Reynette von Koblenz
Reynette (in einigen Urkunden auch Reyne) Bonenfant von Koblenz war eine der erfolgreichsten jüdischen Kredithändlerin im Rheinland des späten 14. Jahrhunderts; gest. zwischen Mai 1394 und Juli 1397.
Herkunft
Der Lebensweg der spätmittelalterlichen Kapitalunternehmerin Reynette von Koblenz ist heute in einigen Dutzend Textzeugnissen überliefert, die ausschnitthafte Einblicke in ihr Leben erlauben. Nur selten ist die Überlieferung über (jüdische) Frauen zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert überhaupt so umfassend erhalten. Dennoch sind auch bei Reynette von Koblenz viele Informationen über ihr Leben verloren gegangen. So ist heute beispielsweise weder ihr Geburtsjahr noch ihr Geburtsort überliefert.
Ihr Name Reynette (oder Reyne) deutet jedoch auf eine Herkunft aus der Gallo-Romania, also dem heutigen Frankreich hin. Es ist daher möglich, dass Reynette eine Nachfahrin jener Juden war, die seit 1303 durch den französischen König Philipp IV. aus seinem Herrschaftsgebiet vertrieben wurden. Einige dieser Juden konnten sich in der Folge in den Territorien des Trierer Erzbischofs ansiedeln, so auch in Koblenz und Umgebung.
Beginn des Kreditunternehmens
Bevor Reynette in Koblenz tätig wurde, lebte sie zusammen mit ihrem Ehemann Leo (auch Lewe oder Levin) im kurtrierischen Amtsstädtchen Münstermaifeld. Auch über Leos Herkunft ist nichts Genaueres überliefert. Möglicherweise stammte er ebenfalls aus Frankreich und ist mit dem „Lewe judeum gallicum“ (dt. Leo, französischer Jude) identisch, der 1333 von Gottfried von Sayn mit seiner Familie in Vallendar aufgenommen wurde. Gesichert kann Reynettes Ehemann erstmals im November 1355 in Münstermaifeld als Jude des Trierer Erzbischofs nachgewiesen werden. Dort waren Reynette und Leo noch im April 1358 gemeinsam in der Geld- und Pfandleihe tätig. Zu diesem Zeitpunkt schuldeten Johann, Sohn des Quetschpenning, und Matthias von Augst den Beiden 120 alte Schildgulden, während Fräulein Kunigunde von Isenburg drei silberne Schalen, einen silbernen Becher sowie einen silbernen Löffel bei ihnen versetzt hatte.
Bald darauf zog das Ehepaar nach Koblenz, wo bessere Erwerbsmöglichkeiten zu erwarten waren. Schon im April 1361 gewährte Leo als Koblenzer „Judenbürger“ der Stadt Andernach einen Kredit in Höhe von 200 Gulden. Damit war er erst der zweite Koblenzer Jude, von dem überliefert ist, dass er nach den Pestpogromen gegen die jüdischen Einwohner:innen 1349 im Geldhandel tätig war. Die Stadt Andernach hatte zu diesem Zeitpunkt hohe Verpflichtungen gegenüber dem Kölner Erzbischof Wilhelm von Gennep, mit dem die Stadt seit 1356 in offenem Streit gelegen hatte. Im Oktober 1359 gelang es der Stadt Köln zwischen den beiden streitenden Parteien zu vermitteln und in der Folge musste sich Andernach zur Entrichtung von hohen Wiedergutmachungszahlungen verpflichten. Um dieses Geld kurzfristig aufbringen zu können, wandte man sich an die jüdische Bevölkerung in Koblenz, wo sich zu dieser Zeit die einzige größere jüdische Niederlassung der Umgebung befand – in Köln siedelten sich erst 1372 wieder Juden an. Bereits am 1. November 1359 hatte der Koblenzer Jude Josef Bonenfant der Stadt Andernach einen Kredit in Höhe von 225 Gulden gegeben. Vermutlich wurden diese Kredite bei den Koblenzer Juden durch die Stadt Koblenz selbst vermittelt, die mit Köln und Andernach verbündet war.
