Albig in Rheinhessen

Luftbildbefunde zur Albiger villa rustica „Auf der Eis(s)“, Kr. Alzey-Worms

Abb. 1. Schräge Luftbildaufnahme[Bild: Mathias Faul]
Abb. 2. Lageplan der Anlage, entzerrter Luftbildbefund[Bild: Mathias Faul]

Nicht nur in Rheinhessen gehören die Gutshöfe zu den häufigsten Befunden aus römischer Zeit. Im Einzelfall zeigen sie Entfernungen von nur 100-200 m zueinander. Fast jede Gemeinde in der Region kann innerhalb ihrer Gemarkungsgrenzen eine oder mehrere römische Fundstellen vorweisen [Anm. 1].

In den letzten Jahren wurde eine große Anzahl an archäologischen Fundstellen in Rheinhessen und Umgebung aus der Luft entdeckt [Anm. 2]. Als ein ansprechendes Beispiel aus dem reichen Bestand kann die römische villa rustica „Gürtling“ auf Mauchenheimer Gemarkung, Kr. Alzey-Worms genannt werden [Anm. 3]. Dem Befund wird nun ein weiteres untertägiges Denkmal aus der vergangenen römischen Kultur zur Seite gestellt.

Nachstehend soll ein Luftbild zur Albiger villa rustica „Auf der Eis(s)“, Kr. Alzey-Worms, die sich ehemals rund 3 km nördlich des Alzeyer vicus erhob, nach seinen Befunden analysiert und evaluiert werden, womit ein Beitrag zur römischen Siedlungsgeschichte erarbeitet wird [Anm. 4].

Bei der Abb. 1 (siehe oben) handelt es sich um ein Foto, das man gezielt für archäologische Zwecke anfertigt hat. Es wurde aus relativ geringer Höhe schräg aus dem Flugzeug aufgenommen, wobei eine in der Hand gehaltene Kleinbildkamera zum Einsatz kam. Aufgrund der Verzerrung musste das Bildmaterial zur Einbindung in eine Kartierung entzerrt werden. Die durch den Menschen verursachten Störungen im Boden haben Einfluss auf das Planzenwachstum und können für Bewuchsanomalien ursächlich sein [Anm. 5]. Vom Erdboden aus sind deratige Anomalien ungleich schwerer zu erkennen. Mit Hilfe der Luftbildarchäologie kann ein im Boden verborgener Befund darüber hinaus zerstörungsfrei dokumentiert werden. Diese Methode ersetzt jedoch keinesfalls eine Grabung; vielmehr ist sie als wichtige Ergänzung zu verstehen.

Die Fundstelle befindet sich im `Inneren Alzeyer Hügelland´, und zwar ca. 600 m nordöstlich von Albig bei rund 160 m ü. NN. Das betreffende Terrain, das sich am Übergang vom Hangfuß zur Aue sehr schwach in Richtung Nordwesten neigt, wird heute ackerbaulich genutzt. Wir haben es hier mit einer Lage zu tun, die von den römischen Siedlern häufig als Standort ausgewählt wurde. Gleich in der Nähe fließt der Heimersheimer Bach von Südwest nach Nordost. Möglicherweise war eine besondere Eisbildung in bzw. an dem Gewässer oder im Bereich der nahen und mittlerweile versiegten Quelle (s. u.) Benennungsmotiv für den nachrömischen Flurnamen „Auf der Eis(s)“.

Das in Abb. 2 mit A bezeichnete Gebäude ist im Luftbild deutlich anhand negativer Bewuchsmerkmale zu erkennen. Von hier sind es rund 150 m zum Vorfluter, während auf der Topographischen Karte 1:25 000 der Ausgabe von 1961 noch wenig schräg oberhalb ein natürlicher Grundwasseraustritt wiedergegeben wird. In der Neuzeit ist nicht nur in Rheinhessen eine nicht unerhebliche Anzahl von Quellen versiegt. Der rechteckige Grundriss zeigt eine Größe von ca. 19 x 26 m. Es treten neben den Grundmauern des Kernbaues (1) weitere Baudetails in Erscheinung, nämlich zwei einer Längsseite vorgelagerten, identischen, je rund 60 m² große und langrechteckige Räume (2-3). Der Eingangsbereich des Hauses wird wohl durch eine etwa 4 m breite Lücke dazwischen angezeigt. Die Frontseite ist demnach vermutlich nach Süden ausgerichtet. Bei der spezifischen Gebäudeform handelt es sich allem Anschein nach um das einzige steinfundamentierte Gebäude der Anlage. Das im Rahmen von Begehungen beobachtete Scherbenmaterial kann nur allgemein als `römisch´ datiert werden.
Wie muss man sich die dritte Dimension des Gebäudes vorstellen? In der Abb. 3 (im rechten Inhaltsbereich der Seite) ist versuchsweise das mögliche isometrische Aussehen wiedergegeben, wobei als Massstab ein vor der Front des Hauses stehender Mensch mit einer Körpergröße von etwa 1,70 m dient. Das Ergebnis, welches unseren beschränkten Wissensstand von einer längst vergangenen Zeit wiedergibt, darf nicht als historisches Faktum gewertet werden. Die Rekonstruktion ist die Dokumentation des Forschungsstandes.

