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2.1. Frauenleben und Frauenaktivitäten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts

„Die meisten Frauen bleiben Zeit ihres ganzen Lebens hindurch – Kinder. Erst leben sie unter steter, ja stündlicher Aufsicht im Elternhaus und wagen keine andern [sic!] Ansichten zu haben als die in der Familie herrschenden; dann werden sie Gattinnen und […] urtheilen [sic!] im Geist ihres Mannes [...]. Die Frau muß fähig sein, selbstständig zu urtheilen [sic!], oder sie verletzt die menschliche Würde und ihre Weiblichkeit, indem sie zum Papagei wird, der gedankenlos nachplappert, was der Gebieter ihm vorgesprochen.“[Anm. 1]

Diese von Louise Otto-Peters 1843 formulierten Worte umschreiben treffend die Lage der Frauen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts – und auch noch viele weitere Jahre in der zweiten Hälfte des 19. bis weit in das 20. Jahrhundert hinein.[Anm. 2] Frau-Sein bedeutete einzig und allein das Aufgehen in der Familie mit Kindern (Mutter-Rolle), dem Haushalt (Hausfrauen-Rolle) und die Sorge um den Ehemann (Ehefrauen-Rolle), ohne politischen Rechte und Pflichten.[Anm. 3] Das polare Rollenmodell[Anm. 4] und damit die oft beschriebene strikte Trennung zwischen der privaten und öffentlichen Sphäre verfestigte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts,[Anm. 5] aber dennoch „besaßen [Frauen] wenigstens partiellen Zugang zu Bereichen mit Öffentlichkeitscharakter, die [sie] sich ebenso allmählich eroberten, wie sie diese um weibliche Aktionsfelder erweiterten.“[Anm. 6] 

Schon die Napoleonischen Kriege 1813–1815 mobilisierten weite Teile der weiblichen Bevölkerung, sich dem Kampf gegen die französische Fremdherrschaft anzuschließen. In Orientierung am Modell der männlich-patriotischen Vereine engagierten sich die Frauen nunmehr in eigenen weiblichen Zusammenschlüssen, die, laut Otto Dann, „die erste Organisierung von Frauen im Rahmen der modernen bürgerlichen Gesellschaftsbildung dar[stellten].“[Anm. 7] Allerdings konzentrierte sich deren Engagement vorrangig auf das Gebiet der Wohltätigkeit[Anm. 8] und war nicht mit einem politischen Bekenntnis verbunden. Nichtsdestoweniger schufen sich die Frauen mit karitativen Aktivitäten erstmals einen Handlungsraum außerhalb der Ihnen zugewiesenen häuslichen Sphäre, ohne dabei weder ihr Geschlecht noch das vorherrschende Rollendiktat zu verleugnen. Stattdessen übten sie die „mit ihrer Natur begründeten pflegenden und erzieherischen Pflichten“[Anm. 9] in Form einer „sozialen Mutterschaft“[Anm. 10] aus.[Anm. 11]

Eine breitere politische Betätigung und Ansätze zu politischem Vereinswesen konnten sich erst in den 1830er Jahren entfalten. Der polnische Unabhängigkeitskampf 1830/31 gegen das zaristische Russland, den vor allem deutsche Liberale und Demokraten als Symbol ihrer eigenen Hoffnungen auf nationale Einheit und Freiheit verstanden,[Anm. 12] führte zu einer Gründungswelle von Vereinen. Wie schon ihre Vorläuferinnen während der Napoleonischen Kriege organisierten sich auch Frauen in eigenen Assoziationen und gründeten sogenannte „Polenvereine“[Anm. 13]. Um ihren Beitrag zur Unterstützung der Aufständischen zu leisten, veranstalteten sie u.a. Geldsammlungen und Lotterien, fertigten Kleidungsstücke sowie Verbandmaterial an. Die Polenvereine unterschieden sich zwar nicht in ihrer Handlungsweise, dafür aber in ihrer Programmatik von den Frauenvereinen der Napoleonischen Kriege. Letztere richteten sich mit ihren patriotischen Unterstützungsmaßnahmen gegen die französische Besatzungsmacht, die Frauenvereine der 1830er Jahre hingegen instrumentalisierten die polnischen Unabhängigkeitsbestrebungen für die politisch-verfassungsrechtlichen Zielsetzungen der liberalen deutschen Opposition und agierten bewusst gegen die restaurativen Bemühungen der eigenen staatlichen Obrigkeit.[Anm. 14]

