0.Trier und sein Umland in der Schlußphase des Zweiten Weltkriegs
von Kurt Düwell
Im Unterschied zum Ende des Ersten Weltkriegs wurden bei Kriegsende 1944/45 grenznahe Städte wie Aachen, Trier und Saarbrücken sowie ihr Umland direkt zum militärischen Kampfgebiet. Ihre Randlage im Westen Deutschlands, die noch durch den geordneten militärischen Rückmarsch von 1918 geschützt werden konnte, wurde seit Ende August 1944 durch den überstürzten deutschen Rückmarsch und die dann einsetzenden Kämpfe am Westwall zu einer Zone höchster militärischer Gefährdung. Kostbare Zeit war schon im Frühsommer 1944 verlorengegangen, als Feldmarschall Erwin Rommel am 15. Juli in einer Denkschrift die deutsche militärische Führung vor den erheblichen Risiken der Westfront gewarnt hatte. Schon Ende August, als die deutschen Truppen zu einer hektischen Absetzbewegung gezwungen waren, war es bereits zu spät. Die deutsche Heeresgruppe B und die 1. Armee der deutschen Heeresgruppe G standen den überlegenen Kräften der 12. amerikanischen Armeegruppe unter General Bradley, der 1. Armeegruppe unter Generalleutnant Hodges, der 3. Armeegruppe unter Generalleutnant Patton und bald darauf auch der 9. Armeegruppe unter Generalleutnant Simpson gegenüber. Zwischen dem 25. August und dem 3. September hatten die Alliierten im Westen von Paris bis Mons und Verdun auf breiter Front bereits 200 km und in einem Abschnitt noch schnelleren Vormarsches bis Brüssel fast 300 km an Gelände gewonnen. Die fliehenden deutschen Einheiten wurden teils als neue Kontingente der noch kämpfenden Divisionen integriert, teils als Alarmeinheiten in Einzelbereitschaft gehalten. Bis Mitte September kam es zu einer fast panikartigen Rückverlegung der deutschen Truppen bis zum Westwall, der als neue Verteidigungslinie verstärkt werden sollte
0.1.Die NS-Propaganda zur Steigerung des Abwehrwillens der Bevölkerung
Wie wirkte sich die Zuspitzung der militärischen Lage auf den Alltag der deutschen Bevölkerung aus? Schon Anfang des Jahres 1944 war das NS-Regime dazu übergegangen, die männlichen Jugendlichen ab 15 Jahren als Luftwaffenhelfer heranzuziehen. Hinzu kam am 20. August 1944 ein Befehl Hitlers „über den Ausbau der deutschen Weststellung“, der für Schanzarbeiten ein „Volksaufgebot“ für Männer zwischen 15 und 60 Jahren vorsah. Aber zum Teil wurden auch schon Frauen zu Hilfsdiensten verpflichtet. Ferner erging am 25. September Hitlers Befehl zur Aufstellung des „Volkssturms“, der für Männer von 16 bis 60 Jahren verpflichtend wurde und der als Aufgabe die Errichtung von Panzersperren und den Einsatz mit der Panzerfaust enthielt. Und schließlich ergingen Hitlers Befehle zur Evakuierung der Bevölkerung aus der „Roten Zone“, das heißt aus den zu Kampfgebieten gewordenen westlichen Grenzregionen und endlich sogar der Befehl Hitlers für eine Rückzugstaktik der „verbrannten Erde“.
