0.Zur Geschichte von Hochstätten
0.1.Vor- und Frühgeschichte und Römerzeit
Der Aufenthalt von Menschen im Alsenztal und den umliegenden Hochflächen lässt sich seit der Steinzeit durch Bodenfunde belegen. Auch in der Hochstätter Gemarkung und den angrenzenden Gebieten gibt es von da an Funde von Steinklingen und-spitzen, Faustkeil und Steinbeil. Östlich des Ortes im „Fallbrücker Wald“ wird ein Hügelgrab nachgewiesen, das bisher aber nicht weiter untersucht worden ist.[Anm. 1]
Die keltische Bevölkerung, wie sie in „Oppida“, großen geschlossenen Siedlungen, auch auf dem Donnersberg bei Dannenfels nachgewiesen wurde, besiedelte vor der Römerzeit die Region. Das linksrheinische Keltengebiet wurde im Römerreich kulturell überformt, und mit der über 400 Jahre dauernden Römerzeit verändern sich Siedlungen und Straßennetz. Die Römer bauten wie überall in ihrem Imperium das bestehende Wegenetz aus und legten die für die Besiedlung, wirtschaftliche Ausbeutung und militärische Sicherung notwendigen neuen Wege an. Eine Römerstraße folgt von Bad Kreuznach aus nach Süden dem Höhenzug zwischen dem Appel- und Alsenztal, auf dem schon Menschen in der Vorzeit Funde hinterließen. Die Straße von Alzey aus nach Westen führt als sogenannte "Heerstraße“ über Fürfeld - Hochstätten - Dreiweiherhof - Lettweiler Höhe bis nach Meisenheim.
Römische Münzen aus dem 3. Jh. n. Chr. wurden in der Hochstätter Gemarkung am „Ackerberg“ gefunden, und römische Siedlungsreste gibt es im „Dickersfeld“, wo ein behauener Teil eines Türrahmens gefunden wurde. Darunter werden Fundamentreste einer villa rustica vermutet, ebenso westlich von Hochstätten im „Hinterwald“. Auch am Ohlbach, zwei Kilometer südlich von Hochstätten, sind römische Siedlungsreste entdeckt worden - und wurden direkt wieder zugeschüttet, weil eine Ausgrabung nicht möglich war. Ein Marktort fehlt, Kreuznach ist der nächste zentrale Ort.[Anm. 2]
0.2.Mittelalter und frühe Neuzeit
Wenn auch zu vermuten ist, dass sich in der heutigen Ortslage eine Siedlung ab dem frühen Mittelalter befand, bleibt die Siedlungskontinuität ungeklärt. Für 1261 wird in einer Urkunde des Mainzer Erzbischofs Werner III. von Eppstein beschrieben, dass zwei Mönche des Klosters Tholey von Frei- Laubersheim aus „das anderthalb Stunden davon entlegene Dorf Hochstätten mit versehen müssen“,[Anm. 3] und vor der urkundlich eindeutigen Erwähnung 1366 gibt es keine weiteren Belege. Darin wurde der Siedlungsort Hochstätten (in der Urkunde heißt es Hoenstein) von den Brüdern Konrad und Heinrich von Hohenfels, den Herren von Reipoltskirchen, dem Ritter Dietz von Wachenheim verpfändet.[Anm. 4]
Für eine schon länger bestehende Siedlung spricht auch die Kirche, deren leicht nach Westen geneigter Turm heute noch das Ortsbild bestimmt. Sie steht unter Denkmalschutz. Der Chorturm wurde wohl im 13. Jh. erbaut, mit einer nach Westen anschließenden Kapelle. Bei Instandsetzungs-arbeiten in den Jahren 1989 bis 1991 wurden bei der Verlegung von Abwasserleitungen dicke Mauerreste im Boden freigelegt, bei denen es sich vermutlich um die Fundamente des früheren Langhauses handelt. Mit seinem nach Osten ausgerichteten Turm davor ergibt sich damit die typische Anordnung katholischer Kirchen mit dem Altar bzw. Apsis im Osten. Der im romanischen Stil erbaute und durch spätgotische Elemente veränderte Kirchturm hat bis zu zwei Meter dicke Grundmauern, einen quadratischen Grundriss von etwa sieben Metern und eine Gesamthöhe bis zum Wetterhahn von 31 Metern. Eine