Das Instrumentarium eines römischen Chirurgen in Bingen - Ein Rückblick auf die Chirurgie vor 2000 Jahren
The Instruments of a Roman Surgeon in Bingen - A Brief Retrospect on Surgery 2000 Years Ago
von Dr. Karl Maria Heidecker, 55411 Bingen am Rhein, Holzhauser Straße 23
Quelle: Sonderdruck "Das Instrumentarium eines römischen Chirurgen in Bingen - Ein Rückblick auf die Chirurgie vor 2000 Jahren"
Vortrag auf dem Kongreß der deutschen Gesellschaft für Chirurgie im Mai 2000.
Von Herrn Dr. Karl Maria Heidecker mit Schreiben vom 17. Januar 2006 der Hist. Gesellschaft überlassen
Die ungeheuren Fortschritte der Chirurgie in den letzten 150 Jahren wären nicht möglich gewesen ohne ein in Jahrhunderten von gut beobachtenden Ärzten gesammeltes Erfahrungswissen. So möchte ich Sie 2000 Jahre zurück entführen und Rückschau halten auf den ärztlichen Wissensstand bei den Römern.Wenden wir uns zunächst dem zu, was Archäologen am ehesten finden: metallische Instrumente der Ärzte. Von keiner historischen Periode bis hin zur europäischen Renaissance wissen wir über ärztliche Instrumentarien so gut Bescheid wie über die der römischen Kaiserzeit, also die Zeit vom 1. bis 3. Jahrhundert nach Christus. In dieser Periode war es insbesondere in Gallien und Germanien Brauch, Ärzten einige Instrumente oder seltener ganze Instrumentarien mit ins Grab zu geben. Bis 1996 waren 101 solcher Arztgräber publiziert. Unsere Kenntnisse werden ergänzt durch Funde in pompejanischen Arzthäusern, in Valetudinarien und anderen Orten. Antike Literatur, besonders die detaillierten Operationsbeschreibungen von Aulus Cornelius Celsus (i), der etwa von 30 vor bis 50 nach Christus in Rom lebte, geben uns klare Vorstellungen, was Ärzte vor 2000 Jahren wußten und was sie mit diesen Instrumenten machten.Der umfangreichste, geschlossene Instrumentenfund mit 67 Einzelteilen wurde vor 75 Jahren in Bingen am Rhein geborgen. Beim Ausbau einer Straße stieß man auf einem römischen Urnenfriedhof mit mehr als 120 Gräbern, darunter ein Arztgrab, das auf Grund der Beifunde in die Zeit um 100 bis 150 n. Chr. einzuordnen ist (2). Die Instrumente lagen alle in dieser großen Bronzeschüssel, die zum Auffangen des Blutes beim Aderlaß verwendet wurde. Einer anderen Form von Flüssigkeitsentlastung dienten drei Schröpfköpfe, die an einem Ständer aus Weinreben aufgehängt wurden. Zum Binger Fund gehören 13 Skalpelle mit Bronzegriffen und auswechselbaren Stahlklingen verschiedener Form, chirurgische und anatomische Pinzetten, scharfe Löffel, spitze und stumpfe Wundhaken, ein Satz von Meißeln für die Knochenchirurgie. Diese eindeutig chirurgischen Instrumente berechtigen zur Aussage, daß der Binger Arzt ein Chirurg gewesen ist, obwohl sich keine Inschrift bei dem Grab fand. Es gab damals schon den Medicus chirurgus und Spezialisten für Frauenheilkunde, sowie für einzelne Operationen wie Blasenstein- und Staroperationen.Der Vergleich von 10 antiken mit 10 heutigen Instrumenten läßt erkennen, daß die Instrumente vor 2000 Jahren im Wesentlichen die gleiche Form hatten wie heute. Geändert hat sich nur das Material, damals Bronze und Eisen, heute V4A-Stahl, Was machten die Chirurgen mit diesen Instrumenten?Ein wichtiges Gebiet waren Verletzungen und ihre Folgen: die Behandlung von Wunden, Beseitigung von Fremdkörpern, wie Pfeilspitzen und Steinen, Behandlung von Biß-, auch von