Hachenburg im Westerwald

Von der Hachenburger Strumpffabrik zur Baumwollspinnerei

Färberei und Strumpfweberei (1750)

Im Jahr 1750 hatte die Regierung beschlossen, eine herrschaftliche Färberei und Strumpfweberei zu gründen. Regierungsvertreter gingen deshalb in Hachenburg auf Haussuche. Nach einigem Hin und Her wurde das herrschaftliche Haus in der Herrnstraße entsprechend umgebaut und dort eine Strumpffabrik eingerichtet.[Anm. 1]
Doch der erhoffte wirtschaftliche Erfolg blieb aus, die Geschäfte der Hachenburger Strumpffabrik liefen 1764 uber die maßen schlecht. Man schreibe rote Zahlen, so die Einschätzung der Herrschaft, weil momentan eine sehr beglemme geldzeit herrsche und der Absatz der Hachenburger Strümpfe vor allem dadurch beeinträchtigt werde, dass importierte Strümpfe die Grafschaft überschwemmten. Obwohl man den Stadt- und Landkrämern untersagt hatte, "ausländische" Strümpfe feilzubieten, hielte sich niemand daran, zuweilen würde sogar Ware aus Frankfurt als Hachenburger Fabrikware ausgegeben. Diese untüchtige waar schädige den Ruf der Hachenburger Fabrik. Manche Strumpfhändler gingen öffentlich und ohne Scheu im Land und sogar in der Stadt hausieren. Angeblich zögen ganze Hausierergruppen umher, die von geschäftstüchtigen Juden angeworben worden seien. All dies schade der Fabrik und vor allem jenen "inländischen" Krämern, die sich an die Verordnung hielten, und keine „ausländischen“ Strümpfe im Sortiment hätten. Der Autor des Berichts, Johann Friedrich Langsdorff aus Hachenburg, forderte, eine strenge Verordnung zu erlassen, die es künftig Krämern bey hoier straff und Konfiszkation der Ware untersagen sollte, fremde Strümpfe anzubieten. […] sodann [sollte] denen frembden strumpf händeler(n), crämern und denen häufig handel treibenden juden knechten, die zum Schein einige Paar Strümpfe in der Hachenburger Fabrik, die meisten aber im "Ausland" einkauften, verboten werden, mit „fremder Ware“ hausieren zu gehen.[i] Hier klingt zum ersten Mal der Zusammenhang zwischen Judenfeindlichkeit und Wirtschaftsprotektionismus an. Die Regierung ordnete Hausdurchsuchungen an und ließ "ausländische" Ware beschlagnahmen. Doch auch diese Maßnahmen dürften der Hachenburger Strumpffabrik nicht wirklich geholfen haben. Über deren weiteres Schicksal ist allerdings bisher nichts bekannt. Sie dürfte wenig später eingegangen bzw. von der Baumwollspinnerei abgelöst worden sein.[Anm. 2]

Herrschaftliche Baumwollspinnerei (1765)

Errichtung

Spinnen galt als einträgliches Handwerk, da man dieser Tätigkeit gerade im Winter nachgehen konnte, wenn andere Arbeiten ruhen mussten.[Anm. 3] Im Jahr 1765 gingen in der Grafschaft Sayn-Hachenburg ca. 450 Handwerker dieser Tätigkeit nach. Doch dies reichte nicht aus, um den Bedarf an Spinnwaren zu befriedigen. Deshalb überlegte man in der gräflichen Kanzlei, in Hachenburg eine Baumwollspinnerei einzurichten und dort Arbeitslosen das Handwerk beibringen zu lassen.[Anm. 4] Diese Baumwollspinnerei wird in der Stadtrechnung 1766/67 erstmals erwähnt,[Anm. 5] scheint damals aber bereits einige Jahre bestanden zu haben.
Eine Abordnung der Regierung reiste im Sommer 1768 nach Elberfeld, um zu begutachten, wie die Dinge dort gehandhabt wurden. Man informierte sich über Absatzmöglichkeiten und erfuhr, wie förderlich guter Lohn bei guter Arbeit für den Arbeitsfrieden war. Zurück in Hachenburg hoffte man, die Zahl der zu dieser Zeit versponnenen 98 Ballen im darauffolgenden Jahr auf jährliche 110 Ballen steigern zu können.[Anm. 6]