kleine Zugangstür und schießschartenartige Fenster machen es wahrscheinlich, dass der Turm zuerst einmal als Wehrturm gebaut wurde, ehe nach Westen ein nicht allzu großes Langhaus hinzukam. Dies wurde 1772 durch den jetzigen Saalbau ersetzt- das Kirchenschiff steht seitdem an der Südseite, die Kirche wird am 9. Oktober 1773 eingeweiht. Aus der alten Kirche wurde die Altarplatte mit der Jahreszahl 1633 übernommen, und auch die Kanzel und der Kanzelhut sind zumindest aus einer älteren Stilepoche. Auch die beiden Glocken blieben im Turm. Eine 1732 gegossene Glocke wurde 1917 eingeschmolzen, die kleinere zweite blieb erhalten.[Anm. 5]
1423 will der Landesherr Emich Graf von Leiningen die Domprobstei zu Speier überzeugen, für die Pfarrkirche zu Hochstätten, die „eine gut lange zyt wost gestanden [eine zeitlang verwaist gewesen] und gottes dinst nit da noch begangen noch geschehen ist“ den Priester Bechtolff einzusetzen, der auch sein Auskommen hätte, weil sich die „arme lude da umb zusamen getan und die pfründe gebessert“ haben. Die armen Leute, d.h. die Bewohner des Dorfes, mussten für den Lebensunterhalt des Pfarrers aufkommen.[Anm. 6] In der Reformationszeit wird Hochstätten, wie auch die benachbarten Alsenz, Altenbamberg und Ebernburg, protestantisch. Vor 1568 wird ein „Herr Gebhard“ als protestantischer Pfarrer genannt. Kirchenbücher sind seit 1690 vorhanden.[Anm. 7] Erst nach der Französischen Revolution lockern sich die strengen Bindungen der Dörfer an die Konfession. Katholiken und Juden sind in Hochstätten als kleine Minderheiten ansässig.
Hochstätten, dessen Ortsname von der Lage an den „hohen stegen“, einer Flussterrasse an der Alsenz oder vom „hoen gericht“ bzw. „hubgericht“, einem Ort, an dem über die Grundangelegenheiten der Siedlung entschieden werden, hergeleitet werden kann, ist in Urkunden und anderen Quellen in sehr verschiedenen Schreibweisen geführt, so u.a. 1456 Hosteden, 1514 „eyn hoibgeriecht zu Hoestein“, 1545 Hochstedden, selbst 1822 noch Hochstetten.[Anm. 8]
1543 lässt Johann von Hohenfels alle Rechte und Pflichten, Gebote und Verbote, Besitz- und Rechtsverhältnisse, Verordnungen und Anweisungen in einem sehr umfangreichen „Weistum“ schriftlich aufzeichnen. Das Weistum ist vollständig erhalten; es beschreibt das bäuerliche Gewohnheitsrecht und die Ansprüche des Grundherrn und wurde drei Mal im Jahr im Dorf öffentlich verkündet. Die alle Bereiche des Lebens erfassenden Regelungen blieben auch bei den Wechseln der Landesherren, denen die Bevölkerung von Hochstätten weiter unterworfen war, im Kern bis zur Französischen Revolution unverändert. Im Weistum von 1543 sind die Herren zu Reipoltskirchen, die 1366 das Dorf verpfändet hatten und es für sich 1545 wieder auslösten, mit den Wild- und Rheingrafen die Akteure, und ab 1553 sind die Wild- und Rheingrafen von Grumbach die Besitzer.[Anm. 9]
Fast 200 Jahre waren sie dann die Herren, wenigstens eine Konstante in bewegten Zeiten mit dem Wechsel der Konfession, dem verheerenden Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) und dem Pfälzischen Krieg (1688-1697) mit den Verwüstungen durch die Franzosen. 1667 hat das Dorf nur noch 82 Einwohner, 120 Jahre später leben hier bereits wieder 200 Menschen. 1755 verkauft Graf Walram von Grumbach das Dorf an Christian IV. von Pfalz-Zweibrücken. Dreizehn Jahre später tauschen Pfalz-Zweibrücken und die Kurpfalz Territorien, und Hochstätten gehört von da an zur Kurpfalz. Es wurde vom Oberamt Bad Kreuznach verwaltet.
