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.1.5. Fazit

Es handelt sich beim bei dem Begriff des Bataveraufstandes um eine inhaltliche Irreführung. Denn entgegen der überlieferten römisch-literarischen Darstellung bezeichnet dieser Begriff mit großer Wahrscheinlichkeit gar keinen Aufstand. Unter Berücksichtigung der sozialen und politischen Verhältnisse, lässt er sich vielmehr als ein nicht isoliert zu betrachtender Teilaspekt der Bürgerkriegszeit nachvollziehen. Die wesentlichen Argumente der Untersuchung, die das genannte Ergebnis zulässt, sind nachfolgend zusammengefasst.

Nach Tacitus, der die Abstammung der ethnischen Gruppe der Bataver in seinen Historien und in der Germania beschreibt, handelte es sich bei dieser um eine Teilgruppe der linksrheinisch siedelnden Chatten, die sich abspaltete und in rechtsrheinisches Gebiet zog. Diese Abstammungstheorie wird durch archäologische Funde unterstützt. So wurden im Siedlungsgebiet der Bataver Münzen mit der Darstellung eines Dreiwirbels (triquetrum) gefunden, die auch im chattischen Kernland zu finden sind, obgleich das Herstellungsmaterial sich unterscheidet. Das rechtsrheinische Siedlungsgebiet der Bataver war das Rheindelta, im Norden vom Alten und Krummen Rhein und im Süden von der Waal und dem Unterlauf der Maas begrenzt, und zumindest in der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. siedelten sie wohl noch auf einem Gebietsstreifen südlich der Maas. Dort bildete sich ein Bevölkerungsgemisch mit der einheimischen Restbevölkerung und dieses wurde von den Römern Bataver genannt. Auf Grundlage der literarischen Quellen ist eine rechtsrheinische Ansiedlung der chattischen Teilgruppe zwischen 55 und 14 v. Chr. anzunehmen. Dieser Zeitraum ist archäologisch in nachcaesarische Zeit eingrenzbar. Spätestens ab augusteischer Zeit ist eine Sesshaftigkeit der Bataver im Rheindelta und ein Bündnis mit Rom literarisch und archäologisch nachweisbar. Die Umsiedlung wurde von der chattischen Teilgruppe selbst vorangetrieben, fand aber unter römischer Einflussnahme statt.

Die Elite der neuentstandenen ethnischen Gruppe wurde vom chattischen Teil der Bevölkerung gestellt. Eine Einflussnahme auf diese Elite durch die Römer ist aufgrund der Unterstützung während der Umsiedlung anzunehmen. Eine Einflussnahme der Römer auf die Ethnogenese der Bataver ist durch die Förderung romfreundlicher Gruppen in der batavischen Elite und der Förderung einer Kommunalisierung und des Aufbaus eines Administrationsapparates zu erkennen. Die durch Rom geförderte Kommunalisierung ist archäologisch bereits ab der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr., also vor dem sogenannten Bataveraufstand, nachweisbar. Das von Tacitus erzeugte Bild eines barbarischen Gegners von außen trifft auf die Bataver also nicht zu. Auch eine Unabhängigkeitsbestrebung der Bataver ist vor dem Hintergrund dieser Ethnogenese unwahrscheinlich, da die römische Kultur bei den Batavern schon jahrzehntelang bekannt war und sich mit der eigenen Kultur vermischt hatte, obwohl in manchen Bereichen, wie etwa den Hausbau, vorrömische Traditionen weiter gepflegt wurden. Eine Romanisierung der batavischen Gesellschaft vor dem „Aufstand“ ist zudem anhand der Keramik erkennbar. Die Nutzung römischer Innovationen in der Landwirtschaft ist nachweisbar, genauso wie ein hoher Gebrauch der lateinischen Sprache. Die römische Einflussnahme auf die batavische Gesellschaft hatte somit viele positive Auswirkungen auf die Entwicklung dieser Ethnie, die sich durch vertragsähnliche Regelungen zudem eine gewisse Unabhängigkeit bewahren konnte.

