Neuwied unter amerikanischer Besatzung 1918-1923
Kriegsende und Novemberrevolution
Mit Abschluss des Waffenstillstands am 11. November 1918 endete der Erste Weltkrieg für das Deutsche Reich mit einer militärischen Niederlage. Bereits zwei Tage zuvor, am 9. November 1918, wurde in Berlin durch Philipp Scheidemann die Republik ausgerufen. Während in vielen Städten in Deutschland turbulente Tage des Umsturzes begannen, blieb die Lage in Neuwied relativ ruhig. Der Aufstellung einer Bürgerwehr konnte durch Gründung eines Arbeiter- und Soldatenrates am 9. November 1918 zuvorgekommen werden.[Anm. 1] Mit Zustimmung der Stadtverwaltung übernahm der Arbeiter- und Soldatenrat die Kontrolle über Verwaltung und polizeiliche Aufgaben. Zusätzlich lenkte und organisierte der Rat noch den Abtransport der von der Westfront zurückströmenden deutschen Truppenverbände. Die Kriegschronik 1914-1919 des Ortes Hüllenberg[Anm. 2], heute ein Stadtteil von Neuwied, vermerkt dazu folgendes: „Nun kommen die Frontruppen in ihren einzelnen Abteilungen rückwärts gezogen-geflutet.[…] Notbrücken werden errichtet und nun quartieren sich die Verbände hier auf dem rechten Rheinufer jeweilig für einen Tag ein, um am folgenden Morgen für einen weiteren Truppenteil Platz zu machen“.
Die Ordnungsmannschaften in Neuwied waren durch weiße Armbinden als solche zu erkennen. Die Neuwieder Zeitung vom 11. November 1918 berichtet: „Der Übergang zu den neuen Verhältnissen erfolgte ohne Zwischenfall. Die Straßen waren [...] sehr belebt, besonders auch von vielen Frauen und Kindern. Ruhestörungen waren nicht zu verzeichnen.“
Am 13. November 1918 gründete sich aus dreißig Männern und sechs Frauen ein Bürgerrat, welcher sich selbst als Wohlfahrtsauschuss bezeichnete. Der Ausschuss bestand aus Mitgliedern der größten Fraktionen in der Stadtverordneten-Versammlung – Nationalliberale, SPD und Zentrumspartei.[Anm. 3] Hauptaufgabe waren die Lebensmittelversorgung, Wohnungsfürsorge und Arbeitsbeschaffung. Der Arbeiter- und Soldatenrat löste sich bereits Anfang 1919 wieder auf, während der Wohlfahrtsausschuss noch bis April 1921 bestand und schließlich im städtischen Wohlfahrts- und Wohnungsamt aufging.
Amerikanische Besatzung
Im Waffenstillstand von Compiègne am 11. November 1918 wurde durch die Alliierten festgelegt, dass das komplette linksrheinische Gebiet sowie die drei Brückenköpfe Mainz (Zone III), Koblenz (Zone II) und Köln (Zone I) mit einem jeweiligen Radius von 30 km besetzt werden sollten. Die Maßnahme diente vor allem dem Sicherheitsbedürfnis Frankreichs sowie der Sicherstellung der Ableistung von Reparationen von deutscher Seite. Die Stadt Neuwied lag im Bereich des Brückenkopfs Koblenz und war für eine zehnjährige Besatzungszeit vorgesehen.
Nachdem am 7. Dezember 1918 die letzten deutschen Truppenverbände aus Neuwied abgerückt waren, erschienen in den Tagen vom 14.-16. Dezember 1918 die amerikanischen Besatzungsverbände. Insgesamt rückte innerhalb kurzer Zeit das dritte amerikanische Armeekorps mit einer Sollstärke von 400 Offizieren, 7.400 Unteroffizieren und Mannschaften sowie 800 Pferden und Maultieren ein. Dies entsprach über 40% der gesamten Einwohnerschaft Neuwieds.[Anm. 4] Der Regierungspräsident in Koblenz wies die von der Besatzung betroffenen Kommunen am 30. November 1918 an, „[…] daß mit allen Mitteln dahin gestrebt werden muß, die feindlichen Truppen nicht in Bürgerquartieren, sondern geschlossen in geeigneten Räumlichkeiten – Sälen, Gastwirtschaften, nötigenfalls Schulen unterzubringen.“[Anm. 5] Aufgrund der großen Truppenstärke wurden in Neuwied allerdings auch viele private Quartiere von den Amerikanern beschlagnahmt.
Besonders die Belegung der katholischen und evangelischen Volksschulen, der Seminarschule, des Gymnasiums und der Anstalten der evangelischen Brüdergemeine stellte die Schulbehörde vor große Schwierigkeiten und erlaubte kaum einen Regelunterricht. Neben den Schulen als Massenunterkünften wurden auch andere Gebäude in ihrer Funktion umgewidmet. Im Schloss Neuwied befand sich das Hauptquartier des III. Armeekorps, in der Blindenanstalt in der Marktstraße das amerikanische Lazarett und im Landratsamt wurde die Kreisdelegation eingerichtet.
