Diez an der Lahn und seine Geschichte
von Arno Baumann
»Diez — Ein Stättlein sampt einem Schloß, so das Haupthauß dieser Grafschaft ist, hat innerhalb der Ringmauern zween Felsen unnd auff deren jedem ein Schloß. Das nach Suyden ist das Haupt-Schloß und Gräffliche Residentz«, so beschreibt zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges Matthäus Merian in seiner Topographia Hassiae die mittelalterliche Stadt. Sie umfasste damals kaum mehr als das Gebiet der heutigen Altstadt. Lange Zeit ist diese Siedlung nicht über jenen alten Stadtkern hinausgewachsen.[Anm. 1]
Die alte Burg diente der Sicherung eines wichtigen Lahnüberganges, der hier aus dem Rhein- und Maintal heranführende Fernstraßen mit dem Westerwald und dem Neuwieder Becken verband. Funde aus fränkisch-merowingischer Zeit legen die Vermutung nah, dass hier bereits im 6. Jahrhundert eine fränkische Ansiedlung bestand, die dem Schutz des wichtigen Lahnüberganges diente. Hand in Hand mit dieser Feststellung geht der Nachweis eines karolingischen Königshofes, dessen Existenz nicht nur in dem verstümmelten Namen »Silberfeld« und »Silberfeldweg« noch heute fassbar wird, sondern auch urkundlich in dem Namen »Selehoben« und »Silhoben« überliefert wird. Dies alles spricht dafür, dass bereits in frühester Zeit eine Siedlung Diez bestanden hat, die dann 790 durch eine Urkunde Kaiser Karls des Großen unter der Bezeichnung »Theodissa« erstmalig auch in schriftlichen Quellen zu fassen ist.[Anm. 2]
Am Westrande des heute geographisch als »Limburger Becken« bezeichneten Gebietes an der mittleren Lahn überraschen diese Feststellungen nicht, zumal sich rund um Diez die Spuren vorgeschichtlicher Besiedlung feststellen lassen. Bereits aus der älteren Steinzeit (ca. 40000–9700 v. Chr.) liegen sie in den Funden (Stein- und Knochenwerkzeuge) aus den leider dem Kalksteinbruch bei Altendiez zum Opfer gefallenen Höhle der »Wildweiberlei« vor.
Ein jungsteinzeitliches Hockergrab, etwa aus der Zeit zwischen 3000 und 2000 v. Chr., welches heute im Regionalmuseum der Stadt ausgestellt ist, wurde in den fünfziger Jahren im Bereich des heutigen Wohngebietes „Alte Gärtnerei“ entdeckt.[Anm. 3]
Diverse Grabhügel finden sich in den Wäldern rings um Diez, vor allem in der Nähe der alten »Rintstraße« zwischen Diez und Katzenelnbogen. So waren schon von den früheren Zeiten an alle Voraussetzungen für eine Siedlungsbildung an der Stelle der heutigen Stadt Diez gegeben. Im Jahre 933 und 1012 wird eine „Diezer Mark“ (Dissermark) urkundlich erwähnt. Sie umfasste wohl das Gebiet, das wir heute in der Stadt Diez mit dem Ortsteil Freiendiez und Altendiez sehen dürfen.[Anm. 4]
Eine besondere Bedeutung aber erhielt Diez dadurch, dass um die Mitte des 11. Jahrhunderts die letzten Gaugrafen des Niederlahngaues hier auf dem steilen Porphyrfelsen über der Lahn eine Burg erbauten und sich in der darauffolgenden Zeit »Grafen von Diez« nannten. Ihren Besitz, der sich vom Hochtaunus bis weit in den Westerwald hinein erstreckte, trugen sie vom Reich zum Lehen, waren also reichsunmittelbar und zählten schon dadurch zu den bedeutendsten Grafen des Lahngebiets.[Anm. 5]
