0.Ersatzstoffe im Ersten Weltkrieg
0.1.Ersatzstoffe in der Industrie
Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhängte Großbritannien eine Seeblockade über Deutschland. Vor allem für die Rohstoffbeschaffung Deutschlands bedeutete dies ein erhebliches Problem, denn im letzten Friedensjahr bestanden 44% aller Einfuhren aus Rohstoffen. Außerdem führte Deutschland vor dem Krieg auch viele Halbfabrikate ein. Da die nun nur in geringerem Maße vorhandenen Rohstoffe bevorzugt der Rüstungsindustrie zugewiesen wurden, fanden an der Heimatfront mit der Zeit viele Ersatzstoffe Anwendung. Dazu wurden umfangreiche Forschungen durchgeführt, die das Ziel hatte, adäquaten Ersatz für Lebens- und Genussmittel, für Futtermittel, Konsumgüter und für Rohstoffe zu finden. [Anm. 1] Viele dieser neuen, synthetisch hergestellten Ersatzstoffe waren den Originalstoffen qualitativ allerdings weit unterlegen oder so aufwendig herzustellen, dass sie das Originalprodukt nie vollständig ersetzen konnten. Daher wurden sie nach dem Ende der kriegsbedingten Knappheit kaum noch eingesetzt.
Weil beispielsweise Leder knapp war, wurden in nicht rüstungsrelevanten Betrieben die ledernen Treibriemen an den Maschinen durch ein Gemisch aus Stoff und Papier ersetzt, was allerdings sehr störanfällig war. In Mainz versuchte man mittels Haarspenden das für die Treibriemen fehlende Kamelhaar zu ersetzen. Für die Produktion von Schuhen wurde in Pirmasens während des Krieges Holz statt Leder verwertet. Auch bei einigen Metallen kam es zu Engpässen, sodass diese durch andere, häufig Aluminium, ersetzt werden mussten. [Anm. 2]
Als die Rohstoffe für die Produktion der Ersatzstoffe ebenfalls knappwurde,[Anm. 3] musste die Zivilbevölkerung zur Mithilfe herangezogen werden. So wurden in zahlreichen Städten Schüler dazu aufgerufen, nicht mehr verwendbare, kriegswichtige Stoffe wie z.B. Altpapier und Lederabfälle zu sammeln und in der Schule abzugeben. Im Gegenzug erhielten sie Sammelmarken. Darüber hinaus wurden die Schulstunden auch dafür genutzt, Nahrungsmittel in den nahegelagenen Wäldern zu besorgen. [Anm. 4]
Auch das Militär war vom Rohstoffmangel betroffen. Weil zum Beispiel synthetisch nur die Produktion von Hartgummi möglich war, konnten weichere Gummiarten nicht ersetzt werden. Um den militärischen Gummibedarf zu decken, wurden daher teilweise die Schläuche privater Fahrräder beschlagnahmt und notdürftig durch Metallspiralen ersetzt. Da auch diese Maßnahmen nicht ausreichten, fuhren viele Lastwagen im Feld mit Stahlreifen. [Anm. 5] Nachdem Italien 1915 in den Krieg eingetreten war, fehlte Deutschland auch das Importgut Rohbaumwolle. Als Ersatzstoff verwendete die Textilindustrie daraufhin zunehmend Brennnessel- und Schilffasern. Bis Oktober 1917 wurde Garn aus Papier hergestellt, bis auch dieser Ersatzstoff von der Kriegsrohstoffabteilung (KRA) als kriegswichtiger Stoff beschlagnahmt wurde. [Anm. 6]
0.2.Ersatzlebensmittel
Besonders betroffen von der Mangelwirtschaft des Ersten Weltkrieges war die deutsche Nahrungsmittelindustrie, denn seit der Reichsgründung 1871 war Deutschland Importland für Agrarprodukte. Etwa 1/3 der gesamten Nahrungsmittel wurden importiert. Im Nahrungsmittelbereich konnte man allerdings auf viel Bekanntes zurückgreifen, denn viele Ersatzlebensmittel wie Magarine, Kunststreichfett, Kunsthonig, Kaffeeersatz, alkoholfreie Getränke und Brühwürfel nutzte man auch in Friedenszeiten, wo sie vor allem als Ersatz für teurere Lebensmittel dienten. [Anm. 7]Allerdings bestand gerade bei Ersatzlebensmittel oft das Problem, dass diese gesundheitsschädlich waren.[Anm. 8]
