Marienrachdorf im Westerwald

Zur Geschichte von Marienrachdorf

Der Dorfplatz mit der kath. Kirche[Bild: Bettina Dietrich]

Erstmals erwähnt wird eine Ursiedlung Rachdorf im Jahr 1191, als ein »Roricus de Rachtorff«[Anm. 1] in einer Urkunde des Kölner Erzbischofs Philip I. von Heinsberg (1167-1191) erscheint, der sich Burg Olbrück von Graf Dietrich von Wied (1189-1242) zu Lehen auftragen ließ.[Anm. 2] Entstanden sein dürfte Rachdorf wie andere -dorf-Orte im Westerwald auch in fränkischer Zeit, spätestens wohl im 6. Jahrhundert.[Anm. 3]

Anfangs nur als »Rachdorf« (Dorf des Racho?) bezeichnet, wandelt sich der Ortsname im Laufe der Zeit: »Marcrachdorf« (1321), »Rachdorf« (1343), »Marttraichdorff« (1426), »Rechtorff« (1458), »Martraechtorff« (1488), »Marckrachdorff« (1550), »Marcktrachdorf« (1513). So wurde der Ort als das an der Mark, an der Grenze liegende Rachdorf von Brückrachdorf und Freirachdorf unterschieden. Die Namensbestandteil »Mark« wurde unter dem Einfluss des Patroziniums der Kirche (1739: »Mariae Rachdorf«) zu dem heute gültigen Marienrachdorf umgewidmet.[Anm. 4]

Unter den Herren und Grafen von Isenburg

Marienrachdorf war das Zentrum einer isenburgischen Grundherrschaft.[Anm. 5] Bis zum Jahr 1664 stand die Ortsherrschaft in Marienrachdorf in Abhängigkeit vom Erzstift Trier den verschiedenen Vertretern des Hauses Isenburg zu. So belehnte Erzbischof Johann II. von Trier (1456-1503) im Jahr 1460 Gerlach von Isenburg-Grenzau (1443-1501) mit der Burg Grenzau sowie den Dörfern Rachdorf, Breitenau, Meudt und Alsbach, wie dies schon Philipp von Isenburg (1395-1439/40) und dessen Vorfahren besessen hatten.[Anm. 6]

Die Isenburger waren selbst in Marienrachdorf mit trierischen Lehen begütert.[Anm. 7] Im Jahr 1343 bestätigte Philip, Herr von Isenburg(-Grenzau) (1332-1370) die »herscheften, gerichtes, Lude, Gudes oder Gulde« in Marienrachdorf (Rachdorf) und in anderen Dörfern sowie in deren Pfarreien als Lehen des Trierer Erzbischofs Balduin.[Anm. 8]

Auch das Patronatrecht und Einkünfte aus dem Zehnten standen den Isenburgern zu. So verfügte Gerlach, Herr zu Isenburg (1319-1371) 1338 über das Patronatrecht und den Zehnten zu Marienrachdorf (Rachdorf).[Anm. 9] Im Jahr 1392 musste Salentin V. von Isenburg (1368-1419) allerdings die Hälfte des Patronatrechtes und des Zehnten in Marienrachdorf dem Gerlach von Isenburg-Wied (1369-1413) überlassen.[Anm. 10] Diese geteilten Rechte an Patronat und Zehnten in Marienrachdorf, stets Lehen der Trierer Erzbischöfe , wurden des Öfteren wiederholt.[Anm. 11]

Neben den Isenburgern waren auch andere Herren in und bei Marienrachdorf begütert, wie 1325 der Knappe Werner von Limbach, der Ritter Giso gen. Mant und der Knappe Heidenreich von Limbach.[Anm. 12] Als Siegler dieser Urkunde tritt neben Dietrich von Arenfels, Herr zu Isenburg auch Engelbert von Sayn auf, beredtes Zeichen dafür, dass das verwandte Haus Sayn, wie bereits im Jahr 1263 auch jetzt in Marienrachdorf engagiert war. Ebenso begütert waren 1468 Gobel Neunheufft und seine Frau Meckel,[Anm. 13] 1475 Ritter Gilbracht Wais von Fauerbach und andere Herren, sämtlich Enkel des verstorbenen Ritters Gilbracht von Schönberg,[Anm. 14] sowie 1476 Konrad von Schwalbach, die Brüder Gilbracht, Cuno und Godebracht von Irmtraut und Philipp von Reifenberg.[Anm. 15]