Schon früh finden wir Diezer Grafen an den mittelalterlichen Kaiserhöfen mit besonderen Aufgaben betraut. So erscheint bereits 1101 ein Graf Heinrich von Diez als Mitglied eines vom Kaiser Heinrich IV. eingesetzten Reichsfürstenrates. Wohl ein Enkel dieses Diezer Grafen, Heinrich II. von Diez (1145—1189), gehörte zu den engsten Vertrauten Kaiser Friedrich Barbarossas, der ihn nicht nur zum Statthalter in der Lombardei ernannte, sondern ihm auch nach der unglücklichen Schlacht bei Legnano die Friedensunterhandlungen zwischen dem Kaiser einerseits und dem Papst andererseits übertrug. Wie sein Kaiser ist Graf Heinrich vom Dritten Kreuzzug nicht in die Heimat zurückgekehrt.[Anm. 6] Im Gegensatz zu seinem Vater kehrte Graf Heinrich III. von Diez, der ebenfalls am Kreuzzug teilgenommen hatte, nach dessen Beendigung auf seine Burg an der Lahn zurück.[Anm. 7]
Diese besondere staatspolitische Bedeutung der Diezer Landesherren blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Diezer Residenz, deren Weiterentwicklung dabei wesentlich gefördert wurde. Bereits 1213 verlieh Kaiser Friedrich II. den Grafen die Zollrechte für Diez.[Anm. 8]
Eine mehr und mehr sich vergrößernde Burgmannschaft und die dadurch erfolgende Anlage von Burgsitzen sorgte dafür, dass neben der bisherigen Fischer- und Handwerkersiedlung ein Ortsausbau erfolgte, der allmählich städtischen Charakter annahm. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch die 1289 erfolgende Errichtung eines Chorherrenstifts mit acht Kanonikaten und vier Vikariaten sowie durch die Erbauung der Stiftskirche.[Anm. 9] Durch den Bau der Stiftsgebäude wurde der Grundstein zur heutigen »Pfaffengasse« gelegt.
So war es eine logische Folge dieses Ausbaues, dass Graf Gottfried von Diez (1303—1348) durch Kaiser Ludwig den Bayern 1329 die Stadtrechte für seine Residenz erhielt. Dies hatte zur Folge, dass Diez mit Gräben und einer Stadtmauer umgeben wurde, in der fünf Tore für den Aus- und Eingang der Bevölkerung sorgten. Wochenmärkte und Bildung eines Stadtgerichts förderten das Wachstum der neuen Stadt. Die Diezer Fruchtmärkte wurden in späteren Zeiten zu einem Hauptumschlagplatz für den Getreidereichtum des Landes, das man einst »Die goldene Grafschaft« nannte.[Anm. 10]
So wären für die Zukunft alle günstigen Voraussetzungen für eine gute Weiterentwicklung des Städtchens vorhanden gewesen, wenn nicht ein tragisches Unglück diese Hoffnung zerstört hätte. Gottfrieds Sohn, Gerhard VI., starb 1343 an den Verletzungen, welche er in einem Gefecht mit Limburger Bürgern auf der »roten Erde« (in der Nähe des heutigen „Kalkwerk“ Wohngebietes) zwischen Diez und Limburg erhielt, noch vor seinem Vater.[Anm. 11] Von Gerhards beiden Söhnen wurde der Johann von Diez 1367 bei einem Streit auf der Burg Dehrn erstochen. Die Ehe seines Bruders Gerhard VII. (1347—1386) mit Gertrud von Westerburg blieb ohne männliche Nachkommen. Zwar hatten sich die Diezer Grafen für einen solchen Fall bereits von König Rudolf von Habsburg das Recht erwirkt, ihre vom Reich zu Lehen gehenden Besitzungen auch auf ihre Töchter vererben zu können, doch sollten sich mit dem Tode des letzten Diezer Grafen im Jahre 1386 die Verhältnisse entschieden ändern. Gerhards älteste Tochter Jutta hatte den Grafen Adolf von Nassau-Dillenburg geheiratet, der sich nach Antritt seiner Regierung Graf von Nassau-Diez nannte. Es wäre also alles für ein Weiterbestehen der Diezer Dynastie geordnet gewesen, wenn nicht der frühzeitige Tod zweier Söhne aus dieser Ehe die