„Zu Hochstetten soll vor ältern Zeiten ein besonderes Blutgericht gewesen und der Galgen auf der Gränze gegen Hallgarten gestanden seyn. Das dermalige Dorfgericht ist mit einem Schultheise und vier Schöffen bestellt. In seinem gewöhnlichen Siegel findet man einen an einem Baum vorbei laufenden Wolf oder Fuchs.“[Anm. 10] Das Weistum von 1543 erwähnt ein Ortssiegel, die im Landesarchiv Speyer vorhandenen Gerichtssiegel von 1681 und 1742 stellen das genannte Motiv dar: „Vor einem Laubbaum auf einem Dreiberg springender Wolf“. Die Bezirksregierung Koblenz genehmigt am 22. Oktober 1981 darauf begründet ein Wappen für Hochstätten mit der Beschreibung: „In Gold über grünem Dreiberg ein stilisierter grüner Laubbaum (Eiche), belegt mit einem springenden rotbezungten schwarzen Wolf“.[Anm. 11]
0.3.Unter französischer Herrschaft
Klagen über die Herrschaft des Kurfürsten Karl-Theodor (1742-99) wurden geführt, der die Kurpfalz ausgesaugt habe. Die Befreiung durch das französische Revolutionsheer war denn auch mit einigen Erwartungen verbunden. Im Oktober 1792 ziehen die ersten Franzosen in (Kaisers-)Lautern ein, auch Mainz wurde nach dreitägiger Belagerung besetzt. Linksrheinisch ist die Pfalz von französischen Truppen besetzt, als im Dezember 1792 auf dem rechten Rheinufer die Jubelfeiern zur 50jährigen Herrschaft des Kurfürsten begangen werden. Die anfängliche Begeisterung über die neuen Freiheiten weicht bald der Ernüchterung, weil der auf dem Land lastende Krieg viele Opfer kostet. Der Großteil der Bevölkerung verharrt in politischer Passivität oder Ablehnung des „jakobinischen“ Programms. Die Beseitigung der Feudallasten und die Freiheitsrechte mit der Aufhebung der Leibeigenschaft der „neuen Franzosen“ werden durch andere Lasten relativiert. Hochstätten wird administrativ genau erfasst, es ist die Zeit der Listen, Urkunden und Karten. 1810 werden Dorf und Gemarkung in einer Karte dargestellt, die Besteuerung des Besitzes war damit leichter möglich.[Anm. 12]
Im „Plünderwinter“ 1793/94 erfolgt die „Ausleerung der Pfalz“ durch französische Einheiten, die in der „levée en masse“ junge Männer als Wehrpflichtige ausheben. Vieles, was nicht niet-und nagelfest war, wird konfisziert. Französische und österreichische Truppen liefern sich beim benachbarten Alsenz ein Gefecht und zerstören Teile der Ortschaft. Auch die Konskription, die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht nach 1802, hat negative Wirkungen. Der zwei Jahre später von Napoleon eingeführt Code Civil bleibt bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Jahre 1900 die wichtigste Rechtsgrundlage. Hochstätten ist seit dem Frieden von Campo Formio 1797, der den Rhein als Grenze festlegt, Teil der Französische Republik und gehört zum Arrondissement Kaiserslautern, Kanton Obermoschel, Mairie Ebernburg.
0.4.In der bayerischen Pfalz
1815 ist die „Franzosenherrschaft“ vorbei, die 302 freien Einwohner von Hochstätten werden Untertanen der zu Bayern gehörenden Pfalz. Der Wiener Kongress hatte den Kanton Obermoschel im Juni 1815 Österreich zugeschlagen. Die seit einem Jahr bestehende gemeinsame österreichisch-bayerische Verwaltung wird beibehalten, bis ein Austausch verschiedener Staatsgebiete vereinbarte wurde. Die linksrheinischen österreichischen Gebiete werden zum 1. Mai 1816 an das Königreich Bayern abgetreten.