Bereits am 14. Dezember wurde vom kommandierenden General der amerikanischen Expeditionstruppen, John. J. Pershing, eine Bekanntmachung veröffentlicht, in der alle Bürger zum unbedingten Gehorsam gegenüber den alliierten Truppen aufgefordert wurden.[Anm. 6] Die amerikanischen Besatzungsbehörden führten eine Vielzahl öffentlicher Beschränkungen ein. Darunter waren unter anderem Versammlungsverbote, Sperrstunden und Verkehrskontrollen. Die von der „Interalliierten Rheinlandkommission“ zeitweise eingeführte Rheinzollgrenze (1921 und 1923/24) traf auch die Wirtschaft von Neuwied empfindlich.
Zur Bewältigung der besatzungsspezifischen Herausforderungen wurden in Neuwied ein eigenes Besatzungs- sowie ein Einquartierungsamt geschaffen, welches unter anderem für die Abwicklung und Weitergabe der gezahlten Einquartierungs- und Entschädigungsgelder der Besatzungsbehörden zuständig war. Die entstehenden Kosten, z. B. die Gehälter der Angestellten und Beamten, wurden vom Deutschen Reich übernommen.
Im Juli und August 1919 wurde die amerikanische Truppenpräsenz deutlich verringert. Vorerst verblieben in der Stadt nur zwei Kompanien von ca. 400 Mann Stärke sowie einige Abwicklungskommandos. Daneben bestand weiterhin das Büro eines Stadtkommandanten, eines Offiziers für Zivilangelegenheiten sowie ein Verbindungsbüro der Interalliierten Rheinlandkommission. Für das Jahr 1919 erhielt die Stadt seitens der Amerikaner Einquartierungsgelder in Höhe von 728.119 Reichsmark und einen Reichszuschuss der Regierung in Berlin in Höhe von 1.239.467 Reichsmark.[Anm. 7] Für die individuelle Auszahlung der Gelder der Reichsentschädigungen war das Reichsvermögensamt in Koblenz zuständig.
Zu einer Katastrophe kam es, als am 6. September 1919 ein ehemaliges Nahkampfmitteldepot in der Gemarkung Gladbach bei Neuwied, welches von den Amerikanern zur Lagerung von Munition benutzt wurde, explodierte. Eine heftige Detonation richtete an vielen Gebäuden in Neuwied größeren Schaden an. Neben einigen Verletzten war auch eine Tote zu beklagen. Insgesamt wurde für rund 450 gemeldete Schäden eine Summe von 134.000 Reichsmark erstattet.
Durch die erhebliche Truppenreduzierung im Sommer 1919 konnten fast alle Massen- und Privatquartiere wieder ihrer ursprünglichen Nutzung übergeben werden. Allerdings behielten sich die Amerikaner vor, nach Bedarf erneute Requirierungen vorzunehmen. Im März 1920 hielten sich kurzfristig wieder 2.500 Mann Truppen, aus dem Manöver kommend, in Neuwied auf. Im Oktober 1920 wurden zeitweilig 500 Mann, vor allem Sanitätsmannschaften, in Neuwied aufgenommen. Hierfür mussten z. B. erneut eine Bäckerei und ein Autoschuppen errichtet werden.
Bis auf die Kreisdelegation im Landratsamt waren Anfang des Jahres 1922 keine amerikanischen Besatzungssoldaten mehr in Neuwied. Als Vorzeichen der bald darauf beginnenden Phase der französischen Besetzung bezog im April 1922 ein erstes französisches Wachkommando seine Stellung in Neuwied.
→ Weiter zum Artikel zur französischen Besatzung in Neuwied 1923-1929
Anmerkungen:
- vgl. Meinhardt, 300 Jahre Neuwied, S. 249. Zurück
- Stadtarchiv Neuwied, Bestand 630.510 Chroniken, Kriegschronik 1914-1919 Hüllenberg. Zurück
- vgl. Meinhardt, 300 Jahre Neuwied, S. 250. Zurück
- vgl. Meinhardt, 300 Jahre Neuwied, S. 251. Zurück
- Stadtarchiv Neuwied, Bestand 630.001, Nr. 1861, Unterbringung der feindlichen Besatzung, 1918-1921. Zurück
- Stadtarchiv Neuwied, Bestand 630.507, Neuwieder Zeitung vom 14.12.1918. Zurück
- Stadtarchiv Neuwied, Bestand 630.001, Nr. 1846, Verwaltungsberichte des städt. Besatzungsamts 1919-1929. Zurück