Schlangenbißwunden. Man reponierte Luxationen, extendierte, reponierte Frakturen und fixierte sie mit Schienen. Ober- und Unterschenkelbrüche wurden in Hohlschienen ruhig gestellt. Es war bekannt, daß man eine Fraktur nach der Einrichtung in Ruhe lassen müsse. Celsus schreibt: „Wenn der Verband oft gewechselt und die Bruchstücke oft bewegt wurden.heilen die Knochen nicht (3)."Ein weiteres Gebiet war die septische Chirurgie. Abscesse, Furunkel, Karbunkel (4) forderten Incisionen oder den Einsatz von Glüheisen, die man auch zur Zerstörung von Geschwülsten und zur Blutstillung einsetzte. Celsus riet bei Operationen Blutungen zu vermeiden und deshalb auf Gefäße zu achten, sie zu präparieren und nötigenfalls zu unterbinden.Man wagte sich auch an Operationen bei Tumoren, an Leisten- und Nabelbrüche, Hydro- und Varicocelen, Varizen und Haemorrhoiden. Zwar kannte man Sterilität und Antibiotica nicht, aber man wußte, daß solche Operationen nicht ausgeführt werden dürfen bei Patienten in schlechtem Allgemeinzustand und mit Entzündungen der Haut, wie Impetigo und Pusteln (5). Operationen in der Bauchhöhle wurden wegen der regelmäßig nachfolgenden Infektion nur als Notoperationen bei perforierenden Verletzungen und beim Kaiserschnitt vorgenommen, der wegen der Infektion regelmäßig für die Mutter tödlich endete.Etwas ganz Besonderes an dem Binger Fund ist ein vollständiges Instrumentarium zur Schädeltrepanation, bestehend aus zwei leicht konischen Trepanen mit zentralem, herausnehmbaren Führungsdorn, einer Andruckschale, einem zusammenklappbaren, fiedelbogenartigen Antriebsinstrument und einem gewinkelten Hebel zum Heben von Imprimaten.Im Kampf Mann gegen Mann mit Schwert, Streitaxt, Morgenstern oder Keule wurde der Kopf trotz Helmschutz häufig verletzt. Dann waren unfallchirurgische Eingriffe erforderlich. Ich habe beim Studium der antiken Literatur keinen Hinweis dafür gefunden, daß man trepaniert hätte, um böse Geister aus dem Kopf heraus zu lassen, wie immer wieder in der Laienpresse zu lesen ist. Celsius, beschreibt ganz klar die Indikation zu solchen Operationen: wenn nach einer Kopfverletzung Erbrechen, Blutungen aus Nase und Ohren, Verlust der Sprache, Lähmungen, Krämpfe und Bewußtlosigkeit auftraten, dann mußte man ohne bildgebende Verfahren nach einem Schädelbruch suchen. Den antiken Ärzten waren auch die intracranielle Blutung und der Contre coup bekannt (6). Bei Verdacht auf Schädelbruch wurde eine genaue Anamnese erhoben, Wunden am Kopf wurden sorgfältig inspiziert und mit Sonden ausgetastet. Wenn keine Wunde vorhanden war, so sollte der Arzt am verdächtigen Ort eine X-förmige Wunde setzen, die Wundränder auseinanderziehen und Splitter entfernen. Wenn eine Impressionsfraktur gefunden wurde, so sollte er im stehengebliebenen Knochen einen Querfinger neben der Fraktur mit dem Trepan ein Loch ins Schädeldach bohren (7). Nach vorsichtiger Ablösung der Dürfe von der Tabula interna wurde dann der Hebel eingesetzt und das Imprimat gehoben, wie die Demonstration am Modell zeigt. Wenn die Dura, Schutzbarriere gegen Infektionen, intakt war, bestanden gute Heilungschancen für solche Eingriffe. Daß Operationen mit solchen Instrumenten ausgeführt wurden, belegen Schädelfunde, wie der eines ca. 3o-jährigen keltischen Kriegers aus dem 3. bis 2. Jahrhundert vor Chr., gefunden in Katzelsdorf/Nieder-Österreich(8).