Hoffnung auf eine Nachfolge im Mannesstamm abermals vernichtet hätte. So blieb nach Juttas Tod nur eine Tochter übrig, die den gleichen Vornamen wie ihre Mutter trug und an den Edelherrn Gottfried von Eppstein verheiratet wurde. Als 1420 Graf Adolf von Nassau-Diez starb, machte Eppstein seine Erbansprüche auf die Grafschaft geltend. Gleiches tat auch Adolfs Bruder, Graf Engelbert I. von Nassau-Breda. Der sich daraus ergebende Erbfolgestreit wurde aber noch in Adolfs Todesjahr durch die Vermittlung des Erzbischofs von Trier beigelegt und beide Teile erhielten die Grafschaft je zur Hälfte zugesprochen. Als Dank für seine Bemühungen übertrugen die neuen Diezer Gemeinschaftsherren dem Erzbischof die Lehnshoheit über die bisher reichsunmittelbare Grafschaft Diez. Die Gefahr für den Bestand der alten Grafschaft Diez, die aus diesem Rechtsakt erwuchs, sollte sich erst in einer späteren Zeit bemerkbar machen.[Anm. 12]
Während der nassauische Anteil an der Grafschaft Diez Jahrhunderte hindurch bewahrt werden konnte, erfolgten bald im eppsteinischen Anteil einschneidende Besitzveränderungen. Eppstein verkaufte 1453 ein Viertel der Grafschaft Diez dem Grafen Philipp von Katzenelnbogen, welches nach dessen Tod an die Landgrafen von Hessen gelangte. Im sogenannten »Katzenelnbogischen Erbfolgestreit« (1500–1557) zwischen Nassau und Hessen gelang es zwar dem Grafen Wilhelm dem Reichen von Nassau-Dillenburg das hessische Viertel an der Grafschaft Diez zurückzuerhalten, doch hatte sich inzwischen der Erzbischof von Trier als neuer Gemeinschaftsherr in Diez festgesetzt.[Anm. 13]
Dass diese Vielherrschaft für das Diezer Land nicht gerade von Vorteil war, liegt auf der Hand. So wurden immer wieder Teile des Landes z. B.: wegen Erbstreitigkeiten verpfändet. So auch 1454, als Ottilie von Katzenelnbogen, nach dem Tod Ihres Vaters Heinrich von Nassau Ansprüche auf dessen Besitzungen erhob, obwohl diese bei Ihrer Heirat auf das Erbe ausgezahlt wurde. Es kam zu einem Vergleich, nachdem man ihr 20.000 Gulden zusprach, diese aber bis zur Tilgung der Schuld unter anderem ein Viertel an Diez, Dehrn, der Esterau und Kamberg zugesprochen bekam.. Diesem verhängnisvollen Zustand machte 1564 der Graf Johann VI. von Nassau-Dillenburg ein Ende, indem er sich im sogenannten »Diezer Vertrag« mit Kurtrier dahingehend einigte, dass er diesem einen Teil seiner Westerwälder Grafschaftsrechte abtrat und dafür die Alleinherrschaft in den übrigen Teilen der Grafschaft Diez erhielt.[Anm. 14]
Dies hatte zunächst zur Folge, dass Johann VI. nunmehr auch in der Grafschaft Diez die Reformation einführte, wie es bereits unter seinem Vater in den übrigen Teilen des nassau-ottonischen Landes, in Siegen, Dillenburg, Beilstein und Hadamar geschehen war. Das Diezer Marienstift und die im Lande befindlichen Klöster Dierstein, Gnadenthal und Beselich gingen im Laufe der Zeit ein. Ihr Vermögen wurde anderen Zwecken zugeführt und vornehmlich zur Besoldung Geistlicher und zur Errichtung und Unterhaltung von Schulen verwendet, wobei die Hohe Schule zu Herborn als künftige Landesuniversität in erster Linie bedacht wurde. Auf diese Weise erhielt auch Diez 1567 die erste höhere Bildungsanstalt in Form einer Lateinschule.[Anm. 15]
