Großwinternheim in Rheinhessen

Die villae rusticae von Großwinternheim – Ein Beispiel ländlicher Besiedlung in Rheinhessen zu römischer Zeit

In der heutigen Gemarkung des Ingelheimer Stadtteils Großwinternheim sind im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts diverse römerzeitliche Funde gemacht worden, die auf eine Besiedlung des Gebiets mit einzelnen römischen villae rusticae hindeuten. Diese Art der Besiedlung war für das ländliche Hinterland größerer, geschlossener römischer Ansiedlungen typisch.[Anm. 1]

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind bereits fünf Fundstellen von Überresten römischer Gutshöfe oder Begräbnisstätten bekannt. Folgende Fundstellen werden genannt: Gewann Kellerborn bei der Eulenmühle, „Im Flürchen“, „In der Bein“, „Am Klettenberg“ und die Gewann „Knaben“ am Schwabenheimer Häuserweg.[Anm. 2] Viele dieser Funde werden bereits in einer Ortschronik aus dem Jahr 1864 erwähnt, welche von einem nicht näher bekannten Herrn Fritschler verfasst wurde. Diese Chronik bietet bis heute die Grundlage für die in diesem Text verwendete Forschungsliteratur.[Anm. 3] Im Folgenden werden die einzelnen Funde an den dort genannten Stellen, sowie spätere Funde, die an anderer Stelle gefunden wurden, beschrieben.

An der Fundstelle östlich der Eulenmühle wurden Reste einer kleinen villa rustica entdeckt, die aufgrund einer ebenfalls dort gefundenen Münze in die 90er Jahre des 4. Jahrhunderts n. Chr. datiert werden.[Anm. 4] Ob die Münze unter Valentinian II. (375-392), Theodosius I. (379-395) oder Arcadius (395-408; Mitkaiser seit 383) geprägt wurde ist nicht mehr eindeutig zu ermitteln, die Forschung geht aber von einem Prägezeitraum von 388-392 aus.[Anm. 5] Diese Datierung ist eine der spätesten für römische Gutshöfe in Rheinhessen und ist auch ein Beispiel für die Weiternutzung einiger villae rusticae nach den Zerstörungen durch die Alamanneneinfälle in der zweiten Hälfte des 3. und der Mitte des 4. Jahrhunderts.[Anm. 6] An der Eulenmühle wurden außerdem noch weitere Funde gemacht, so eine weitere Münze (geprägt unter Tetricus I. 271-274), nach Ober-Ingelheim hin Fundamente und Gewölbe, sowie ein heute verschollener Tonkrug.[Anm. 7] Aufgrund dieser Funde geht man in der Forschung von einer Besiedlung dieser Stelle vom 2.-4. Jahrhundert aus. Es wird angenommen, dass der Flurname „Kellerborn“ nordöstlich der Eulenmühle von den Resten jener villa rustica herrührt.[Anm. 8] 

In der Gewann „Knaben“ am Schwabenheimer Häuserweg wurden laut der Ortschronik vom Ende des 19. Jahrhunderts römische Brandgräber mit “[…] Gefäßen von gebrannter Erde, Lampen, Armringe, Kopfspanne, Münzen.“ gefunden, deren Verbleib allerdings unbekannt ist.[Anm. 9] In der Nähe dieser Fundstelle fand man im 19. Jahrhundert „[…]Dachrinnen, Steine mit Inschriften und Köpfe“.[Anm. 10] Diese Funde sind heute ebenfalls verschollen, aber laut der Fundbeschreibung könnte es sich um ein Ziegelplattengrab mit Grabmal gehandelt haben.[Anm. 11] In der Gewann hat also möglicherweise ein kleines, römisches Gräberfeld gelegen, das zu einem noch unentdeckten Gutshof gehört haben könnte.