Die Rolle der Bataver im römischen Heer offenbart die Integration derselben in das römische Heeressystem bereits vor dem sogenannten Aufstand. Die literarisch überlieferten Vereinbarungen mit Rom besagten, dass die Bataver nur Truppen für das römische Militär stellen mussten und von weiteren Abgaben und Steuern befreit waren. Befehligt und ausgehoben wurden die Truppen von Mitgliedern der lokalen Aristokratie. Batavische Hilfseinheiten sind literarisch ab augusteischer Zeit belegt, für caesarische Zeit aber schon denkbar. Handelte es sich zu jener Zeit wohl noch um nicht ins römische Heer integrierte, nach einheimischem Muster gebildete und für eine begrenzte Zeit ausgehobene Einheiten, so stellten die Bataver spätestens ab claudisch-neronischer Zeit Kohorten und Alen als reguläre, ins römische Heeressystem eingefügte Einheiten. Kaum eine andere ethnische Gruppe wurde dabei so stark zur Rekrutierung herangezogen wie die Bataver. Die römische Militärkultur beeinflusste die batavische Gesellschaft entsprechend stark. Die Leibwache des julisch-claudischen Kaiserhauses bestand außerdem zum Großteil aus Batavern. Die Mitgliedschaft in der Leibwache wurde als Ehre empfunden und durch die Organisation als Kollegium bildeten die Soldaten eine geschlossene, soziale Gruppe mit hohem Selbstbewusstsein. Mit der Auflösung der Garde unter Galba und dem Verlust des sozialen Ranges wuchs die Unzufriedenheit unter den ehemaligen Mitgliedern. Die hohen Rekrutierungszahlen stellten darüber hinaus eine Belastung für die ethnische Gruppe dar. Zusammenfassend handelte es sich bei den Batavern um absolut fähige und geschätzte Soldaten, wie einige literarische Quellen belegen. Von ihrer militärischen Qualität waren die Römer überzeugt und dies war wahrscheinlich der Hauptgrund, warum die Bataver weiterhin in Hilfstruppen in großer Zahl eingesetzt wurden, auch nach dem „Aufstand“.

Es ist außerdem deutlich geworden, dass das römische Bataverbild, das vor dem Hintergrund des sogenannten Bataveraufstandes in den literarischen Quellen überliefert ist und die Bataver auf ambivalente Art einerseits als alte Bundesgenossen und andererseits als unzivilisierte Barbaren und externe Gegner darstellt, mit dem Selbstbild der Bataver nicht übereinstimmt. In der römischen Geschichtsschreibung wird die Bedrohung durch den sogenannten Bataveraufstand für das römische Reich durch die Darstellung der Bataver als Barbaren und der Zusammenarbeit mit rechtsrheinischen Germanenverbänden als gesamtgermanische Bedrohung dargestellt. Durch die erfolgreiche Bekämpfung dieser Bedrohung werden dabei gleichzeitig die Handlungen der flavischen Dynastie erhöht. Die Bataver selbst stellten sich hingegen bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. auf Grabsteinen als Angehörige des römischen Militärs dar. Sie distanzierten sich somit von den germanischen Verbänden, die nicht ins römische Reich integriert waren, ohne aber ihre Identität als Bataver zu verstecken.

Als einer der wichtigsten Gründe für den „Aufstand“ wurde die Unzufriedenheit der Bataver in ihrem Verhältnis zum römischen Reich herausgearbeitet. Diese Unzufriedenheit hatte mehrere Ursachen: Zum einen hatten die hohen Rekrutierungszahlen der Bataver für das römische Heer Auswirkungen auf die Gesellschaft. Es entstand ein ökonomischer, demographischer und sozialer Druck durch fehlende Männer in der batavischen Bevölkerung. Aus batavischer Sicht kam es außerdem zu einem Vertragsbruch wegen der Aushebungen durch römische Beamte unter Vitellius. Es herrschten bei Batavern und Römern ein anderes Grundverständnis der Besoldungs- und Sozialstruktur des Heeres und andere Vorstellungen über den militärischen Status der Bataver. Auch die Vorstellungen über den politischen Status gingen auseinander. Die Bataver sahen sich selbst als mit Rom verbündete, aber dennoch eigenständige ethnische Gruppe, die eigene, unantastbare, durch Verträge bestätigte Rechte hatte. Die Römer sahen die Bataver als ins Imperium Romanum integriert. So entstand ein Protest gegen den dilectus der vitellischen Regierung, da die Machtposition der einheimischen Elite dadurch geschmälert wurde. Aus diesem Grund schloss sich ein Teil der Elite um Julius Civilis der flavischen Partei an, von der sie sich eventuell die Rückkehr zum Status quo ihrer alten Verträge erhoffte. Hinzu kam eine aus batavischer Sicht mangelnde Würdigung der militärischen Dienste durch Nichtauszahlung von Bonuszahlungen und dem vorzeitigen Zurückschicken der batavischen Kohorten nach dem Sieg über Otho als Teil von Vitellius‘ Heer. Die einheimische Elite befand sich durch ihre Integration in die römische Kultur und aufgrund der Unzufriedenheit von Teilen der eigenen ethnischen Gruppe unter Druck. Civilis, der durch seine Verhaftung unter Nero zunächst seine Machtposition innerhalb der Elite einbüßte, schaffte es im sogenannten Bataveraufstand als Anhänger der Flavier, ebendiese wieder zu festigen. Der „Aufstand“ richtete sich wohl auch gegen die Opposition des Civilis um den vitelliustreuen Claudius Labeo. Dabei ging es nicht nur um einen internen Machtkampf innerhalb der batavischen Aristokratie, sondern auch um unterschiedliche Parteinahmen innerhalb des römischen Bürgerkrieges.