Alle diese Maßnahmen waren kaum populär, ja sie wurden zum Teil sogar von der Bevölkerung abgelehnt. Am ehesten fand noch bei den Jugendlichen die Einberufung zu Luftwaffenhelfern („Flakhelfer“) eine positive Aufnahme. Der Trierer Bericht eines dieser jugendlichen Flakhelfer zeigt aber auch die Probleme und Gefahren, unter denen diese meist der Hitlerjugend (HJ) angehörenden Gymnasiasten der Mittel- und Oberstufe ihre Aufgabe bei gleichzeitiger Fortsetzung des Schulunterrichts (in der Flak-Batterie) wahrnehmen mußten: „Als wir zu Beginn des Jahres 1944 im Alter von 15 Jahren als Luftwaffenhelfer ‘zu den Waffen gerufen wurden', waren wir zunächst nicht wenig stolz auf unsere neue Aufgabe. Denn infiltriert von der Goebbelschen Propaganda während der Jugendjahre in Jungvolk und HJ waren wir davon überzeugt, daß Hitler seine Wunderwaffe noch rechtzeitig einsetzen werde. Außerdem reizte uns die Uniform, die den anderen Jungen aus der Klasse Jahrgang 1929 vorenthalten war. ... Unsere Aufgabe war es, den Verschiebebahnhof Ehrang vor feindlichen Tiefangriffen zu schützen. Tatsächlich ist uns dies auch gelungen. Allerdings wurde der Verschiebebahnhof zweimal heftig bombardiert. ... am 11. Mai 1944 erfolgte gegen 19.00 Uhr der erste große Bombenangriff aus großer Höhe von ca. 40 Flugzeugen vom Typ Fortress II, ‘fliegende Festung'. Am 26. August 1944 wurde der Bahnhof von 40 Flugzeugen vom Typ 'Liberator' aus großer Höhe erneut angegriffen. Bis zu dieser Höhe reichten unsere leichten Flakgeschütze nicht. Bei dem Angriff wurde auch die Stellung des 2. Zuges getroffen. Dort wurde unser Kamerad, Luftwaffenhelfer Alois Koes aus Hamm/Saar, in einem Ein-Mann-Deckungsloch verschüttet und getötet.
Kurze Zeit darauf stürzten plötzlich aus den Wolken einige schnelle Flugzeuge herunter, worauf wir sofort das Feuer eröffneten. Wir glaubten daß es englische ‘Mustangs' seien, aber wir hatten uns getäuscht, es waren deutsche ME 110, die dank unseres ungenauen Schießens schnell unbeschädigt abfliegen konnten. Der Zugführer bekam einen ganz gehörigen Rüffel vom Batteriechef, Hauptmann Merkle, der sich in Ehrang befand. ... Der Unterricht wurde laut Verordnung während dieser Zeit bis zum Juli 1944 (bis zur Versetzung in die Untersekunda) fortgeführt. Die Studienräte vom Friedrich-Wilhelm-Gymnasium kamen jeden Morgen nach Pfalzel, um dort zu unterrichten. Nun gab es die Bestimmung, daß, wenn in der Nacht Fliegeralarm oder die Vorstufe dazu, Feuerbereitschaft (ohne Sirenen) war, der Unterricht erst um 10.00 Uhr beginnen durfte. Und kaum hatte der Lehrer mit seinem Unterricht begonnen, da kam oft schon wieder Feuerbereitschaft, und der Lehrer mußte unterbrechen oder ganz aufhören.“[Anm. 1]
Gegenüber dieser noch relativ positiven Haltung der jugendlichen Luftwaffenhelfer war besonders die Einstellung der Älteren zu den befohlenen Schanzarbeiten und zur Bildung des „Volkssturms“, aber dann auch zu den Evakuierungsmaßnahmen in der „Roten Zone“ eher ablehend. Dies scheint ein generelles Phänomen gewesen zu sein und galt für Trier und sein Umland ähnlich wie für die Evakuierungspläne der Grenzgebiete im Aachener und im Saarbrücker Raum. Aber nicht nur die Bevölkerung, sondern auch einige verantwortliche Militärs dachten über den Sinn der Evakuierungsbefehle sehr skeptisch, weil die Befürchtung bestand, daß dies nur den Auftakt zu einer Kriegführung der „verbrannten Erde“ bilden und bald darauf dann auch das gesamte Hinterland in Mitleidenschaft ziehen würde. Für die relativ wenigen mutigen schriftlichen Zeugnisse einer derartigen ablehenden Haltung sei hier auf den Befehl des Generalleutnants Gerhard Grafen von Schwerin vom 13. September 1944 hingewiesen: „Ich befehle hierdurch in meiner Eigenschaft als Kampfkommandant der Stadt Aachen, daß ab sofort die ziel- und planlose Evakuierung eingestellt wird. Die Bevölkerung bleibt in der Stadt und nur derjenige, dessen Unterkunft, Ernährung und Transport gesichert ist, darf die Stadt verlassen.“ [Anm. 2] (Zu diesem Zeitpunkt lag die Stadt, auch im Bereich ihrer Ausfallstraßen, bereits unter dem Feuer der amerikanischen Artillerie.)
