Die „Alte Kirche“ in Spay. Spay im Dezember 1996 – von Franz Josef Heyen
Sonderdruck aus Heimat-Jahrbuch Kreis Mayen-Koblenz 1988, S. 39-44
In Spay gibt es drei Kirchen: Zunächst: in Niederspay die große, 1898-1900 durch die Kölner Architekten Carl Rüdell und Richard Odenthal erbaute und 1904 durch den Trierer Bischof Michael Felix Korum geweihte St.-Lambertkirche. Sie ist wegen ihrer eigenwilligen, um einen sechseckigen Zentralraum in neoromanischen Formelementen entwickelten Raumkonzeption als die originellste Kirche Rüdells bezeichnet worden (F. Ronig) und ist vor einigen Jahren durch eine wenig veränderte Trassenführung der B9 für alle in Richtung Koblenz Fahrenden in eine immer wieder beeindruckende und erfreuende Perspektive zur Marksburg gestellt worden.
Sodann am Ortseingang aus Richtung Boppard am rechten Straßenrand die St.-Peters-Kapelle, nach der der Ortsteil bzw. die früher selbständige Gemeinde Oberspay auch Peterspay benannt wurde. Die Kapelle mit einem rippengewölbten kleinen Chor wurde um 1300 erbaut und hat noch eine sehr wertvolle Ausmalung aus der Erbauungszeit. Ein Förderkreis hat sich erfolgreich der Erhaltung dieses bedeutenden kultur- und architekturgeschichtlichen Kleinods unserer Heimat angenommen und mit der Außenrenovierung weitere Schäden verhindert. Für die dringend erforderliche Restaurierung der Innenausmalung sollten wir alle uns (nicht nur mit schönen Worten) einsetzen, aber mir scheint, dass auch die berühmten ,,öffentlichen Hände" hier aktiv helfen müssen.
Schließlich aber, wovon hier die Rede sein soll, im Ortskern Niederspay am Rheinufer die „alte" Pfarrkirche, alt freilich nur zur Unterscheidung von der an erster Stelle genannten neuen Pfarrkirche. Sie war auch dem heiligen Lambert geweiht, d.h. die neue Kirche hat diesen Patron der alten Kirche bei der Weihe 1904 übernommen und so auch im Namen nicht nur eine Tradition bewahrt, sondern auch den ununterbrochenen Fortbestand der Pfarrei im neuen Hause zum Ausdruck gebracht. Der im Jahr 705/6 in Lüttich gestorbene Lambert waor Bischof von Maastricht: und wurde als bevorzugter Heiliger der Karolinger schon bald im ganzen Frankenreich verehrt. Vielleicht dürfen wir daraus schließen, dass eine erste, dem hl. Lambert geweihte - und das heißt ja unter dessen Schutz gestellte - Kirche schon im frühen 9. Jahrhundert errichtet worden ist Die Siedlungen (Nieder-)Spay und Oberspay werden urkundlich erstmals im Jahr 875 genannt; damals bestätigte der Trierer Erzbischof Bertolf, der zur Einweihung der neuen Domkirche in Köln weilte, dem Kölner St.-Kunibert-Stift Besitzungen unter anderem in diesen beiden Orten. Über das Alter der Siedlungen ist damit: aber natürlich nichts gesagt; sie sind gewiss älter als diese Ersterwähnung in einem Schriftzeugnis.
Das Christentum reicht hier am Mittelrhein zurück bis in die römische Epoche. Um die Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert gab es sicher christliche Gemeinden z.B. in Andernach, Koblenz und Boppard. Wir dürfe auch annehmen, dass diese den Zusammenbruch der römischen Herrschaft und die Inbesitznahme durch die Franken im späten 5. Jahrhundert überdauert haben. Die Franken haben dann - wahrscheinlich in Anlehnung an spätrömische Organisationsformen - große Krongutbezirke eingerichtet, die als Reichsgut, Fiskus oder auch einfach als „Reich“ bezeichnet wurden. Zentralort eines solchen Fiskus war Boppard, der deshalb in späterer Zeit bisweilen auch als das ,,Bopparder Reich" bezeichnet wurde. Zu diesem Fiskus Boppard gehörten auch die Siedlungen Ober- und Niederspay, und ursprünglich bildete der ganze, bis vor St. Goar rheinaufwärts und weit in den Hunsrück reichende Fiskus eine einheitliche (Groß-) Pfarrei. Die St.-Severus-Kirche in Boppard war also zunächst auch die Mutter- und Pfarrkirche von Spay. Diese Großpfarrei Boppard mit ihren umfangreichen Seelsorgeverpflichtungen, aber auch mit den beträchtlichen Einnahmen aus dem Zehnten des ganzen, mit der Pfarrei identischen Fiskalbereiches wurde von Kaiser Otto III. (985-1002) und wenig später vom Bischof von Worms dem vom gleichen Otto III. errichteten Stift St. Martin in Worms übertragen. Die schriftliche Überlieferung über diese Rechtsakte ist in späterer Zeit verfälscht worden, so dass exakte Datierungen kaum noch möglich sind; an der Sache als solcher besteht aber kein Zweifel.