Leo und Reynette engagierten sich bald vollständig im lukrativen Andernach-Geschäft und entwickelten sich schnell zu den Hauptgeldgebern der Stadt. Aufgrund der hohen Nachfrage Andernachs nach immer neuem Kapital konnte dabei auch ein ungewöhnlich hoher Jahreszins von 72,2% verlangt werden, während der übliche Zins bei 43,3% lag. Zwischen 1361 und 1365 sind allein ein Dutzend Schuldverschreibungen Andernachs in einer Gesamthöhe von 1960 Gulden und 365 Mark Pfennigen bei Leo und Reynette überliefert. Dagegen hatte Andernach in der gleichen Zeit nur fünf Anleihen bei anderen Kreditgebern, die in der Höhe nur einen Bruchteil dieses Kredits ausmachten.
Ausbau des Kreditunternehmens unter Reynettes Leitung
Das in den Geschäften mit Andernach erwirtschaftete Kapital legte den Grundstock für das erfolgreiche Kreditunternehmen, das Leo und Reynette in Koblenz aufbauten. Nach Leos Tod im Jahr 1365/66 leitete Reynette als Witwe das Kreditunternehmen alleine und baute es durch ihre wirtschaftlichen Leistungen in den darauffolgenden Jahren weiter aus.
Der außergewöhnliche wirtschaftliche Erfolg Reynettes markiert einen Wandel in der Gesellschaft des aschkenasischen Judentums. Es gab schon immer erwerbstätige jüdische Frauen, die teilweise allein für den Unterhalt ihrer Familien verantwortlich waren, um ihren Männern dadurch ein lebenslanges Talmud- und Thorastudium zu ermöglichen. Diese Frauen waren meist als Hebammen, Ärztinnen, Weberinnen oder in ähnlichen Berufen tätig. Im 14. Jahrhundert führte die unsichere Lage der jüdischen Minderheit schließlich zu Änderungen des Erb- und Eherechts, wodurch jüdische Frauen größere Freiheiten und mehr Selbstständigkeit erhielten. Im Zuge dieser Entwicklung gewann auch der Beruf der weiblichen Geldverleiherin in den deutschen Gebieten deutlich an Bedeutung, sodass in manchen Städten zeitweise etwa ein Viertel aller Geldverleiher weiblich waren – viele davon Witwen.
Doch nur sehr wenige waren in ihren Kreditunternehmungen so erfolgreich wie Reynette. Bereits im Jahr 1369 war sie die erste Koblenzer Kreditunternehmerin, die in der Lage war, einen Kredit über 1000 Gulden zu vergeben. Die Stadt Andernach stellte weiterhin Reynettes lukrativste Investition dar und hatte zu dieser Zeit Schulden in Höhe von 1600 Gulden bei ihr. Bis 1372 stiegen die Verpflichtungen Andernachs gegenüber Reynette auf unglaubliche 8.000 Gulden an. Die daraufhin drohende Zahlungsunfähigkeit Andernachs konnte nur durch die Vermittlung eines Beauftragten des Trierer Erzbischofs abgewendet werden. So ist überliefert, dass die Stadt Andernach im März 1373 der Jüdin statt der üblichen Rate von 1000 Gulden, Wein im selben Wert lieferte. Es ist anzunehmen, dass die geschäftstüchtige Reynette diesen Wein gewinnbringend weiterverkaufte.
Die Kreditsicherung mit Wein war eine beliebte Art der Absicherung an Mittelrhein und Mosel. Bereits 1367 erhielt Reynette vom Lahnecker Burggrafen Daniel von Langenau für dessen Kredit über 550 Gulden auf vier Jahre die alljährliche Herbstlieferung von vier Fuder fränkischen und anderthalb Fuder hunnischen Weins, die koscher hergerichtet werden sollten. Aufgrund der Bedingung, dass koscherer Wein geliefert werden sollte, ist anzunehmen, dass Reynette diesen Wein wohl zum Eigengebrauch oder zumindest zum Verkauf an ihre Glaubensgenossen vorgesehen hatte.
Spätestens im Jahr 1377 heiratete Reynette Moses Bonenfant, den Sohn von Josef Bonenfant, der ebenfalls als Geldverleiher tätig war, wenn auch in einem bescheideneren Umfang als seine Frau. An höhere Investitionen traute sich Moses meist nur in Zusammenarbeit mit Reynette. Vermutlich stand sie daher auch hinter der Pacht des Koblenzer Moselzolls, den der Trierer Erzbischof 1384 Moses und nicht weiter genannten Geschäftspartnern für sechs Jahre gegen eine Jahresmiete von 2200 Gulden überließ.