Ähnliche Vorgänge gab es auch im Trierer Raum, wo der Gaustellenleiter der Partei mit der gewaltsamen Evakuierung der Bevölkerung in den Grenzdörfern an Saar und Sauer begonnen hatte [Anm. 3]. Die Bevölkerung konnte sich überhaupt erst unter der unmittelbaren militärischen Gefahr entschließen, ihre Heimatorte zu verlassen
0.2.Das Heranrücken der Front und die Kämpfe am Westwall
Wie eingangs schon erwähnt, wurden die deutschen Truppen der Westfront zwischen Ende August und dem 3. September 1944 von den andrängenden Truppen der Alliierten und ihrer überlegenen Feuerkraft in Panik zurückgenommen, um eine neue Verteidigungslinie vor dem Westwall zu errichten („Siegfried-Linie“). Aber schon am 11. September erschienen im Frontabschnitt westlich Bittburg an der Our amerikanische Spähtrupps bei Stolzembourg und betraten erstmals deutsches Gebiet bei Keppeshausen [Anm. 4]. Gleichzeitig liefen im Norden vor dem Westwall bei Aachen die amerikanischen Vorbereitungen zur Schlacht um die Kaiserstadt an, die von Norden und Süden eingeleitet wurden [Anm. 5]. Der Kampf um Aachen, der erst am 21. Oktober 1944 mit dem Fall der Stadt endete, weckte jedoch auch in den südlichen Abschnitten der Westfront einen verstärkten Abwehrwillen, der diesmal z.T. auch stärker die Zivilbevölkerung ergriff.
Hauptgrund hierfür war die Kriegskonferenz der Alliierten im kanadischen Quebec vom 1. - 19. September 1944, bei der ein Deutschlandplan des amerikanischen Finanzministers Henry Morgenthau jr., der auf eine Zerstückelung und Entindustrialisierung Deutschlands hinausgelaufen wäre, willkommenes Wasser auf die Mühlen der Goebbelschen Propagandamaschine lieferte. Goebbels wußte daraus geschickt Argumente für seine Durchhaltepropaganda zu ziehen, die auch bei der deutschen Bevölkerung im Westen zum Teil Wirkung zeigte.
Während die Amerikaner im Norden des Westwalls schon am 14. September 1944 westlich Stolberg die deutsche Grenze überschritten und bis zum 19. September auch zwischen Zweifall und Lammersdorf in der Nordeifel Geländegewinne erzielt hatten, gelangen ihnen seit dem 13. September auch im Bereich der Schnee- und der Mittleren Eifel erste Geländegewinne. Es kam aber zu zähen Kämpfen, bei denen die deutschen Truppen zum Teil Boden zurückgewinnen konnten. Diese verlustreichen Auseinandersetzungen fanden vor allem im Viereck Winterspelt - Rascheid (an der luxemburgischen Grenze) - Hontheim - Sellerich/Habscheid statt. Von diesen Kampforten hat Winterspelt, das noch vor dem Westwall lag, bald darauf in der fanatischen NS-Durchhaltepropaganda eine traurige Berühmtheit erlangt. Winterspelt wurde nämlich von Goebbels und seiner gleichgeschalteten Medienmaschine als Symbol für eine angeblich gegenüber der Zivilbevölkerung brutale, unmenschliche Kriegführung der US-Truppen hochgespielt, um in der deutschen Bevölkerung einen fanatischen Abwehrwillen zu wecken. Dies war auch die Zeit, in der ebenso im deutschen Heer die von den neu eingesetzten „NS-Führungsoffizieren“ ausgehenden Fanatisierungsversuche zu beobachten waren. Die Verteufelung des Kriegsgegners, für die „Winterspelt“ zeitweise zu einer wirksamen Kurzformel der NS-Propaganda wurde, wird aber durch ein schlichtes Zeugnis des ortskundigen Pfarrers Krekel, das Edgar Christoffel 1989 publiziert hat, weitgehend entkräftet. Krekel berichtet: „Am frühen Morgen des 12. September 1944 waren die Bewohner der Filiale Elcherath, veranlaßt durch SS-Gruppen, hinter den Westwall geflüchtet, ebenso die Hälfte der Bewohner von Winterspelt. Alle übrigen hielten aus und hatten vor, in Kellern oder ‘Bunkern', die sie sich im Wald gebaut hatten, die Ankunft der Amerikaner zu erwarten. Morgens gegen 6.00 Uhr fuhren dann die ersten amerikanischen Panzerspähwagen durch Winterspelt. Die letzten deutschen Truppen hatten sich kurz vorher eiligst hinter den Westwall nach Habscheid zurückgezogen. Winterspelt wurde nun für einige Wochen vorderste Front der Amerikaner. Die Bevölkerung konnte zurückbleiben und wurde in keiner Weise behelligt, entgegen anders lautenden tendenziösen Berichten der Nazipresse, die am 18. Oktober von einem ‘Schreckensregiment der Amerikaner in Winterspelt' berichtete, woran kein wahres Wort war. Die einzigen auferlegten Beschränkungen bestanden darin, daß bei Dunkelheit der Aufenthalt auf der Straße verboten war und daß man ohne Sondererlaubnis die Pfarrei nicht verlassen durfte.“ [Anm. 6]