Nach dem Bericht von Celsus und genauen röntgenologischen und histologischen Untersu¬chungen an trepanierten Schädeln (9) war auch die Osteomyelitis der Schädelknochen eine Indikation zur Trepanation. Sie muß nach diesen Arbeiten im Altertum nicht selten gewesen sein. Celsus empfiehlt bei der Osteomyelitis nekrotisches Knochengewebe mit scharfem Löffel, Meißeln und Trepan bis in gesundes, durchblutetes Knochengewebe hin wegzunehmen, ein noch heute gültiger Grundsatz bei der Osteomyelitis. Nicht immer wurde dabei ein Loch durch alle Schädelschichten gebohrt. Mitunter reichte es den Knochen auszumulden, wie Forschungen von W. M. Pahl an ägyptischen Schädelfunden belegen.
Daß Trepanationen ohne Narkose und ohne Sterilität ausgeführt, überlebt wurden, beweisen über achthundert trepanierte Schädel aus der Zeit von 10 ooo vor bis i ooo nach Chr.(io). Bei Patienten, welche die Operation überlebten, waren die Ränder der Trepanationsöffnung abgerundet und überwachsen, wie hier bei diesem Schädel aus Hausneindorf bei Quedlinburg, der zeitlich zwischen 2 300 bis 1600 v. Chr. einzuordnen ist. Sogar in heutiger Zeit gibt es noch Menschen, die mit steinzeitlichen Methoden trepaniert werden und solch eine Operation in einem hohen Prozentsatz überleben. Das bezeugen die Untersuchungen von R. Meschig(n), die er in den 8oer Jahren bei den Kisii in Ostkenia durchführte. Sie wurden kürzlich in der Fernsehsendung Terra X dokumentiert.
Die Chirurgen in römischer Zeit hatten keine sichere Möglichkeit Schmerzen auszuschalten, Infektionen wirksam zu bekämpfen und sie wußten nichts von Sterilität. Dennoch besaßen sie schon ein erstaunliches Erfahrungswissen, das ihnen beachtliche ärztliche Leistungen ermöglichte.
Hinweis: Bilder von Schädelbohrungen finden Sie hier:
Summary
The Instruments of a Roman surgeon dating back to the second Century A. D. in-dicate that Roman doctors used numerous Instruments, that we also use today in the same form, but made of other materials. They include scalpels with interchangeable steel-blades, anatomical and surgical tweezers, hooks, probes, sharp spoons and chisels. The Roman ency-clopaedist, A. C. Celsus, describes exactly operations in accident and septic surgery, and op-erations of inguinal hernia, hydrocele and varicose veins. A complete set for trepanation of the skull is a part of the Bingen discovery also. The ancient skulls draw attention to the suc-cessful treatment of serious head injuries and osteomyelitis.
Das Binger Ärztebesteck
Bei ausgedehnten Bauarbeiten in unmittelbarer Nähe der Burg Klopp war man in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg schon auf mehr als 120 römische Gräber gestoßen. Eine aufsehenerregende Entdeckung gelang schließlich am 6. Juni 1925 im Bereich der Cronstraße: Neben einem Grabhäuschen aus Ziegelplatten, das eine Urne und einige Beigaben enthielt, stand eine Bronzeschüssel. Darin befanden sich zahlreiche chirurgische Instrumente. Man hatte das Grab eines Arztes aus dem 2. Jh. n. Chr. gefunden.
