Die Ehrenchronik der Gemeinde Hechtsheim 1914-1918
Viele Städte und Dörfer ließen nach dem 1. Weltkrieg sogenannte „Ehrenbücher“ oder „Ehrenchroniken“ drucken, um die Kriegsteilnehmer zu ehren, den Gefallenen zu gedenken, den Krieg und seine Auswirkungen zu dokumentieren und somit als Teil der eigenen Ortsgeschichte zu verarbeiten. In diesem Sinne können sie als ein wichtiges Zeugnis der frühen Erinnerungskultur zum Ersten Weltkrieg angesehen werden und sind von einer spezifischen Form von patriotischem Stolz und Trauer zugleich sowie einem hohen Maß an Selbstmitleid geprägt.
Auch der Mainzer Ortsbezirk Hechtsheim ließ 1930 ein in Leinen gefasstes, gold verziertes Buch zu Ehren der Kriegsteilnehmer der Gemeinde erstellen. Die von Aloys Richard, einem Gemeinderatsmitglied, gestiftete Ehrenchronik trägt den Titel „Ehrenchronik unserer Gemeinde – Weltkrieg 1914–1918“ und wird heute im Archiv Hechtsheimer Ortsgeschichte aufbewahrt. Zu Anfang des Buches findet sich zunächst eine Widmungsurkunde, die folgendes besagt:
„Die Bürgermeisterei und der Gemeinderat der Gemeinde Hechtsheim widmen diese Ehrenchronik der Nachwelt unserer Volksgenossen. Mögen sie die kommenden Generationen [in Ehren halten] und dabei derer gedenken, die mit Blut und Leben dem Vaterland gedient haben.“
Danach folgt eine Auflistung aller Kriegsteilnehmer aus Hechtsheim. 262 Namen [Anm. 1] sind handschriftlich aufgeführt – ein extrem hoher Anteil der damaligen männlichen Bevölkerung in der kleinen, landwirtschaftlich geprägten Gemeinde.[Anm. 2]
Jedem Soldat wird eine Seite mit einem Foto, genealogische Angaben, Regimentszugehörigkeit und Informationen zu seinem Zustand und Verbleib nach dem Krieg gewidmet. Ein Kreuz-Symbol bedeutet „gefallen“, zwei Kreuze „gestorben an den Kriegsfolgen in der Heimat“. Nach den dort angegebenen Zahlen sind 77 Hechtsheimer im Ersten Weltkrieg zu Tode gekommen und 7 an den Kriegsfolgen gestorben. Bei genauerer Betrachtung der Quellenlage verstarben aber höchstwahrscheinlich 84 Soldaten, das bedeutet 32% der Kriegsteilnehmer. 178 kehrten zurück und überlebten (68%). Die meisten der Männer waren zur Zeit ihres Wehrdienstes zwischen 17 und 25 Jahren alt (43%) bzw. zwischen 31 und 40 (28,4%). [Anm. 3]Explizit als „Kriegsfreiwilliger“ ist nur einer der Männer ausgewiesen. Aufällig ist außerdem, dass die Ehrenchronik über das emotionale Schicksal und die konkreten Erfahrungen während des Krieges nur wenig preis gibt. Auch schwerwiegende Kriegsfolgen wie beispielsweise Verletzungen werden nur vereinzelt aufführt. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Chronik – wie auch ihr Name schon verrät – ausschließlich zu Ehren (oder zur Verehrung) der Soldaten angedacht war und somit keineswegs als Quelle zur Bedeutung Hechtsheims während des Ersten Weltkriegs gewertet werden kann. Die Intention war klar formuliert:„In treuer soldatischer Pflichterfüllung und um des Vaterlandes Bestand und Ehre“ haben die Hechtsheimer „am großen Kriege 1914 – 1918 teilgenommen“ - und als solche sollen Sie in die Geschichte der Gemeinde eingehen.
Im Anschluss an die Gedenk- und Ehrenblätter folgen gedruckte Texte, die verschiedene Aspekte des Krieges thematisieren und zweifellos ein Zeugnis für die Wahrnehmung des Krieges in der Rückschau um 1930 darstellen. Behandelt werden die „Ursachen des Weltkriegs“, die „wichtigsten Kriegsereignisse“, Kriegskosten und die wirtschaftliche Lage Hechtsheims während des Krieges. Ebenso sind „Kriegserlebnisse in der Heimat“ Teil des Werkes. Das Kapitel, welches sich mit dem Versailler Vertrag auseinandersetzt, offenbart klar die Haltung des Autors:
„Seit der Vernichtung Karthagos durch die Römer sind Bedingungen von solcher Härte keinem Volke mehr auferlegt worden. Um die ungeheuerlichen Forderungen und die Ausbeutung Deutschlands zu begründen, wurde die Lüge von der Alleinschuld Deutschlands am Kriege erfunden.“
Die Auffassung, Deutschland als Opfer eines ungerechten Friedensvertrags zu sehen, war in der Zwischenkriegszeit im ganzen Reich verbreitet und gipfelte im übersteigerten Nationalismus der NS-Zeit. Zur Entstehungszeit der Ehrenchronik befand sich Hechtsheim – wie die meisten anderen Dörfer im Rheinland – zum einen in einer wirtschaftlichen Notlage und zum anderen noch immer unter dem Einfluss des französischen Besatzungsregimes, das bis zum 30. Juni 1930 anhielt. Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass auch 12 Jahre nach Kriegsende die Geschehnisse noch immer allgegenwärtig waren und die Ehrenchronik der Gemeinde Hechtsheim dazu beitrug, das Kriegsgeschehen und die zeitgenössische Situation zu verarbeiten.
Nachweise
Red. Bearb. Katharina Thielen
Verwendete Literatur:
- Knigge Tesche, Renate: Die "Ehrenchronik" der Gemeinde Hechtsheim 1914-1918. In: Mainz und der Erste Weltkrieg, Mainzer Geschichtsblätter 14 (2008). (Veröffentlichungen des Vereins für Sozialgeschichte Mainz e.V.)
Erstellt am 14.4.2013
Anmerkungen:
- Nach Renate Knigge-Tesche, S. 126 nahmen tatsächlich 264 Hechtsheimer am Ersten Weltkrieg teil. Zurück
- Renate Knigge-Tesche, S. 126 spricht auf der Grundlager der Volkszählung von 1910 von insges. 791 männlichen Personen, d.h. ca. 40% der Einwohner. Zurück
- 19,3 % waren zwischen 26 und 30 und 8% über 41 Jahr alt. Zurück