Bei der Landesteilung, die Johanns Söhne nach des Vaters Tod vornahmen, erhielt Graf Ernst Casimir die Grafschaft Diez zugesprochen. Damit festigte sich dort wieder eine Landesregierung, die sich, obgleich der Landesherr als Statthalter von Friesland und niederländischer General meist in den Niederlanden weilte, doch sehr positiv für das Land und die Stadt Diez auszuwirken begann. 1610 wurde an der Stelle eines früheren Burgsitzes die eingangs erwähnte „zweite Burg“, die herzoglich nassauische Rezeptur erbaut und in ihr zunächst die Kellerei untergebracht. Zur gleichen Zeit entstanden die heute noch existierenden Fachwerkhäuser rund um den Alten Markt und in der Altstadtstraße.[Anm. 16]
Merkliche Rückschläge brachten die schweren Zeiten des Dreißigjährigen Krieges. Obgleich Diez, von Einquartierungen, Truppendurchzügen und Kontributionsleistungen abgesehen, vor den ärgsten Bedrängnissen des Krieges bewahrt blieb, konnte nicht verhindert werden, dass 1634 die kaum hundert Jahre zuvor anstelle einer älteren Holzbrücke erbaute steinerne Lahnbrücke auf Anordnung der Schweden gesprengt wurde.[Anm. 17]
Auf ihren Pfeilern errichtete man zunächst eine Behelfsbrücke aus Holz und setzte schließlich auf die bei der Sprengung umgestürzten Pfeiler neue Steinpfeiler, auf die man einen hölzernen Oberbau legte. Erst um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde dieser durch eine Eisenkonstruktion ersetzt. Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner 1945 fiel auch diese Brücke mit ihrem Oberbau einer Sprengung zum Opfer. Heute ist sie durch einen Neubau in Eisenbeton ersetzt.[Anm. 18]
Zwei Frauen aus dem Hause Nassau-Diez waren es dann, die in der Zeit nach dem dreißigjährigen Krieg die Entwicklung der Stadt wesentlich vorantrieben. Beide verwalteten während der Abwesenheit ihrer Söhne in den Niederlanden deren auf deutschem Boden liegende Gebiete. Es war dies zunächst die Fürstin Albertine Agnes, eine Enkelin Wilhelms I. von Oranien, die nach dem Tode ihres Mannes die Regierung der Region Diez übernahm. Sie ließ an der Stelle des während des Dreißigjährigen Krieges stark mitgenommenen ehemaligen Klosters Dierstein bei Diez nach 1672 ein Schloss errichten, dem sie den Namen Oranienstein gab. Auch für die Stadt selbst und ihre Untertanen sorgte sie in vorbildlicher Weise. Durch die Errichtung einer Apotheke in Diez und die Anordnung, dass ihr Leibarzt auch den Landeskindern zur Verfügung stehen sollte, sorgte sie für die Verbesserung der sanitären Verhältnisse, die bisher noch sehr im Argen lagen.[Anm. 19]
Den Plan einer Stadterweiterung durch die Erbauung einer Vorstadt konnte sie allerdings nicht zu Ende zu führen, da sie im Jahre 1696 in den Niederlanden verstarb.[Anm. 20]
Unter ihrer Schwiegertochter, der Fürstin Amalie von Nassau-Diez konnte jedoch das von Albertine begonnene Werk fortgesetzt und in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts vollendet werden. Damals entstand die sogenannte Diezer Neustadt (das Gebiet zwischen Rosen- und Schaumburger Straße) mit den für damalige Verhältnisse sehr breiten Straßen und großen Plätzen zu beiden Seiten des kanalartig ausgebauten Aarbettes. Mit nur je einer Häuserzeile auf beiden Seiten, eingefasst von blühenden Gärten, erinnert dieses künstlich geschaffene Aarbett auch heute noch an eine holländische Gracht. Drei Steinbrücken führten über diesen Kanal, von denen die Mittlere, die die beiden Marktplätze verbindet, in ihren Schlusssteinen das Monogramm Amalies und die Jahreszahl 1707 zeigt.[Anm. 21]
