Interregnum, Kaiserwahl und -krönung im 18. Jahrhundert: Die Politik des Mainzer Erzkanzlers 1740-1742
von Susanne Schlösser
0.1.Einleitung
Da die Goldene Bulle die Verfassung die Reiches als Wahlmonarchie manifestierte, musste sie folgerichtig für die Zeit zwischen dem Tod eines Kaisers und der Neuwahl Regelungen treffen, um das Reich während eines Interregnums nicht ohne Führung zu lassen. Neben den beiden Kurfürsten von der Pfalz und von Sachsen, denen als Reichsvikaren vor allem Aufgaben im Bereich der Rechtssprechung zufielen, kam dem Mainzer Erzkanzler und Kurfürsten dabei die bedeutendste Rolle zu: er hatte für einen rechtmäßigen und möglichst raschen Verlauf der Neuwahl Sorge zu tragen.
Winfried Trusen hat bereits 1967 die rechtlichen Grundlagen der Rolle des Mainzer Kurfürsten und Erzkanzlers bei der Kaiserwahl ausführlich untersucht und ist dabei zu folgendem Schluss gekommen: "Die politische Bedeutung dieser Stellung darf nicht unterschätzt werden. Sie wird erst ausreichend bekannt werden, wenn einmal die umfangreichen Wahlakten, die sich im Erzkanzlerarchiv zu Wien befinden, erforscht sind."[Anm. 1] Durch die inzwischen erfolgte bessere inhaltliche Erschließung der Wahl- und Krönungsakten[Anm. 2] des Mainzer Erzkanzlerarchivs und ihre gezielte Auswertung durch einige Disserationen[Anm. 3] kann mittlerweile mehr über die interessante Wechselbeziehung von rechtlicher Position und politischer Bedeutung des Erzkanzlers in den Interregna sowie bei den Wahlen und Krönungen der Frühneuzeit ausgesagt werden. Es versteht sich fast von selbst, dass es den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde, alle dabei zutage gekommenen Aspekte abhandeln zu wollen. Ich beschränke mich deshalb darauf, am Beispiel des Interregnums von 1740-42 – das sich wegen seiner langen Dauer und der in dieser Zeit zahlreich aufgebrochenen Konflikte dafür sehr gut eignet – einige Kernpunkte der erzkanzlerischen Politik darzustellen.
0.2.Aufgaben und Pflichten des Mainzer Erzkanzlers in einem Interregnum bzw. bei der römischen Königswahl
Zum besseren Verständnis vorweg noch einmal eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Aufgaben und Pflichten des Mainzer Kurfürsten und Erzkanzlers nach Tod, Rücktritt oder Absetzung eines Kaiser bzw. bei einer römischen Königswahl zu Lebzeiten des Kaisers.
Laut der Goldenen Bulle[Anm. 4] oblag es dem Mainzer Kurfürsten nach dem Tod eines Kaisers, seinen Mitkurfürsten innerhalb eines Monats davon Mitteilung zu machen und sie offiziell zur Neuwahl nach Frankfurt zu laden. Dies hatte in einer genau festgelegten Form zu geschehen. Ein Formular für das Ladungsschreiben war der Goldenen Bulle bereits beigegeben und wurde im wesentlichen auch beibehalten, lediglich später nicht mehr in Latein, sondern in Deutsch abgefasst. Dieses sogenannte Denuntiations- oder auch Citationsschreiben musste von einem dafür eigens auserkorenen Mainzer Gesandten persönlich dem jeweiligen Kurfürsten übergeben werden oder – falls das nicht möglich war – an seine beauftragten Minister und Räte. In jedem Fall hielt ein Notariatsinstrument die genauen Umstände der Übergabe fest. Der Wahltag sollte drei Monate, nachdem der am weitesten von Mainz entfernte Kurfürst die Ladung voraussichtlich erhalten hatte, in Frankfurt beginnen. Die Entsendung von bevollmächtigten Vertretern war möglich, damit die persönliche Verhinderung eines Kurfürsten nicht zu einer Wahlverzögerung führen konnte. Die Kurfürsten waren verpflichtet, dieser Ladung zu folgen, ansonsten begaben sie sich ihres Kurrechts. Insoweit hatte die Goldene Bulle das Verfahren eindeutig und klar geregelt und damit auch auszuschließen versucht, dass bei jeder Wahl wieder neu über Form und Zermoniell der Ladung verhandelt werden musste. Allerdings hatten diese Regelungen nur den Normalfall im Blick. Es wurde nichts darüber ausgesagt, was bei Resignation oder Absetzung eines Kaisers zu geschehen habe und auch der Fall der Wahl eines römischen Königs bei Lebzeiten des Kaisers wurde nicht angesprochen. Der Mainzer Kurfürst konnte jedoch in der Folgezeit sein Ladungsrecht in all diesen Fällen de facto durchsetzten, wobei bei einer Absetzung sowie bei einer Römischen Königswahl, die zumeist vom regierenden Kaiser gewünscht wurde, in der Regel ausführliche Beratungen mit den anderen Kurfürsten vorausgingen.
War die Ladung zur Wahl rechtmäßig ausgesprochen, musste der Mainzer Erzkanzler zusammen mit dem Frankfurter Magistrat die Wahl organisatorisch vorbereiten: Im Römer waren Räume für die Kapitulationsverhandlungen herzurichten, die Quartiere für die Wahlgesandtschaften und ihr Gefolge waren festzulegen, Geleitsfragen zu regeln, die ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln sicherzustellen. Alle Fremden, die mit der Wahl nichts zu tun hatten, mussten aus der Stadt verwiesen werden. Und schließlich waren Termine und Reihenfolge der feierlichen Einzüge der Kurfürsten oder ihrer Gesandtschaften in die Stadt abzusprechen. Die Kapitulationsverhandlungen wurden – wie alle Sitzungen des Kurkollegs – von Mainz geleitet, ebenso wie der eigentliche Wahlakt, der in der Bartholomäuskirche stattfand. Nach erfolgter Wahl hatte der Mainzer den Gewählten davon in Kenntnis zu setzen und die Krönung zu organisieren. Seit es üblich geworden war, am Wahlort und nicht mehr in Aachen zu krönen, gehörte es auch zu den Mainzer Aufgaben, dafür zu sorgen, dass die Reichsinsignien aus Nürnberg und Aachen wohlbehalten nach Frankfurt kamen. Außerdem waren zur Krönung weitere Personen zu laden und Zermoniellfragen zu klären.[Anm. 5] Und schließlich setzte der Mainzer Erzbischof, Kurfürst und Erzkanzler seit der Krönung Maximilians II. 1562 dem neuen Kaiser auch die Krone auf das Haupt.
Weitere Aufgaben des Erzkanzlers in einem Interregnum hingen mit der Reichshofkanzlei, deren Leiter der Mainzer bekanntlich war, und dem Reichshofrat zusammen. Diese beiden am Kaiserhof angesiedelten Institutionen mussten dem Herkommen gemäß nach dem Tod eines Kaisers ihre Tätigkeit einstellen, da sie von seiner Existenz abhängig waren. Dem Reichsvizekanzler, der weisungsgebunden als Stellvertreter des Erzkanzlers am jeweiligen Kaiserhof tätig war, oblag es, sich in einem solchen Fall darum zu kümmern, dass die Reichshofräte alle Akten, die ihnen für ihre Urteilsfindung ausgehändigt worden waren, an die Kanzlei zurückerstatteten, und dass die „Reichs-Hofrats-Stuben“ geschlossen und versiegelt wurden. Außerdem hatte er die kaiserlichen Siegel an sich zu nehmen, die nun nicht mehr verwendet werden durften. Dies alles geschah jeweils in enger Absprache mit dem Erzkanzler.
Auch die Kanzlei des Reichskammergerichtes unterstand dem Mainzer und auch hier hatte er nach dem Tod des Kaisers dafür Sorge zu trage, dass keine Urteile mehr mit dem kaiserlichen Siegel ausgestellt wurden. Während eines Interregnums waren die Reichsvikare für das Kammergericht zuständig und ihre Siegel wurden dem Gericht über Mainz zugestellt.
Nachdem der Reichstag ab 1663 immerwährend tagte, war die Frage offen, ob diese Institution während eines Interregnums ihre Sitzungen unterbrechen musste oder weiter beraten konnte, und wenn ja, wer dazu berechtigt war, in dieser Zeit die Reichstagsgeschäfte zu leiten – der Erzkanzler, der normalerweise das Reichstagsdirektorium inne hatte, oder die Reichsvikare,[Anm. 6] die laut Goldener Bulle im Interregnum den Kaiser als oberste Regierungsspitze ersetzen sollten. Allerdings war unklar, wie weit dieses Vertretungsrecht tatsächlich reichte, da die Goldene Bulle auch bezüglich der Reichsvikare nur bestimmte Kompetenzen geregelt hatte. Eine reichsrechtlich verbindliche Einigung darüber, ob die dort aufgezählten Rechte abschließend oder beispielhaft gemeint waren, gab es nicht. Die Reichsvikare vertraten natürlich den Standpunkt, dass ihnen grundsätzlich die Ausübung aller kaiserlichen Rechte zustünde, soweit sie ihnen in der Goldenen Bulle nicht ausdrücklich verboten worden waren. Dieser Anspruch kollidierte immer wieder mit dem Selbstverständnis des Mainzer Kurfürsten und Erzkanzlers, der sein Amt und die daraus resultierenden Funktionen als unabhängig von der Existenz eines Kaisers verstand und sich deshalb weigerte, sich den Vikaren unterzuordnen. Auf diese Auseinandersetzung wird im folgenden noch näher einzugehen sein, weil sie nicht nur im Vorfeld der Wahl von 1742 von großer Bedeutung war, sondern sich wie ein roter Faden durch die Interregnumsgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts zieht.