Diese Kämpfe am Westwall in der Schnee- und Mittleren Eifel im September/Oktober 1944 hat später der Schriftsteller Alfred Andersch, der selbst in diesen Wochen zu den Amerikanern desertiert war, in seinem Roman „Winterspelt“ (1974) als Hintergrund seiner persönlich erlebten Krise in eine Darstellung einbezogen, die in ihrer Eigenart von ihm selbst so charakterisiert wurde: „Kein Zeit- und Schlachtgemälde. Wahrscheinlich nicht einmal ein ‘Kriegsroman'. Höchstens ein Kammerspiel auf dem Hintergrund einer Katastrophe.“ [Anm. 7] Andersch persönlich, der diese Vorgänge eigentlich nicht direkt in Winterspelt selbst, also „westlich des Limes“, wie er schrieb, sondern in Rommersheim, südöstlich von Prüm (also hinter dem Westwall) erlebte, hat dennoch in „Winterspelt“ eine gültige Beschreibung und Analyse des Kriegsgeschehens geleistet. Dies kommt besonders darin zum Ausdruck, daß sich bei den auf beiden Seiten Verantwortlichen in diesem Frontabschnitt, dem deutschen Major und Ritterkreuzträger Joseph Dincklage in Winterspelt und dem amerikanischen Captain Kimbrough im belgischen Maspelt, die sich mit ihren Truppenteilen im Abstand von nur wenigen Kilometern einander gegenüberstehen, das unheimliche Gefühl einer „Ruhe vor dem Sturm“ einstellt, das die Nerven aufs Äußerste belastet. Der 600 Seiten starke Roman schildert nur einen einzigen Tag, den 12. Oktober 1944. Jean Améry hat das Buch aber „das bedeutendste deutschsprachige Werk über den Zweiten Weltkrieg“ genannt. Dies trifft in einem höheren Sinn sicherlich insofern zu, als die von Andersch erzählte Geschichte des Majors Dincklage - eines Mannes, der sich mit der Absicht trägt, sein Bataillon von 1200 Mann kampflos den Amerikanern zu übergeben - in dieser Form zwar sicher nicht authentisch ist, aber dennoch die Möglichkeiten des Kriegs und eines Widerstands dagegen in einer Situation zeigt, in der die NS-Propaganda log, daß sich die Balken bogen und die Zweifel der vor Ort militärisch Verantwortlichen gegen die deutsche Führung täglich wuchsen. Insofern stellt das Buch Anderschs über die Vorgänge am Westwall im September/Oktober 1944 eine die Stimmung auf beiden Seiten der kämpfenden Parteien erhellende Analyse dar.
0.3.Das Steckenbleiben des amerikanischen Vormarsches und die deutsche Ardennenoffensive
Der amerikanische Vormarsch im Westen blieb nach Eroberung Aachens am 21. Oktober 1944 bald mehr und mehr stecken. Im Norden lief sich der amerikanische Vormarsch am Hürtgenwald fest, wobei allerdings die Luftüberlegenheit der Amerikaner zu erheblichen Schäden im Raum um Aachen führte. Düren wurde dabei am 16. November zur am meisten zerstörten Stadt Deutschlands. Auf beiden Seiten machte sich aber bald Erschöpfung bemerkbar. Zwar konnten die US-Truppen mit der 1. Armee bis zum 4. Dezember 1944 in der Eifel noch kleinere Erfolge beim Angriff auf die Rur- und auf die Urfttalsperre verzeichnen, aber die 3. Armee Pattons im Süden, die am 21. November Metz hatte einnehmen und bis zum 27. November bei Saarlouis auch die Saar hatte überschreiten können, lief sich bald darauf am Orscholz-Riegel (südwestlich von Saarburg zwischen Mosel und Saar) fest. In der NS-Propaganda wurde dies als ein Sieg der „Schanzarbeit des deutschen Volkes“ überschwenglich gefeiert [Anm. 8].
