Lierschied am Mittelrhein

Lierschied

0.1.Frühgeschichte und Mittelalter

Lierschied wurde erstmals im Jahr 845 schriftlich erwähnt. In einer Urkunde schenkte der fränkische König Ludwig II. dem wenige Jahre zuvor gegründeten Kloster Kettenbach an der Aar Güter aus seinem Reich, unter anderem das Dorf (villa) „Leyerscheyt“ im Einrichgau. Dieses verzeichnete zu dieser Zeit 17 (Bauern-)Höfe und 64 „Hörige“, also Einwohner*Innen, die als Leibeigene nun dem Kloster unterstanden. Aufgrund der damaligen Größe des Ortes ist davon auszugehen, dass es schon mindestens seit dem vorangegangenen Jahrhundert bestand. Neben Viehhaltung und Ackerbau erwähnt die Urkunde auch den Weinbau als Einkommensquelle der Siedlung.[Anm. 1]

Woher der Name des Ortes kommt, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Die Endung „-schied“ oder „-scheid“ bedeutet Grenze oder Scheide; vermutlich lag Lierschied in früherer Zeit also an einer natürlichen oder menschengedachten (Eigentums-)Grenze. Seit 1870 wird der heutige Name Lierschied verwendet.

Im Jahr 879 wurde die Klosterabtei nach Gemünden im Westerwald verlegt und mit dem dortigen St.-Severus-Stift verbunden. So unterstand auch Lierschied der Grundherrschaft von Gemünden aus. Das St.-Severus-Stift ließ sogleich eine Kirche mit eigenständiger Pfarrei in seiner Stiftsvogtei Lierschied errichten. Diese frühe Kirche ist nicht mehr erhalten; der heutige Bau stammt größtenteils aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, nur der Turm war bereits um 1250 bis 1270 errichtet worden.

Das Stift setzte zur Verwaltung seiner Gebiete Vögte ein. So erhielten bis 1370 die Ritter von Allendorf das Lehen über Lierschied, im 14. und 15. Jahrhundert das Geschlecht der Breder von Hohenstein. Als deren letzter Nachkomme starb, kam die Vogtei Lierschied an Reinhard von Klingenbach, der es wiederum 1594 dem hessischen Kanzler Friedrich von Nordeck zu Rabenau zukommen ließ.

Der St.-Severus-Stift in Gemünden gehörte seit etwa 1370 in das Gebiet der Grafen von Katzenelnbogen. Als das Geschlecht ausstarb, ging es in den Besitz der hessischen Landgrafen über. Sie nannten die ehemals katzenelnbogischen Gebiete Niedergrafschaft Katzenelnbogen. Das bedeutete nun, dass die hessischen Landgrafen die grundherrlichen und gerichtshoheitlichen Rechte in Lierschied innehielten, während der bereits erwähnte Kanzler Friedrich von Nordeck zu Rabenau als Vogt die niedere Gerichtsbarkeit ausüben durfte.

0.2.Frühe Neuzeit

Im 15. und 16. Jahrhundert wurde die Niedergrafschaft Katzenelnbogen wegen Erbstreitigkeiten aufgeteilt. Lierschied, damals „Lirschit“ genannt, kam zum Hessen-Rheinfelsischen Amt St. Goar unter dem Landgrafen von Hessen-Darmstadt.

Im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) erfuhr Lierschied wie fast alle umliegenden Dörfer großes Leid durch die umherziehenden Truppen, Seuchen und Hungersnöte. Die Einwohnerzahl verringerte sich um die Hälfte von etwa 224 im Jahr 1587 auf schätzungsweise 126 im Jahr 1683[Anm. 2], doch der Ort erholte sich wieder recht schnell. Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verzeichnete Lierschied einen regelmäßigen Schulbetrieb für die Kinder des Ortes.

Seit 1774 unterstand das Gebiet um Lierschied dem Haus Hessen-Kassel. Von 1806 bis 1813 war das Gebiet der Niedergrafschaft Katzenelnbogen unter französischer Verwaltung Napoleons (Pays réservé de Catzenellenbogen).