Mit dem unerwarteten Ableben Kaiser Karls VI. am 20. Oktober 1740 brachen im Reich nämlich mehrere Konflikte auf, die teilweise sehr stark in die verfassungsmäßigen Aufgabenbereiche des Erzkanzlers hineinspielten. Drei dieser Problemkreise – der sogenannte Vikariatsvergleich, die Auseinandersetzungen mit dem sächsischen Vikar über die Rolle der Reichshofkanzlei im Interregnum sowie die eng mit der umstrittenen Nachfolge Maria Theresias in den österreichischen Erblanden, in Böhmen und Ungarn verbundenen Meinungsverschiedenheiten über die böhmische Kurstimme – sollen nun etwas näher beleuchtet werden. Denn diese grundsätzlichen Streitigkeiten hatten einen großen Einfluss sowohl auf die Ladung zur Wahl wie auf die nachfolgenden Wahlverhandlungen in Frankfurt. Darüber hinaus markierten sie aber auch sehr deutlich die Möglichkeiten und Grenzen des Mainzer Erzkanzlers während dieser Thronvakanz.
0.3.Der Vikariatsvergleich
Seit 1623 die pfälzische Kur an Bayern übertragen worden war und 1648 im Westfälischen Frieden die Pfalz durch die Errichtung einer achten Kur für diesen Verlust Entschädigung erhalten hatte, war die Frage ungeklärt, wer zur Ausübung des rheinischen Vikariats berechtigt sei: der Kurfürst von Bayern, der in der Hierarchie des Kurfürstenkollegs den alten Platz des Pfälzers eingenommen hatte, oder der mit der achten Kur abgefundenen Kurfürst von der Pfalz, der allerdings auf seine in der Goldenen Bulle verbrieften Rechte verweisen konnte.
So hatte nach dem Tod Kaiser Ferdinands III. 1657 – dem ersten Interregnum nach dem Westfälischen Frieden – der Streit zwischen Bayern und der Pfalz um das Vikariat geradezu dramatische Formen angenommen, die vor allem in massiven Behinderungen des Reichskammergerichts in Speyer ihren Ausdruck fanden und dort zu regelrechten Ausschreitungen führten. Auch wäre es deshalb fast zu einem Waffengang zwischen Bayern und der Pfalz gekommen. Der Mainzer Erzbischof Johann Philipp von Schönborn und mit ihm die meisten Reichsstände erkannten damals den bayerischen Kurfürsten Ferdinand Maria als rheinischen Vikar an und nicht Karl Ludwig von der Pfalz, der sich mit allen Mitteln – diplomatischen und handgreiflichen – gegen diese Entscheidung zu wehren versuchte. Zugleich bemühte sich der Mainzer Erzkanzler – dessen Selbstverständnis als Bewahrer der Reichsverfassung hierin deutlich zum Ausdruck kommt – damals ganz intensiv um eine Regelung dieses Problems. Vorschläge für einen Vikariatsvergleich gingen von Mainz nach München und Heidelberg, ließen sich aber nicht realisieren.[Anm. 7]
Im Interregnum von 1711 kam dieses Problem nicht zum Tragen, weil Kurfürst Maximilian Emanuel von Bayern, der im spanischen Erbfolgekrieg an der Seite Frankreichs kämpfte, seit 1704 aus seinen Landen vertrieben war. 1706 war außerdem die Reichsacht über ihn verhängt, er seiner Lande und der Kur für verlustig erklärt und beides dem pfälzischen Kurfürsten Johann Wilhelm übertragen worden, der damit auch ohne Probleme als Reichsvikar agieren konnte.[Anm. 8]
Nachdem Maximilian Emanuel durch den Frieden von Rastatt 1714 Bayern wieder zurückerhalten hatte, kam es 1724 im Rahmen der Wittelsbachischen Hausunion endlich zu einem Vergleich in der Vikariatsfrage, der vorsah, dass Bayern und die Pfalz künftig gemeinsam das rheinische Vikariat ausüben wollten. Eine solche Regelung hätte der Bestätigung durch Kaiser und Reich bedurft, die jedoch bis zum Tode Karls VI. ausgeblieben war, obgleich Karl Philipp von der Pfalz sich am Kaiserhof um eine solche bemüht hatte. Andererseits war von den beiden Kurfürsten versäumt worden, die anderen Reichsstände von diesem Vergleich in Kenntnis zu setzen, so dass diese nun von der Ankündigung des gemeinsamen Vikariats überrascht wurden.
Der Mainzer Erzbischof und Kurfürst Philipp Karl von Eltz war 1740 von Anfang an gegen "eine solche willkürliche Veränderung gegen die guldene Bull" eingestellt. Zwar gab er Überlegungen Raum, ob eine Anerkennung dieses Vergleiches durch das Kurkolleg allein möglich sei, und beauftragte deshalb Johann Friedrich Kaspar von Otten, seinen Gesandten am Reichstag zu Regensburg, herauszufinden, was die anderen Reichsstände zu einem solchen Vorschlag meinten. Zugleich wies er diesen aber an, unter der Hand die Bedenken des Mainzer Hofes dagegen deutlich zu machen, damit "es dahin geleitet werden möge, auf dass sothanes Vicariat dermahlen nicht zum Stand komme".[Anm. 9] Die Entscheidung darüber solle man dem zukünftigen Kaiser und dem Reichstag überlassen. Zwei Motive möge den Erzkanzler zu diesem Vorgehen bewogen haben. Zum einen empfand er sich als Garant der Verfassung des Reiches, der nicht dulden durfte, dass die ihr zugrundeliegenden Bestimmungen unbefugt verändern wurden. Zum anderen erkannte er aber auch die einmalige Gelegenheit, seine Rechte während eines Interregnums ungehindert durch die einschränkende Tätigkeit der Vikare ausüben zu können. Kam das Reichsvikariat nicht oder nur unvollständig zustande, musste die Bedeutung des Erzkanzlers als der zweiten tragenden Kraft bei der Verwesung des Reiches umso größer werden. Im besonderen betraf dies die Erzkanzlerrechte bezüglich des Reichstages und des Reichskammergerichtes. Dort konnten die Reichsvikare nur gemeinsam auftreten, so dass ein sächsischer Vikar allein praktisch machtlos war, wenn seinem rheinischen Kollegen die Anerkennung verweigert wurde. Und Philipp Karl vom Eltz war nicht geneigt, diese Chance ungenutzt vorübergehen zu lassen.
Der Erzkanzler hielt daher konsequent an der Ablehnung des Vikariatsvergleichs fest. Von den vielen vorgeschlagenen Lösungsversuchen, auf die näher einzugehen hier nicht der Ort ist,[Anm. 10] neigte er lediglich demjenigen zu, der eine sofortige Entscheidung durch den Reichstag vorschlug. Denn dies wäre eine gute Möglichkeit gewesen, die Vikare dazu zu bringen, der vom Erzkanzler angestrebten Fortsetzung des Reichstages unter seiner Leitung allein zuzustimmen. Doch gelang es ihm nicht, die Reichsstände auf ein einheitliches Vorgehen festzulegen. Zwar erkannte kaum jemand das Doppelvikariat offiziell an, doch wurde seine Tätigkeit durch die Veröffentlichung der im November erlassenen Patente faktisch sanktioniert. Auch das gemeinsame Vikariatsgericht in Augsburg, dessen Eröffnung am 1. Februar 1741 erfolgte, wurde angerufen und ging seinen Geschäften nach. Für den Erzkanzler war dies ein besonderer Stein des Anstoßes. Nicht nur die Tatsache, dass die beiden umstrittenen Vikare überhaupt soweit gegangen waren, sondern auch der gewählte "dritte" Ort stieß auf seine Ablehnung. Denn die Vikariatsgerichte sollten den Reichshofrat ersetzen und gehörten, der Goldenen Bulle gemäß, an den Hof des jeweiligen Vikars. So hatte der sächsische Reichsverweser im November 1740 sein Gericht vorschriftsmäßig in Dresden eröffnet. Trotz permanenter Vorstöße gelang es dem Mainzer Gesandten in Regensburg erst im September 1741 ein Pro Memoria des Reichstags gegen das rheinische Vikariatsgericht zustande zu bringen, zu einem Zeitpunkt als die Vikariatsfrage schon längst in den Hintergrund gerückt war, angesichts der Vorgänge im Vorfeld der Kaiserwahl.