Nach 1816 bildet sich in mehreren Generationen so etwas wie ein Gefühl heraus, Pfälzer zu sein. In unserer Region war das gar nicht so einfach, waren doch immer wieder neue Grenzen gezogen worden. Aus dem Departement Mont-Tonnerre werden drei Teile: Die Provinz Rheinhessen, die zum Großherzogtum Hessen (-Darmstadt) gehörte; das reichte bis Fürfeld. Die nördlich der Nahe gelegenen Gebiete der ehemaligen Kurpfalz werden preußisch; zwischen Münster am Stein und Ebernburg bildet die Nahe die Grenze, mit Brückenzoll. Das linksrheinische Kernland der Kurpfalz kommt mit vielen anderen Territorien der heutigen Pfalz zum Königreich Bayern. Dieser „Bayerische Rheinkreis“ mit der Hauptstadt Speyer wird seit 1836 „Rheinpfalz“ genannt. Erstmals ist die Pfalz eine geschlossene Fläche, was auch Erschließung und Verwaltung enorm erleichtert. Hochstätten bleibt in einer politisch- administrativen Randlage, woran auch Verwaltungsreformen im 20. und 21. Jahrhundert nichts ändern.[Anm. 13]
Von lang dauernder Wirkung sind die Reformen von Recht und Verwaltung, dem Code Napoleon, dessen Gesetze in der bayerischen Pfalz auch nach 1815 noch gelten. Existentiell bedrohend für die Bevölkerung der Nordpfalz sind die Hungerjahre 1816/17, hervorgerufen durch den Ausbruch des Vulkans Tambora im heutigen Indonesien. Das „Jahr ohne Sommer“ 1816 zeigt Unwetter und Missernten in Mitteleuropa und Nordamerika mit großen Hungersnöten. Zeitzeugen nannten es „Achtzehnhundertunderfroren“. Heinrich Bechtolsheimer schildert in seinem 1907 veröffentlichten Roman „Das Hungerjahr“, wie der Bauer Adam Mühlbach die Zeit in Niederhausen an der Appel erlebt.[Anm. 14]
Die bayerische Verwaltung führt vieles aus der französischen Zeit fort. Die 1801 von den Franzosen begonnenen Vermessungen münden in das bayerische Grundstückskataster, das für Hochstätten 1828 angeordnet wird und im Jahre 1844 die Eigentumsverhältnisse aller Grundstücke, Häuser, Straßen und Gemarkungsflächen erfasst. Bis zur Dorfflurbereinigung 1995 blieben etwa 90 % der damals vergebenen Plannummern unverändert.[Anm. 15]
Die Erschließung der Region durch Straßen und später durch die Eisenbahn erfolgt planmäßig und mit dem Blick über die Landesgrenze hinaus. Die Straße nach Alsenz/Obermoschel wird nach 1830 neu angelegt, ebenso die Straße nach Fürfeld, die seit 1834 an der Alsenzbrücke abzweigt und nicht mehr die steile Bergstraße an der Kirche nehmen muss. Der Ausbau des Steinwegs nach Hallgarten und Feil (-Bingert) wurde 1866 fertig gestellt, er ist heute nur noch ein Wirtschaftsweg. Er folgt der alten Römerstraße, deren Unterbau an einer Stelle noch zu finden ist, und war, wie die anderen überörtlichen Straßen, geschottert und gewalzt. Die Verbindungsstraße Alsenz-Ebernburg, heute die B 48, ist für den Bezirk zur regionalen Verkehrserschließung bis zur Grenze in Ebernburg wichtig. 1818 wird eine neue Straße im Alsenztal geplant, und alle Gemeinden müssen sich an den Kosten beteiligen, besonders für Brücken. Die aus Sandsteinquadern gebaute Alsenzbrücke im Dorf wird 1880 erneuert, heute steht sie unter Denkmalschutz. Beim Ausbau 1999 wird die schmale Brücke deshalb erhalten und ein hölzerner Fußgängersteg oberstrom angebracht.