Ebenfalls im 19. Jahrhundert wurden Reste einer villa rustica „Im Flürchen“ bekannt. Fritschler erwähnt in seiner Ortschronik eine Sage, dass an dieser Stelle mal eine Burg gestanden habe, an deren Steinen sich die Bewohner von Großwinternheim für Baumaterial bedienten.[Anm. 12] Er erwähnt aber auch zu seiner Zeit noch zu sehende „[…] sehr feste Fundamente in nicht kleinem Umfang in gerunder und gerader Richtung […]“.[Anm. 13] Herr Fritschler beschrieb die alten Mauerreste anhand von Bürgerbefragungen noch weiter: „Die Dicke der vorhanden gewesenen Mauer war 5 bis 7 Schuh, welche nach und nach, um die Steine zu benutzen verschwand.“ Er interpretierte die Mauern als Überreste eines römischen „Kastrums“, das seiner Meinung nach möglicherweise in der Zeit der Statthalterschaft des Nero Claudius Drusus, genauer zwischen 8 vor und 8 nach Christus, erbaut worden war, da in diesen Jahren „[…] Friede am Rhein herrschte, so daß Kriegsvolk Zeit hatte, Bauten zu vollenden […]“.[Anm. 14] Fritschler stellte außerdem die Überlegung an, dass es sich bei dem „Kastrum“ um ein Winterlager handelte, dass dem Ort seinen Namen gab.[Anm. 15] Dieser Datierungsvorschlag und die Interpretation der Funde als Reste einer militärischen Anlage sind nach neueren Forschungsergebnissen nicht mehr zu halten und somit auch die Herleitung des Ortsnamens von diesem Bauwerk zu bezweifeln. 1990 fand sich im Bereich des vermuteten Hauptgebäudes ein Holzziegelfragment mit Rußspuren, was auf eine Hypocaustanlage hindeutet. Aufgrund verschiedener Lesefunde, wie beispielsweise einer in Konstantinopel geprägten Münze des Valens (367-378), wird eine Nutzung des Gutshofs in der Zeit vom 2. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts angenommen.[Anm. 16] Peter Haupt vermutet, dass die von Karl Schumacher zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwähnte villa rustica in der direkt benachbarten Gewann „Bein“ identisch mit der villa rustica „Im Flürchen“ ist, da bei erneuten Begehungen in der heutigen Gewann „Bein“ keine Funde gemacht wurden.[Anm. 17] 

Fritschler erwähnt eine weitere, mögliche Fundstelle „nah am Ende des Ortes, nach Ober-Ingelheim zu“.[Anm. 18] Dort stieß man beim Bau eines Wohnhauses auf Fundamente, die daraufhin wiederbenutzt wurden. Direkt daneben auf einem Acker fand sich ein „Gewölbe mit ganz regelmäßig gut zugerichteten und eingesetzten Mauer-Steinen“, die nach dem Hausbau als Weinkeller weitergenutzt wurden.[Anm. 19] Ob dieses Wohnhaus tatsächlich auf römischen Fundamenten erbaut wurde, wurde bis heute nicht näher untersucht.

Auch im 20. Jahrhundert wurden in Großwinternheim diverse römische Funde gemacht. So wurde 1959/60 ein kleiner Henkelkrug am Schwabenheimer Weg (heute „In der Angelbitz“) entdeckt, der ins 3.-4. Jahrhundert datiert wird und heute im Besitz des Landesmuseums Mainz ist. Es könnte sich bei dem Krug um eine Grabbeigabe handeln, Genaueres lässt sich über den Einzelfund allerdings nicht sagen.[Anm. 20]

1992 wurden bei Feldarbeiten und einer anschließenden Begehung Reste einer villa rustica „Auf dem Wamms“ gefunden. Die Funde (Steine, Ziegel, Schiefer, Terra Sigillata) sind heute im Besitz der GDKE und werden ins 3. Jahrhundert datiert.[Anm. 21]

Auf einen besonderen Fund vom Beginn des 20. oder dem Ende des 19. Jahrhunderts sei zum Schluss noch hingewiesen. „Am Klettenberg“ wurden „71 römische Münzen der ersten Kaiserzeit“ gefunden. Diese befanden sich „in einem Loch“, was auf eine Hortung, also einer absichtlichen Deponierung dieser Münzen hindeutet. Es könnte sich bei dem Loch allerdings auch um einen verfüllten, römischen Keller gehandelt haben, womit ein unabsichtliches Zusammenkommen der Münzen nicht auszuschließen ist. Der Verbleib der Münzen ist leider unbekannt.[Anm. 22]

Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass das Gebiet des heutigen Großwinternheims in römischer Zeit nicht flächendeckend besiedelt war, sondern nur sporadisch durch einzelne villae rusticae. Folglich war das Gebiet landwirtschaftlich geprägt und sicherte die Versorgung der größeren römischen Ansiedlungen in der Region, allen voran Mogontiacum.[Anm. 23] Die römische Besiedlung von Großwinternheim stellt somit ein typisches Beispiel des landwirtschaftlich genutzten Hinterlandes während der römischen Zeit in Rheinhessen dar.

Nachweise

Verfasser: Lutz Luckhaupt

Verwendete Literatur:

  • Fritschler: Chronik von Groß-Winternheim (Kreis Bingen). Ober-Ingelheim 1864.
  • Haupt, Peter: vicus. Villae. Vinum. Der Ingelheimer Raum in der Römerzeit. Ingelheim 1996.
  • Müller-Wilke, Michael / Oldenstein, Jürgen: Die ländliche Besiedlung des Umlandes von Mainz in spätrömischer und frühmittelalterlicher Zeit. Ber. RGK 62 (1981), S. 261-316.
  • Schumacher, Karl: Archäologische Karte der Umgebung von Mainz. MZ 3 (1908), S. 19-40.
  • Stümpel, Bernhard: Bericht des Landesdienstes für Vor- und Frühgeschichte im Reg.-Bez. Rheinhessen und im Kreis Kreuznach für die Zeit vom 1. April 1959 bis 31. Dezember 1960. MZ 56/57 (1961/62), S. 213-233.

Erstellt am: 06.06.2018

Anmerkungen:

  1. Haupt, Peter: vicus. Villae. Vinum. Der Ingelheimer Raum in der Römerzeit. Ingelheim 1996, S. 24-25. Zurück
  2. Schumacher, Karl: Archäologische Karte der Umgebung von Mainz. MZ 3 (1908), S. 19-40, hier S. 25. Zurück
  3. Fritschler: Chronik von Groß-Winternheim. Ober-Ingelheim 1864. Siehe u.a. MZ 3, S. 25.  Zurück
  4. Haupt, S. 25. Zurück
  5. Ebenda. Siehe auch S. 85. Zurück
  6. Ebenda, S. 25. Zurück
  7. Für den Tonkrug siehe Fritschler, S. 4. Zurück
  8. Haupt, S. 53. Zurück
  9. Fritschler, S. 3. Siehe auch Haupt, S. 42.  Zurück
  10. Fritschler, S. 4. Siehe auch Haupt, S. 48. Zurück
  11. Haupt, S. 48. Siehe auch Müller-Wilke, Michael / Oldenstein, Jürgen: Die ländliche Besiedlung des Umlandes von Mainz in spätrömischer und frühmittelalterlicher Zeit. Ber. RGK 62 (1981), S. 261-316, hier S. 290. Zurück
  12. Fritschler, S. 1. Zurück
  13. Ebenda. Zurück
  14. Ebenda, S. 2. Zurück
  15. Ebenda, S. 3. Zurück
  16. Haupt, S. 52-53. Für genauere Informationen zu der Münze siehe auch S. 84. Zurück
  17. Haupt, S. 53. Für Erwähnungen einer villa rustica im „Bein“ siehe Schumacher, S. 25 und Müller-Wilke/Oldenstein, S. 290. Zurück
  18. Fritschler, S. 4-5. Zurück
  19. Haupt, S. 57. Siehe auch Fritschler, S. 4-5. Zurück
  20. Stümpel, Bernhard: Bericht des Landesdienstes für Vor- und Frühgeschichte im Reg.-Bez. Rheinhessen und im Kreis Kreuznach für die Zeit vom 1. April 1959 bis 31. Dezember 1960. MZ 56/57 (1961/62), S. 213-233, hier S. 218. Siehe auch Haupt, S. 48. Zurück
  21. Haupt, S. 52. Zurück
  22. Ebenda, S. 86. Zurück
  23. Siehe dazu Ebenda, S. 22-23. Zurück