Allgemein zeigen Luftbildaufnahmen meist nicht die Gesamtheit der im Boden verborgenen Befunde. Von Nebengebäuden, die zur Gänze in Holz- bzw. Fachwerkbau errichtet wurden, ist auszugehen. Beispielsweise könnten sie auf Schwellbalken errichtet worden sein, die sich regelhaft dem archäologischen Nachweis entziehen [Anm. 6]. Weitere interessante Aufschlüsse dürften geophysikalische Messungen erbringen. Eine genauere Datierung des Gebäudes A ist im Zuge einer Sondage zu erwarten. Vielleicht lässt sich damit auch eine Unterteilung im rund 600 (!) m² großen Hauptraum nachweisen.

Die meisten Hofanlagen waren in römischer Zeit umfriedet, wohl wissend, dass auch mit einer Einfriedung in Form von einer hölzernen Einfassung oder niedrigen Sträuchern zu rechnen ist.

Nur möglicherweise verbirgt sich hinter der im Luftbild schwach ausgeprägten L-förmigen Struktur B ein weiteres Gebäude, das inzwischen bereits weitgehend zerstört ist. Der betreffende Befund wird anhand des Luftbildmaterials jedoch nur sehr undeutlich vermittelt. Bemerkenswert ist seine abweichende Flucht. Die Struktur B blieb dem Beobachter in der Luft noch verborgen, sie offenbarte sich erst bei genauer Betrachtung am Computerbildschirm. Desweiteren wird rund 200 m nördlich des Gebäudes A ein fleckenartiger und mit C bezeichneter Befund wiedergegeben, der durch negative Bewuchsmerkmale in Erscheinung tritt. Die Frage der Datierung der zweifelslos anthropogen verursachten Gruben kann derzeit nicht beantwortet werden. Ferner zieht wenig südlich des Gebäudes A ein älterer und nur anhand von Bewuchsanomalien zu erkennender Weg nach Osten, der vermutlich in nachrömischer Zeit angelegt wurde (nicht in Abb. 1-2 wiedergegeben).

Der Haustyp von Bau A kann in anderen villae rusticae auch als Nebengebäude auftreten, so etwa in Langenau, Alb-Donau-Kreis [Anm. 7], möglicherweise ebenso rund 1 km südwestlich von Offenheim, Kr. Alzey-Worms (unpubliziert). Im schweizerischen Avenches kommt er mitten im städtischen Lebensraum vor [Anm. 8]. In Frankreich und der Schweiz ist der Typ öfters belegt und wird regelhaft mit der Funktion einer Scheune bzw. eines Speichers in Verbindung gebracht [Anm. 9]. Im Einzelfall ist nicht auszuschließen, dass derartige Bauten ganz oder in Teilen als Wohnraum dienten und somit einen multifunktionalen Charakter aufweisen [Anm. 10]. Die Zusammensetzung der Bauten entspricht immer dem gleichen Schema: Zwei Räume sind dem Kernbau an einer Längsachse vorgelagert, bündig zu den Seitenwänden der Halle. Für das Albiger Gebäude A scheint eine Funktionsdeutung als Wohn-Wirtschaftsbau am wahrscheinlichsten. Gleiches gilt für das offensichtlich alleinstehende Steingebäude gleichen Typs der villa rustica rund 1,5 km südwestlich von Alsheim, Kr. Alzey-Worms (unpubliziert).

Nach dem Luftbildbefund zu urteilen, bestand die Siedlung - wie bereits oben erwähnt - vermutlich lediglich aus einem steinfundamentierten Gebäude, wahrscheinlich das Hauptgebäude einer kleineren villa rustica. Zu einem Teil sind die Mauerfluchten sehr deutlich sichtbar. Das kann als Hinweis dafür verstanden werden, dass die Reste des Gebäudes sehr nahe an der Oberfläche liegen; möglicherweise ist nur noch das Fundament erhalten. Der Zerstörungsgrad scheint durch die landwirtschaftliche Nutzung des Ackers bereits weit fortgeschritten. Es wäre wünschenswert, wenn das eindeutig identifizierbare Denkmal in den Prozess der Landesentwicklung einbezogen würde. Die genaue Ansprache von Siedlungstyp, -größe und Zeitstellung sind essentiell zum rechtskräftigen Schutz der Fundstelle. Hier würde bereits die Umwandlung einer Fläche von nur 700-800 m² (der Bereich des Gebäudes A) in Wiese beispielsweise der weiteren Zerstörung eines im Hinterland von Mainz bislang wenig untersuchten römischen Gebäudetyps wirksam entgegenwirken. Die Gedanken betreffend die Albiger Siedlung gelten auch für jene in Offenheim sowie Alsheim im gleichen Landkeis.