Beim Straßenbau 1835 müssen ein Dutzend betroffener Anlieger in Hochstätten Grundstücke gegen Entschädigung abtreten. Die etwa sechs Meter breite Straße wird zur Allee ausgebaut, die Pappelbäume werden erst in den 1960er Jahren abgeholzt. Sie ist für den pfälzischen Bezirk Kirchheimbolanden im „bayerischen Jahrhundert“ zwischen 1815 und 1918 von größerer Bedeutung als die Straße nach Fürfeld, wo die Landesgrenze überschritten wird. Dort kommt man nach Rheinhessen, einer Provinz des Großherzogtums Hessen-Darmstadt. Auf der Höhe „Am Zollstock“ steht bis 1918 ein Zollhaus, dessen bayerisches Wappen heute auf der Bühne des Gemeindesaales hängt und an die Zeit erinnert, als Hochstätten zum Königreich Bayern gehörte.
Die West-Ost-Verbindung von Mainz bzw. Nierstein/Oppenheim nach Kusel/Saarbrücken bekommt im „Dritten Reich“ aus militärstrategischen Gründen eine besondere Bedeutung. Vielerorts werden Ortsumgehungen an der heutigen B 420 gebaut, auch in Hochstätten. Die Alsenzbrücke ist zu schwach für Panzer, der Bahnübergang ungeeignet, sodass 1937 eine Notstraße innerorts von der Fürfelder Straße mit Brücke über die Alsenz (heute gegenüber des Denkmals) gebaut wird. Bereits 1938 ist die Umgehungsstraße fertig. Sie ist heute wesentlich stärker befahren als die B 48, weil die Durchfahrten von Bad Münster am Stein und Bad Kreuznach damit vermieden werden. Ende 2015 wird eine lange geplante Aufwertung der B 420 vorgenommen. Von der „Schwarzen Brücke“ aus erfolgt ein dreispuriger Ausbau der Steigungsstrecke in Richtung Fürfeld.[Anm. 16]
Mit der Industrialisierung in Deutschland und dem Streben der Landesherren, ihr Territorium mit Bahnlinien zu erschließen und überregional an die Märkte anzuschließen, beginnen in den 1860er Jahren Überlegungen zum Bau einer Bahnlinie durch das Alsenztal. Sie kann den Weg aus dem Ruhrgebiet nach Süddeutschland deutlich verkürzen und die pfälzische Industrie beleben. 1868 beginnen die Arbeiten an der zweigleisig geplanten Strecke. Sie sind wegen der topographischen Bedingungen nicht ganz einfach und bedeuten größere Eingriffe in die Natur, das Wegenetz und die Besitzverhältnisse. Die Bahntrasse muss die windungsreiche Alsenz vielfach überqueren, Wege und Grundstücke wurden durchschnitten. In der Gemeinde Hochstätten werden 80 Grundstücksbesitzer für die Abgabe von Grundstücken beim Bau der Alsenzbahn entschädigt. 1871 erschließt die Bahnlinie Hochstätten, etwas verzögert durch den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Das zweite Gleis kommt 1900/01 hinzu.
Ein Jahrhundert lang fahren auch Schnellzüge auf dieser Strecke: Holland-Schweiz-Italien und Frankfurt-Paris, da zuletzt als TEE-Express mit Dieseltriebwagen noch bis 1985. Interessante Planungen wie die einer Bahnverbindung als Teil einer Fernverbindung Mainz-Paris von Flonheim über Fürfeld und Hochstätten nach Alsenz wurden nicht realisiert. Die Preußen setzen ihre militärstrategischen Überlegungen durch, die Hauptstrecke in das Saarland durch das Nahetal zu führen. Hochstätten bleibt „um die Ecke“ liegen. Die Bahnlinie führt aber zu ungeahnten Möglichkeiten und einem Modernisierungsschub. Nicht nur Reisen und die Erledigung von (Amts-) Geschäften wird leichter. Die Sandsteinindustrie im Alsenztal erfährt einen großen Aufschwung, das Dorf verändert sich vom kleinbäuerlich geprägten Ackerbauerndorf zum Arbeiter-Bauern-Dorf, mit zahlreichen neuen Häusern aus Sandstein, die von wachsendem Wohlstand künden, und mit wachsender Einwohnerzahl.[Anm. 17]
