Remagen am Mittelrhein

Pfarrhoftor

Erst seit 1902 befindet sich das spätromanische Pfarrhoftor neben der Pfarrkirche St. Peter und Paul. Es wird geschmückt durch geheimnisvolle Flachreliefs aus Kalksteinblöcken, die um 1200 datieren.

Vor 1902 wurde das Tor mehrmals abgebrochen und versetzt - doch herrscht Uneinigkeit bezüglich seines Werdegangs. Kurt Kleemann schließt sich der Meinung Josef Minns an, dass das Tor ursprünglich zur Probstei St. Martin auf dem heutigen Apollinarisberg gehörte. Schon vor 1794 habe das Tor im Bereich der Pfarrkirche St. Peter und Paul gestanden. Im Zuge des Pfarrhausbaus 1794 wurde das Tor dann in die Mauer neben das Pfarrhaus versetzt und zwar in der Anordnung, wie sie die Lithographie zeigt. Gegen 1824 hat dann Bernhard Hundeshagen diesen Zustand aufgenommen und daraus eine Rekonstruktion des Tores mit Nebenpforte erarbeitet. Beim Bau des neuen Teils der Pfarrkirche 1902 errichtete man schließlich das Pfarrhoftor nach der Rekonstruktion Hundshagens an seiner jetzigen Stelle. Da es sich um eine Rekonstruktion handelt, steht die Forschung einem unlösbaren Problem gegenüber. Wir wissen nicht, ob das Pfarrhoftor im Original wirklich so ausgesehen hat und wir wissen auch nicht, ob die Anordnung der Reliefs der ursprünglichen entspricht.

Noch immer können nicht alle dargestellten Szenen in ihrer Bedeutung entschlüsselt werden, sodass die Forschung noch keine Gesamtinterpretation des Bildprogramms vorlegen konnte. Die christliche Ikonographie des Mittelalters ist eine äußerst komplexe Angelegenheit, die an vielen Stellen Rätsel aufgibt. Beim Remagener Pfarrhoftor kommt erschwerend hinzu, dass die Reliefs "ohne große künstlerische Fertigkeit" ausgearbeitet wurden und der Zahn der Zeit am Kalkstein nagt. Die Bilder sind somit schwer zu erkennen und damit auch schwer zu deuten.

Ohne dass man in der Lage ist, alle Sinnbilder zu entschlüsseln, geht man weitläufig davon aus, dass die Reliefs als Gegensatzdarstellungen von Gut und Böse konzipiert worden sind. Im Folgenden sollen einige Szenen, wenn auch nicht alle, erläutert und diskutiert werden.

Das Bildprogramm

Alexanders Luftreise

Am Türsturz der rechteckigen Pforte ist der Greifenflug Alexanders dem Großen dargestellt. Der Makedonierkönig sitzt in einem Behältnis, das von zwei Greifen gezogen wird. Um sie zum Fliegen zu bewegen, hält ihnen Alexander Fleischhappen (hier in Form von Ratten) hin. Das Motiv entstammt einem spätantiken Roman über Alexander, darüber hinaus übersetzte man die Greifenflug-Sage um 1150 ins Deutsche. Die Legende war sehr beliebt - die Menschen schätzten Alexanders Abenteuerlust und seine Luftreise, die er aus Neugierde tätigte. Doch in der christlichen Ikonographie symbolisiert der Greifenflug die Sünde "Hochmut", da Alexanders Unternehmen als anmaßend ausgelegt wurde. Der sündhafte Hochmut gilt als das schlimmste aller Laster.

Der Mann im Fass

Die Darstellung des nackten Mannes im Fass, der seinen rechten Arm erhebt, ist links neben dem recheckigen Durchgang zu sehen und wird u. a. von Arnulf Krause als Taufszene interpretiert. Weil der "Kopfschmuck" des Täuflings als Tonsur angesehen und der Mann bartlos sowie ohne Kleidung dargestellt wird, sei er als Mönch identifizierbar. Der Geistliche symboliere damit die Aufnahme in die christliche Gemeinschaft durch die Taufe. In Kontext zu den Darstellungen der Sünden wendet sich die Taufe als Glaubensbekenntnis offensichtlich gegen die Untugenden, insbesondere gegen den Hochmut, symbolisiert durch Alexanders Luftreise in unmittelbarer Nähe. Damit soll dem Betrachter vermittelt werden, dass die Taufe die Gläubigen gegen das Böse feit.

Diese Interpretation ist durchaus nachvollziehbar und scheint derzeit, die plausibelste Lösung anzubieten. Die Verfasserin möchte dennoch zwei weitere Ansätze in die Diskussion einführen respektive erneut aufgreifen, die zugegebenermaßen an dieser Stelle nicht gänzlich belegt werden können, aber durchaus ihren Reiz haben. In beiden Fällen bezieht sich die Darstellung des Mannes im Fass eindeutig auf die Szene mit Alexander dem Großen.