Frauen waren auch beim Fest auf dem Hambacher Schloss vom 27. bis 30. Mai 1832 dabei, als 20.000 bis 30.000 Menschen unter der schwarz-rot-goldenen Fahne von Neustadt an der Haardt hinauf zum Schloss zogen und die nationale Einheit Deutschlands sowie bürgerliche Freiheiten forderten.[Anm. 15] Letztlich intensivierte sich diese nicht mehr aufzuhaltende Entwicklung der Partizipation von Frauen an staatlichen Angelegenheiten in den 1840er Jahren.[Anm. 16] Hierbei spielte die religiöse Oppositionsbewegung der deutschkatholischen[Anm. 17] und freien Gemeinden ab 1844 eine besondere Rolle.[Anm. 18] Bei diesen freireligiösen Gemeinden handelte es sich um die erste große von bürgerlichen Schichten getragenen Kirchenaustrittsbewegung in den deutschen Staaten, an der sich Frauen von Anfang an beteiligten.[Anm. 19] Dissidentinnen und Dissidenten traten aus der Kirche aus, weil sie bestimmte kirchliche Dogmen wie die Dreieinigkeit oder die Jungfrauengeburt sowie religiöse Praktiken wie Wallfahrten, Reliquien und Heiligenverehrung nicht mit ihrem aufklärerischen Gedankengut vereinbaren konnten.[Anm. 20] Zwischen der religiösen und der politischen Oppositionsbewegung gab es dabei enge Verbindungen und schließlich durchdrangen sich die Bereiche Religion und Politik.[Anm. 21] Schlussendlich zählten bekannte Revolutionsmänner und -frauen wie der Politiker und Publizist Robert Blum (1807–1848)[Anm. 22] zu den Dissidentinnen und Dissidenten – darunter auch Kathinka Zitz.[Anm. 23]

Es gab also bereits zur Restaurationszeit und im Vormärz[Anm. 24] erste Ansätze der Politisierung von Frauen. Im Unterschied zur Breite des Engagements 1848/49 war es jedoch nur eine Minderheit von Frauen, die sich auf das Terrain der politischen Öffentlichkeit gewagt hatte. In der Revolution von 1848/49 fand die politische Partizipation von Frauen ihre Fortsetzung in deutlich größerem Rahmen.[Anm. 25]

Nachweise

Autorin: Derya Özdemir

Erstellt am: 05.03.2021

Anmerkungen:

  1. Louise Otto-Peters, Frauen und Politik. In: Sächsische Vaterlandsblätter, Nr. 188, 25. November 1843, S. 815f. Zurück
  2. Anne-Kathrin Zehendner, Frauen im Vormärz und in der Revolution 1848/49. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 141/142 (2005/2006), S. 687–700, hier S. 687. Zurück
  3. Ebd. Zurück
  4. Demnach sei die Frau von Natur aus passiv und emotional, der Mann hingegen aktiv und rational, was wiederum die Frau für den Binnenraum der Familie, den Mann hingegen für den öffentlichen Bereich prädestinierte. So war die bürgerliche Lebenswelt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einer Trennung in eine weibliche und männliche Wirkungssphäre geprägt, wodurch Frauen von dem den Männern vorbehaltenen Bereich der Öffentlichkeit ausgeschlossen waren. Siehe Freund, Schriftstellerinnen, S. 187; Müller-Adams/Bland, Einleitung, S. 11. Zurück
  5. Müller-Adams/Bland, Einleitung, S. 11. Zurück
  6. Freund, Schriftstellerinnen, S. 187. Zurück
  7. Otto Dann, Gruppenbildung und gesellschaftliche Organisierung in der Epoche der deutschen Romantik. In: Richard Brinkmann (Hg.), Romantik in Deutschland. Ein interdisziplinäres Symposium. Stuttgart 1978, S. 115–131, hier S. 123. Zurück
  8. Wohltätigkeit wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem wichtigen politischen Betätigungsfeld bürgerlicher und adliger Frauen. Siehe Lipp, Bräute, S. 71–89.  Zurück
  9. Freund, Schriftstellerinnen, S. 191. Zurück
  10. Lipp, Bräute, S. 85. Zurück
  11. Freund, Schriftstellerinnen, S. 188, 191; Majer, Frauen, S. 158. Zurück
  12. Zur Polenbegeisterung liberaler Deutscher siehe beispielhaft: Martin Broszat, Zweihundert Jahre deutsche Polenpolitik. Frankfurt am Main 1972, S. 92–104. Zurück
  13. Zu den Polenvereinen siehe beispielhaft: Jan Kosim, Zur Geschichte der Vereine zur Unterstützung der Polen in Deutschland unter Berücksichtigung der Bayerischen Pfalz und der Landgrafschaft Hessen-Homburg. In: JbWLG 4 (1978), S. 313–355; Hans-Erich Volkmann, Der polnische Aufstand 1830/31 und die deutsche Öffentlichkeit. In: ZfO 16 (1967), S. 437–452; Anneliese Gerecke, Das deutsche Echo auf die polnische Erhebung von 1830. Wiesbaden 1964. Zurück
  14. Freund, Schriftstellerinnen, S. 190; Wettengel, Revolution, S. 31. Zurück
  15. Majer, Frauen, S. 161; Hans Merkle, Der Plus-Forderer – Der badische Staatsmann Sigismund von Reitzenstein und seine Zeit. Karlsruhe 2006, S. 307f.; Dorlis Blume, Das Hambacher Fest 1832. In: LeMo, 10.10.2014. URL: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/vormaerz-und-revolution/der-deutsche-bund/das-hambacher-fest-1832.html (Aufruf am 06.06.2020). Zurück
  16. Freund, Schriftstellerinnen, S. 190. Zurück
  17. „Deutschkatholisch“, weil sie mit dem Begriff „katholisch“ an das Urchristentum anknüpfen wollten, „deutsch“ symbolisierte für sie erstens das demokratische Prinzip im Gegensatz zur hierarchischen römischen Kirche und zweitens eine Nationalkirche jenseits der Konfessionen. Siehe Sylvia Paletschek, „Die Freiheit ist untheilbar!“ Frauenemanzipation, religiöse Reform und die Revolution von 1848/49. In: Ariadne. Almanach des Archivs der deutschen Frauenbewegung 33 (1998), S. 17–24, hier S. 17. Zurück
  18. Zu Frauen im Deutschkatholizismus und in den freien Gemeinden siehe: Sylvia Paletschek, Frauen und Dissens. Frauen im Deutschkatholizismus und in den freien Gemeinden 1841–1852. Göttingen 1990 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 89); Sylvia Paletschek, Einschluß im Ausschluß? Überlegungen zur politischen Partizipation von Frauen 1848/49 und zum Verhältnis von Frauenemanzipation und Revolution. In: Gabriella Hauch/Maria Mesner (Hg.), Vom "Reich der Freiheit...". Liberalismus – Republik – Demokratie 1848–1998. Wien 1999, S. 73–84. Zurück
  19. Paletschek, Einschluß, S. 78. Zurück
  20. Ebd.; Paletschek, Frauenemanzipation, S. 17. Zurück
  21. Paletschek, Einschluß, S. 78. Zurück
  22. Erich Angermann, Art. „Blum, Robert". In: NDB 2 (1955). URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118511947.html#ndbcontent (Aufruf am 06.06.2020). Zurück
  23. Paletschek, Einschluß, S. 78. Zurück
  24. Die Begriffe Restauration und Vormärz beziehen sich auf die Phase von 1814/15 bis zur Revolution von 1848/49. Dabei umfasst die Restauration die Zeitspanne vom Wiener Kongress 1814/15 bis 1830, der Vormärz 1830 bis 1845. Siehe Freund, Schriftstellerinnen, S. 13; Ruth Götze, Frauen 1848/49 im Kampf um Einheit und Freiheit am Beispiel von Louise Otto, Mathilde Franziska Anneke und Louise Aston. In: Johanna Ludwig/Ilse Nagelschmidt/Susanne Schötz (Hg.), Frauen in der bürgerlichen Revolution von 1848/49. Leipzig 2000, S. 152–160, hier S. 152.  Zurück
  25. Lipp, Bräute, S. 79. Zurück