Das 19. Jahrhundert, insbesondere die zweite Jahrhunderthälfte, ist für die Pfalz die große Steinhauerzeit. Mit der Industrialisierung in der Gründerzeit nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 setzt ein Bauboom vor allem in den preußischen Rheinlanden und den Großstädten ein. Davon profitiert auch die Nordpfalz, und mit dem Bau der Alsenztalbahn von Kaiserslautern nach Bingen kann sich die Sandsteinindustrie im nordpfälzischen Raum bis zur Jahrhundertwende in einem nie dagewesenen Umfang entwickeln. Mit dem Eisenbahnanschluss an die großen Verkehrsstrecken entfallen die bisherigen Transportprobleme. Fast in jedem Ort entlang der Alsenzbahn und in den Seitentälern entstehen Steinhauerbetriebe. Oft sind es Familienbetriebe, die mit zwei oder drei Mann arbeiteten, aber auch Großbetriebe mit bis zu 60 Beschäftigten wachsen auf. Um 1900 gibt es in der Pfalz 423 größere Firmen mit 3.044 Beschäftigten im Steinmetzhandwerk, im Bezirksamt Rockenhausen allein 54 Firmen mit 465 Betriebsangehörigen. In Alsenz bestehen mehr als zehn Firmen mit bis zu 60 Arbeitern und eine Reihe kleinerer Familienbetriebe.[Anm. 18]
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nimmt die Nachfrage nach Sandstein aus dem Alsenztal auch wegen der Konkurrenz aus anderen Regionen Deutschlands und durch andere Baumaterialien (Beton, Bims) zwar ab, doch erst mit dem Ersten Weltkrieg geht die Nachfrage sehr stark zurück. Von dem Dutzend Steinbrüche in Hochstätten werden in den meisten nur noch für den lokalen Bedarf gelegentlich Sandsteine abgebaut. Steine für die Flurbereinigung und Weinbergsanlage in den 1930iger Jahren bezeichnen das endgültige Ende der Steinhauerei in Hochstätten. Der größte Steinbruch, der sog. „Direktionsbruch“ südlich des Ortsrandes wird mit dem eigenen Abraum eingeebnet und seit 1930 als Fußballplatz genutzt, ihn kann die Gemeinde 1936 wieder erwerben. Der Fußballverein 1919 e.V. Hochstätten nutzt das Gelände bis Ende der 1980er Jahre, doch die Unfallgefahr durch herabstürzende Felsen macht einen Ortswechsel notwendig. Sportplatz und Clubheim werden 1990-1995 am nördlichen Ortsrand neu errichtet.[Anm. 19]
0.5.Im 20. Jahrhundert
Der Erste Weltkrieg bringt dann, nach vaterländischer Begeisterung zu Beginn, das Grauen auch nach Hochstätten. 26 junge Männer lassen auf den Schlachtfeldern ihr Leben, fünf werden vermisst, viele kehren verwundet an Leib und Seele zurück. Den Gefallenen setzen die Nationalsozialisten 1938 ein Denkmal südlich des Ortsrandes. Ein Jahr später zetteln sie den Zweiten Weltkrieg an, mit ungleich mehr Opfern. 33 Gefallene und 19 Vermisste werden aufgezählt, 1944 Bomben auf Hochstätten abgeworfen, beim Einmarsch der amerikanischen Truppen am 16. März 1945 sterben vier Männer.[Anm. 20]
Der Nationalsozialismus, der seine Anhänger im Dorf schon vor 1933 hatte (die Stimmen für die NSDAP bei Wahlen belegen das), beendet auch das Zusammenleben mit jüdischen Mitbürgern, die seit dem 18. Jh. in Hochstätten nachgewiesen sind. Bei der Volkszählung 1837 lebten hier 53 „israelitische“ Einwohner (bei 408 Protestanten und 50 Katholiken), und mit 10 % lag der Anteil der Juden im Dorf weit über dem Durchschnitt der Nachbardörfer. „Warum der Anteil so hoch ist lässt sich nur vermuten. Das Zusammenleben im Dorf muss unkompliziert gewesen sein, die jüdischen Familien gut ihr Auskommen gefunden haben mit Viehhandel, als Gastwirt, Metzger und Lebensmittelhändler“.[Anm. 21]
Ihre Zahl nimmt im 20. Jahrhundert kontinuierlich ab, mit der Auswanderung nach Palästina und den USA, auch dem Tod in Konzentrationslagern. Die beiden Judenfriedhöfe, der bis 1912 belegte im Wald westlich des Dorfes am Jungenwald und der im allgemeinen Friedhof eingerichtete Teil, der bis 1935 belegt wird, legen davon noch Zeugnis ab.[Anm. 22]
0.6.Hochstätten heute
Der nach dem Zweiten Weltkrieg sichtbare Wandel vom Bauerndorf zur Wohngemeinde hat Hochstätten deutlich verändert. Von den kleinbäuerlichen landwirtschaftlichen Mischbetrieben, von denen 1979 noch 27 bestanden (meist im Nebenerwerb), sind 2005 noch ganze 6 übrig geblieben. Waren 1927 und 1957 noch 41 ha der Gemarkung Rebfläche, sind 1979 noch 27 und 2010 15 ha bestockt, Tendenz weiter abnehmend. Den Wandel in Dorf und Natur erschließt ein Themenrundwanderweg mit 10 beschilderten Stationen, der 2016 eingeweiht wurde.