Nichtsdestotrotz waren die Menschen bereits kurz nach Beginn des Krieges dazu gezwungen, auf Ersatzlebensmittel zurückzugreifen. So kamen Kaffeetabletten, Teepillen und Punschwürfel zum Einsatz. [Anm. 9] Aufgrund der ansteigenden Getreideknappheit wurde Brot zunehmend aus Kartoffeln und Kohlrüben hergestellt. [Anm. 10] Außerdem wurden Versuche unternommen, Kastanien, Eicheln oder Nüsse für die Herrstellung von Brot zu verwerten. [Anm. 11] Zur Verstärkung der Nahrungsmittelproblematik trug der Rückgang der inländischen Produktion bei. Ursache dafür waren die geringere Einfuhr von Futtermitteln (im Jahr 1913 kam etwa 1/3 der Futtermittel in der Tierzucht aus dem Ausland) und Ernteausfälle während der Kriegsjahre. Die schlechten Ernten hingen u.a. mit der Tatsache zusammen, dass sich viele in der Landwirtschaft Tätige im Kriegsdienst befanden. Zudem hatte man die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges im Glauben an ein schnelles Kriegsende weitgehend unterschätzt, sodass kaum Nahrungsmittelvorräte angelegt worden waren. [Anm. 12]
Die Ernährungslage spitze sich im Jahr 1916 zu: Zunächst waren die Kaffeereserven aufgebraucht, weshalb in der Folgezeit Kaffeeersatz aus Zuckerrübenschnitzeln, Steinobstkernen, Eicheln, Walnusskernen, Maiskernen und Haferspelzen gemahlen wurde. Der ebenfalls knapp werdende Tee wurde durch in der Natur vorhandene Kräuter und Blätter ersetzt. Wegen der äußerst dürftigen Ernte, gab es im folgenden Winter einen massiven Getreidemangel, was zur Folge hatte, dass Brot vor allem aus Steckrüben hergestellt wurde und dieser Winter 1916/17 bald als "Steckrübenwinter" bezeichnet wurde.[Anm. 13]
Nicht nur das Brot, auch der Brotaufstrich konnte nicht mehr wie gewohnt produziert werden. So wurden Butter und Marmelade durch Sauermilchquark, der mit Zucker und Farbstoff vermischt war, ersetzt. Ein weiterer Butterersatz, „ungarische Gemüsebutter“ genannt, bestand aus roten Rüben, Mohrrüben, Kohlrüben und Gewürzen.[Anm. 14]
Neben der ständigen Suche nach Ersatzstoffen wurden viele Lebensmittel auch gestreckt, um der Bevölkerung eine größer Menge an vorhandenen Nahrungsmittel vorzugauckeln.[Anm. 15] Wurst mischte man beispielsweise Wasser, pflanzliche Rohstoffe und unverdauliche tierische Abfälle bei. Fleischbrühwürfel wurden aus gewürzigem Salzwasser, Eiersatz aus gefärbtem Mais- und Kartoffelmehl hergestellt. Schokoladenpulver wurde aus gemahlenen Kakaobohnen gefertigt.[Anm. 16] Bei Kriegsende befanden sich etwa 11.000 verschiedene Ersatzlebensmittel auf dem Markt, darunter 837 Sorten fleischloser Wurstersatz. Die Not der Menschen machten sich viele Geschäfte zunutze und verkauften Ersatzlebensmittel zu horrenden Preisen.[Anm. 17] Zusätzlich kursierten zahlreiche Kriegskochbücher, die zum Teil auf eigene Initiative der verzweifelten Mütter herausgegeben wurden.
Verfasser: Armin Huber
red. Bearb. Katharina Thielen
Erstellt am: 10.10.2014
Verwendete Literatur:
- Arnulf Huegel: Kriegsernährungswirtschaft Deutschlands während des Ersten und Zweitem Weltkrieg im Vergleich. Konstanz 2003.
- Friedrich Wilhelm Henning: Die Industrialisierung in Deutschland 1800-1914. Paderborn 1979.
- Friedrich Wilhelm Henning: Das industrialisierte Deutschland. 1914-1972. Paderborn 1975.
- Anne Roehrkohl: Hungerblockade und Heimatfront. Die kommunale Selbstversorgung in Westfalen während des Ersten Weltkrieges. Stuttgart 1991.
- Homepage Deutsches Historisches Museum. Abgerufen am 16.09.2014.
- 150 Jahre DRK. Abgerufen am 16.09.2014.
- Chronik.net. Abgerufen am 16.09.2014.
- Artikel Handelsblatt zur Rohstoffknappheit im Ersten Weltkrieg. Abgerufen am 06.10.2014.
Anmerkungen:
- Homepage Deutsches Historisches Museum. Zurück
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- In Mainz rief beispielsweise der Ortauschuss für Sammel-Hilfsdienst: „An die Mainzer Schuljugend!“ am Dezember 1917 zu solchen Sammlungen auf. In: StA MZ NL_109-1 Sammelhilfsdient der Mainzer Schuljugend“. Zurück
- Artikel Handelsblatt zur Rohstoffknappheit während des 1. Weltkrieges. Zurück
- Homepage Deutsches Historisches Museum. Zurück
- Huegel: Kriegsernhärungswirtschaft, S. 173. Zurück
- Chronik.net Zurück
- Huegel: Kriegsernährungswirtschaft: S. 174. Zurück
- 150 Jahre DRK. Zurück
- Roehrkohl: Hungerblockade, S. 218. Zurück
- Henning: industrialisiertes Deutschland, S. 36 f. Zurück
- Huegel: Kriegsernährungswirtschaft, S. 174. Zurück
- Huegel: Kriegsernährungswirtschaft, S. 174. Zurück
- Roehrkohl: Hungerblockade, S. 223. Zurück
- Huegel: Kriegsernährungswirtschaft, S. 174. Zurück
- Roerhrkohl: Hungerblockade, S. 221. Zurück