In Trier gab dieser Stellungskrieg an Saar und Mosel zunächst zu Hoffnungen Anlaß. Aber dennoch ergingen in der Moselstadt wie auch in Saarbrücken am 6. Dezember 1944 die Befehle zur Räumung dieser Städte durch die Zivilbevölkerung. Die Durchführung dieser Befehle oblag im Gau „Moselland“ im Auftrag des Reichsverteidigungskommissars Gauleiter Gustav Simon einzelnen Sonderbeauftragten, in Trier dem Hauptbereichsleiter der NSDAP Albert Urmes und dem Oberbereichsleiter Partei-Kreisleiter Albert Müller [Anm. 9]. Die Bevölkerung war auch in diesen Fällen wieder weniger von der Richtigkeit der Maßnahmen überzeugt, wußte aber noch nicht, daß gleichzeitig schon geheime Vorbereitungen für eine deutsche Großoffensive im Westen liefen, die solche Freimachungsaktionen erforderten. Denn unter dem Decknamen „Wacht am Rhein“ bzw. „Operation Greif“ lief am 16. Dezember 1944 die sogenannte Ardennenoffensive als deutscher Gegenangriff im Raum Monschau-Losheimer Graben-St. Vith gegen die 1. amerikanische Armee an. Ziel des Vorstoßes, den Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt leitete, war die belgische Hafenstadt Antwerpen, wodurch zugleich die amerikanischen und die britischen Streitkräfte im nördlichen und im südlichen Küstenabschnitt voneinander getrennt werden sollten. Nach ersten deutschen Erfolgen, begünstigt durch Nebel- und Schneewetter, kamen aber die deutschen Spitzen nach der Wiedereroberung Bastognes bald zum Stehen, als am 23. Dezember 1944 das Wetter aufklarte und die Fliegerangriffe der Alliierten wieder beginnen konnten. So kamen die deutschen Truppen an Weihnachten 1944 6 km vor Erreichen der Maas bei Dinant zum Halten, wo die deutsche 7. Armee durch amerikanische Jagdbomber und auch von den Panzern Pattons gestoppt werden konnten. Hitler, der die Operationen von seinem eigens neu eingerichteten Führerhauptquartier („Adlerhorst“) in Ziegenberg bei Bad Nauheim leitete, hatte auf das Überraschungsmoment der Ardennenoffensive gehofft und die letzten Reserven in diese Schlacht geworfen. Aber sie reichten schon bald bei weitem nicht aus.
Die keilförmige Form des deutschen Vorstoßes hat für die Ardennenschlacht im Amerikanischen zu der Bezeichnung „battle of the bulge“ („Hosenknie“) geführt [Anm. 10]. Makabrer Zynismus der Soldatensprache: Die Entstehung und das „Ausbügeln“ dieser „Kniebeule“ bis zum 28. Januar 1945, als die Ardennenschlacht mit dem völligen deutschen Rückzug hinter den Westwall ihr Ende fand, hat insgesamt 100000 Gefallene auf beiden Seiten gekostet, davon etwa 80 000 deutsche. Nur für knapp sechs Wochen hatte Hitler den Vormarsch den Alliierten ins Reichsgebiet aufhalten können. Die Aussichten waren eigentlich von Anfang an schlecht, da z.B. die 5. Panzerarmee des Generals von Manteuffel zwischen Trier und Krefeld weit auseinandergezogen stand und für die Offensive überhaupt erst zusammengeführt werden musste [Anm. 11]. Im übrigen zeigte sich schon bei diesem deutschen Vormarsch ein Phänomen, das in der Folge beim deutschen Rückzug dann noch verstärkt auftrat, nämlich eine nur sehr schwach organisierte Logistik. Selbst auf dem Vormarsch gerieten die motorisierten deutschen Verbände auf den Straßen, Wegen und im Gelände in dichtes Gedränge und boten so seit dem 23. Dezember 1944, als die Wetterbedingungen umschlugen, den amerikanischen Kampffliegern besonders gute Ziele. Die Verluste an Menschen und Material waren beträchtlich. Hinzu kam der vor Bastogne entscheidende Treibstoffmangel, da die Deutschen auf ihrem Vormarsch das riesige amerikanische Benzinlager bei Stavelot umgangen und nicht endeckt hatten [Anm. 12].