Reynette hatte bereits kurz nach dem Tod ihres ersten Ehemanns Versuche unternommen, verwandtschaftliche Beziehungen mit der einflussreichen Koblenzer Judenfamilie Bonenfant zu knüpfen. Denn trotz ihres außergewöhnlichen wirtschaftlichen Erfolges war die Witwe gegenüber ihren männlichen Geschäfts- und Glaubensgenossen nicht gleichgestellt. So führte sie beispielsweise kein eigenes Siegel, sondern verwendete, auch nach der Hochzeit mit Moses, das Siegel ihres ersten Mannes Leo weiter. Mit der Verbindung der einflussreichen Familie Bonenfant erhoffte sich Reynette wahrscheinlich stärkeren rechtlichen Rückhalt und eine größere soziale Reputation.
Reynette versuchte daher schon um 1366 ihre Tochter Mede (auch Meide) mit dem Witwer Josef Bonenfant zu verheiraten, dem Vater von Moses und ihrem späteren Schwiegervater. Josef Bonenfant hatte, wie Reynette auch, den Rechtsstauts eines „erbeigenen Juden“ des Trierer Erzbischofs inne. Dieser Rechtsstand beinhaltete die Begrenzung der Freizügigkeit auf das Erzstift und die Einschränkung der Heiratsfähigkeit wie auch der Erbberechtigung auf den Kreis der erbeigenen Juden. Da Mede im Gegensatz zu ihrer Mutter aber keine erbeigene Jüdin war, benötigte die Heirat die Zustimmung des Trierer Erzbischofs. Im Januar 1366 erlaubte dieser die Hochzeit unter der Auflage, dass die Kinder der Ehe in ungerader Zahl der Erbeigenschaft des Vaters und in der geraden Zahl der Freiheit der Mutter folgen sollten. Die Hochzeit scheiterte jedoch schließlich an Mede, die sich gegen die Verbindung mit dem alten Witwer entschied und stattdessen lieber in die Pfalzgrafschaft und später in das Territorium des Mainzer Erzbischofs floh. 1387 siedelte sie sich in Bingen am Rhein an, wo sie ihren späteren Ehemann Lieser von Straßburg kennenlernte.
Nachdem dieser erste Versuch gescheitert war, heiratete Reynette 1377 selbst in die Familie Bonenfant ein. Trotz ihrer Ehe mit Moses änderte sich an ihrer Selbstständigkeit jedoch nichts und ihre jeweiligen Geschäfte blieben bis auf einige Fälle, in denen sie zusammenarbeiteten, weitgehend unabhängig. Reynette stellte wohl im Allgemeinen den dominanteren Teil der Ehe dar. Dies wird besonders dadurch deutlich, dass Moses sich in der Öffentlichkeit bisweilen nach seiner Frau benennen ließ.
Bis Ende der 1370er Jahre war Reynette die wichtigste Kreditgeberin der Stadt Andernach. Erst um 1380, als zunehmend Andernacher und Kölner Juden sowie andere Bürger der Stadt als Geldgeber auftraten, nahmen Reynettes Investitionen in Andernach ab. Bis 1389 vergab sie dort jedoch weiterhin, teilweise zusammen mit Moses, Darlehen in kleinerem Umfang. Ihre Hauptgeschäfte hatte sie jedoch mittlerweile weiter rheinaufwärts verlegt.
Ihr wichtigster Geschäftspartner war nun Adolf I. von Nassau, der seit den späten 1370er Jahren auf hohe Geldsummen angewiesen war, um seine Anerkennung als Erzbischof von Mainz durchzusetzen. Schon 1378 hatte Adolf von Nassau bei dem Koblenzer Juden Jakob von Jülich Geld geliehen, der neben Reynette und ihren Ehemännern einer der wichtigsten Persönlichkeiten des jüdischen Kapitalmarkts in Koblenz darstellt. Als dessen Kapital aber nicht mehr für weitere Kredite ausreichte, investierte Reynette in der Folge mehrere tausend Gulden in die Geschäftsbeziehung mit dem Anwärter auf den Mainzer Bischofsstuhl. Für diese Investitionen erhielt sie von Adolf von Nassau, der ab 1381 unangefochtener Erzbischof von Mainz war, die Einnahmen des Mainzer Zolls in Oberlahnstein als Sicherheit.
