V. Zusammenfassung
Anhand der eingangs gestellten Leitfragen behandelte die vorliegende Untersuchung den Themenkomplex Wohnen und Wirtschaften[Anm. 1] der Mainzer Juden im 16. und 17. Jahrhundert. Dabei konnte gezeigt werden, dass die jüdische Geschichte der Stadt am Rhein nicht durch die im Jahre 1470 erfolgte Ausweisung unterbrochen wurde, sondern dass sich weiterhin Juden in Mainz niederließen. Allerdings war ihnen nur noch gestattet, im Haus zum Kalten Bad zu wohnen, während die übrigen Judenerben, die ehemalige Synagoge eingeschlossen, an christliche Bürger übertragen wurden. Diese Politik stellte eine deutliche Zäsur für die Wohnsituation der Mainzer Juden dar und bedeutete das Ende der mittelalterlichen Gemeinde, das sich bereits beim Übergang der Stadt und damit auch der Judenerben an den Mainzer Erzbischof im Jahre 1462 abgezeichnet hatte. [Anm. 2] Dementsprechend wurden den zu Beginn des 16. Jahrhunderts aufgenommenen Juden das Kalte Bad sowie Vilzbach und Weisenau als Wohnorte zugewiesen. Erst in den Jahren nach 1526 beherbergten ehemalige Judenerben wieder jüdische Bewohner. Die Häuser lagen nebeneinander in der Judengasse, dem neuen Wohngebiet der Mainzer Juden. Im selben Zeitraum entstand dort auch eine Synagoge und es bildeten sich Gemeindestrukturen heraus. Doch die für das Jahr 1545 angenommene Ausweisung der Juden beendete die Phase des gemeinsamen Wohnens und unterbrach die jüdische Siedlungstradition in Mainz für ungefähr eine Dekade. Die erst wieder nach 1556 erfolgten Schutzaufnahmen sahen das Judenhaus zum Kalten Bad als einzigen Wohnort vor. Ebendort entstand seit den späten 1570er Jahren eine neue Judenschaft, deren weitere Ausgestaltung und Verdichtung der Vorstand Joseph zum Kalten Bad vorantrieb. Darüber hinaus ermöglichte er durch seine herausragende Stellung als Münzjude seit dem Ende des 16. Jahrhunderts die Öffnung der Stadt gegenüber jüdischen ‚Bürgern‘. Im ersten Regierungsjahr von Johann Schweikart von Kronberg (1604-26) nutzten Mainzer Juden diese neuen räumlichen und wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten und erwarben Wohneigentum in verschiedenen Gegenden der Stadt. Dabei fungierten Geschäftskontakte zu Christen in doppelter Hinsicht als ‚Türöffner‘. Zum einen stellten sie die benötigten Geldmittel (finanzielles Kapital) zur Verfügung, zum anderen beförderten sie die Etablierung von Juden als zuverlässige Handelspartner (zwischenmenschliches Kapital). Da wirtschaftliche Motive bei der Wohnortwahl der Mainzer Juden eine wichtige Rolle spielten bzw. Lage, Infrastruktur und Raumangebot der Häuser wiederum die geschäftlichen Rahmenbedingungen verbessern konnten, diente Wirtschaften gleichzeitig als Voraussetzung, Mittel und Ziel individuellen Wohnens.
Auf diese Weise konnten Mainzer Juden bereits vor dem Dreißigjährigen Krieg eine stadtsässige Stellung einnehmen und sich verschiedene Wirtschaftszweige erschließen, so dass ihre Erwerbstätigkeit von großer Bedeutung für Bürger und Bauern in und um Mainz war. Während der schwedischen und französischen Besatzungszeit stieg die jüdische Bevölkerung durch Kriegsflüchtlinge rapide an und die Gemeindemitglieder konnten im Jahre 1642 eine neue Synagoge bauen. Wenngleich nicht unmittelbar von den Maßnahmen Johann Philipps von Schönborn (1647-73) betroffen, partizipierten sie am wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt und konnten in den 1650er Jahren weitgehend frei wohnen und wirtschaften. Trotz dieses sozialen Aufstieges und ihrer rechtlichen Stellung als Judenbürger wurden sie jedoch nicht als ebenbürtige Mitbürger akzeptiert, was unter anderem im Versagen bzw. mangelnden Interesse landesherrlicher und städtischer Politik begründet lag. So erwarben Mainzer Juden zwar bescheidenen Wohlstand und unter Christen gelegene Häuser als bürger guet, wurden allerdings nicht in die bürgerliche Gesellschaft integriert und blieben hinsichtlich ihrer sozialen Stellung ‚unter‘ den Christen. Dennoch löste jüdisches Immobilieneigentum aufgrund der knappen Wohn- und Wirtschaftsressourcen Neid und Unmut bei den Bürgern aus. Um den zunehmenden Beschwerden zu begegnen und Konflikte zu vermeiden, die Befind-lichkeiten verschiedener Interessengruppen zu befriedigen, für gute ordnung und policey zu sorgen, dem gemeinen nutzen zu dienen sowie vielschichtige landesherrliche und persönliche Ziele zu verfolgen, entschied sich Kurfürst Johann Philipp von Schönborn schließlich zur Einweisung der Mainzer Juden in ein Ghetto. Damit bestand in der Stadt am Rhein erstmals eine strikte Trennung der Wohnbereiche und zwei religiös-kulturelle ‚Parallelgesellschaften‘. Inwieweit sich dies auf die geschäftlichen und zwischenmenschlichen Kontakte auswirkte, müsste in einer eigenen Untersuchung näher beleuchtet werden.
„Der Prozeß der Integration von Juden in die christliche Gesellschaft muß somit als ein permanenter historischer Prozeß gesehen werden, der sich in der alltäglichen Kommunikation ebenso wie in der die Integrationssphären absteckenden Abgrenzungspolitik der jeweiligen Obrigkeiten niederschlug.“[Anm. 3]
- Dieser hier erstmals systematisch behandelte Themenkomplex durchzieht auch die umfangreiche Untersuchung Monika Müller, Judenschutz vor Ort: Jüdische Gemeinden im Fürstentum Pfalz-Neuburg, Unveröffentlichte Dissertation, Universität Augsburg 2013. Zurück
- Seitdem Erzbischof Adolf II. von Nassau am 28.10.1462 die Stadt eingenommen und die Juden vertrieben hatte, wirkte auch nach ihrer Wiederansiedlung kein Rabbiner mehr in Mainz (vgl. Schütz, Mainz, S. 797-806). Zurück
- Battenberg, Grenzen, S. 96. Vgl. auch Ebd., S. 95 u. 103-109. Zurück