Kinder erkunden Museum
Geschichte mal ganz anders
Allgemeine Zeitung 07.03.2012 - BINGEN
Von Christine Tscherner
MUSEUM Kinder erkunden die Abteilungen, erfahren viel über Rheinromantik und basteln einen Leporello
Mara Weitzel feiert ihren siebten Geburtstag im Museum. Ihre Gäste sollen Schuhkartons mitbringen. Guckkästen mit Rheinpanorama bauen - das Mädchen aus Waldalgesheim hat sich einen Bastelnachmittag rund um Romantik ausgesucht. Museumspädagogik mit Schere und Kleber: Über Reisen wie vor 150 Jahren, Leporello als Mitbringsel und als Googleview von Anno Dazumal.
Lany, Lilly, Sofia und Giulia sitzen auf Teppichfliesen mitten in der Rhein-Romantik. In der Museumsammlung mit den vielen alten Druckgrafiken startet Sabine Markowski das Programm.
Fragerallye durch die Abteilungen
Erstaunlich: Die Mädchenrunde bildet trotz Romantik im Titel die Ausnahme. „Vor allem Jungs buchen die Rheinreise“, weiß Mitarbeiterin Markowski. „Beim Guckkastenbasteln darf hantiert werden.“ Aber bevor die Werkstatt lockt, gibt's eine Fragerallye durch die Abteilung. Details wie die Flussmühlen gilt es auf den Bildern zu entdecken.
Was ist heute für uns romantisch? Sabine Markowski lässt ein altes Stich-Original durch Kinderhände reichen. „Die Künstler mussten alles als Negativ einritzen wie beim Kartoffeldruck.“ Der Rhein bei Bingen war hoch beliebtes Künstlermotiv. Die Stiche weckten Reiselust wie heute Katalogbilder von fernen Stränden. „Vor 150 Jahren war der Rhein ein hoch begehrtes Reiseziel“, schaut Museumsleiter Dr. Matthias Schmandt in die Vergangenheit. Weil nicht jeder Müßiggang und Geld für Reisen hatte, halfen Fantasiereisen.
Rheinpanoramen, auch Leporello genannt, bilden den Flusslauf aus der Vogelperspektive ab. Erfunden hat sie eine Juristengattin und Hobbyzeichnerin aus Frankfurt: Elisabeth von Adlerflycht. In moderner Form finden sich die Flusskarten mit eingezeichneten Burgen und Rheinstädten auch heute noch an den Kiosken. Touristen folgen mit dem Klappplan in der Hand den Bandansagen der Ausflugsschiffe.
„Ein Leporello zeigt den Versuch, sich Landschaft ins Haus zu holen“, sagt der Museumsleiter. Die Pläne ermöglichten Kopfreisen in das zauberhafte Hügeltal mit seinen Burgen und pittoresken Weindörfern. Plastische Vorstellungskraft immer vorausgesetzt. „Sie dienten als Reiseerinnerung und Mitbringsel für Daheimgebliebene zugleich“, sagt Schmandt.
Reisen war Luxus. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten sich nur Adelige die aufwendigen und teuren Reisen leisten. Der Mittelrhein war Tourstopp reicher Engländer - Bestandteil der Grandtour, der Bildungsreise nach Italien. Museumspädagogin Kerstin Kersandt und Sabine Markowski ziehen alte Fahrpläne aus dem Museumskoffer und lassen die Kinder Fahrtzeiten ausrechnen. Wie lange brauchte ein Segelschiff von Köln nach Mainz? Wie schnell war ein Dampfschiff 1878 im Vergleich zur Eisenbahn oder Ausflugsschiffen heute? Eine Comicfigur demonstriert, wie treideln mit Muskelkraft funktionierte. Original-Speisekarten der Flusskreuzfahrten anno 1902 bieten Roastbeef oder Rheinsalm als Menü.
„Weil es noch keine Videos und iPhones gab, haben sich die Leute Miniatur-Landschaften aus Papier gebastelt.“ Sabine Markowski zeigt den Mädchen die Vorläufer bewegter Bilder: 3D-Brillen vom Anfang des 20. Jahrhunderts und die Plastiknachfolger aus eigenen Kindertagen.
Kräuterkunde neu im Programm
„Geschichte mal ganz anders“ heißt die Idee, die seit dem Pädagogikstart im Binger Museum vor über zehn Jahren langsam greift. Der Guckkasten mit Mäuseturm, Berglandschaft und modernen Containerschiffen erinnert daheim an die Erlebniswerkstatt. Ganz wie die Leporello-Landschaft einst.
Rund einmal im Monat ist das Programm gebucht. Damit gehört „Reisen vor 150 Jahren“ nicht zu den Bestsellern. „Ritter, Römer und Mittelalter ziehen stärker“, so Sabine Markowski. Zur anvisierten Heiligsprechung Hildegards haben die Museumspädagogen ein viel versprechendes Spezial aufgelegt: Kräuterkunde mit Topfpflanzen zum Anfassen. „Wir stellen selbst Ringelblumensalbe her. In kleinen Tiegeln können die Kinder die Proben mit nach Hause nehmen.“