1809 zählte Lierschied 334 Einwohner*Innen, darunter sieben jüdischer Religion. Um 1800 hatten sich die wenigen jüdischen Familien der Orte Weyer, Nochern und Lierschied zu einer Gemeinde mit Friedhof in Nochern zusammengefunden. Gottesdienste wurden seit etwa 1818 in einem als Betraum eingerichteten Teil des Hauses der Familie Ackermann in Weyer abgehalten. Aufgrund der geringen Größe der Gemeinde wurden ihre Kinder von für den Unterricht anreisenden jüdischen Lehrern aus beispielsweise Sankt Goarshausen unterrichtet.[Anm. 3]

Im Wiener Kongress 1815 wurden Lierschied und 34 andere Gemeinden dem Herzogtum Nassau einverleibt, welches wiederum im preußisch-österreichischen Krieg 1866 vom Königreich Preußen annektiert worden war. Es war zunächst der Provinz Hessen-Nassau zugeordnet und ab 1885 dem neu gegründeten Kreis Sankt Goarshausen.

0.3.20. und 21. Jahrhundert

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten rund 500 Menschen in Lierschied. Im Ersten Weltkrieg fielen 23 Soldaten aus dem Ort.

Der Aufstieg des Nationalsozialismus wurde in Lierschied sehr begrüßt; in den Reichstagswahlen vom 21. Juli 1932 und 5. März 1933 wurde jeweils mehrheitlich die NSDAP gewählt. Bereits im Frühjahr 1933 bildeten sich Ortsgruppen der nationalsozialistischen Jugendorganisationen Deutsches Jungvolk (DJ), Bund Deutscher Mädel (BDM) und wenig später der Hitlerjugend (HJ). Auch verzeichnete der Ort Parteiorganisationen der NSDAP wie die Sturmabteilung (SA).

In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurden die sieben in Lierschied lebenden Mitglieder der jüdischen Familie Grünebaum brutal von NSDAP-Anhängern des Ortes drangsaliert und vertrieben, nachdem ihr Eigentum zerstört worden war. Wenig später wurden sie in Konzentrationslager deportiert und ermordet. Auf dem jüdischen Friedhof in Nochern wird mit einer Gedenktafel an die ermordeten jüdischen Familien aus Lierschied, Weyer und Nochern gedacht.

Aus dem Zweiten Weltkrieg kehrten 36 Soldaten aus Lierschied nicht mehr in ihre Heimat zurück. Nach beiden Weltkriegen lag der Ort in der jeweiligen französischen Besatzungszone.

Seit 1946 gehört Lierschied zum neugegründeten Bundesland Rheinland-Pfalz und seit 1972 zur Verbandsgemeinde Loreley.

0.4.Nachweise

Erstellt am: 26.01.2021

Verfasserin: Katrin Kober

Dieser Artikel basiert auf: Obel, Werner: Lierschied. Chronik eines Dorfes. Koblenz 1995.

Anmerkungen:

  1. Das Original der Urkunde existiert nicht mehr, sondern nur eine Abschrift des St.-Severus-Stiftes zu Gemünden. Zitiert in Obel 1995, S. 10f. Zurück
  2. Aus den beiden Jahren sind jeweils die Zahlen der Hausvorstände überliefert: 1587 – 32, 1683 – 18. Geht man davon aus, dass diese Oberhäupter von jeweils durchschnittlich sieben Familienmitgliedern waren, ergeben sich diese Zahlen. Vgl. Obel 1995, S. 25f. Zurück
  3. Mehr zu der jüdischen Gemeinde von Weyer auf: „Die Synagoge in Weyer (VG Loreley, Rhein-Lahn-Kreis)“ in Alemannia Judaica, http://www.alemannia-judaica.de/weyer_synagoge.htm (Aufruf am 19.01.2021). Zurück