Zwangsarbeit und Ausbeutung

Freiwillig scheinen alle Hachenburger und Altstädter für die Baumwollspinnerei nicht gearbeitet zu haben. So wurde der Hachenburger Bürgermeister im Jahr 1774 angewiesen, der Herrschaft alle zum Baumwollspinnen geeigneten Untertanen aufzulisten. Wer keine begründete Einwendung vorbringen könne, müsse sich zur Verfügung stellen.[Anm. 7]
Der Regierung ging es also vor allem darum, arbeitslose Untertanen mit allen Mitteln in Brot und Arbeit zu bringen. Andernorts waren es Zwangsanstalten, Zuchthäuser, Armenanstalten und Waisenhäuser, denen trotz unterschiedlicher Funktion im Einzelfall, allen die Aufgabe gemein war, gesellschaftliche "Randgruppen" zu disziplinieren. Wie es der absolutistischen Auffassung entsprach, wollte man einer neuen "bürgerlichen" Arbeitsethik den Weg bahnen, zu der wie selbstverständlich Zwangs- und Kinderarbeit sowie harte Arbeitsbedingungen gehörten. In einem breit angelegten Schulungsprogramm ließ die Regierung den "Freiwilligen" die erforderlichen Fachkenntnisse vermitteln.[Anm. 8] Dass man darüber hinaus die soziale Fürsorgepflicht auf die „gut verdienende“ Arbeiterschaft abschob, die verpflichtet war, mit ihrem Lohn bedürftige Nachbarn zu unterstützen,[Anm. 9] ist ein weiterer Beleg für die damalige Auffassung der Herrschaft.
Von Ausbeutung wollte seitens der Herrschaft niemand etwas wissen,[Anm. 10] man sah sich im Gegenteil in der Rolle eines Wohltäters. Der Verdienst für die Einwohner durch die Spinnerei sei beträchtlich und trage zu ihrem Einkommen entscheidend bei. Der Vorteil des Spinnens sei, dass es die Landesprodukte nicht vermindere. Alle zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten der Arbeiter wie Ackerbau, Bergarbeit, Fuhrwesen und dergleichen könnten unbeeinträchtigt parallel ausgeübt werden. Die Arbeit für die Spinnerei sei leicht, ungefährlich und bedeute verlässlichen und stetigen Verdienst. Das Spinnen bringe der Jugend Arbeit, fördere das Fuhrwesen sowie Gewerbe und Handel. Es steigere den Geldumlauf und kurbele, wie man heute sagen würde, die Wirtschaft an.[Anm. 11]

Probleme in der Spinnerei?

Eine zentrale Produktionsstätte scheint es nicht gegeben zu haben. Die Spinner holten sich die Baumwolle im Zentrallager der Spinnerei in Altstadt ab, verarbeiteten es zuhause und lieferten das fertig gesponnene Garn bei der Ausgabestelle ab. Dort nahmen sie auch ihren Lohn in Empfang. Da der Lohn von der Regierung festgelegt wurde,[Anm. 12] lieferten findige Hachenburger ihre gesponnene Ware nicht in der Hachenburger Spinnerei ab, sondern verkauften sie für besseres Geld außerhalb der Stadt. Deshalb ließ die Regierung 1779 bekanntgeben: "Da es zum Nachteil der mit vielem Aufwand errichteten und bis hierhin unterhaltenen hiesigen Baumwollspinnerei gereichen würde, wenn die hiesigen Untertanen, welche größtenteils auf herrschaftliche Kosten im Spinnen unterrichtet worden seien, diesen Verdienst außer Landes suchen und bei gleichem Betrag des Spinnlohns an hiesiger Spinnerei vorbei gehen wollten, so wird letzteres hiermit untersagt und die Untertanen angewiesen, ihre Baumwolle zum Spinnen in der Altstadt, als woselbst so viel an Lohn als auswärts bezahlt wird, abzuholen."[Anm. 13]
Über das weitere Schicksal der herrschaftlichen Spinnerei ist nichts bekannt. Sie dürfte Ende des 18. Jahrhunderts eingegangen sein.

