, jede Stadt, oder jede Fabrik hatte Scheine zu 10, 20, 25, 50 Pfennig, 1, 2, 5, 10, 20, 25, 50, 100 Mark, dann 500, 1000, 5000, 10000, 50000 Mark. Die Teuerung stieg weiterm das vorhandene Geld reicht immer nicht, es wurden 100.000, 200.000, 500.000, 1.000.000, 2.000.000, 5.000.000, 10.000.000, Markscheine ausgegeben. Auch das genügte nicht mehr. Jetzt gibt es 50 Millionen, 100 Millionen, 200 Millionen, 500 Millionen, 1 Milliarde, 5, 10, 20, und 50.000.000.000 Scheine. Die deutsche Mark (Papiermark) gilt im Ausland überhaupt nichts mehr.

Ein Dollar (vorm Kriege 4,20 Mark) kostet heute 56.000.000.000 Mark. Nach diesem Kurse richten sich alle Preise: 1 Ztr. Mehl 100.000.000.000, 1& Butter 25 Milliarden, 1 Ei oder 1 Handkäse 1.500.000.000, 1& Fleisch 35-46 Milliarden. So geht es noch weiter. Wie lange, wie weit? ist noch nicht auszudenken.

Georg Hamm IV.

0.3.Elsheim im Juli 1924

Diese Blätter sind jetzt erst eingebaut worden. Die Teuerung ging immer noch weiter. Jetzt gibt es im Verkehr nur noch Reichsgeld zu 10, 20, 50, 100 und 500 Milliarden, 1, 2, 5, 10, 20, 50, und 100, Billionen. Beiliegend einige Exemplare.

Seit Dezember 1923 behält das Geld seinen festen Kurs und ist festgesetzt, daß 1 Billionen gleich 1 Goldmark anzurechnen. Also 1 Milliarde 1/10 Pfennig oder 10.000.000.000 Mark ist 1 Pfennig. So kostete im Frühjahr 1924 ein Stück Wein 1200 bis 1300 Goldmark oder 12-1.300.000.000.000.000 Papiermark. Jetzt ist alles so abgeschlagen, daß zum Beispiel ein Stück Wein nur noch 400, 450, 500 Goldmark kostet. Außer Eisenwaren ist jetzt alles sehr billig, aber die Leute haben kein Geld, sie können nichts kaufen und die Abgaben, Steuern steigen ins Unendliche. Ein Brieg kostet 10.000.000.000 Mark.

Die französische Besatzung haben wir noch und [es] ist auch keine Aussicht, daß diesselbe weg kommt. Im Januar 1923 wurde die Eisenbahn stillgestellt, weil die französische Besatzung die Leistung haben wolte [sic], worauf die deutschen Beamten dich weigerten Dienst zu tun. So stand im besetzten Rheinland und im RUhrgebiet die Eisenbahn vom Januar 1923 bis Januar 1924, also 1 Jahr still. Alle Transporte mußten auf dem Wasser ausgeführt werden. So konnte man zeitweise Kohlen (belgische und englische) in Mainz oder Bingen am Schiff holen. Fuhrwerke waren als tagelang unterwegs. Man sah solche aus Orten, die man noch nie gehört hat.

Infolge der Arbeitsniederlegung der Beamten wurden tausende mit ihren Familien ausgewiesen, ohne auch nur ein Bett oder sonstiges mitnehmen zu dürfen. Ein Mitte Juni erlassener Gnadenerlaß des französischen Präsidenten erlaubt nun dem größten Teil der Ausgewiesenen, wieder in ihre Heimat zurück zu kehren.

Georg Hamm

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red. Bearb. KT

erstellt am 11.05.2015