0.4.Die Auseinandersetzungen um die Reichshofkanzlei
Doch auch mit sächsischen Vikar kam es zu Auseinandersetzungen, die vor allem die Reichshofkanzlei betrafen. Während die übliche Sperrung des Reichshofrats 1740 ohne größere Schwierigkeiten durchgeführt werden konnte, verfassten die beiden Reichsreferendare Ernst Franz von Glandorf und Christian Teuber eine „Unterthänigst pflichtmäßige Erinnerung, warumb die Reichs-Canzley-registraturn nicht gesperrt, noch von denen beyden geheimen Referendarys die Siegel abgefordert werden mögen“ [Anm. 11]. Darin wurde ausgeführt, dass man 1711 nur den Reichshofrat geschlossen habe, nicht aber die Kanzlei. Dies habe auch seine Richtigkeit, da die Kanzlei in erster Linie dem Erzkanzler unterstehe und deshalb vom Tod eines Kaisers nicht so betroffen sei wie der Reichshofrat. Auch ohne die Ausfertigung von Expeditionen habe man genug zu tun, da zu Lebzeiten des Kaisers wegen Arbeitsüberlastung vieles zurückgestellt werden musste, z.B. die Ordnung des Archivs, was man nun in aller Ruhe erledigen könne.
Obwohl Philipp Karl prinzipiell das Interregnum von 1711 als Vorbild für die zu ergreifenden Maßnahmen gelten ließ, befahl er doch dem Reichsvizekanzler Johann Adolf von Metsch, die Siegel an sich zu nehmen. Andererseits gestand er der Kanzlei aber doch eine gewisse Aktivität zu. Der verstorbene Kaiser hatte nämlich von ihm bereits bestätigte und somit rechtskräftige Urteile des Reichshofrats hinterlassen, die jedoch noch der kaiserlichen Unterschrift entbehrten. Diese wurde gewöhnlich erst dann geleistet, wenn die Kanzlei die Schriftstücke geschrieben und kollationiert hatte und sie tatsächlich an die betroffenen Parteien zugestellt werden konnten. Was sollte damit nun geschehen? Schon am Todestag Karls VI. richtete das Taxamt eine diesbezügliche Anfrage an den Erzkanzler und die Kanzlei zögerte auch nicht, einen Ausweg vorzuschlagen: Es sei bekanntlich an den europäischen Höfen üblich, "dass diejenigen expeditiones, so von dem verstorbenen Herrn schon resolvieret worden, sub dato decreti mittels eines Stempels oder in Kupfer gestochenen nahmens ausgefertiget werden."[Anm. 12] In Anbetracht der schlechten Finanzlage der Kanzlei sei dies auch für sie eine geeignete Maßnahme. Philipp Karl verschloss sich diesem Vorschlag nicht, sondern befahl der Kanzlei ausdrücklich, zu den sogenannten "Stampillen-Expeditionen" ihre Zuflucht zu nehmen. Mit Rücksicht auf den Wiener Hof ließ der Erzkanzler durch seinen dortigen Ministerresidenten Anton Franz von Gudenus in einer Audienz bei Maria Theresia um Erlaubnis nachsuchen, dass die Reichshofkanzlei zur Ausfertigung der bewussten Expeditionen denselben Stempel benutzen dürfe, welcher der Österreichischen Hofkanzlei zum gleichen Zweck zugestanden worden war. Außerdem wurde der Königin die Bereitschaft signalisiert, bei der Stempelung einen österreichischen Kommissar zuzulassen, welcher den rechtmäßigen Gebrauch der Stampille überwachen könne.
Die Durchführung dieser Maßnahme verzögerte sich durch allerlei organisatorische Schwierigkeiten, durch Einmischungsversuche der Österreichischen Hofkanzlei,[Anm. 13] die von der Reichshofkanzlei abzuwehren waren, und schließlich durch den Tod von Reichsvizekanzler von Metsch am 28. November 1740. Denn der designierte Nachfolger, Rudolf von Colloredo, seit 1737 Substitut des greisen Reichsvizekanzlers, befand sich als Gesandter Maria Theresias im Reich und kehrte erst Mitte Januar 1741 zurück. Für die Stampillierung war aber seine Gegenzeichnung vonnöten. Am 10. Februar 1741[Anm. 14] konnten die Akten dann aber in Anwesenheit des österreichischen Oberhofmeisters ordnungsgemäß gestempelt und ausgefertigt werden.
Als dieses Verfahren im Reich bekannt wurde, meldete sich sofort der sächsische Vikar mit Protest zu Wort. Er fühlte sich in seinen Rechten bedroht und warf dem Erzkanzler und der Reichshofkanzlei Kompetenzüberschreitung vor. Die Reichshofkanzlei sei nach dem Tode des Kaisers zu schließen und somit widerspreche die Stampillierung der Reichsverfassung. Außerdem war man in Dresden der Meinung, der Erzkanzler habe auch seinen eigenen Interessen schlecht gedient, indem er den Wiener Hof in so großem Außmaß mithinzugezogen habe. Nun verlangte der Vikar vom Erzkanzler zumindest eine offizielle Mitteilung des Vorgangs und eine genaue Auflistung der stampillierten Akten. Außerdem verband Sachsen damit eine andere zwischen ihm und dem Erzkanzler umstrittene Frage. Nämlich die, ob der Erzkanzler und Reichshofkanzlei berechtigt oder gar verpflichtet sei, den Vikariatsgerichten für ihre Arbeit beglaubigte Abschriften von Reichshofratsakten auszuliefern.
Philipp Karls erste Reaktion auf dieses Ansinnen war ablehnend: Das Herkommen verlange vom Erzkanzler, die Akten von den am Reichshofrat anhängigen Sachen wohl zu verwahren bis der neue Kaiser gewählt sei.[Anm. 15] In dieser Haltung unterstützte ihn auch Colloredo. In einem Gutachten[Anm. 16] bezog der neue Reichsvizekanzler sowohl zur sächsischen Forderung nach einer Auflistung der Stampillenexpeditionen als auch zur verlangten Auslieferung von Akten Stellung: In beiden Punkte sah er Erzkanzlerrechte bedroht, sollte man den sächsischen Wünschen nachgeben. Seiner Meinung nach waren Erzkanzler und Kanzlei berechtigt, die Stampillierung durchzuführen. Das sächsische Ansinnen, diese anhand einer genauen Auflistung der ausgefertigten Urteile zu überprüfen, beurteilte er als Anmaßung des Reichsvikars, die kaiserlichen Beschlüsse zumindest kontrollieren, wenn nicht gar revidieren zu wollen. Außerdem wies Colloredo auch empört die Unterstellung zurück, man habe mehr als die bereits entschiedenen Urteile gestempelt: "Allein waß ist eben dieses anderst als der höchsten authoritaet Euer churfürstlichen gnaden zu nahe zu tretten, dero geheiligte treu und glauben in zweifel zu ziehen ...". Bezüglich der Herausgabe von Akten an die Vikariatsgerichte stellte Colloredo fest, es gäbe keine Bestimmung, welche die Reichshofkanzlei dazu verpflichte. Man könne zwar ein freiwilliges Entgegenkommen in Erwägung ziehen, doch müsse dann erst einmal geklärt werden, wer die teuren Abschreibgebühren zu zahlen hätte. Da aber in den früheren Interregna bereits so viele Prozesse zu Ende geführt worden seien, ohne dass die "Priora" zu Rate gezogen worden wären, sei seiner Meinung nach "auch bey diesem Interregno das nembliche möglich, und Sachsen damit werde zufrieden sein müssen." Aber genau dazu war Sachsen nicht bereit. Zunächst musste der Erzkanzler in der Stampillen-Sache nachgeben. Mehrmalige nachdrückliche Anfragen des sächsischen Wahlgesandten in Frankfurt am Rande des Wahltags bei der Mainzer Gesandtschaft bewirkten, dass diese beiden kurmainzischen Repräsentanten zuletzt selbst ihrem Kurfürsten vor Augen führten, dass die Übergabe der gewünschten Spezifikation wohl nicht zu umgehen sei. Es sei verständlich, "dass die Reichs-Vicariaten bey solcherley post mortem Caesaris beschehenen expeditiones von ambts wegen interessiert"[Anm. 17] seien. Deshalb solle man ihnen eine Mitteilung über die gestempelten Urkunden nicht versagen, die dann schließlich im Mai 1741 auch erfolgte.
In dem eben zitierten Schreiben der beiden Mainzer Wahlgesandten versuchten sie auch, Philipp Karl zur Auslieferung von Akten an die Vikariatsgerichte zu bewegen. Denn schließlich habe die Goldene Bulle den beiden Vikaren die "potestas Judicaria" ausdrücklich zuerkannt, damit auch im Interregnum die Rechtssprechung unbehindert aufrecht erhalten bliebe. Folglich stehe es dem Erzkanzler nicht zu, diese Aufgabe zu behindern. Philipp Karl entschloss sich, dem Vorschlag seiner beiden Wahlgesandten zu entsprechen. Unter der Bedingung, dass Sachsen die Rückgabe der ausgehändigten und die Überlieferung der Vikariatsgerichtsakten an das Reichsarchiv zusichern würde, war er nun offiziell bereit, dem sächsischen Vikar beglaubigte Kopien zur Verfügung zu stellen. Aber bereits das Reskript an Colloredo,[Anm. 18] in dem er diesem den entsprechenden Befehl gab, ließ eine Rückzugsmöglichkeit offen: Man solle wegen der Auslieferung von Akten sich nicht bei der Verpackung des Reichsarchivs behindern lassen – wegen der Gefahr der Einnahme Wiens sollte dieses nach Regensburg geschafft werden – denn die Sicherheit des Reichsarchivs sei wesentlich wichtiger als jene Verabfolgung. Mit dieser Rückendeckung fiel es der Kanzlei nicht schwer, die ungeliebte Herausgabe von Akten so lange zu verzögern bis die Wahl Karl Albrechts von Bayern zum Kaiser dieselbe überflüssig machte. Dennoch sollte die formelle Zusage der Auslieferung an Sachsen für den Erzkanzler nicht ohne Folgen bleiben, wie später bei der Betrachtung der neuen Wahlkapitulation noch zu sehen sein wird.