Demnach könnte der Mann im Bottich auch der griechische Philosoph Diogenes von Sinope sein. Dieser lebte wohl im 4. Jahrhundert v. Chr. und war ein Vertreter des so genannten Kynismus – eine philosophische Lehre, deren Kern die Bedürfnislosigkeit bildete. Das hieß z. B. Verzicht auf Unterkunft, aber auch Nahrung und Kleidung. Gleichzeitig überzog Diogenes das Verhalten seiner Mitmenschen mit Spott, da er dies zwar als angepasst, aber als unvernünftig erachtete. Sein Lebenswandel war per se eine Provokation und bot daher Stoff für die Bildung zahlreicher Anekdoten und Legenden: So soll Alexander der Große auf ihn zugekommen sein, um ihm und einen Wunsch frei zu stellen. Dieser entgegnete Alexander spöttisch: "Geh mir ein wenig aus der Sonne." Des Weiteren wird Diogenes meist in einer Tonne lebend dargestellt, um seine Bedürfnislosigkeit zu demonstrieren.

Die Bezüge die sich hieraus zu den Reliefs im Remagener Pfarrhoftor ergeben, sind demnach nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Aber was kann dies innerhalb der christlichen Ikonographie bedeuten? Das Christentum ist eine Religion der Armut, die im Neuen Testament sogar eine Funktion im Heilsprozess erhält. Freiwillig ertragene oder gar absichtlich auferlegte Armut galt als Möglichkeit zur Läuterung. Um ein besonders gottgefälliges Leben zu führen, verschrieben sich auch einige Mönchsorden dem Armutsideal. Der Steinmetz könnte also mit der Darstellung Alexanders und Diogenes eine Gegenüberstellung im Sinn gehabt haben: Alexander steht damit für einen hochmütigen Herrscher, der sündigt, während Diogenes ein gottgefälliges Leben in Armut führt. Der Gläubig soll dadurch natürlich animiert werden, Diogenes Vorbild zu folgen, um sich Gott zu empfehlen. Was dieser Interpretationsansatz nicht miteinbezieht, ist die demonstrativ erhobenen Hand des Mannes. Empirisch betrachtet, spricht dies für einen Segensgestus oder ein Bekenntnis. Aber muss es das wirklich bedeuten?

Eine weitere Möglichkeit, die schon 1854 von Franz Kugler vorgeschlagen wurde, aber in Vergessenheit geriet, ist, dass es sich bei dem Mann im Fass um den Heiligen Theonestus handelt, wodurch ebenfalls ein Bezug zur Alexander-Szene hergestellt werden kann. Allerdings ist die Person des Theonestus schwer zu fassen, denn auch um ihn ranken sich zahlreiche Legenden. Eine Handschrift aus dem 11. Jahrhundert berichtet von Theonest, der Bischof von Philippi gewesen sein soll. Philippi war eine antike Stadt in Makedonien, also in dem Land, in dem Alexander der Große einst König gewesen war. Theonest soll aus Makedonien vertrieben worden sein und sei über Umwege mit seinen Gefährten nach Mainz gekommen. Tatsächlich gab es im 5. Jahrhundert einen Mainzer Bischof namens Theomastus. Nach Gregor von Tours floh Bischof Theomast 406 vor den anrückenden Vandalen aus Mainz und ging nach Gallien. Später soll er in Poitiers gestorben sein.

Ohne die Verschiedenheiten der Heiligengeschichte aufdröseln zu können, sei gesagt, dass offensichtlich im Laufe der Geschichtsschreibung zwei verschiedene Figuren in der Person des Heiligen Theonestus miteinander verschmolzen.

Eine Theonest-Legende, auf die sich die Interpretation bezieht, berichtet von der Steinigung des Theonestus in Mainz. Danach soll er in einem durchlöcherten Weinfass in den Rhein geworfen worden sein. Die Weinreste in der Kufe sollen Theonestus belebt haben und schließlich landete er mit dem Fass in der Ortschaft Kaub, die diesem Ereignis ihren Namen verdanken soll (Kufe "cupa", woraus Kaub wurde). Deshalb schmückt wahrscheinlich Theonestus das Stadtsiegel von Kaub, auf dem er als Bischof in der Kufe stehend mit erhobener rechter Hand abgebildet wird.

Auch mit der Darstellung Alexanders und Theonestus hätte der Steinmetz eine Gegenüberstellung formulieren können: Alexander und Theonestus stammen beide aus dem selben Land, sie sind sozusagen gleicher Herkunft, doch während der eine ein Martyrium durchleidet und damit zu einem Heiligen wird, steht der andere für die Verkörperung der Sünde Hochmut.