Die antike Medizin
Zu allen Zeiten gab es welt- und lebenserfahrene Menschen, die über heilkundliche Kenntisse verfügten. Eine wissenschaftlich betriebene Medizin jedoch blühte erstmals im klassischen Griechenland des 5. Jhs. v. Chr.: Medizinisches Erfahrungswissen verband sich mit philosophischen Strömungen, die nach rationaler Beschreibung und Systematisierung der Naturerscheinungen trachteten. Bedeutendster Vertreter dieser neuen, theoretisch fundierten Medizin war Hippokrates von Kos (um 460-370). In den zahlreichen unter seinem Namen überlieferten Schriften wird erstmals das Wissen über den menschlichen Körper und seiner Gebrechen umfassend dokumentiert. Noch heute bringt der sog. „Eid des Hippokrates“ das ethische Selbstverständnis der Ärzteschaft zum Ausdruck.In der römischen Welt, die das kulturelle Erbe der Griechen in vielerlei Hinsicht aufgriff und fortführte, stieß die gelehrte medizinische Tradition zunächst auf Skepsis. Alte Volkstraditionen und medizinischer Wunderglaube waren tief verwurzelt. Wohl nicht vor Beginn des 1. Jh. v. Chr. gelang es einem griechischen Arzt, sich gegen die zahlreichen Widerstände dauerhaft in Rom zu behaupten. Das Bedürfnis nach wissenschaftlich ausgebildeten Medizinern nahm jedoch bald zu - nicht zuletzt aufgrund der dauernden kriegerischen Expansion des Reiches, die eine weitgespannte militärärztliche Organisation erforderlich machte.Ihren Höhepunkt erreichte die römische Heilkunde im 1. und 2. Jh. n. Chr.: In vielen Regionen bestand eine flächendeckende medizinische Versorgung, auf je 500-600 Einwohner kam in Städten ein Arzt. Bedeutende Theoretiker wie Celsus und Galen verfaßten medizinische Kompendien, die noch dem gesamten Mittelalter als Lehrbücher dienten. Spezialisierte Industrien produzierten hochwertige chirurgische Instrumente und Arzneimittel. Ärzte genossen nun hohes Ansehen, und ihre Tätigkeit bescherte ihnen nicht selten ein ansehnliches Vermögen.
Das Binger Ärztegrab
Bei ausgedehnten Bauarbeiten in unmittelbarer Nähe der Burg Klopp war man in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg schon auf mehr als 120 römische Gräber gestoßen. Eine aufsehenerregende Entdeckung gelang schließlich am 6. Juni 1925 im Bereich der Cronstraße: Neben einem Grabhäuschen aus Ziegelplatten, das eine Urne und einige Beigaben enthielt, stand eine Bronzeschüssel. Darin befanden sich zahlreiche chirurgische Instrumente. Man hatte das Grab eines Arztes aus dem 2. Jh. n. Chr. gefunden.Arztgräber aus der römischen Kaiserzeit sind für Archäologen die wichtigsten Quellen zur antiken Medizin. Denn wie bei keiner zweiten Berufsgruppe war es bei Ärzten üblich, ihnen Teile ihres „Handwerkszeuges“ mit ins Grab zu geben: Weltweit wurden bisher über Gräber aus dem Zeitraum vom 1. bis zum 3. Jh. n. Chr. entdeckt, die auf Grund von medizinischen Instrumenten als Arztgräber anzusehen sind. Zumeist beschränken sich die Beigaben auf wenige medizinische Geräte, stellvertretend für die gesamte Ausstattung des Arztes. Außergewöhnlich reiche Arztgräber, wie sie etwa in Reims oder Luzzi entdeckt wurden, weisen höchstens 30 Instrumente auf. Eine absolute Sonderstellung aber nimmt das Binger Grab ein: Mit seinen 67 Einzelteilen barg es den umfangreichsten zusammengehörigen Satz antiker medizinischer Instrumente, der bis heute gefunden wurde.
Schröpfköpfe, Skulptur eines Nilpferdes
Das Schröpfen zählt zu den wichtigsten Behandlungsmethoden der antiken Medizin: Durch einen Saugvorgang sollte eine verbesserte Durchblutung einzelner Körperpartien oder – wenn die Haut vor der Behandlung eingeritzt wurde – eine Blutentnahme erzielt werden. Zu diesem Zweck wurden Schröpfköpfe benutzt, in denen vor dem Aufsetzen durch Erhitzen oder Absaugen der Luft Unterdruck erzeugt wurde. Schröpfköpfe sind schon aus vorrömischer Zeit durch archäologische Funde und bildliche Darstellungen bekannt und galten als Symbole des Ärzteberufes schlechthin. So ist auch ihr häufiges Vorkommen in Arztgräbern zu erklären. Zu den Binger Schröpfköpfen gehört ein kunstvoll gearbeiteter Ständer mit Weinrankendekor. Eine solche Aufhängevorrichtung ist archäologisch kein zweites Mal überliefert. Die Skulptur eines Nilpferdes, auf dessen Rücken eine Uräusschlange sitzt, gibt möglicherweise Hinweise auf die Herkunft des in Bingen bestatteten Arztes: Sowohl Nilpferd als auch Uräusschlange sind für Nordafrika typische Tiere, in Europa gibt es sie nicht. Da sich im ägyptischen Alexandria eine der bedeutendsten medizinischen Akademien befand, könnte der Arzt von dort gekommen sein. Das Nilpferd ist im Inneren hohl, es hat vielleicht als Behälter für Duftstoffe oder Drogen gedient.