In der so von ihr geschaffenen Neustadt siedelte die Landesmutter vor allem Lutheraner an, denen sie in der sonst reformierten Stadt nicht nur Religionsfreiheit gewährte, sondern auch die Erlaubnis zum Bau einer Kirche gab. So entstand die damals lutherische, heute katholische Kirche am Oberen Markt, dem heutigen Ernst-Scheuern-Platz.[Anm. 22]
Ein Denkmal setzte sich Fürstin Amalie in dem unter ihrer Regie nach Plänen und Entwürfen des berühmten niederländischen Architekten Daniel Marot umgebauten und von erstklassigen Stuckateuren und Malern verzierten Schloss Oranienstein. Das Schloss wurde von 1709 an durch Amalie und fünf ihrer Töchter bewohnt.[Anm. 23]
Mit dem Tode der letzten Tochter der Fürstin Amalie zog die Stille im Schloss Oranienstein ein. Der einzige Enkelsohn Amalies, Fürst Wilhelm IV. Karl Heinrich Friso von Nassau-Oranien, wohnte nur vorübergehend in Diez und Oranienstein, wenn er sich zu Regierungsgeschäften in seinen nassauischen Stammlanden aufhalten musste. Durch die von ihm hierbei verfügte Zusammenfassung der Landesverwaltung in Dillenburg verlor Diez seine Bedeutung als fürstliche Residenz und sank — wenigstens zeitweise — zu einer nassau-oranischen Amtsstadt herab.[Anm. 24]
Dies änderte sich erst, als Fürst Wilhelm V. von Nassau-(Diez)-Oranien mit Verzicht auf seine Stellung als Erbstatthalter die Niederlande unter dem Druck der französischen Revolutionsheere verließ und nach vorübergehendem Aufenthalt in England 1801 in seine Stammlande zurückkehrte und im Schloss Oranienstein seinen Wohnsitz nahm.[Anm. 25]
Die kurze Zeit seines Diezer Aufenthalts war für die Stadt Diez und das Diezer Land außerordentlich positiv. Wilhelm V. verzichtete nicht nur auf die ihm aus seinem Fürstentum zustehenden Abgaben zugunsten der Landeskasse, er half auch der durch die vorausgegangenen Kriege stark verschuldeten Stadt Diez durch die Übernahme eines Großteils ihrer Schulden und durch die Schenkung des bisherigen herrschaftlichen Hainwaldes, aus dessen Holzerlös auch die Restschulden beglichen werden konnten.[Anm. 26]
Aber die Tage der Nassau-Oranier in Deutschland waren gezählt. Fürst Wilhelm VI. wurde noch im gleichen Jahr, in dem sein Vater starb, von Napoleon seiner Lande beraubt und das Herzogtum Nassau begründet. Die ehemalige Grafschaft Diez wurde dem neuen Herzogtum unter Führung der nassau-walramischen Linie zugeschlagen.[Anm. 27]
Als Privatmann lebte er bis zum Umschwung der politischen Verhältnisse nach der Schlacht bei Leipzig 1813 in Berlin, von wo aus er sich über England nach den Niederlanden begab, wo er von der befreiten Bevölkerung begeistert empfangen und von den Staaten Generaal zum souveränen Fürsten der Niederlande proklamiert wurde.[Anm. 28]
Eine Veränderung der Verhältnisse brachten die Beschlüsse des Wiener Kongresses. Als Gegenleistung für seine Ernennung zum König der Niederlande und die Übertragung des zum Großherzogtum erhobenen Luxemburg verzichtete der Oranier auf seine deutschen nassauischen Besitzungen. Diese verblieben bei dem von Napoleon geschaffene Herzogtum Nassau (Landeshauptstadt Wiesbaden). Diez wurde wieder Amtsstädtchen und Oranienstein nur noch als Jagdschloss und gelegentliche Sommerresidenz verwendet.