Die beiden vorgestellten Ansätze erheben in keiner Weise einen Wahrhaftigkeitsanspruch. Vielmehr sollen sie eine Ermutigung dazu sein, die Augen für weitere Überlegungen offen zu halten, um den Blick nicht auf das althergebrachte zu versteifen.

Der siegreiche Sieger

Das untere "Pfeiler"relief auf der linken Seite zeigt einen Krieger mit Lanze und Schild. Er steht offenbar auf einem menschlichen Wesen. Auch hier gibt es wieder zahreiche Deutungsansätze. Gut nachvollziebar ist die Interpretation des Kriegers als personifizierte christliche Demut, die über den Hochmut - hier ausgedrückt durch die menschliche Gestalt - triumphiert. So wollte man womöglich den Kampf zwischen Laster und Tugend verbildlichen. Diese Interpretation schlägt auch wieder den Bogen zur Alexander-Darstellung.

Samsons Kampf mit dem Löwen

Das "Pfeiler"relief rechts unten zeigt einen langhaarigen Mann, der mit einem Raubtier ringt. Hierzu kann mit Sicherheit gesagt werden, dass es sich dabei um den biblischen Helden Samson handelt, der das Böse in Form eines Löwens besiegt.

Der Mann mit dem Baum

Unterhalb des Mannes im Fass befindet sich ein Relief, auf dem eine männliche Figur hinter einem Baum abgebildet ist. Auch hier gibt es wieder mehrerer Interpretationsansätze, doch Arnulf Krause hält zwei davon am ehesten für möglich: So könnte es sich dabei um Adam mit dem Lasterbaum handeln oder abermals um Samson, der auch als kraftvoller Baumausreißer dargestellt wurde.

Rundbogen-Reliefs

Der Rundbogen wird durch insgesamt zehn Reliefs verziert. Die Szenen werden im Folgenden von links nach rechts erläutert:

Den Anfang macht eine Fischsirene, die ein Ruder in ihren Händen hält. Dabei handelt es sich um Meerweibchen mit einem oder zwei Fischschwänzen. Darauf folgt ein so genannter Triton, ein Mann mit zweischwänzigem Fischleib. Die Mischwesen stehen in der christlichen Ikonographie für das Dämonische. Fabelwesen solcher Art lassen sich auch in der Alexander-Geschichte finden. Darauf folgt ein fischschwänziger Vogel mit bärtigem Männerkopf. Dann ein Relief mit zwei Vögel und eins mit einem Tier (möglicherweise Hund oder Fuchs). Dann zeigt sich ein Skiapode - dabei handelt es sich um ein männliches Fabelwesen, das nur ein Bein mit einem sehr großen Fuß besitzt. Nun ist ein Vogel mit einer Schlange oder einem Seil dargestellt, gefolgt von einem weiteren Vogel, dessen Flügel von einem Gesicht gebildet werden und der an einem Fisch pickt. Nach einem Schwein mit drei saugenden Ferkeln, kommt schließlich erneut ein Mischwesen, aus Mann und Fisch, das acht Fische gefangen hat.

Auch wenn die Bedeutung der Rundbogenreliefs nicht abschließend entschlüsselt werden kann, so ist sich Arnulf Krause dennoch sicher, dass sie auf die Bereiche des Unchristlichen, Unerlösten und Lasterhaften verweisen, vor denen sich die Gläubigen hüten sollten.

Nachweise

Verfasser: Rebecca Mellone

Erstellt am: 25.01.2010

Geändert am: 11.02.2010

Literatur:

  • Ewig, Eugen: Spätantikes und fränkisches Gallien. Bd. 2. München [u.a.] 1979, S. 171-181.
  • Koeniger, Albert M.: Die Rätsel des Romanischen Pfarrhoftores in Remagen. München 1947.
  • Krause, Arnulf: Von Hochmut, Demut und allerlei Wunderwesen. Die Reliefs des Remagener Pfarrhoftores. In:Kreis Ahrweiler Heimatjahrbucharchiv [08.02.2010], URL: http://www.kreis-ahrweiler.de/kvar/VT/hjb2006/hjb2006.33.htm
  • Kugler, Franz: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte. Bd. 2. Stuttgart 1854.
  • Schlageter, J.: Art. "Armut und Armenfürsorge. I. Soziologie-II. Theologie". In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 1. München 1997, Sp. 984-987.
  • Scorza Barcellona, F.: Art. "Theonest". In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 8. München 1997, Sp. 660-661.
  • Ziegler, Konrat (Hrsg.): Der kleine Pauly. Lexikon der Antike. Bd. 2. Stuttgart 1967, Sp. 47-48.