0.4.Der Rückzug der deutschen Truppen und der Fall Triers
Das Ende der Ardennenoffensive leitete den allmählichen und dann den beschleunigten deutschen Rückzug ein. Das Vordringen der Amerikaner über den Westwall hinaus führte am 2. Februar 1945 zur Einnahme von Udenbreth, das von der 6. SS-Panzerarmee unter General Sepp Dietrich bis dahin gerade noch hatte gehalten werden können. Am 4. Februar 1945 gelang den Amerikanern die Eroberung der Talsperren von Rur und Urft und die Einnahme der Ordensburg Vogelsang, eine schwere Schlappe für die SS und den Kölner Gauleiter als zuständigen Reichsverteidigungskommissar. Während die Nordeifel, trotz der zähen deutschen Verteidigung an der zweiten Westwall-Linie, durch den Fall Schleidens am 4. März und das Erreichen der Ahr am selben Tag schon von den Amerikanern kontrolliert wurde, gelang ihnen dann der Vorstoß zum Rhein, wo am 5./6. März von ihnen Köln erobert und am 7. März 1945 die Brücke von Remangen eingenommen wurde.
Der zeitlich parallel dazu verlaufende Vormarsch der Amerikaner weiter südlich durch die Schnee-Eifel hatte schon am 31. Januar 1945 zur Wiedereinnahme von Winterspelt und am 2. Februar zur Besetzung von Bleialf geführt [Anm. 13]. Am 11./12. Februar 1945 fiel Prüm, so daß Bitburg und Trier von Norden bedroht schienen. Aber die amerikanischen Truppen stießen weiter ostwärts durch die deutschen Stellungen an der Kyll vor. Stattdessen kam die Bedrohung für Trier von Süden, wo die amerikanischen Truppen zwischen dem 8. und dem 21. Februar 1945 den Orscholz-Riegel durchbrochen hatten und nun zur Besetzung des Saar-Mosel-Dreiecks übergingen. Bei Serrig und Taben konnten die Amerikaner zwei leichte und bei Saarburg eine schwere Schiffsbrücke errichten, so daß ihnen die Übergänge über die Saar den Weg nach Wiltingen und Konz eröffneten. Konz wurde am 1. März 1945 besetzt. Gleichzeitig gelang den US-Truppen ein Durchbruch über Irsch bis Zerf und von Lampaden über Franzenheim und Hockweiler nach Pluwig, Gusterath, Gutweiler und Korlingen bis Tarforst vor Trier, also bis an die damaligen Ränder der Stadt. Während Trier am 2. März schon von amerikanischen Panzertruppen besetzt wurde, kämpften aber im Raum Hermeskeil-Reinsfeld-Holzerath, 12 km südöstlich der Stadt, noch die 6. SS-Gebirgsdivision und das deutsche Gebirgsjägerregiment 12, die noch bis zum 8. März unter hohen Verlusten vergeblich versuchten, die Verbindungsstraße Zerf-Pellingen-Trier als amerikanische Nachschublinie zu unterbrechen. Die Kämpfe im Hochwald bei Hermeskeil zogen sich noch bis zum 17. März hin! Die deutschen Verluste waren erschreckend hoch. Von da an brach aber der deutsche Verteidigungswille in diesen Ausläufern des Hunsrück zusammen, und den US-Truppen stand der Weg zum Rhein offen. Auf den Rückzugsstraßen im Hunsrück, wie auch weiter südlich in der Pfalz, stauten sich die deutschen Einheiten mit ihren Fahrzeugen ähnlich wie drei Monate zuvor bei der Ardennenoffensive beim Vormarsch, ein Zeichen kaum noch vorhandener logistischer Organisation. Auch hier konnten die amerikanischen Jagdbomber leicht ihre Treffer landen.