Die Veränderungen wurden kommunalpolitisch u.a. durch ein umfassendes Dorferneuerungskonzept, das 1986 beschlossen wurde, und zwei Flurbereinigungen 1954 für die Gemarkung und 1988-97 als Dorfflurbereinigung bearbeitet. Landespflege im Dorf und Außenbereich, Verbesserungen der örtlichen Infrastruktur (Dorfgemeinschaftshaus, Gemeindesaal, Sportplatz, Ortsdurchfahrt B 48) und nicht zuletzt der Hochwasserschutz an Alsenz und Leischbach werden zusammen gesehen und in den letzten beiden Jahrzehnten in vielen Maßnahmen umgesetzt.
Hochstätten lebt in seinen Vereinen mit vielfältigen Aktivitäten und mit Einrichtungen, die ehrenamtlich betrieben werden. Hervorzuheben ist die Gemeindebücherei mit über 4.000 Medieneinheiten im Dorfgemeinschaftshaus. Gute Verkehrsanbindungen in den Rhein-Main-Raum und eine intakte Natur mit Wald und Wein bieten ein angenehmes Umfeld. Die 2017 vollzogene politische Zuordnung der Nordpfalzgemeinde zu den rheinhessischen Gemeinden in der Verbandsgemeinde Bad Kreuznach schlägt ein neues Kapitel auf, in dem historisch trennende Grenzen überwunden werden.[Anm. 23]
0.7.Nachweise
Verfasser: Karl Heil
Redaktionelle Bearbeitung: Lutz Luckhaupt
Verwendete Literatur:
- Beck, Karl: Die Chronik von Hochstätten. Otterbach 1994.
- Bernhard, Helmut: Die römische Geschichte in Rheinland-Pfalz. In: Cüppers, Heinz (Hrsg.): Die Römer in Rheinland-Pfalz. Stuttgart 1990, S. 39-168.
- Frey, Michael: Versuch einer geographisch-historisch-statistischen Beschreibung des kön. bayer. Rheinkreises. Speyer 1837. Als Digitalisat: https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10373357_00005.html [08.05.2019].
- Heil, Karl: Hochstätten. In: Die Kirchen im protestantischen Dekanat Obermoschel. Sonderdruck aus „Der Turmhahn“. Blätter zum Schaffen und Bauen der Pfälzischen Landeskirche 38 (1994), Heft 1/2, S. 18-19.
- Heil, Karl: Hochstätten früher und heute. Ein Gang durch die Geschichte. Hochstätten 2017.
- Heil. Karl: 100 Jahre Fussballverein 1919 e.V. Hochstätten. Eine Chronik. Hochstätten 2019.
- Jüdische Grabstätten im Kreis Bad Kreuznach. Geschichte und Gestaltung. Teil I. Eine Dokumentation der Kreisverwaltung Bad Kreuznach und des Pädagogischen Zentrums Rheinland-Pfalz. Bad Kreuznach 1995 (= Heimatkundliche Schriftenreihe des Landkreises Bad Kreuznach Band 28), S. 205-216.