Für Niederspay speziell wird aber dann 200 Jahre später, nämlich von König Heinrich VI. im Jahr 1190 und vonPapst Honorius III. im Jahr 1223, ausdrücklich bestätigt, dass Bischof Burchard von Worms dem Stift St. Martin in Worms die Kirche in Spay übereignet habe. Wir dürfen annehmen, dass es sich dabei um den bedeutenden Bischof Burchard O. handelt, der von 1000 bis 1025 regierte und den Neubau des noch bestehenden Wormser Domes begann, der im Jahr 1018 in Gegenwart Kaiser Heinrichs II. geweiht wurde. Wahrscheinlich haben die oben genannten Bestätigungen von 1190 und 1223 ihren Grund darin, dass der Pfarrbezirk von Niederspay (mit Oberspay, Siebenborn und Brey) erst noch der Übertragung der Großpfarrei Boppard an das St.-Martins-Stift abgetrennt und zur selbständigen Pfarrei erhoben worden ist, so dass es im späten 12. Jahrhundert zweifelhaft sein konnte, ob Spay in die Schenkung Ottos III. bzw. Bischof Burchards einbezogen war; das wurde aber dann durch König Heinrich VI. und Papst Honorius bestätigt.
Für die Geschichte von Spay heißt das, dass die ältere, vielleicht in den Anfang des 9. Jahrhunderts zurückreichende St.-Lambert-Kirche zunächst Filialkirche der zum Königsgut gehörenden Großpfarrei Boppard war, mit dieser um 991/995 an das Bistum Worms und von diesem an das Stift St. Martin in Worms kam und danach, jedenfalls vor 1190, zwar verselbstständigt und zur Pfarrkirche erhoben wurde, aber weiter beim Stift St. Martin in Worms geblieben ist. In der Praxis bedeutet dies, dass die Stiftsherren von St. Martin die Zehnteinnahmen mit Ausnahme des vorgeschriebenen Anteils für den Pfarrer, den sie benennen durften, erhielten, dafür aber auch einen Teil der Baukosten der Kirche zu tragen hatten. 1271 wurde ihnen schließlich die Kirche inkorporiert, was besagt:, dass der jeweilige Dekan des Stiftes St. Martin gleichzeitig Pfarrer von Spay war, aber einen ständigen Vikar (Pfarrverwalter) bestellen und besolden musste. Diese Rechtsform bestand dann über 600 Jahre bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.
Von all dem kann man heute freilich in der Alten Kirche von Spay nichts mehr erkennen. Erhalten ist: vielmehr ein - wie das Datum am Eingangsportal festhält: - im Weihbischof Verhorst geweihter (und vermutlich damals erst: fertiggestellter) Neubau, eine für das späte 17. Jahrhundert typische Saalkirche mit: rechtwinkligem Ostchor. Im mächtigen Westturm sind Teile des Vorgängerbaues erholten, Wenn es auch vorerst dahingestellt: sein mag und genauerer Untersuchungen bedürfte, ob hier sogar römische Bauteile erkennbar sind. Jedenfalls ist in unserer Landschaft der Gedanke nicht abwegig, dass die erste Kirche in die Ruinen eines römischen Gebäudes - wobei man an einen römischen Wachtturm am Rheinufer denkt - hineingebaut: wurde; es gäbe dazu viele Porollelen. Über den mittelalterlichen Vorgängerbau aber konnten nur Grabungen im Schiff der heutigen Kirche Auskunft geben; es ist: jedenfalls sehr wahrscheinlich, dass die alten Fundamente einer wohl kleineren, mehrschiffigen Kirche noch im Boden erhalten sind. Gewiss muss man auch mit: baulichen Veränderungen im Laufe der Jahrhunderte rechnen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde diese Kirche dann zu klein und auch baufällig. Man entschloss sich zu einem großen, modernen Neubau, und die nun alte Kirche überließ man ihrem Geschick. Zu Anfang des [20.] Jahrhunderts, kurz vor dem 1. Weltkrieg, bestand Einsturzgefahr, aber weder die Zivil- noch die Kirchengemeinde wollten etwas für die Erhaltung tun, obschon der Regierungspräsident: von Koblenz die Kirche als ein „in baulicher Hinsicht künstlerisches Werk“ bezeichnete. Der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz gab schließlich 2.000 Mark, mit denen wenigstens der Turm vor dem drohenden Einsturz bewahrt werden konnte. Alle Überlegungen einer umfassenden Sanierung des Gebäudes scheiterten aber letztlich daran, dass es an einer Idee für eine sinnvolle Nutzung des Gebäudes fehlte.