0.5.Kriegsende und Neubeginn in Trier
Die Evakuierungen in Trier seit dem 6. Dezember erwiesen sich als notwendig, weil schon am 21., 23. Und 24. Dezember 1944 als amerikanische Gegenschläge zur Ardennenoffensive schwere Bombenangriffe gegen die Moselstadt geflogen wurden. Die Parteistellen und die Verwaltungsbehörden hatten die Stadt schon zwischen dem 25. Oktober und dem 5. Dezember 1944 verlassen. Oberbürgermeister Dr. Konrad Gorges, der die Stadt möglicherweise - Anzeichen deuten darauf hin - den Amerikanern als offene Stadt übergeben wollte, wurde noch am 12. Februar 1945 von Gauleiter Simon als kommissarischer Oberbürgermeister nach Koblenz „versetzt“ [Anm. 14]. Die verbliebene kleine Restverwaltung Triers wurde kurz vor dem amerikanischen Einmarsch noch am 1. März 1945 nach Traben-Trarbach und von dort weiter nach Mastershausen im Hunsrück verlegt. Sie konnte wenige Tage später auf amerikanisches Geheiß nach Trier zurückkehren, während die nach Bernkastel verlegte Bezirksregierung erst Anfang April unter dem neu ernannten Regierungspräsidenten Dr. Wilhelm Steinlein mit ihrer Arbeit in Trier neu beginnen konnte. Es war übrigens die erste Bezirksregierung, die in Deutschland wieder als Verwaltungsinstitution oberhalb der Kreisebene neu eingesetzt wurde [Anm. 15]. Die Amerikaner, die am 2. März 1945 mit der 10. Panzerdivision in Trier einrückten, setzten schon am 5. März als ersten deutschen Leiter der neuen Trierer Stadtverwaltung Friedrich Breitbach, den Direktor des Katholischen Bürgervereins, ein (kurz darauf als Oberbürgermeister). [Anm. 16]
Trier war zu 41 Prozent zerstört. Der Auftrag des amerikanischen Militärkommandanten Speaks an Breitbach, darum bemüht zu sein, daß in der Stadt „geordnete Verhältnisse“ einträten, war angesichts der Tatsache, daß Tausende von evakuierten oder geflohenen Menschen in die Stadt zurückströmten, nur schwer umzusetzen. Die städtischen Versorgungsbetriebe wieder in Gang zu bringen, für Enttrümmerung und Beschaffung von dringend benötigtem Wohnraum zu sorgen und nicht zuletzt für die Nahrungsmittelbeschaffung Waren und Wege zu finden - dies alles waren in der Gleichzeitigkeit dieser vielfältigen Anforderungen fast übermenschliche Aufgaben. Das Hauptproblem war - wenigstens in den Monaten April bis Juli d.h. bis zur ersten neuen Ernte -, wenigstens die vorgesehenen 1000 Kalorien pro Kopf und Tag sicherzustellen. Es war wohl die schwierigste Aufgabe dieser Übergangszeit. In dieser Phase entwickelte sich auch in Trier ein „schöner Markt“, wie er von Sigfried Lenz auch für eine andere Region Deutschlands später geschildert worden ist [Anm. 17]. Diese Schwarzmarktprobleme und andere ordnungspolitische Fragen (z.B. das Problem der in Deutschland verbliebenen ehemaligen ausländischen Zwangsarbeiter, „Displaced Persons“, „DP's“) waren auf kommunaler Ebene allein nicht zu lösen.
Es war daher wichtig, daß das 13. amerikanische Armeekorps, das als Besatzungsinstitution für die Regierungsbezirke Trier, Saarbrücken, Koblenz, Pfalz und Südhessen zuständig war, den Regierungsbezirk Trier als ersten wieder unter dem am 20. März 1945 ernannten Regierungspräsidenten Steinlein neu ins Leben rief. Denn nur auf dieser überlokalen Ebene konnten Ordnungsmaßnahmen einheitlich durchgeführt werden. Dabei ist bemerkenswert, daß die neue Bezirksregierung unter amerikanischer bzw. dann unter französischer Aufsicht praktisch bis zum 8. Dezember 1945, als für diesen Raum die erste Präsidialregierung für Rheinland-Hessen-Nassau unter Dr. Wilhelm Boden in Neustadt a.d.W. eingesetzt wurde, wie eine oberste Reichs- oder Landesbehörde in ihrem Bezirk handeln konnte [Anm. 18]. Landräte, Schul- und Kreismedizinalräte und selbst Landgerichtspräsidenten wurden in dieser Phase vom Regierungspräsidenten in Trier ernannt. Wirtschaftsverordnungen und die Regelung der Personalbezüge der Beamten und Angestellten wurden von hier festgesetzt. Erst am 14. März 1946, als inzwischen seit dem 10. Juli 1945 die Franzosen als Besatzungsmacht regierten, wurden offiziell die Befugnisse der obersten Reichs- und Landesbehörden unter französischer Aufsicht auf den Oberpräsidenten der „Provinz“ Rheinland-Hessen-Nassau in Neustadt übertragen. Doch selbst dann noch blieben die Bezirksregierungen in Koblenz und Trier von Neustadt praktisch noch weitgehend umabhängig. So bestand relativ lange Zeit hindurch eine Art „Exemtion“ der Trierer Bezirksregierung von jeder übergeordneten deutschen Verwaltungsinstanz. Erst mit der Gründung des Landes Rheinland-Pfalz durch die Militärregierung (Verordnung Nr. 57 vom 30. August 1946) und der Landesverfassung vom 18. Mai 1947 wurde diese Art eines administrativen Sonderstatus dann endgültig aufgehoben [Anm. 19].