- Krienke, Dieter (Bearb.): Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Hg. vom Landesamt für Denkmalpflege. Bd. 15: Donnersbergkreis, Worms 1998.
- Kuby, Alfred: Pfarrerlisten kleinerer pfälzischer Herrschaften. Teil I: Albersweiler/Löwenstein bis Königsbach. In: Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 68 (2001), S. 79-99.
- Reiniger, Wolfgang: Alte Siegel der Klöster, Städte, Gerichte, Zünfte, Verwaltungen und Kirchen des 12. Bis 18. Jahrhunderts im heutigen Kreisgebiet von Bad Kreuznach. Bad Kreuznach 1997.
- Widder, Johann Goswin: Versuch einer vollständigen Geographisch-Historischen Beschreibung der Kurfürstl. Pfalz am Rheine. 4 Teile. Frankfurt und Leipzig 1788. Als Digitalisat: https://reader.digitale-sammlungen.de/resolve/display/bsb10022100.html [08.05.2019].
Erstellt am: 15.05.2019
Anmerkungen:
- Beck S. 131; vgl. auch Krienke. Zurück
- Bernhard, S. 110 und Karte S. 111. Zurück
- Widder, S. 67/68. Auf Widder als Quelle beziehen sich fast alle spätere Darstellungen. Zurück
- vgl. Beck, S. 137f.. Zurück
- Heil 1994, S. 18. Zur Geschichte der Kirche siehe auch den Beitrag in Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Evangelische_Kirche_(Hochst%C3%A4tten) [17.04.2019]. Zurück
- Beck, S. 175f.. Zurück
- Kuby, S. 94. Zurück
- Heil 2017, S. 14; ausführlicher bei Beck S. 140f, der auch S. 141-143 verschiedenen Deutungen des Ortsnamens widmet. Zurück
- Beck gibt dem von Jakob Grimm überlieferten Weistum breiten Raum, vgl. S. 462 -488. Zurück
- Widder, S. 146f..http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs3/object/display/bsb10022100_00158.html [18.04.2019]. Zurück
- Beck, S. 167f.; vgl. auch: Reiniger, S. 79. Zurück
- vgl. Heil 2017, S. 18f.. Die dort abgedruckte Karte "Tableau d´ assemblage de Hochstaetten..." ist im Bestand des Landesarchivs Speyer, WW 1 Nr.540. Haus- und Flurstücke sind durchnummeriert, Gewanne deutsch beschriftet. Zurück
- Heil 2017, S. 19f. und S. 69. Zurück
- vgl. auch: D´Arcy Wood, Gillen: Vulkanwinter 1816. Die Welt im Schatten des Tambora. Darmstadt 2015 und https://www.regionalgeschichte.net/fileadmin/Superportal/Bibliothek/Autoren/Aversano-Schreiber/DasJahrohneSommer.pdf [18.04.2019]. Zurück
- Grundsteuer-Kataster Hochstaetten Landcommissariat Kirchheimbolanden, Canton Obermoschel. Stadtarchiv Bad Münster am Stein-Ebernburg Best. B 60a/60b. Zurück
- Heil 2017, S. 57ff.; detailliert: Engel, Armin: Vom Straßenbau in der Nordpfalz im 19. Jh. In: Nordpfälzer Geschichtsblätter, 85. Jg. 2005, Heft 2, S. 10 – 16; zum Straßenbau und der Entschädigung vgl. Schmidt, Erich: Entschädigung der Grundstückseigentümer in Hochstätten. In: Nordpfälzer Geschichtsblätter 86 (2006), Heft 4, S. 22-23. Zurück
- Heil 2017, S, 60f.. Zurück
- Heil 2017, S. 28ff.. Zurück
- Zur Vereinsgeschichte vgl. die umfangreiche Chronik von Heil 2019. Zurück
- Beck, S. 119-125 und Heil 2017, S. 52 ff.. Zurück
- Heil 2017, S. 47; zur weiteren Darstellung ebenda, S. 47ff.. Zurück
- Jüdische Grabstätten, S. 205ff.. Zurück
- Heil 2017, S. 63ff.. Zurück