Auf Albiger Gemarkung konnten bislang sechs weitere villae rusticae als Mittelpunkte landwirtschaftlicher Betriebe anhand von Lesefunden und/oder Luftbildern unterschiedlicher Qualität lokalisiert werden. In einem Fall fand gar ein Probeschnitt statt. Einzelfunde sind zudem an weiteren Stellen innerhalb der Gemarkung bekannt.

Abb. 4. A: Langenau, Alb-Donau-Kr. - B: Albig, Kr. Alzey-Worms. - C: Alsheim, Kr. Alzey-Worms. - D: Oberentfelden, Schweiz. - E: Offenheim, Kr. Alzey-Worms. [Bild: Mathias Faul]

Nachweis

Verfasser: Mathias Faul

VerwendeteLiteratur:

  • Bernhard 2008 = H. Bernhard u.a., Der römische vicus von Eisenberg. Ein Zentrum der Eisengewinnung in der Nordpfalz. Arch. Denkmäler Pfalz 1 (Germersheim 2008).
  • Braasch 1994 = O. Braasch/J. Oexle/D. Planck/H. Schlichtherle, Unterirdisches Baden-Württemberg. 250 000 Jahre Geschichte und Archäologie im Luftbild (Stuttgart 1994).
  • Faul 2009 = M. Faul, Die Mauchenheimer Axial-Villa „Gürtling“. Berichte zur Archäologie in Rheinhessen und Umgebung 2, 2009, 9-14.
  • Faul 2010 = M. Faul, Beseelt von dem Wunsch, wieder auferstehen zu lassen –
    Versuch einer isometrischen Darstellung der Axialvilla Mauchenheim, Kr. Alzey-Worms, „Gürtling“. Berichte zur Archäologie in Rheinhessen und Umgebung 3, 2010, 60-68.
  • Fücker 2009 = S. Fücker, Die Palastvilla von Mauchenheim – Elitäres Wohnen in Rheinhessen während der Römischen Kaiserzeit. Berichte zur Archäologie in Rheinhessen und Umgebung 1, 2010, 35-38.
  • Gaston 2008 = Chr. Gaston, Bâtiments "standardisés" dans la pars rustica des villae. Deux exemples récemment découverts en Franche-Comté. Revue archéologique de l`Est 57, 2008, 253-266.
  • Haupt 2006 = P. Haupt, Die den vicus umgebende ländliche Besiedlung. In: Ders./P. Jung (Hrsg.), Alzey und Umgebung in römischer Zeit. Gesch. d. Stadt Alzey 3 (Alzey 2006) 14-24.
  • Haupt 2007 = P. Haupt, Luftbildarchäologie im Landkreis Mainz-Bingen. Heimatjahrb. Landkreis  Mainz-Bingen 51, 2007, 39-43.
  • Knöchlein 2008 = R. Knöchlein, Archäologische Bausteine der frühesten Ortsgeschichte von Albig. Alzeyer Geschbl. 37, 2008, 112-126.
  • Lasfargues 1985 = J. Lasfargues (Hrsg.), Architectures de terre et de bois (Paris 1985) 13-155.
  • Morel 1991 = J. Morel, Avenches/Derrière la Tour. Insula 7. Bull. de l'association Pro aventico 33, 1991, 126-130.
  • Pfahl 1999 = S. F. Pfahl, Die römische und frühalamannische Besiedlung zwischen Donau, Brenz und Nau. Materialh. Arch. Baden-Württemberg 48 (Stuttgart 1999).

Abbildungen:

  • Abb. 1 - Luftbild von Peter Haupt (Mainz)
  • Abb. 2 - Mathias Faul
  • Abb. 3 - Mathias Faul
  • Abb. 4A - Nach: Pfahl 1999, 25 Abb. 6
  • Abb. 4B - Mathias Faul
  • Abb. 4C - Mathias Faul
  • Abb. 4D - Nach: W. Drack/R. Fellmann, Die Römer in der Schweiz (Stuttgart 1988) 458 Abb. 418.

Geändert: 18.02.2011

Anmerkungen:

  1. Die dichte Besiedlung wird beispielsweise deutlich in Haupt 2006. Vgl. auch etwa Bernhard 2008, 225 Abb. 278. Zurück
  2. Siehe beispielsweise Haupt 2007; Fücker 2008; Bernhard 2008, 223-234. Zurück
  3. Faul 2009; ders. 2010. Zurück
  4. Die Fundstelle findet sich auch etwa in Haupt 2006, 15 Abb. 1 [Nr. 20] sowie Knöchlein 2008, 122. Zurück
  5. Allgemein zu Boden- bzw. Bewuchsmerkmalen s. etwa Braasch 1994, 88-92. Zurück
  6. Zu römischen Gebäuden in einer Holz-Lehm-Konstruktion s. allgemein etwa Lasfargues 1985, 13-155. Zurück
  7. Pfahl 1999, 25 Abb. 6, Gebäude 7. Zurück
  8. Morel 1991, 127. Zurück
  9. Gaston 2008 mit weiterer Literatur.  Zurück
  10. Ebd. Zurück