So hat das Ende des Zweiten Weltkriegs nicht nur mit seinen materiellen Schäden und der obersten Gewalt der Alliierten in Deutschland, sondern auch mit den verwaltungsrechtlichen Veränderungen innerhalb der deutschen Kompetenzen selbst zu einer vorübergehend drastischen Veränderung der deutschen administrativen Traditionen geführt, die erst mit den Konsolidierungen des Jahres 1947/48 in normalere Bahnen zurückgelenkt werden konnten.
Anmerkungen:
- Bericht des Alfons Herrmann, abgedruckt bei: Edgar Christoffel, Krieg am Westwall 1944/45. Das Grenzland im Westen zwischen Aachen und Saarbrücken in den letzten Kriegsmonaten. Trier 1989, S. 256. Zurück
- Edgar Christoffel, Krieg am Westwall, S. 63. Vgl. in diesem Bd. auch den Beitrag von Klaus Schwabe, S. [ ]. Zurück
- Edgar Christoffel, S. 75. Zurück
- Edgar Christoffel, S. 88. Zurück
- Vgl. in diesem Bd. den Beitrag von Klaus Schwabe, S. [ ]. Zurück
- Zitiert nach Edgar Christoffel, S. 104f. Zurück
- Alfred Andersch, Winterspelt, Roman. Zürich 1974. Vgl. auch Josef Zierden, Die Eifel in der Literatur, Prüm 1994, S. 9-14 und Volker Wehdeking, Winterspelt, in: ders., Alfred Andersch, Stuttgart 1983, S. 132-139. Zurück
- Vgl. Bericht des Trierer „Nationalblatts“ vom 20. Nov. 1944: „Der Orscholz-Riegel hielt“. Zurück
- Zu Müller vgl. Reinhard Bollmus, Trier und der Nationalsozialismus, in: Kurt Düwell und Franz Irsigler (Hg.), Trier in der Neuzeit (= 2000 Jahre Trier, Bd. 3), Trier 1988, S. 517-589, hier S. 577 und 580. Zurück
- Vgl. Basil Henry Liddell Hart, Geschichte des Zweiten Weltkriegs, Wiesbaden o.J. (engl. Originalausgabe 1970), S. 791-815. Vgl. Winston S. Churchill, Der Zweite Weltkrieg, Bern/München 1985, S. 1000ff. Zurück
- Vgl. Liddell Hart, S. 798. Zurück
- Vgl. Liddell Hart, S. 814. Zurück
- Vgl. Edgar Christoffel, S. 381f. mit dem Bericht des Pfarrers Krekel über das diesmal gegenüber September 1944 erheblich schärfere Vorgehen der Amerikaner. Zurück
- Reinhard Bollmus, Trier und der Nationalsozialismus (1925-1945) (vgl. Anm. 9), S. 587. Zurück
- Reinhard Bollmus, ebd., S. 588 und Ludwin Vogel, Trier nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Kurt Düwell und Franz Irsigler (Hg.), Trier in der Neuzeit, S. 591. Zurück
- Vgl. Ludwin Vogel, ebd. Zurück
- Vgl. Sigfried Lenz, „Lehmanns Erzählungen oder So schön war mein Markt“, Hamburg 1964. Für das Kolorit dieser ersten Nachkriegsjahre sind neben den Schwarzmarkgeschichten von Lenz auch die „Schmugglerabenteuer“ der Grenzlandbevölkerung in der Eifel charakteristisch, die auch bei Alfred Andersch, freilich in einer eigentümlichen erzählerischen Brechung als eine Art Seelengeschichte am Beispiel der Kaffeeschmuggler in der Schnee-Eifel vorkommen: „Die Letzten vom ‘Schwarzen Mann'“, in der Sammlung „Geister und Leute“ (1958). Zurück
- Reinhold Wacker, Das Land an Mosel und Saar mit Eifel und Hunsrück. Strukturen und Entwicklungen 1815-1990. Trier 2. Aufl. 1991, S. 380f. Zurück
- Reinhold Wacker ebd., nach: Amtsblatt Regierung Trier, 1946, S. 27. Zurück