0.5.Die böhmische Kurstimme
Da Karl IV. naturgemäß an der böhmischen Kur besonders interessiert war, gestand die Goldene Bulle dieser einige Sonderrechte zu, die vor allem den Träger dieser Würde angingen.[Anm. 19] Im Gegensatz zu den anderen Kurfürstentümern, die bei Aussterben der männlichen Nachkommen an den Kaiser zurückfielen und neu vergeben werden mussten, war in Böhmen die weibliche Erbfolge möglich, wobei die Ehegatten der Erbtöchter gewöhnlich zu böhmischen Königen gekrönt wurden. Auf diese Weise war bis 1740 die Führung der Kurstimme durch einen Mann stets gewährleistet gewesen. Denn es war nicht geklärt, ob dies auch durch eine Frau geschehen könnte. In der Goldenen Bulle gab es dazu keine ausdrückliche Bestimmung. Allerdings wurde die Tatsache, dass es eine weibliche Erbfolge mit Ausnahme Böhmens in den Kurfürstentümern nicht gab, in der Regel dahingehend interpretiert, das Frauen die Kurrechte nicht ausüben durften.
Die Pragmatische Sanktion hatte Maria Theresia zur Selbstregierung berechtigt und verpflichtet. Aus diesem Grund war es nicht möglich, ihren Gemahl Franz Stephan zum König von Böhmen krönen zu lassen. Andererseits war sie selbst als Frau – wie eben dargelegt – kaum in der Lage, die Kurwürde auszuüben. Sie versuchte, dieses Problem dadurch zu lösen, dass sie Franz Stephan zum Mitregenten und zum Administrator der böhmischen Kur erhob, wobei man am Wiener Hof diesen Schritt als logische Fortsetzung der oben beschriebenen Tradition zu rechtfertigen suchte. In Mainz war man unsicher, wie es mit "der Cron Böhmen zu halten seyn möge",[Anm. 20] aber vollkommen bereit, auf die Wünsche des Wiener Hofes einzugehen. Am 3. November 1740[Anm. 21] teilte Maria Theresia dem Erzkanzler die geplante Übertragung der Mitregentschaft an ihren Gatten mit und bat, diesen genauso wie alle anderen Kurfürsten zu behandeln, was Philipp Karl mit seinem Einladungsschreiben an Franz Stephan dann auch tat. Erwartungsgemäß stieß diese Handlungsweise des Erzkanzlers bei den anderen Kurfürsten auf heftigsten Widerstand. Der Kurfürst von Trier war, neben dem Mainzer, der einzige, der bei aller Kritik, die er inoffiziell am eigenmächtigen Vorgehen Philipp Karls[Anm. 22] übte, Maria Theresia das Recht zubilligte, über die böhmische Wahlstimme frei und uneingeschränkt verfügen zu können. Dagegen tadelten die hannoverischen Minister und Georg II.,[Anm. 23] bei aller Freundschaft zum Erzhaus und Erzkanzler, das einseitige Vorgehen dieser beiden Höfe. Man glaubte, dass die Einladung an Franz Stephan, die ohne vorherige Absprache mit den Kurfürsten erfolgt war, der österreichischen Sache eher geschadet als genutzt habe. Denn unzweifelhaft seien bezüglich Kurböhmens noch nicht alle Fragen geklärt.
War also sogar Hannover, das mit Trier und Mainz zu den damals sogenannten Vertrauteren gehörte, worunter die Gruppe der dem Erzhaus freundlich gesinnten Kurfürsten zu verstehen war, gegen die Einladung Franz Stephans eingestellt, durfte man von der Gegengruppe schon gar keine Zustimmung erwarten. Denn das Ziel der sogenannten Unierten, zu denen Bayern, die Pfalz und Köln zählten, war es, die Kandidatur Karl Albrechts von Bayern um das Kaisertum gegen die Franz Stephans durchzusetzen. Die beiden übrigen Kurhöfe, Berlin und Dresden, die zu diesem Zeitpunkt noch keiner der beiden Gruppen eindeutig zuzuordnen waren, hatten ihre eigenen Gründe, die Erhebung Franz Stephans zum Administrator der böhmischen Kur und seine Einladung zur Wahl abzulehnen. Friedrich II., seit Anfang Dezember 1740 im Krieg mit Maria Theresia um Schlesien begriffen, hatte keinerlei Veranlassung, dem Erzhaus zu irgendwelchen Rechten zu verhelfen. Und Friedrich August von Sachsen, Gemahl der ältesten Kusine Maria Thersias, vertrat die Auffassung, dass die böhmische Kurstimme bei dieser Wahl nur von seinem ältesten Sohn, dem nächsten männlichen Verwandten der Königin, rechtmäßig geführt werden könne.
Eigentlich hätte man am Hofe des Erzkanzlers kaum erstaunt sein dürfen, dass die Einladung an Franz Stephan auf solch heftigen Widerstand stieß. Denn an fast allen Kurhöfen waren die Mainzer Denuntiationsgesandten bereits auf deutliche Ermahnungen und Warnungen gestoßen, die auf die Haltung Philipp Karls bezüglich Kurböhmens zielten. Doch scheint es, als sei man in Mainz auf solch vehemente Proteste nicht gefasst gewesen.[Anm. 24] Man musste nun allerdings mit ihnen leben, denn bis zur Neuwahl stand die Mainzer Politik auch in Bezug auf Böhmen fast ständig im Kreuzfeuer der unterschiedlichen Interessen.
0.6.Die Denuntiationsgesandtschaften
Von den Denuntiationsgesandtschaften[Anm. 25] des Jahres 1740 sollen hier nur die vorgestellt werden, bei denen sehr deutlich wird, wie stark diese verfassungsmäßige Aufgabe des Erzkanzler durch politische Konflikte beeinflusst und beeinträchtigt werden konnte.
Zum ersten galt dies für die Mission des Mainzer Hofratspräsidenten und Domkapitulars Josef Franz von Kesselstatt an den kurpfälzischen Hof nach Mannheim. Wie nicht anders zu erwarten, hatte Philipp Karl dem Kurfürsten von der Pfalz sowohl im Kreditiv für Kesselstatt als auch im Denuntiationsschreiben den Titel des rheinischen Vikars verweigert. Zunächst gab man am pfälzischen Hof vor, man vermute, dies sei deshalb geschehen, weil dass bayerisch-pfälzische Notifikationsschreiben über den Vikariatsvergleich nicht mehr rechtzeitig in Mainz angelangt sei. Man bat deshalb den Mainzer Gesandten durch einen Kurier die nötige Weisung für die Einfügung des Titels einholen zu lassen. Kesselstatt, der natürlich genau wusste, dass der Erzkanzler sich dazu nicht verstehen würde, legte nun in einem Pro Memoria[Anm. 26] den Mainzer Standpunkt dar und sandte lediglich einen Bericht[Anm. 27] über das Vorgefallene an Philipp Karl. Ebenfalls in einem Pro Memoria[Anm. 28] bekräftigte die pfälzische Seite nochmals ihren Anspruch auf das rheinische Konvikariat. Gleichzeitig wurde Kesselstatt mitgeteilt, dass er ohne die Anerkennung dieses Anspruches durch den Erzkanzler auf eine offizielle Denuntiationsaudienz bei Kurfürst Karl Philipp von der Pfalz nicht zu hoffen brauche. Als der Mainzer Gesandte versuchte, den pfälzischen Hof mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit seiner baldigen Weiterreise nach München umzustimmen, erhielt er zur Antwort, er könne ja zuerst seine Geschäfte in Bayern erledigen und auf dem Rückweg nochmals in Mannheim Station machen. Bis dahin sei man hoffentlich mit dem Erzkanzler zu einer Einigung gelangt. Doch hatte Philipp Karl von Eltz bereits ganz anders entschieden: Er wies Kesselstatt an,[Anm. 29] das Denuntiationsschreiben notfalls bei einem pfälzischen Minister "ad aedes" abzugeben und diesen Vorgang genau im Notariatsinstrument aufzeichnen zu lassen. Nachdem auch eine Privataudienz, die der pfälzische Kurfürst dem Mainzer Gesandten dennoch gewährte, ohne Ergebnis geblieben war – beide Seiten äußerten lediglich ihr Bedauern darüber, dass eine Einigung so schwierig sei – führte Kesselstadt den kurfürstlichen Befehl aus. Er gab das Denuntiationsschreiben im Hause des pfälzischen Hofkanzlers von Hallberg ab und verließ Mannheim noch am selben Tag in Richtung München. In Cannstatt wurde die Mainzer Gesandtschaft von einem pfälzischen Kurier eingeholt, der ihr das bei Hallberg abgelieferte Schreiben ohne weitere Begründung zurückerstatten sollte. Kesselstatt jedoch verweigerte die Annahme.[Anm. 30] Darauf ritt der Kurier weiter nach München und übergab es dort dem bayerischen Minister von Törring, der später ebenfalls vergeblich versuchte, den Mainzer Gesandten doch noch zu einer Rücknahme zu überreden.[Anm. 31] Die pfälzische Seite wollte also diese Art der Denuntiation nicht anerkennen und damit erreichen, dass der Erzkanzler um seiner Ladungspflicht willen genötigt sein würde, den Vikariatsvergleich anzuerkennen. Philipp Karl von Eltz dagegen war der Meinung, dass dadurch, dass Hallberg das Schreiben – wenn auch nur sehr kurz – wirklich in Händen gehabt habe, die erzkanzlerische Aufgabe erfüllt sei. Als man in Mannheim merkte, dass jeder weitere Protest fruchtlos bleiben würde, sandte man schließlich auch ohne die Anerkennung des Konvikariats durch Mainz eine Gesandtschaft nach Frankfurt und nahm damit die Ladung faktisch an.