Redaktioneller Hinweis: Die hier vorgestellten Ausführungen sind inhaltliche Ergänzungen und Erweiterungen der entsprechenden Abschnitte des Buches „Geschichte der Stadt Hachenburg“. Die zugehörigen Basis-Informationen sind u.U. nur in der Druckausgabe zu finden. Die Inhalte dieser Seiten entsprechen also nicht denjenigen des Buches.


Anmerkungen:

  1. HHStAW Abt. 340 Akten 3588. Zurück
  2. Hachenburg 6.7.1764 (HHStAW Abt. 340 Akten 2186 fol. 3-7). Zurück
  3. Viele Handwerker verdienten vor allem im Winter wenig oder gar nichts. Sie betätigten sich als Saisonarbeiter, im Winter oft als Holzfäller oder Holzsäger im Tageslohn (Heuzeroth, Ahle Verzellcher vom 3.3.1952). Zurück
  4. Man überlegte sogar, Untertanen, die sich trotz Eignung verweigerten, bestrafen zu lassen. Dies sollte von den Kirchenkanzeln verkündet werden. Aus einer Aktennotiz des Regierungsrats Wredow vom 10.11.1765 (HHStAW Abt. 340 Akten 2187 fol. 1-6). Zurück
  5. Söhngen S. 157 und S. 385. Auch die Bilanz des Jahres 1767 ist noch vorhanden. Soll und Haben waren mit 3.779 Reichstalern und 59 Kreuzern in guter doppelter Buchführung ausgeglichen. Aus der Aufstellung geht hervor, dass damals Garn von der Fa. Wichelhausen und Grohe in Elberfeld bezogen wurde (HHStAW Abt. 340 Akten 2187 fol.13). Zurück
  6. Bericht des Regierungsrats Wredow vom 2.7.1768 (HHStAW Abt. 340 Akten 2187 fol. 7-11). Vgl. Lukis, Westerwald S. 14. Seit den 1740-er Jahren hatten Textilfirmen aus Elberfeld in den Grafschaften Westerburg und Sayn-Hachenburg Importbaumwolle auf dem Lande zum Spinnen in Heimarbeit ausgegeben, um für ihre Baumwollwebereien den wachsenden Bedarf an Garn decken zu können.  Zurück
  7. Memoria der Regierung vom 10.12.1774 (HHStAW Abt. 340 Akten 2187 fol. 20). Zurück
  8. Im Frühjahr 1778 organisierte die Herrschaft unentgeltliche Spinnkurse in Altstadt, Höchstenbach Kroppach und Alpenrod, um neue Spinner anzulernen (Bekanntmachung  vom 31.5.1778; HHStAW Abt. 340 Akten 2187 fol. 48). Zurück
  9. Damals wurde der Spinnlohn verbessert; anstatt eines Stübers wurde nun ein Petermännchen für den Strang Garn bezahlt. Der herrschaftliche Schultheiß wurde angewiesen, diese Aufforderung am kommenden Sonntag vor der Kirche zu verlesen und über den Vollzug Bericht zu erstatten. Dieses Schreiben wurde auch in Hamm, Kroppach und Schöneberg, Maxsain, Flammersfeld, Altstadt, Höchstenbach entsprechend bekannt gemacht. Hachenburg, den 24.5.1774 (HHStAW Abt. 340 Akten 2187 fol. 22). Zurück
  10. Die Profite der erfolgreichen Baumwollspinnerei beliefen sich in dieser Zeit auf ca. 13-14.000 ReichstalerZurück
  11. HHStAW Abt. 340 Akten 2187 fol. 26-46, undatiert. Zurück
  12. Am 26.10.1778 wurde dem herrschaftlichen Schultheiß von der Regierung aufgetragen, vor der Kirche bekannt zu geben, dass für 1 Strang Baumwolle Garn von nun an und solange die dermalige Zuzahlung von Seiten der Verleger andauerte, wieder 1 Petermännchen statt des bisherigen Stübers bezahlt werden sollte. Auswärtige durften Baumwolle zum Spinnen nur in die Unterkirchspiele der Grafschaft geben. Hachenburg, den 26. Oktober 1778 (HHStAW Abt. 340 Akten 2187 fol. 50). Zurück
  13. Hachenburg, den 4. Januar 1779 (HHStAW Abt. 340 Akten 2187 fol. 52). Zurück