Heinrich II., Herr von Isenburg-Grenzau (1213-1287) und seine Frau Mechthild (1246-1264), schenkten 1263 dem Kloster Rommersdorf mit Zustimmung ihrer Söhne Gerlach, Ludwig, Heinrich und Everard, des Gottfried, Grafen von Sayn (1253-1283) sowie des Dieter von Molsberg (1230-1276) ihre beiden Höfe in Marienrachdorf zu ihrem und ihrer Eltern Seelenheil.[Anm. 16]

Bei der Grenzauer Erbteilung zwischen 1304 und 1310 zwischen Dietrich von Isenburg-Arenfels (1299-1334) und Luther von Isenburg-Büdingen (1280-1341), fiel Marienrachdorf mit anderen Dörfern des Kirchspiels an Dietrich von Isenburg-Arenfels. Als Trennungslinie der beiden Herrschaftsbereiche wurde die Straße gewählt, die von Bendorf, westlich Grenzhausen und Alsbach, über Deesen, Sessenhausen mitten durch das Gericht Marienrachdorf nach Herschbach verlief. Luther erhielt den nördlich dieser Straße mit der Burg Grenzau, während der Südostteil der alten Herrschaft Grenzau an Isenburg-Arenfels fiel. Der Beulhof wird 1325 in der Pfarrei Marienrachdorf (infra limites parrochie de Rachdorf) und zugleich in der Herrschaft Dietrichs von Isenburg-Arenfels genannt (in territorio Th. de A.).[Anm. 17] Damit ist auch das Kirchspiel Marienrachdorf 1325 in der Hand Dietrichs bezeugt.[Anm. 18]

Als Sicherung dieses Bereiches dürfte 1320 die Burg in Herschbach entstanden sein.

Die isenburgischen Rechte in und um Marienrachdorf waren des Öfteren zwischen mehreren Territorialherren umstritten.[Anm. 19] Dies dürfte auch der Grund für die Abfassung verschiedener Weistümer gewesen sein, in denen die Rechten und Pflichten der Herren von Isenburg-Grenzau im Kirchspiel Marienrachdorf festgehalten sind.[Anm. 20]

Erzbischof Jakob III. von Trier (1567-1581) erteilte dem Salentin, ehemals Erzbischof zu Köln, nach dessen Übertritt in den weltlichen Stand, als Graf Salentin VI. von Isenburg und Herr zu Grenzau (1577-1610), die Erlaubnis, neben der Burg Grenzau und anderen Güter auch Gülten und Güter aus Marienrachdorf (Rachtorff), das dortige Patronatrecht und gewisse Zehnteinnahmen als Wittum für seine Braut Gräfin Antonia Wilhelmine von der Marck und Arenberg zu verwenden.[Anm. 21]
Salentins Sohn, Saltentin VII. starb bereits 1619. Der zweite Sohn, Ernst I., verstarb als letzter Graf von Isenburg-Grenzaus im Jahr 1664.

Kurtrier 1664-1802

Als die Grafen von Isenburg-Grenzau 1664 ausstarben, kam Marienrachdorf als heimgefallenes Lehen vom isenburgischen Amt Herrschbach[Anm. 22] zum jetzt kurtrierischen Amt Herschbach. Das Amt umfasste die Gerichte Herschbach mit Schenkelberg, Marienrachdorf mit Krümmel, Marienhausen, Maroth, Sessenhausen, Kutscheid und Trierischhausen, Horhausen, Peterslahr, Hartenfels (seit 1739).

Nach der Auflösung des Trierer Kurstaates im Gefolge der französischen Besetzung der Rheinlande und den Bestimmungen des sog. Reichsdeputationshauptschlusses wurde das kurtrierische Amt Herschbach 1802/03 Teil des Fürstentums Nassau-Weilburg und 1806 mit Marienhausen Teil des Herzogtums Nassau.

Das Amt wurde ohne die 1815 an Preußen abgetretenen Gerichte Horhausen und Peterslahr 1817 mit dem Amt Selters vereinigt. Nach der Niederlage des Nassauer Herzogs im »Deutschen Krieg« wurde das Herzogtum Nassau 1866 vom Königreich Preußen annektiert.