Skalpelle
Die römische Chirurgie kannte eine große Zahl unterschiedlicher Skalpelle für spezielle Anwendungsbereiche. Zwei Grundformen lassen sich erkennen: Messer mit geraden, spitzen Klingen für Einstiche und solche mit gerundetem Schneideblatt, die für tiefe Schnitte geeignet waren. Die Klingen waren austauschbar, sie wurden von der Seite her in einen Schlitz am Messergriff eingeschoben. Die Skalpellgriffe fanden ebenfalls als chirurgische Instrumente Verwendung: Ihre charakteristische Spatelform spricht dafür, dass der Arzt sie benutzte, um während der Operation damit die Wundränder auseinanderzuhalten. Die bronzenen Skalpellgriffe sind korrosionsbeständiger als die eisernen Klingen und haben sich daher häufiger in Gräbern erhalten. Dies beweist auch der reiche Binger Fund mit seinen neun Messerklingen und 13 Griffen. Das einheitliche Dekor der Binger Skalpelle deutet darauf hin, dass sie alle von einem einzigen Instrumentenfabrikanten hergestellt worden sind.
Meißel, Knochenheber, Pinzetten
Zum Abschaben von Fisteln und Geschwüren am Knochen wurden Meißel verwendet. Je nach Anwendungsgebiet kamen breite oder schmale Typen sowie Hohl- oder Rundmeißel zum Einsatz. Die chirurgischen Meißel glichen weitgehend den im Holzhandwerk gebräuchlichen. Eine klare Identifikation als ärztliche Instrumente ist nur dann möglich, wenn sie – wie im Binger Grab – zusammen mit eindeutig chirurgischem Besteck überliefert sind. Knochenheber gehörten nicht unbedingt zur Standardausstattung eines Arztes. Sie sind als Spezialinstrumente des Chirurgen anzusehen. Das Vorkommen von gleich vier Knochenhebern im Binger Instrumentarium kann daher als deutlicher Hinweis auf das Fachgebiet des hier Bestatteten angesehen werden. Universell einsetzbare Greif- und Zuginstrumente waren Pinzetten. Ärzte benutzten sie zur Entfernung von kleineren Fremdkörpern oder um Weichteile während einer Operation zu fassen. Oft waren die Backenenden chirurgischer Pinzetten zur Verbesserung ihrer Greiffähigkeit mit einer sägeartigen Zähnung versehen.
Spatel, Haken, Löffel
Spatel und Sonden konnten zum Auftragen von Salben verwendet werden. Außerdem waren sie - z.B. als Zungenspatel oder Ohrensonden - wichtige diagnostische Hilfsmittel bei der Untersuchung von Körperöffnungen. Beide Instrumententypen sind in Arztgräbern sehr häufig erhalten, ihrer vielfältigen Funktionen wegen in unterschiedlichster Gestalt. Sonden erscheinen meist als Doppelinstrumente mit einem olivenkernartig verdickten Ende, das zum Tasten diente. Seltener sind Doppelspatel wie die zwei Binger Exemplare überliefert. Manche Sonden besaßen die Form von Löffeln. Doch wurden löffelartige Instrumente auch zu anderen Zwecken benutzt. Scharfe Löffel waren häufig mit gezähntem Rand versehen und ermöglichten es dem Arzt, entzündliches oder abgestorbenes Gewebe auszukratzen. Neben Skalpell und Pinzette waren Wundhaken die wichtigsten chirurgischen Instrumente. Mit scharfer, gekrümmter Spitze benutzte man sie, um während einer Operation Gewebeteile festzuhaken. Stumpfe, flächige Haken konnten zum Auseinanderhalten von Wundrändern eingesetzt werden.