Ein weiterer wichtiger Grund für den sogenannten Bataveraufstand war die Instrumentalisierung der Bataver durch die Flavier. Anhand der in dieser Arbeit angeführten Beispiele aus den taciteischen Schilderungen ist eine solche Instrumentalisierung zumindest bis zur Zerstörung des Militärlagers Vetera I erkennbar. Nach der Ermordung römischer Legionäre durch die Truppen des Civilis waren die Bataver als flavische Verbündete nicht mehr haltbar. In der flavischen Geschichtsschreibung, die Tacitus als Quelle für seine eigene Darstellung diente, wurde eine flavische Zusammenarbeit mit den Batavern daraufhin wahrscheinlich vertuscht. Die Verantwortung für die Ereignisse des sogenannten Bataveraufstandes wurden dem als barbarischen Reichsfeind stilisiertem Julius Civilis und dem in Ungnade gefallenen Antonius Primus zugeschrieben. Erst als Civilis durch die Distanzierung der flavischen Partei keine Chance mehr für sich sah, die batavischen Interessen bei der flavischen Regierung umzusetzen, begann er des reinen Überlebens willens eine Zusammenarbeit mit den Resten des ehemaligen, vitellischen Rheinheeres, das mittlerweile unter der Führung des Treverers Julius Classicus stand. 

Uneinigkeit und Disziplinlosigkeit im römischen Rheinheer schränkten dessen Handlungsfähigkeit ein und bildeten eine der Voraussetzungen für den „Aufstand“. Uneinig waren sich die Soldaten und die Legaten über den Kaiserkandidaten. Während die Legaten dem Vespasian anhingen, waren die Soldaten auf Seiten des Vitellius und traten nach dessen Tod weiterhin als Gegner der Flavier auf, indem sie sich laut Tacitus auf ein „Imperium Galliarum“ vereidigten, was aber wohl nur ein literarisches Konstrukt war. Möglicherweise erwählten sie sich in Person des Treverers Julius Classicus einen Gegenkandidaten zu Vespasian. Die Disziplinlosigkeit verschärfte sich durch schlechte Versorgungsbedingungen und Führungsfehler sowie politische Irreführung der Soldaten. Die beiden Legaten Hordeonius Flaccus und Dillius Vocula, die von Angehörigen des Rheinheeres ermordet wurden, werden von Tacitus als schwache Führungspersonen dargestellt, die entweder durch Passivität oder frühe Parteinahme für Vespasian den „Aufstand“ begünstigten. Bei beiden Morden galten dieselben Voraussetzungen für die Tat: Die Soldaten präferierten einen anderen Kaiserkandidaten als ihr Legat. Die Legaten wurden außerdem für die schlechten Bedingungen im Rheinheer verantwortlich gemacht und die Loyalität der Soldaten schwand immer weiter.

Abschließend zusammengefasst darf die überlieferte, antike Geschichtsschreibung in Bezug auf den sogenannten Bataveraufstand nur selektiv als Tatsachenbericht verstanden werden. Denn die überlieferten Interpretationen passen nur in Teilen zu den in dieser Arbeit herausgearbeiteten Gründen und Voraussetzungen des „Aufstandes“. Zu diesem Ergebnis ist diese Arbeit durch den Vergleich literarischer, archäologischer und epigraphischer Quellen, sowie der Analyse der Forschungsliteratur gekommen. Der sogenannte Bataveraufstand war ein Teil des römischen Bürgerkrieges und der Usurpation des Vespasians und kein isolierter Aufstand, der eine etwaige Unabhängigkeit der Bataver vom römischen Reich zum Ziel gehabt hätte. Die Schilderungen des Tacitus sind als Quelle glaubhaft bezüglich des Verlaufs des „Aufstandes“ und den inneren Zustand des Rheinheeres betreffend. Er übersteigert allerdings durch die verwendeten Topoi die Gefahr des Aufstandes und die Unfähigkeit des römischen Heeres. Es handelte sich bei dem „Aufstand“ folglich nicht um einen Konflikt zwischen reichsfremden Barbaren und Römern, sondern zwischen flavischen und vitellischen, beziehungsweise antiflavischen, Truppenteilen des römischen Heeres.