Im Jahr 1867 wurde Marienrachdorf dann dem neu gebildeteten Unterwesterwaldkreis zugeteilt und nach dem 2. Weltkrieg 1946 Teil des neuen Bundeslandes Rheinland-Pfalz. Aus dem Unterwesterwaldkreis entstand 1974 der Westerwaldkreis. Seit 1972 ist die Ortsgemeinde Marienrachdorf Teil der Verbandsgemeinde Selters.

Nachrichten aus Marienrachdorf

Der Bahnhof im Jahr 1982[Bild: Wolfgang Clössner]

Unterhalb von Marienrachdorf wird schon 1487 der Ehrlichsweiher genannt, der nach 1827 wie auch der kleinere Schafstallweiher auf dem Ehrlich trockengelegt und in Wiesenflächen umgewandelt wurde.

Marienrachdorf hatte 1664 noch keine Schule, doch wird schon 1682 eine Schulmeisterin genannt. 1964 entstand in Marienrachdorf ein Schulhaus.

Im Jahr 1637, der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) hatte hier wohl schon seinen Tribut gefordert, lebten nur 4 Männer in Marienrachdorf. 1683 war deren Anzahl bereits auf 15 Männer gestiegen. Im Jahr 1723 wurden 26 Familien gezählt, 1787 dann 175 Einwohner. Im Jahr 1892 war die Einwohnerzahl auf 335 Einwohner in 82 Haushaltungen gestiegen. 1939 lebten 431 Einwohner, 1982 bereits 780 Einwohner im Ort. Ende 2019 wird die Einwohnerzahl mit 984 angegeben.

Wie in vielen anderen Orten auch, bildeten Land- und die Forstwirtschaft die Haupterwerbsquelle der Bewohner. In Marienrachdorf gingen aber auch Schuhmacher, Krämer, Färber und Schreiner ihrer Tätigkeit nach. Im 19. Jahrhundert gab es in Marienrachdorf zahlreiche »Landgänger«, die als reisende Händler mit ihren gekauften Waren einen festen Kundenkreis belieferten.

Im Jahr 1882 wurde Marienrachdorf an das Eisenbahnnetz angeschlossen. Dies wirkte sich günstig für den Quarzitbergbau aus. In Marienrachdorf wurde zwischen 1903 und 1978 etwa 80.000 Tonnen Quarzit abgebaut.[Anm. 23] Nach Erschöpfung des Quarzits wurden die rekultivierten Flächen der Gemeinde wieder zur Verfügung gestellt.[Anm. 24]

Nachweise

Verfasser: Stefan Grathoff

Literatur:

Webadressen:

Erstellt am: 12.10.2020

Anmerkungen:

  1. Der genannte Rorich hatte seinen Wohnsitz im heutigen FreirachdorfZurück
  2. LHA Koblenz Best. 40 Urkunde 7301. Zurück
  3. Die Aufspaltung des alten Ortes in mehrere Siedlungen Marienrachdorf und Freirachdorf (seit 1190) sowie später Brückrachdorf (1344 erstmals genannt) spricht für ein hohes Alter der ursprünglichen Siedlung (Gensicke, Landesgeschichte S. 11. Zurück
  4. Markovicz, Verbandsgemeinde S. 88ff. Zurück
  5. Gensicke, Landesgeschichte S. 42. Zurück
  6. LHA Koblenz Best. 35 Urkunde 25 vom 25.10.1460. Zurück
  7. So etwa 1443 (LHA Koblenz Best. 1 B Urkunden 1256 vom 25.5.1443) und 1457 (LHA Koblenz Best. 1 B Urkunde 1257 vom 26.8.1457). Im Jahr 1458 besaß Junker Salentin zu Isenburg einen Hof in Marienrachdorf (Rechtorff) als Trierer Lehen (LHA Ko Best. 149 Urkunde 19 vom 4.9.1458.) Zurück
  8. Günther, CDRM S. 454 Nr. 291; Gensicke, Landesgeschichte S. 177. Zurück
  9. LHA Koblenz Best. 1 A Urkunde 4941 zum 21.1.1338; Günther CDRM III Nr. S. 363 Nr. 228. Zurück
  10. Gensicke, Landesgeschichte S. 304. Zurück
  11. LHA Koblenz Best. 1 B Urkunde Lehenhof 1258 vom 5.4.1458; LHA Koblenz Best. 1 B Urkunde 1848 vom 22.5.1466; LHA Koblenz Best. 35 Urkunde 516 vom 3.1.1513; LHA Koblenz Best. 1 B Urkunde 1260 vom 2.11.1535; LHA Koblenz Best. 35 Urkunde 492 vom 11.4.1504; HHStA Wiesbaden Best. 121 Nr U von Isenburg vom 3.1.1513; LHA Koblenz Best. 1 B Urkunde 2276 vom 12.9.1560; LHA Koblenz Best. 1 B Urkunde 824 vom 10.12.1610; LHA Koblenz Best. 35 Urkunde Nr. 812 vom 19.11.1624; LHA Koblenz Best. 1 B Urkunde 2282 vom 15.1.1633: LHA Koblenz Best. 35 Urkunde 1143 vom 13.5.1655. Zurück
  12. Sie trugen Erzbischof Balduin von Trier (1307-1354) am 26.1.1325 u.a. auch Güter zu Rachdorf als Burglehen zu Montabaur auf (LHA Koblenz Best. 1 A Urkunde 4621). Zurück
  13. Sie verkaufen am 25. Juli 1468 Güter an die Kirche zu Marienrachdorf (HHStA Wiesbaden Best. 340 Nr. U 11426 a). Zurück
  14. Die Herren verkauften am 25.11.1475 ihren Hof zu Marienrachdorf mit Zubehör an die Eheleute Hermann Klockener daselbst (HHStA Wiesbaden Best. 114 Nr U 6). Zurück
  15. Sie versetzten am 24.7.1476 die jährliche Erbpacht an ihrem Hof zu Marienrachdorf an die Eheleute Hermann Clockener aus Marienrachdorf. In der Urkunde wird unter den Sieglern auch Johann von Imhausen, Pfarrer zu Marienrachdorf erwähnt (HHStA Wiesbaden Best. 114 Nr. U 7). Zurück
  16. LHA Koblenz Best. 162 Urkunde 64; Goerz MR III Nr. 1937; Gensicke, Landesgeschichte S. 177. Salentin, Herr zu Isenburg (1328-1364) bestätigte diese Urkunde am 11.2.1353 (LHA Koblenz Best. 162 Urkunde 257). Zurück
  17. Gensicke, Landesgeschichte S. 177. Zurück
  18. Gensicke, Landesgeschichte S. 295. Zurück
  19. Im Jahr 1521 werden Rechtsstreitigkeiten zwischen Sayn und Isenburg im Bann Maxsain, zwischen Herschbach und Mündersbach, bei Marienrachdorf sowie einigen Orten am Rhein bekannt (HHStA Wiesbaden Best. 340 Nr. 1545 m). Zurück
  20. Ein erstes Weistum ist von 1536 überliefert (HHStA Wiesbaden Best. 114 Nr. U 17). Ein Weistum über die Hegung und die Grenzen des den Herren von Isenburg-Grenzau zustehenden Gerichts zu Marienrachdorf, deren Gefälle, Rechte und Verpflichtungen daselbst stammt aus dem Jahr 1538 (HHStA Wiesbaden Best. 114 Nr. U 18), ein Schöffenweistum über die Rechte des Herrn von Isenburg und Grenzau zu Rachdorf (Rechtorff) ist 1538 belegt (LHA Koblenz Best. 35 Urkunde 1066 01 vom 10.9.1538), ebenso ein Weistum von 1548 über die Rechte der Herren von Isenburg und Grenzau zu Marienrachdorf (LHA Koblenz Best. 35 Urkunde 635 vom 19.6.1548; Druck bei: Grimm, Weistümer 6, 739ff.). Zurück
  21. LHA Koblenz Best. 35 Urkunde 761 vom 19.6.1578. Zurück
  22. 1552/1554 wird Marienrachdorf als Bestandteil des Amtes Herschbach erwähnt (Gensicke, Landesgeschichte S. 394.) Zurück
  23. Vgl. die Akte 'Abbau von Quarzit- und Kaolinsand in der Gemeinde Marienrachdorf 1906-1975' (LHA Koblenz Best. 655, 285 Sachakte 71), in der sich u.a. Schürfverträge mit der Fa. Hoesch-Köln Neuessen AG (Dortmund), der Steuler-Industrie (Höhr-Grenzhausen) und der Fa. Didier-Werke AG (Wiesbaden) befinde. Zurück
  24. Markovic, Verbandsgemeinde S. 88ff. Zurück