So stelle ich mir einen Gottesdienst für die Göttin Isis vor:
Als wir an der Tempelanlage ankommen, ist schon fast die ganze Gemeinde im Innenhof versammelt. Wir stellen uns zu den anderen, die sich schon in zwei Reihen angeordnet haben, die zu beiden Seiten des Weges stehen, den die Priester später entlanggehen. Plötzlich ertönt das rhythmische Schlagen einer Rassel und alle um uns herum verstummen. Langsam öffnet sich das Portal des Tempels und zwei Priester treten heraus.
Der erste schreitet den Gang zwischen den Gläubigen entlang, während der zweite mit einem Korb von Mensch zu Mensch geht und die Opfergaben, die wir mitgebracht haben, einsammelt. Der erste Priester ist nun am Altar angelangt und erhebt die Hände zum Himmel. Die Rassel hört auf zu schlagen. Mit klagender und tiefer Stimme fängt der Priester einen leichten Gesang an, mit dem er die Göttin um Regen und reiche Ernte bittet. Dann entzündet er das auf dem Altar liegende Holz.
Der zweite Priester hat jetzt alle Opfer eingesammelt und übergibt sie dem anderen. Dieser segnet sie und unter dem erneuten Schlagen der Rassel wirft er jede Opfergabe, Gebete murmelnd, ins Feuer. Ich sehe die Hühner meiner Eltern und meine Früchte in den Flammen verschwinden. Als alles verbrannt ist, knien die Priester nieder und erheben sich dann wieder zum Himmel empor schauend. Bedächtig und ehrfürchtig fegen sie die Asche in ein goldenes Schälchen und verstreuen sie dann im Wind, auf dass der Wind die Asche der Opfergaben mit sich trage. Als nächstes gehen sie an der Menschenreihe vorbei und segnen jeden einzelnen.
Als die Hände des Priesters segnend über meinen Kopf verweilen, muss ich unwillkürlich zittern. Dann strömen die Gläubigen aus dem Innenhof in ein Gebäude, in dem wir gemeinsam speisen. Jeder hat etwas mitgebracht und gemeinsam danken wir der Göttin für ihre Güte. Es ist spät geworden und meine Eltern und ich machen uns auf den Weg nach Hause.
Text: Esther