Nach der Annexion des Herzogtums durch Preußen infolge der Niederlage der mit den Österreichern verbündeten Bundestruppen im Kriege von 1866 kam das bisherige Herzogtum Nassau an Preußen. Diez wurde Kreisstadt des Kreises Unterlahn (1867), der zum Regierungsbezirk Wiesbaden und der neugebildeten Provinz Hessen-Nassau gehörte. Oranienstein aber, die einstige Residenz der Nassau-Oranier, erhielt 1867 eine neue Bestimmung als Kgl. Preußische Kadettenanstalt. Als solche ist das Schloss dann bis zum Ende des I. Weltkrieges 1918 verwendet worden, als dessen Folge es vom Dezember des gleichen Jahres den französischen Besatzungstruppen als Standquartier diente.[Anm. 29]
Auch für die Stadt Diez und ihre Bewohner brachten die folgenden Jahre schwere Belastungen. Die Besatzung, die teils aus Franzosen, teils aus Kolonialtruppen bestand, ging nicht gerade zimperlich mit der Bevölkerung um, ein Zustand, der sich noch während des Ruhrkampfes und der Separatistenzeit wesentlich verschärfte. Fast alle Behördenleiter und auch viele andere Männer wurden bei Nacht und Nebel verhaftet und über die nahe Grenze zwischen Diez und Limburg ins unbesetzte deutsche Reich abgeschoben, bis es dann im Dezember 1927 gelang, dank der Initiative einflussreicher niederländischer Freunde der Stadt Diez, die französische Regierung zur Freigabe des Schlosses Oranienstein und damit auch zur Räumung der Stadt zu bewegen. Im Jahre 1928 wurde Schloss Oranienstein von einem Reformrealgymnasium bezogen, welches gemeinsam mit dem Heimatmuseum dem Schloss wieder eine friedliche Nutzung gab.[Anm. 30]
In den folgenden Jahren hatte die Stadt noch an den Folgen der Besatzung und der allgemeinen Arbeitslosigkeit im damaligen Deutschland zu leiden. Leider setzten sich die demokratischen Bestrebungen in Deutschland nicht durch und so konnte auch in Diez der Nationalsozialismus Wurzeln schlagen.
Die rund 5200 Einwohner zählende Kreisstadt Diez, wurde in den nächsten Jahren mit diversen nationalpolitischen Organisationen bedacht. So wurde ab März 1934 die Nationalpolitische Erziehungsanstalt (Napola) im Schloss Oranienstein untergebracht und die Motorsportschule des „Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK) vom Nürburgring nach Diez verlegt. Neben diversen nationalsozialistischen Großkundgebungen in Diez und Freiendiez gab es massive Ausschreitungen gegen jüdische Mitbürger.[Anm. 31]
Bereits 1935 wurde das israelitische Kinderheim am Schlossberg geschlossen, nachdem Diezer Bürger mit Sprechchören und Demonstrationen vor dem Gebäude aufmarschiert waren. Die Polizei räumte das Gebäude und die rund 50 Kinder und Erzieher wurden abtransportiert. In den nachfolgenden Jahren wurden sämtliche jüdischen Einwohner so bedrängt, dass diese auswanderten oder in Konzentrationslagern interniert wurden.[Anm. 32]
Das 1000jährige Reich endete am 27. März 1945 Heck, Tagebücher, Eintrag zum 27.März 1945. für die Diezer. Nachdem man die alte und neue Lahnbrücke gesprengt hatte, sollte die Stadt gegen anrückende amerikanische Truppen verteidigt werden. Nach einigen Schüssen in die Altstadt übergab der damalige Malermeister und Rennfahrer Willi Seibel die Stadt an die Amerikaner. Diese besetzten Diez allerdings nur wenige Wochen. Wie nach dem I. Weltkrieg wurde Diez französische Besatzungszone. In den 1950iger Jahren erfolgte der Abzug der Besatzungstruppen, Deutschland wurde Mitglied der Nato und die Bundeswehr rückte in die Diezer Kasernen ein.[Anm. 33]
In den folgenden Jahren erfolgte der erstaunliche Ausbau unserer Stadt. In Oranienstein, im Silberfeld und im Gebiet zwischen Bahnhofsweg und Felkestraße, vor allem aber im »Schläfer« sind neue Wohnviertel entstanden und haben dem Stadtbild ein sehr verändertes Aussehen gegeben.