Trepanationsinstrumente
Schon in vorrömischer Zeit war man in der Lage, Operationen am Kopf erfolgreich durchzuführen. So konnten beispielsweise Brüche durch eine Schädelöffnung (Trepanation) behandelt werden. Aber auch zur Beseitigung von Entzündungsherden wagte man derartige Eingriffe. Den Stand der Trepanationstechnik in der römischen Kaiserzeit dokumentiert ein vollständiger Instrumentensatz im Binger Ärztegrab: Ein Bohrzylinder mit sägeartigen Zähnen am unteren Rand (Krontrepan) wurde durch einen Führungsdorn am Kopf des Patienten fixiert und unter leichtem Druck in Rotation versetzt. Dazu benutzte man einen Antriebsbogen (Fiedelbogen), wie er auch im Handwerk zum Betrieb von Bohreinrichtungen üblich war. War ein ausreichend tiefes Loch gefräst, begann die Behandlung des verletzten Knochens. Im Falle eines Bruches konnte nun ein hebelartiges Instrument angesetzt und damit der eingedrückte Teil der Schädeldecke zurück in die richtige Lage gehoben werden.
Nichtidentifizierte Instrumente
Manche Objekte, die im Binger Instrumentarium überliefert sind, können heute nicht mehr eindeutig in ihrer Funktion für den damaligen Arzt bestimmt werden. Im Falle einiger bruchstückhafter Eisenteile ist dies in erster Linie ihrem schlechten Erhaltungszustand zuzuschreiben. Bei anderen Stücken sind mehrere Identifikationen denkbar: Eine kleine Bronzeröhre (Nr. XX) könnte ebenso als Nadelhalter wie als Ablauf für Körperflüssigkeiten bei Bauchöffnungen angesehen werden. Eine lanzenformartige Eisenspitze (Nr. XX) lässt sich mit keinem bekannten medizinischen Instrument vergleichen. Wir sind auf Indizien angewiesen: Deutet der auffällig geringe Korrosionsgrad auf eine Verwendung als Brenneisen hin? Einen kräftigen Eisenhaken (Nr. XX) könnte der Arzt bei der Einrichtung von Armbrüchen gebraucht haben, den bronzenen Doppelhaken (Nr. XX) zur Befestigung einer Leuchte. Jedenfalls sind die Haken Beispiele dafür, dass zum Handwerkszeug eines Arztes auch Geräte zählten, die keine medizinischen Instrumente im engeren Sinne waren.
Nachweise
Literatur
1. Aulus Cornelius Celsus (1906) Über die Arzneiwissenschaft, übersetzt von E. Scheller, 2. Auflage Hgb. W. Frie-boes Druck u. Verlag von Friedrich Vieweg & Sohn, Braunschweig
2. Como J (1925) Das Grab eines römischen Arztes in Bingen, Germania 9, S. 152-162
3. Celsus AC, s. o. Buch VIII, Kap 10,7; S 465
4. Celsus AC, s. o. Buch V, Kap 28, S 287
5. Celsus AC, s. o. Buch VII, Kap 14, S 397
6. Celsus AC, s. o. Buch VIII, Kap 4, S 444 ff
7. Celsus AC, s. o. Buch VIII, Kap 4, S 444 ff
8. Urban O, Teschler-Nicola M, Schulz M (1985) Arch Austriaca Bd 69,13-104
9. Pahl WM (1993) Altägyptische Schädelchirurgie; Gustav Fischer Verlag Jena
10. Karoly L (1964) Die vor- und frühgeschichtlichen Trepanationen in Europa; Homo 15, S 200-218
11. Meschig R (1983) Zur Geschichte der Trepanation unter Berücksichtigung der Schädeloperationen bei den Kisii im Hochland Westkenias, Triltsch Verlag, Düsseldorf