Die Schwierigkeiten, mit denen Kesselstatt in München konfrontiert wurde, stellten sich dagegen wider Erwarten als weniger bedeutend heraus.[Anm. 32] Philipp Karl hatte sich bereit gefunden, dem bayerischen Kurfürsten zumindest den Titel eines rheinischen Vikars zuzugestehen. Von daher waren also keine Probleme zu befürchten. Aber da Maria Theresia im Denuntiationsschreiben selbstverständlich als Königin von Ungarn und Böhmen tituliert wurde, war nicht auszuschließen, dass auch Bayern sich nicht zu einem offiziellen Denuntiationsakt verstehen könnte. Der Erzkanzler hatte deshalb seinen Gesandten angewiesen, notfalls genauso zu verfahren wie in Mannheim. Denn er sei auf keinen Fall bereit, Maria Theresia die ihr zustehenden Titel zu verweigern.[Anm. 33] Doch Kesselstatt wurde in München zuvorkommend empfangen. Lediglich bei der offiziellen Audienz trat ein kleiner Missklang zu Tage als Karl Albrecht von Bayern Maria Theresia demonstrativ als Großherzogin titulierte – und ihr damit auch die Anerkennung als Erzherzogin von Österreich verweigerte und sie nur als Gattin Franz Stephans, des Großherzogs von Toskana, ansprach. Zugleich ließ er verlauten, dass er nicht hoffen wolle, dass der Erzkanzler Kurböhmen ohne Rücksprache mit dem Kurkolleg zu Wahl einladen werde. Kesselstatt schützte in diesem Punkt Unwissenheit vor. Ansonsten versuchte man am bayerischen Hof, Kesselstatt von der Notwendigkeit einer Wahl Karl Albrechts zu überzeugen. Und in dieser Kandidatur und in der Hoffnung auf Mainzer Unterstützung mag wohl auch der tieferen Grund liegen, weshalb die Denuntiation so leicht von statten ging. Man wollte Mainz wohl nicht ohne Not vor den Kopf stoßen und hatte natürlich auch ein vitales Interesse daran, dass der Wahltag zustande kam. Doch schien man sich am Münchner Hof durchaus bewusst zu sein, dass eine Wahl Karl Albrechts so leicht nicht zu erreichen sein würde. Denn Minister von Unertl äußerte gegenüber dem Mainzer Gesandten: "allein es wäre nach aller Vernunft schließiger beutheilung an die Erwählung eines Römischen Königs und künfftigen Kaysern ohne vorgängiges Langwühriges Interregno fast nicht zu gedenken."[Anm. 34] Eine Bemerkung, die in Mainz schlimmste Ahnungen entstehen ließ. Nicht zu Unrecht vermutete der Erzkanzler darin die Absicht, durch die Verzögerung der Wahl die eigenen Ziele zu erreichen und "inzwischen aber bey zustandtbringendem Reichsvikariat den Meister zu spielen, und auf solche weis mit dem reich und bevorab uns den Ertzcantzler zu despotieren."[Anm. 35] Für ihn wurde dies zu einem weiteren Grund, die Anerkennung des rheinischen Vikariats zu verhindern und alles daranzusetzen, den Wahltag so schnell wie möglich zu seinem Ziel zu bringen.
Da man sich in Mainz nun einmal dazu entschlossen hatte, Franz Stephan als Repräsentanten der böhmischen Kur anzuerkennen, musste man konsequenterweise auch einen Gesandten nach Prag und Wien entsenden. Der geheime Rat Philipp Christoph von Erthal, der Vater des späteren Mainzer Erzbischofs, übernahm diese Aufgabe. Zunächst überbrachte er die Denuntiation dem Statthalter der Königin in Prag,[Anm. 36] um dann nach Wien weiterzureisen, wo er auf ausdrücklichen Wunsch[Anm. 37] des dortigen Hofes Franz Stephan die Einladung nochmals persönlich aussprach.
0.7.Der Wahltag in Frankfurt
Für die Unierten hatte sich durch die umstrittene böhmische Kur und den inzwischen erfolgten Ausbruch des 1. Schlesischen Kriegs zwischen Preußen und Österreich eine gute Gelegenheit ergeben, die für eine Wahl[Anm. 38] von Karl Albrecht von Bayern für nötig gehaltene Verzögerung des Wahlkonvents zu erwirken. Der Kurfürst von der Pfalz übernahm es, beim Erzkanzler aus diesen genannten Gründen um die Verschiebung des für den Wahltagsbeginn festgelegten Termins, das war der 1. März 1741, um drei bis vier Monate nachzusuchen.[Anm. 39] Da es strittig war, ob der Erzkanzler die Verkürzung oder Verlängerung der vorgesehenen Frist ohne Konsultation mit dem Kurkolleg verfügen konnte oder nicht[Anm. 40] und eingedenk des Entrüstungssturmes bei der Einladung an Franz Stephan, machte er dieses Ansuchen in einem Schreiben allen Mitkurfürsten bekannt und bat um deren Stellungnahmen, wobei er folgerichtig auch den Großherzog von Toskana mit einbezog,[Anm. 41] was natürlich wieder auf Empörung stieß.
In den Antwortschreiben zeigte es sich deutlich, dass die Kurfürsten nun endgültig in zwei Lager gespalten waren: Wien, Trier und Hannover wollten erwartungsgemäß den 1. März als Wahltagsbeginn beibehalten wissen, da die von Kurpfalz angeführten Gründe "ehenter ein Ursach seye, auf eine baldige Ersetzung des Kaiserthumbs vielmehr zu gedencken, als selbige dem ersten Reichsgrundgesetz zuwider, ins weithe und ungewisse zurückzusetzen."[Anm. 42] Auch Sachsen[Anm. 43] hielt die Prorogation des Wahltermins für bedenklich und schlug sogar vor, die Gesandten bereits zwei Wochen früher nach Frankfurt zu schicken, um dort Vorverhandlungen über das Problem der böhmischen Kur und des Konvikariats zu führen. Naturgemäß sprach sich Bayern für den pfälzischen Vorschlag aus, während sich Klemens August von Köln zunächst nicht festlegen wollte, dann aber doch auf die wittelsbachische Linie einschwenkte, Brandenburg-Preußen verwahrte sich zwar dagegen, den Krieg um Schlesien als Grund für dieses Begehren gelten zu lassen, war aber "aus anderen erheblichen Ursachen"[Anm. 44] geneigt, für eine Verschiebung des Wahlkonvents zu plädieren.
In dieser Pattsituation lag nun die endgültige Entscheidung doch bei Mainz. Wie aus einem Pro Memoria[Anm. 45] hervorgeht, war man am Hofe des Erzkanzlers der Meinung, dass eine solch wichtige Entscheidung nicht per maiora sondern einstimmig zu treffen sei. Deshalb formulierte Philipp Karl einen Kompromissvorschlag, bei dem für ihn folgende Grundvoraussetzungen maßgeblich waren: Er, der Erzkanzler, sei an die Dreimonatsfrist der Goldenen Bulle gebunden und immerhin vier Kurfürsten seien mit ihm der Meinung, dass man von dem legalen Termin nicht abgehen solle. Außerdem sei zu befürchten, dass die Abänderung dieses fundamentalen Reichsgesetzes durch das Kurkolleg allein bei den anderen Reichsständen großes Aufsehen erregen würde. Andererseits könne er aber auch die Beweggründe der anderen vier Kurfürsten nicht einfach übergehen. Deshalb solle der Wahltag am 1. März seinen Anfang nehmen, jedoch ohne die üblichen Formalitäten und Zeremonien, wozu z.B. der feierliche Einzug des Mainzer Kurfürsten und Erzkanzlers gehörte, sondern lediglich durch die Anwesenheit ausreichend bevollmächtigter Gesandter. Diese sollten in Beratungen die strittigen Punkte klären und dann möglichst bald zum eigentlichen Wahlgeschäft übergehen.