Ein Vergleich der überlieferten Daten hebt noch einmal Reynettes herausragende Stellung im jüdischen Kapitalmarkt des Mittelrheins hervor. Bis zu den Pestpogromen in der Mitte des 14. Jahrhunderts fand der Großteil der jüdischen Kreditgeschäfte in der Kathedralstadt Trier statt – vor 1350 sind 95 jüdische Geldgeschäfte in Trier überliefert, während nur 22 in Koblenz belegt sind. Nach 1350 lag der Fokus vermehrt auf Koblenz – nach 1350 sind 64 jüdische Geldgeschäfte in Trier belegt, während 132 Geldgeschäfte in Koblenz überliefert sind. Von diesen 132 Geldgeschäften sind allein 60 Kredite (etwa 45%) Reynette zuzuordnen. Bei den 14 überlieferten Darlehen in Koblenz deren Höhe 1000 Gulden überstieg, ist Reynettes Anteil mit 10 Darlehen (71,4%), die ihr zugeordnet werden können, noch einmal höher. Reynette Bonenfant von Koblenz dominierte damit den Koblenzer Kapitalmarkt in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in außergewöhnlicher Weise.
Reynettes Erbe
Um 1390 kehrte Mede mit ihrem Ehemann Lieser von Straßburg in Erwartung der Erbschaft ihrer mittlerweile hochbetagten Mutter nach Koblenz zurück. Der Trierer Erzbischof Werner von Falkenstein bestritt jedoch Medes Freiheiten und betrachtete sie wie Reynette als erbeigene Jüdin. Er erklärte sich jedoch am 13. Juli 1390 bereit auf seinen vermeintlichen Rechtsanspruch zu verzichten und ihre alten Freiheiten zu bestätigen, wenn sie das Erbe Reynettes nicht antrat. Sollte sie das Erbe Reynettes jedoch antreten, würde sie damit automatisch ihren Status als erbeigene Jüdin des Erzbistums anerkennen. Diese Auflagen waren für die freiheitsliebende Mede nicht akzeptabel. Sie verzichtete in der Folge auf das beträchtliche Erbe und zog es vor als freie Jüdin in Köln und später erneut im Kurmainzer Bingen zu wohnen. Ihre Spur verliert sich Anfang des 15. Jahrhunderts, nachdem sie sich mit ihrem Sohn unter dem Schutz Königs Ruprecht in Speyer niederließ.
Medes Ehemann Lieser begab sich im Juli 1397 nach Reynettes Tod erneut nach Koblenz, wo er für sich und seine unmündige Tochter Trinlin das Erbe Reynettes antrat. Ab dem 21. Juli 1397 war Lieser von Straßburg ein erbeigener Jude des Trierer Erzbischofs; er verzichtete auf alle bisherigen Freiheiten und Vorrechte und verpflichtete sich das kurtrierische Territorium mit Leib und Gut nicht mehr zu verlassen oder Freiheiten anderer Herren anzunehmen. Lieser konnte in der Folge jedoch in keiner Weise an die wirtschaftlichen Leistungen seiner Schwiegermutter anknüpfen – es ist kein einziges Geldgeschäft von ihm überliefert.
Mit Reynettes Tod endete die zweite Blütezeit der Koblenzer Judengemeinde, die nur einige Jahrzehnte Bestand hatte. Keine Koblenzer Jüdin spielte vor oder nach ihr wieder eine so herausragende wirtschaftliche Rolle.
Nachweise
Redaktionelle Bearbeitung: Jonathan Bugert
Verwendete Literatur:
- Schmandt, Matthias: Lebensbilder Binger JUden aus dem Mittelalter. Bingen 2014. S. 19 - 22.
- Ziwes, Franz-Josef: Jüdisches Frauenleben im späten Mittelalter: Reynette von Koblenz. 2005. Online verfügbar: Portal der Synagoge Münstermaifeld. URL: https://www.synagoge-muenstermaifeld.de/wp-content/uploads/2020/04/J%C3%BCdisches-Frauenleben-im-sp%C3%A4ten-Mittelalter.pdf (Zugriff am 14.02.2022).
- Ziwes, Franz-Josef: Reynette von Koblenz. Jüdische Geldhändlerin (gestorben zwischen Mai 1394 und Juli 1397). In: Portal Rheinische Geschichte. URL: http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/reynette-von-koblenz/DE-2086/lido/57cd1e11c97063.01080097 (Zugriff am 14.02.2022).
- Ziwes, Franz-Josef: Zum jüdischen Kapitalmarkt im spätmittelalterlichen Koblenz. In: Hochfinanz im Westen des Reiches. Hrsg. von Friedhelm Burgard. Trier 1996. (Trierer historische Forschungen 31), S. 49 – 74.
Aktualisiert am: 14.02.2022