Verfasser: Arno Baumann
Redaktionelle Bearbeitung: Christoph Schmieder
Verwendete Quellen und Literatur:
- Merian, Matthäus: Topographia Hassiae et Regionum Vicinarum. Frankfurt 1646 (https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10802313_00065.html)
- Heck, Hermann: Die goldene Grafschaft. Bilder aus der Geschichte der Grafschaft und der Stadt Diez. Diez 1956.
- Heck, Robert: die Regenten der ehemaligen Diezischen Lande aus den Häusern Diez und Nassau-Diez. Diez 1912 (Veröffentlichung der Ortsgruppe Diez des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung, 10).
- Heck, Robert: Schloss Oranienstein (Lahn) und sein nassauisches Heimatmuseum. Diez 1937.
- Morlang, Adolf/Hartmann, Klaus-Peter: Boykottiert, emigriert, deportiert, liquidiert. Quellen zur Geschichte der Juden im Raum Diez während des Nationalsozialismus. Diez 1999.
- Morlang, Adolf: Ereignisse der letzten Kriegsmonate in Diez und Umgebung. In: Förderverein Heimatmuseum Esterau (Hrsg.): Vor 50 Jahren. Bomben – Chaos – weiße Fahnen. Holzappel 1996. S. 28–34.
Letzte Bearbeitung: 07.05.2020
Anmerkungen:
- Merian, S. 21; Heck, Grafschaft, S. 141. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 19; S. 139; Heck, Regenten, S. 7. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 12. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 13, S. 139f. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 41, S. 145. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 27–30; Heck, Regenten, S. 9f. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 30. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 140 Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 37; S. 140f. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 140f.; Heck, Regenten, S. 27. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 43; Heck, Regenten, S. 19f. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 48f., S. 61f.; Heck, Regenten, S. 24. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 65–70. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 64, S. 71. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 79, S. 85, S. 88, 96. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 96, Heck, Regenten, S. 38. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 102–118. Zurück
- Heck, Regenten, S. 48f. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 150; Heck, Regenten, S. 70–72. Zurück
- Heck, Regenten, S. 74, S. 76. Zurück
- Heck, Grafschaft, S. 144; Heck, Regenten, S. 78–80. Zurück
- Heck, Regenten, S. 80f. Zurück
- Heck, Regenten, S. 83. Zurück
- Heck, Regenten, S. 87, S. 109. Zurück
- Heck, Regenten, S. 119–121, S. 130f. Zurück
- Heck, Regenten, S. 124. Zurück
- Heck, Regenten, S. 131f. Zurück
- Heck, Regenten, S. 132–136. Zurück
- Heck, Regenten, S. 84; Heck, Schloss, S. 38f. Zurück
- Heck, Schloss, S. 41–46. Zurück
- Morlang/Hartmann, S. 14, S. 22, S. 31. Zurück
- Morlang/Hartmann, S. 37, S. 41-45, S. 56–58. Zurück
- Morlang, Ereignisse, S. 31. Zurück