Was sich der Erzkanzler von diesem Vorschlag versprach, geht noch etwas deutlicher aus der Instruktion[Anm. 46] hervor, die er seinen drei Wahlgesandten Hugo Franz Karl von Eltz, Philipp Anton Karl von Groschlag und Johann Jakob Bentzel mit auf den Weg nach Frankfurt gab: Die Beratungen der Gesandten sollten nicht den Charakter eines Sonderkurfürstentages haben, sondern als Präliminarverhandlungen gelten und daher nur Punkte umfassen, die unmittelbar mit der Wahl in Verbindung standen. Dies war eine klare Absage an die sächsischen Hoffnungen, das Vikariatsproblem damit einzubeziehen. Aber auch der Streit um die österreichische Erbfolge sollte ausgeklammert bleiben. Um jegliches Aufsehen zu vermeiden, sollten die Sitzungen wie die Wahlverhandlungen auf dem Römer abgehalten werden. Die böhmische Angelegenheit sollte nach Möglichkeit zugunsten des Erzhauses geregelt werden, und falls dieses sehr viel Zeit in Anspruch nähme, sollte man parallel dazu bereits mit den Beratungen über die Wahlkapitulation beginnen.
Während Sachsen, Braunschweig und selbst Brandenburg diesem Vorschlag fast vorbehaltlos zustimmten, lehnte ihn Franz Georg von Trier ab. Er meinte Philipp Karl sei damit den Gegnern Habsburgs zu weit entgegengekommen. Dabei stellte diese Mainzer Anregung doch wohl nur den Versuch dar, eine gänzliche Spaltung des Kurkollegs zu vermeiden und auch die Unierten zu bewegen, Gesandte zum legalen Termin nach Frankfurt zu entsenden – was bei einer völligen Nichtachtung der bayerisch-pfälzischen Wünsche sicher unmöglich gewesen wäre – und durch eine straffe Verhandlungsführung zu erreichen, dass das eigentliche Wahlgeschäft so schnell wie möglich seinen Anfang nähme.
Doch erwiesen sich diese Hoffnungen von Anfang an als trügerisch. Am 1. März waren nur drei Wahlgesandtschaften – nämlich die Mainzer, die Trierer und die sächsische – in Frankfurt anwesend.[Anm. 47] Aber auch der Magistrat der Stadt hatte – nach eigenen Angaben verwirrt durch die Gerüchte über eine Wahlverschiebung – noch kaum die nötigen Vorbereitungen dafür getroffen. Auf Druck der Mainzer Gesandten säumte man nun aber nicht, die zu Wahlzeiten üblichen Verordnungen "unter Trompetenschall"[Anm. 48] bekanntzugeben und damit den Beginn des Wahltags der Öffentlichkeit mitzuteilen. Die wenige Tage später eintreffenden Gesandten Kurkölns und Kurbayerns nahmen dies sogleich zum Anlass für heftige Proteste. Der Wahlkonvent könne nicht eröffnet werden, solange nicht allen Gesandtschaften anwesend seien. Groschlag und Bentzel erklärten daraufhin, die Tatsache allein, dass der Erzkanzler und die Mehrheit des Kurkollegs die Beibehaltung des legalen Wahltermins beschlossen hätten und die Mainzer Gesandtschaft an diesem Tag anwesend gewesen sei, reiche aus, um den Wahltagsbeginn öffentlich verkünden zu können.[Anm. 49] Bald stellte sich heraus, dass die wenigsten der nun nach und nach tatsächlich eintreffenden Gesandten ausreichend sowohl für die Präliminarverhandlungen als auch für die eigentlichen Wahlberatungen bevollmächtigt waren. Eine Ausnahme war der böhmische Gesandte Hillebrand von Brandau, der am 5. März in Frankfurt eintraf. Aber seine Anwesenheit war natürlich aus anderen Gründen problematisch. So erklärte Sachsen umgehend, dass es offiziell nicht mit dem böhmischen Gesandten verkehren könne und weder eine Vollmacht Franz Stephans noch die Maria Theresias anerkennen werde.[Anm. 50] Auch sollte der böhmische Gesandte nicht zu den Präliminarverhandlungen zugelassen werden. Die mainzische Gesandtschaft entschloss sich, die böhmische Vollmacht vorbehaltlich der späteren Entscheidung des Kurkollegs vorläufig anzunehmen und ansonsten Brandau insoweit in die Vorverhandlungen miteinzubeziehen, dass sie ihn regelmäßig über den Fortgang der Beratungen informierte.[Anm. 51]
War es zunächst das Anliegen des Erzkanzlers gewesen, die Vorverhandlungen so kurz wie möglich zu halten, so bewog ihn die Anfang April massiv einsetzende Intervention Frankreichs in das Wahlgeschäft zugunsten Karl Albrechts von Bayern in Absprache mit Colloredo und den Vertrauteren, dieses "ganz ohnvermerckter ding und mit höchster vorsichtigkeit dilatorisch zu halten,"[Anm. 52] wofür nun die fehlenden Vollmachten den willkommenen Vorwand lieferten. Man versprach sich von dieser Änderung der Tatik in der Führung des Wahlkonvents, dass der Zeitgewinn nun möglicherweise Franz Stephan zugute kommen würde, und dass Frankreich, solange der Ausgang der Wahl noch in der Schwebe war, sich eher militärisch zurückhalten würde, um seine Einmischung in das Wahlgeschäft nicht allzu deutlich werden zu lassen, und um zu verhindern, dass die Rechtmäßigkeit einer Wahl angezweifelt würde, die unter dem Druck französischer Waffen stattgefunden hatte.
Es ist hier nicht der Ort im einzelnen darauf einzugehen, wie es kam, dass Mainz am Ende dieses Wahltags auch zu Wählern Karl Albrechts von Bayern gehörte.[Anm. 53] Die oft diskutierte Frage, ob dieser Umschwung des Erzkanzlers als opportunistische Treulosigkeit gegenüber dem Erzhaus zu werten sei, oder ob der politisch-militärische Druck auf Philipp Karl so stark und die Hoffnungen für Franz Stephan so schlecht waren, dass ihm letztlich kein anderer Weg mehr blieb, hat bereits Heinz Duchhardt[Anm. 54] aus guten Gründen und meines Erachtens zu Recht zugunsten des Erzkanzlers beantwortet. Neben der Erkenntnis, dass die Kandidatur des Großherzogs von Toskana je länger je mehr an Aussichten verlor, spielte die Verantwortung, die der Erzkanzler seinem Selbstverständnis gemäß während eines Interregnums für das Wohl des Reiches trug, die entscheidende Rolle. Zwar hatte Philipp Karl durchaus versucht, sein Amt für die Verwirklichung seiner politischen Ziele in die Waagschale zu werfen, doch glaubte er dies nicht unbegrenzt und nicht ohne die Chance eines Erfolges tun zu dürfen. Waren die Möglichkeiten erschöpft, dem Gemahl Maria Theresias zur Kaiserkrone zu verhelfen, so war es seine Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass nun schnell und mit der größtmöglichen Mehrheit ein anderer zum Kaiser gekürt wurde.
Die Mehrheit für Karl Albrecht von Bayern war im September 1741 – nach dem Kurswechsel in Mainz und Hannover – gesichert. Nun blieb noch das Problem der böhmischen Kur zu lösen. In dem Vertrag, den Mainz mit Bayern über die Wahl Karl Albrechts abgeschlossen hatte, hatte sich der Erzkanzler auch verpflichtet, sich der Mehrheit des Kurkollegs anzuschließen, falls diese für eine Ausschließung der böhmischen Kur votiere. Für Mainz war dies eine äußerst heikle Frage. Denn wie konnte der Erzkanzler, der Franz Stephan rechtmäßig – wie er immer wieder und gegen jeglichen Widerspruch behauptet hatte – zur Wahl geladen hatte, jetzt plötzlich dabei helfen, diese Stimme vom Wahlrecht auszuschließen, ohne unglaubwürdig zu werden? Da bereits fünf Kurhöfe – Köln, München, Berlin, Dresden und Mannheim – und damit die Mehrheit des Kurkollegs sich dafür ausgesprochen hatten, bei der bevorstehenden Wahl für einen einmaligen Ausschluss der böhmischen Kur zu votieren, gab es für Kurmainz kein Zurück mehr. Die Voraussetzungen waren erfüllt, unter denen sich der Erzkanzler verpflichtet hatte, die Ausschließung Böhmens mitzutragen und so wurde dies am 4. November 1741[Anm. 55] gegen die Stimmen von Trier und Braunschweig auch beschlossen.