Die Geschichte des weiteren stetigen Verfalls der alten St.-Lambert-Kirche aber ist hier nicht: nachzuzeichnen. Zuletzt: standen noch der Turm und die Umfassungsmauern der Kirche als offene Ruine. Deren Einsturz und Abbruch waren vorprogrammiert. Davor gerettet hat: die Kirche der Spayer Bürger Franz Krautkremer. Er hat: das Gebäude nach langwierigen Verhandlungen mit der Kirchengemeinde und der Diözese Trier 1977 erworben und sofort umfassend saniert. Für eine erneute rechtmäßige Nutzung als Sakralraum fehlte die Zweckbestimmung. Deshalb entschloss sich Franz Krautkremer, die architektonisch vorgegebene Halle als neutralen Versammlungsraum einzurichten, wobei von vornherein auch an musikalische Veranstaltungen (Konzerte) gedacht war. Deshalb wurde im ehemaligen Chorraum eine Orgel mit 14 Registern, die für die gesamte Orgelliteratur ausgelegt ist, aufgestellt. Die Bestuhlung ist aber variabel, so dass der Raum auch für andere Versammlungen und Empfänge zur Verfügung steht. Die Konzerte in der Alten Kirche in Spay sind inzwischen eine feste und für Kundige herausragende kulturelle Einrichtung unserer mittelrheinischen Heimat, nicht zuletzt wegen des großen persönlichen Engagements von Professor Peter Dicke (Musikhochschule Köln), dem Schwiegersohn von Franz Krautkremer. Trotzdem ist diese Alte Kirche von Spay nicht völlig profaniert. In geduldiger, aufmerksamer Sammeltätigkeit ist es Franz Krautkremer gelungen, dem Raum wieder eine Ausstattung zu geben, die nicht meseal ist, sondern daran erinnert und bewusst macht, dass es sich um ein Gebäude handelt, das als Kirche, als Gotteshaus errichtet wurde und das auch heute noch dem Gotteslob dienen kann und dienen will.
Es ist hier nicht der Ort, eine vollständige Beschreibung dieser Innenausstattung zu geben, aber einige Stücke sollen doch genannt sein. Da ist zunächst an der rechten Wandseite das Altarbild aus der alten Kirche, ein Passionsaltar in Form eines Tryptichons, der eine Leihgabe der Kirchengemeinde ist und ja recht eigentlich auch hierher gehört. Es handelt sich um eine Arbeit aus dem Kreis des Kölner Meisters der hl. Sippe um 1500; die Seitenflügel sind Ergänzungen der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. An der gegenüberliegenden linken Wand hat seit kurzem ein wohl um 1500 entstandener spätgotischer Christus-Corpus - sehr eindrucksvoll ohne Kreuz - auf der weiten Mauerfläche einen Platz gefunden. Darunter hängt eine Grablegung, wahrscheinlich Flämisch aus dem 17. Jahrhundert. An der linken Ostwand neben dem Chor hat eine Pieta einen guten Platz; sie wird als süddeutsche Arbeit der Zörn-Schule um 1600 angesprochen. An der Innenwand des Turmes befinden sich zwei halbfigürliche Holzplastiken der Apostel Petrus und Paulus, beides Arbeiten aus der Zeit um 1650, vielleicht aus dem spanischen Raum. An der Außenseite des Turmes schließlich ist über dem Portal in einer Nische eine Statue des hl. Josef in einem Eisenguss des 19. Jahrhunderts aus der alten Kirche erhalten; für die leere parallele Nische wurde von privater Seite eine Madonna gestiftet. Genannt seien schließlich noch an der Rückwand der Kirche eine Kreuzwegszene aus dem 17. Jahrhundert und zwei in die Westwand eingemauerte Grabkreuze von 1585 und 1616, sowie das Fragment einer Grabinschrift, die sicher in eine sehr frühe Zeit zurückreicht, aber noch genauerer Dotierung und Fundortbestimmung bedürfte. Neben diesem ehemaligen Kirchenraum, dessen harmonische Gestaltung noch durch eine schmucklose, leicht abgehängte, trapezförmige Holzdecke, einen großen schmiedeeisernen Leuchter und verschiedene schmiedeeiserne Gitter unterstrichen wird, muss auch noch der zwar erhalten gebliebene, nun aber umfassend restaurierte Turm genannt werden, dessen wuchtige äußere Gestaltung das Ortsbild von Spay mitprägt: und dessen geräumiger Glockenraum nun als Turmzimmer für kleine Gesellschaften genutzt: wird.
Die alte Kirche von Spay ist heute weder ein steriles Museum, noch ein seelenloser Tagungsraum, sondern ein Bauwerk, das Atmosphäre hat und vermittelt, das an die weit über tausendjährige Geschichte eines christlichen Gotteshauses erinnert. eingebunden mit klangvollen Namen in deutsche und rheinische Vergangenheit, verbunden aber ebenso den Menschen aus Spay, den Bauern, Winzern, Schiffern und Fischern, die hier in Freud und Leid, im Alltag und zu Festen zusammengekommen sind, gebetet und gesungen haben. Die Initiative eines Bürgers unserer Tage hat dieses Gebäude nicht nur erhalten und als solches erneuert, sondern hat ihm auch eine neue Funktion gegeben und damit nicht nur passiv Tradition gewahrt, sondern auch aktiv kulturelles Tun ermöglicht. Dafür sei Franz Krautkremer gedankt.