Die am 20. November 1741 endlich aufgenommen offiziellen Wahlkapitulationsverhandlungen auf dem Römer, die sich bis zum 12. März 1742[Anm. 56] hinzogen, waren ein Teil des Wahlverfahrens, den die Goldene Bulle so nicht vorgesehen hatte. Erst seit der Wahl Karls V. 1519 wurden Kapitulationen üblich, in denen die Kurfürsten ihre Forderungen und Wünsche bezüglich der kaiserlichen Regierung niederlegten und die, sobald der neugewählte Kaiser sie beschworen hatte, die Qualität eines Reichsgrundgesetzes erhielten.[Anm. 57] Von den Verhandlungen 1741/42 lässt sich allgemein sagen, dass alle kurfürstlichen Gesandtschaften mit Ausnahme der bayerischen versuchten, die günstige Gelegenheit, die der Wechsel im Kaisertum von Habsburg zu Wittelsbach bot, zur Sicherung und Ausweitung ihrer Privilegien zu nutzen. In diesem Zusammenhang interessiert nur, dass und wie bestimmte zwischen den Reichsvikaren und dem Erzkanzler umstrittene Punkte geregelt wurden. Dabei waren die Mehrheitsverhältnisse im Kurkolleg so, dass sie die Wünsche der Reichsvikare begünstigten, während Kurmainz seine Interessen nur schwer durchsetzen konnte und der Erzkanzler daher empfindliche Einbußen seiner Rechte zu verzeichnen hatte: So verpflichtete ihn Art. 3 § 16 dazu, den Vikariatsgerichten künftig die gewünschten Akten aus der Reichshofkanzlei ausliefern zu lassen. Und Art. 13 § 9 legte fest, dass die Reichsvikare nicht nur im Interregnum, sondern auch bei Minderjährigkeit oder Abwesenheit des Kaisers nun berechtigt waren, den Reichstag einzuberufen, abzuhalten und fortzusetzen. Auch dies war eine der heftigen und interessanten Auseinandersetzungen zwischen den Kontrahenten im Interregnum 1740-42 gewesen, welche aber im Rahmen dieses Beitrages nicht im Detail dargestellt werden konnte.[Anm. 58]
Was nun noch zu tun übrig blieb, um am 24. Januar 1742 eine rechtmäßige Wahl durchzuführen, lag vor allem im organisatorischen Bereich und hatte keine politische Brisanz mehr. Wie das Wahldiarium vom Johann David Jung[Anm. 59] genauestens beschreibt, verlief die eigentliche Wahl an diesem Termin in Anwesenheit der Kurfürsten und Erzbischöfe von Mainz und Köln ohne Zwischenfälle und den Vorschriften gemäß. Karl Albrecht wurde einstimmig zum Kaiser gewählt. Das Recht der Krönung lag unstreitig bei Karl Philipp von Mainz seit der jahrhundertealte Streit zwischen Köln und Mainz in dem sogenannten Krönungstraktat von 1657[Anm. 60] beigelegt worden war. Darin war festgelegt worden, dass derjenige Erzbischof, in dessen Diözese der Krönungsort sich befand, dieselbe durchführen sollte. Allerdings verzichtete der Erzkanzler diesmal aus Gefälligkeit zugunsten von Klemens August von Köln, der ein Bruder des neuen Kaisers war. Zum letzten Mal in der Geschichte des Alten Reiches fand 1742 auch die Krönung der Kaiserin statt, die ebenfalls von Kurmainz organisatorisch vorzubereiten war. Am 8. März 1742 wurde Maria Amalia ebenfalls vom Kölner Erzbischof gesalbt und gekrönt.[Anm. 61]
0.8.Zusammenfassung
Betrachtet man die Ereignisse dieses Interregnums bezüglich ihrer Auswirkungen auf das Erzkanzellariat, so lässt sich eine Verschlechterung der Position des Erzkanzlers feststellen. Die Verfassung des Reiches, die sich bekanntlich aus vielen Einzelbestimmungen und Präzedenzfällen zusammensetzte, ließ den einzelnen Verfassungsorganen sehr viel Spielraum, was ihre Kompetenzen anging. Sie waren in den seltesten Fällen genau eingegrenzt, und darüber hinausgehende Ansprüche wurden stets erhoben, so dass die Möglichkeit der Ausweitung ebenso wie der Einengung durch neue Festlegungen stets gegeben war. Deshalb kam den jeweiligen politischen Machtverhältnissen eine entscheidende Bedeutung zu. Denn sie konnten die Auslegung der vorhandenen und die Erstellung neuer reichsrechtlicher Regelungen wesentlich beeinflussen.
Vor diesem Hintergrund werden die fortwährenden Auseinandersetzungen zwischen Erzkanzler und Reichsvikaren, die sich wie ein roter Faden nicht nur durch dieses Interregnum ziehen – auch bei früheren Interregna ist dieses Phänomen zu beobachten – besser verständlich. Beiden Institutionen war gemeinsam, dass sie über eine Vielfalt ausdrücklich festgelegter Rechte und Pflichten verfügten, die einen weitergehenden Rechtsanspruch geradezu herausforderten. Wie oben schon angedeutet, hielten die Vikare ihren Vertretungsfunktion umfassend, während der Erzkanzler sein Amt und die daraus resultierenden Funktionen als unabhängig von der Existenz eines Kaisers verstand und sich deshalb den Vikaren nicht unterordnen wollte. Damit war der Konflikt zwischen ihnen unausweichlich vorgegeben. Beide Seiten beobachteten einander ganz genau und versuchten jede Chance zu nutzen, den eigenen Rechtsanspruch durchzusetzen. Das bedeutete meistens zugleich, dass die andere Seite dadurch beschnitten wurde, da die Aktivität der einen die der anderen nicht selten ausschloss.
Eigentlich hatte der Mainzer Kurfürst 1740 in diesem Streit die bessere Ausgangsposition, da der nicht anerkannte Vikariatsvergleich die Reichsverweser lähmte. Gleichzeitig wurde durch das Vikariatsproblem und seine ungünstigen Folgen, durch das lange Interregnum und die vielen Auseinandersetzungen unterschiedlichster Art besonders deutlich, an welchen verbindlichen Bestimmungen es den Reichsgesetzen noch gebrach. Deshalb wurde in Wahlkapitulation Karls VII. möglichst viel neu festgelegt. Prinzipiell lag das im Interesse aller Reichsstände, auch des Erzkanzlers, der jedoch das Pech hatte, dass diese Gesetzeslücken gerade dann geschlossen wurden, als die Macht- und Mehrheitsverhältnisse im Kurkolleg die Reichsvikare begünstigten und ihn benachteiligten. Dadurch verlor er Rechtspositionen, die er auch im Interregnum 1745 nicht zurückgewinnen konnte, obwohl es den Vikaren wegen der immer noch fehlenden Anerkennung ihres Vergleiches wieder nicht gelang, ihrer Rechte auszuüben. Das Vikariatsproblem wurde im Übrigen erst 1750 durch den sogenannte Alternativtraktat gelöst, der vorsah, das Bayern und Pfalz alternierend dieses Amt wahrnehmen sollten.
Anmerkungen:
- Winfried Trusen: Kurmainz und das Einberufungsrecht zur deutschen Königswahl seit der Goldenen Bulle. In: Geschichtliche Landeskunde III,2 (1967), S. 127-152, hier S. 152. Zurück
- Inventar des Aktenarchivs der Erzbischöfe und Kurfürsten von Mainz, aufgrund der Verzeichnisse in den heutigen Eigentümer-Archiven zusammengestellt von Rudolf Schatz und Aloys Schwersmann, Band 1: Inventar des Mainzer Reichserzkanzler-Archivs im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, aufgrund der Verzeichnisse von Wilhelm Klemm herausgegeben von Editha Bucher, mit einer Einleitung zur Geschichte des Archivs von Leopold Auer (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz Band 54), Koblenz 1990. - Susanne Schlösser/Alois Gerlich: Wahl- und Krönungsakten des Mainzer Reichserzkanzlerarchivs 1486-1711. Inventar (Geschichtliche Landeskunde 39), Stuttgart 1993. Zurück
- Heinz Duchhardt: Philipp Karl von Eltz. Kurfürst von Mainz, Erzkanzler des Reiches, Mainz 1969. - Andrea Litzenburger: Kurfürst Johann Schweikard von Kronberg als Erzkanzler. Mainzer Reichspolitik am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges (1604-1619) (Geschichtliche Landeskunde 26), Stuttgart 1985. - Susanne Schlösser: Der Mainzer Erzkanzler im Streit der Häuser Habsburg und Wittelsbach um das Kaisertum 1740-1745 (Geschichtliche Landeskunde 29), Stuttgart 1986. Zurück
- Gedruckt bei Karl Zeumer: Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches im Mittelalter und Neuzeit, Band II, Heft 2, Weimar 1908. Zurück
- Vgl. dazu Hans Joachim Berbig: Der Krönungsritus im Alten Reich (1648-1806). In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 38 (1975), S. 639-700. Zurück
- Vgl. dazu Wolfgang Hermkes: Das Reichsvikariat in Deutschland (Studien und Quellen zur Geschichte des deutschen Verfasungsrechts. Reihe A - Studien. Band 2), Karlsruhe 1968. Zurück
- HHStA Wien, MEA, WKA, Karton 32 und Karton 33. - Vgl. Susanne Schlösser/Alois Gerlich: Wahl- und Krönungsakten des Mainzer Reichserzkanzlerarchivs 1486-1711. Inventar (Geschichtliche Landeskunde 39), Stuttgart 1993, S. 233-252. Zurück
- Wolfgang Hermkes: Das Reichsvikariat in Deutschland (Studien und Quellen zur Geschichte des deutschen Verfassungsrechts. Reihe A - Studien. Band 2), Karlsruhe 1968, S. 69-77. Zurück
- HHStA Wien, MEA, RTA, Faszikel 487, fol. 131-146 (Philipp Karl an Otten, 12. November 1740). Zurück
- Vgl. Susanne Schlösser: Der Mainzer Erzkanzler im Streit der Häuser Habsburg und Wittelsbach um das Kaisertum 1740-1745 (Geschichtliche Landeskunde 29), Stuttgart 1986, S. 8 Anm. 21. Zurück
- HHStA Wien, MEA, WKA, Faszikel 38 b, fol. 5. Zurück
- Ebenda, Faszikel 37, fol. 26/27. Zurück
- Vgl.Susanne Schlösser: Der Mainzer Erzkanzler im Streit der Häuser Habsburg und Wittelsbach um das Kaisertum 1740-1745 (Geschichtliche Landeskunde 29), Stuttgart 1986, S. 143-145. Zurück
- HHStA Wien, MEA, WKA, Faszikel 38 a, fol. 35-38 (Gudenus an PHilipp Karl, 11. Februar 1741). Zurück
- Ebenda, Faszikel 37, fol. 260-263 (Philipp Karl an Friedrich August, 30. Dezember 1740). Zurück
- Ebenda, fol 184-189 (Colloredo an Philipp Karl, 19. Mai 1741). Zurück
- Ebenda, Faszikel 29, fol. 37-53 (Groschlag und Bentzel an Philipp Karl, 27. April 1741). Zurück
- Ebenda, RA, Faszikel 3, fol. 26 (Philipp Karl an Colloredo, 16. Oktober 1741). Zurück
- Vgl. dazu Ulrich Kühne: Geschichte der böhmischen Kur in den Jahrhunderten nach der Goldenen Bulle. In: Archiv für Urkundenforschung 10 (1928), S. 1-110. Zurück
- HHStA Wien, MEA, WKA, Faszikel 27, fol. 108 (Philipp Karl an Gudenus, 8. November 1740). Zurück
- Ebenda, Faszikel 39, fol. 5 (Maria Theresia an Philipp Karl, 3. November 1740). Zurück
- Fritz Senner: Die Reichspolitik des Kurfürsten Franz Georg von Schönborn bei den Kaiserwahlen von 1742 und 1745, Staatsexamensarbeit Mainz 1952 (masch.), S. 13. Zurück
- HHStA Wien, MEA, WKA, Faszikel 32, fol. 101/102 (Georg II. an Philipp Karl, 12./23. Dezember 1740). Zurück
- Vgl. dazu Heinz Durchhardt: Philipp Karl von Eltz. Kurfürst von Mainz, Erzkanzler des Reiches (1732-43), Mainz 1969, S. 152-155. Zurück
- Vgl. dazu Ebenda, S. 139ff. - Susanne Schlösser: Der Mainzer Erzkanzler im Streit der Häuser Habsburg und Wittelsbach um das Kaisertum 1740-1745 (Geschichtliche Landeskunde 29. Stuttgart 1986), S. 15-25. Zurück
- HHStA Wien, MEA, WKA, Faszikel 27, fol. 126 (Pro Memoria von Kesselstatt, 14. November 1740). Zurück
- Ebenda, fol. 119-122 (Kesselstatt an Philipp Karl, 14. November 1740). Zurück
- Ebenda, Faszikel 25, ohne fol. (Pro Memoria von Kurpfalz, 14. November 1740). Zurück
- Ebenda, Faszikel 27, fol. 130-134 (Philipp Karl an Kesselstatt, 15. November 1740). Zurück
- Ebenda, fol. 129 (Notariatsinstrument Kurpfalz, 18. November 1740). Zurück
- Ebenda, fol. 183 (Kesselstadt an Philipp Karl, 26. November 1740). Zurück
- Vgl. Heinz Duchhardt: Philipp Karl von Eltz. Kurfürst von Mainz, Erzkanzler des Reiches (1732-43), Mainz 1969, S. 146 und 150. Zurück
- HHStA Wien, MEA, WKA, Faszikel 25, ohne fol. (Philipp Karl an Kesselstatt, 17. November 1740). Zurück
- Ebenda, Faszikel 27, fol. 183 (Kesselstatt an Philipp Karl, 26. November 1740). Zurück
- Ebenda, Faszikel 25, ohne fol. (Philipp Karl an Groschlag, 3. Dezember 1740). Zurück
- Ebenda, Faszikel 26, ohne fol. (Notariatsinstrument Böhmen, 9. Dezember 1740). Zurück
- HHStA Wien, MEA, WKA, Faszikel 37, fol. 37/38 (Colloredo an Philipp Karl, 3. November 1740). Zurück
- Susanne Schlösser: Der Mainzer Erzkanzler im Streit der Häuser Habsburg und Wittelsbach um das Kaisertum 1740-1745 (Geschichtliche Landeskunde 29), Stuttgart 1986, S. 25-42. Zurück
- HHStA Wien, MEA, WKA, Faszikel 28, fol. 112 (Karl Philipp an Philipp Karl, 6. Januar 1741). Zurück
- Vgl. Winfried Trusen: Kurmainz und das Einberufungsrecht zur deutschen Königswahl seit der Goldenen Bulle. In: Geschichtliche Landeskunde III,2 (1967), S. 142. Zurück
- HHStA Wien, MEA, WKA, Faszikel 28, fol. 4 (Philipp Karl an alle Kurfürsten, 12. Januar 1741). Zurück
- Ebenda, fol. 5 (Franz Georg an Philipp Karl, 20. Januar 1741). Zurück
- Ebenda, fol. 11/12 (Friedrich August an Philipp Karl, 23. Januar 1741). Zurück
- Ebenda, fol. 43 (Friedrich II. an Philipp Karl, 31. Januar 1741). Zurück
- Ebenda, fol. 30-34. Zurück
- Ebenda, fol. 49-54 (5. Februar 1741). Zurück
- Ebenda, fol. 60 (Groschlag und Bentzel an Philipp Karl, 1. März 1741). Zurück
- Ebenda, fol. 61-66 (PS zu obigen Bericht, 1. März 1741). Zurück
- Ebenda, fol. 77 (Groschlag und Bentzel an Philipp Karl, 3. März 1741). Zurück
- Vgl. dazu Heinz Duchhardt: Philipp Karl von Eltz. Kurfürst von Mainz, Erzkanzler des Reiches (1732-43), Mainz 1969, S. 176. Zurück
- HHStA Wien, MEA, Faszikel 28, fol. 94/95 (Groschlag und Bentzel an Philipp Karl, 8. März 1741). Zurück
- Ebenda, Faszikel 29, fol. 1-8 (Groschlag und Bentzel an Philipp Karl, 10. April 1741). Zurück
- Vgl. dazu Heinz Duchhardt: Philipp Karl von Eltz. Kurfürst von Mainz, Erzkanzler des Reiches (1732-43), Mainz 1969, S. 178ff. - Susanne Schlösser: Der Mainzer Erzkanzler im Streit der Häuser Habsburg und Wittelsbach um das Kaisertum 1740-1745 (Geschichtliche Landeskunde 29), Stuttgart 1986, S. 37. - Fritz Wagner: Kaiser Karl VII. und die großen Mächte 1740-45, Stuttgart 1938, S. 79-212. Zurück
- Heinz Duchhardt: Philipp Karl von Eltz. Kurfürst von Mainz, Erzkanzler des Reiches (1732-43), Mainz 1969, S. 189-197 und 213-216. Zurück
- HHStA Wien, MEA, WKA, Faszikel 31, fol. 47-53. Zurück
- Die Protokolle von allen Sitzungen in MEA, WKA, Faszikel 42, pag. 1-963. Zurück
- Vgl. Gerd Kleinheyer: Die kaiserlichen Wahlkapitulationen. Geschichte, Wesen, Funktion (Studien und Quellen zur Geschichte des deutschen Verfassungsrechts. Reihe A - Studien. Band 1), Karlsruhe 1968. Zurück
- Susanne Schlösser: Der Mainzer Erzkanzler im Streit der Häuser Habsburg und Wittelsbach um das Kaisertum 1740-1745 (Geschichtliche Landeskunde 29), Stuttgart 1986, S. 76-87. Zurück
- Johann David Jung (Hg.): Vollständiges Diarium von den merckwürdigen Begebenheiten, die sich vor, in und nach der höchst-beglückten Wahl des Allerdurchleuchtigsten, Großmächtigsten und Unüberwindlichsten Fürsten und Herrn Carl des VII. zugetragen, Frankfurt 1742. (Enthalten in HHStA Wien, MEA, WKA, Faszikel 42). Zurück
- Vgl. dazu HHStA Wien, MEA, WKA, Karton 28 und 29. - Susanne Schlösser/Alois Gerlich: Wahl- und Krönungsakten des Mainzer Reichserzkanzlerarchivs 1486-1711. Inventar (Geschichtliche Landeskunde 39), Stuttgart 1993,. S. 206-209. Zurück
- Hans Joachim Berbig: Der Krönungsritus im Alten Reich (1648-1806). In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 38 (1975), S. 684/685. Zurück