Zur Geschichte von Gau-Algesheim - von Sigrid Schmitt
0.1.Grundherrschaft
Für das 8. Jahrhundert ist Grundbesitz des Klosters Lorsch in Gau-Algesheim nachweisbar. Später dürfte die Mainzer Kirche der bei weitem größte Grundherr gewesen sein. So stattete der Mainzer Erzbischof Kloster Disibodenberg unter anderem mit Besitz in Gau-Algesheim aus, ebenso das Kloster Jakobsberg. Der bedeutende Hof des Mainzer Erzbischofs wurde im 14. Jahrhundert zusammen mit dem Schultheißenamt in Halb- bzw. Drittelpacht vergeben, wozu auch zwei Backhäuser, zwei Mühlen sowie der Weinmarkt gehörten. Noch 1668 umfassten die beiden erzbischöflichen Güter zusammen 204 Morgen. In Gau-Algesheim begütert waren weiterhin das Kloster Johannisberg, das Stift St. Viktor, die Klöster Rupertsberg, Eberbach Gottesthal, St. Klara und St. Agnes, die Stifte St. Stephan, St. Gereon in Köln, Mariengreden und St. Peter sowie Kloster Engelthal in Ober-Ingelheim. Im 17. Jahhundert werden weiterhin das Hospital in Bingen sowie die Herren von Greiffenclau erwähnt.
Besonders auffällig ist die große Zahl erhaltener Gültverkäufe aus Gau-Algesheim, nämlich insgesamt 78 Stück aus der Zeit zwischen den Jahren 1316 und 1563. Dies weist auf einen im Vergleich zu den Nachbarorten recht großen Bargeldbedarf und Geschäftsverkehr der Bevölkerung hin, da die Gülten in der Regel als Zinsersatz gegen die einmalige Überlassung einer größeren Bargeldsumme verkauft wurden. Dabei herrschten bis ca. 1500 Ewiggülten vor, während sich danach nur noch Wiederkaufsgülten (d.h. durch die Zahlung einer bestimmten Summe wieder ablösbare Gülten) finden.
Größte Geldgeber waren dabei die Mainzer Stifte und Klöster, vor allem St. Klara mit insgesamt 22 und Mariengreden mit 18 Gültverschreibungen, wohingegen weltliche Privatpersonen weitaus seltener auftraten. Die Zahl der Gültverschreibungen erreichte einen deutlichen Höhepunkt zwischen 1344 und 1358 aus diesem Zeitraum sind allein 58 derartige Urkunden überliefert. Als Unterpfänder für die Gülten wurden in aller Regel Güter oder Haus und Hof gesetzt, die bereits mit einem Grundzins belastet waren, d.h. also Güter, die der Verkäufer der Gülte in Erbleihe von einem Grundherren innehatte. In einem Fall wird sogar eine Gülte ihrerseits als Sicherheit für eine andere Gültverschreibung gesetzt. Man hat also von einem komplizierten Besitzverteilungssystem mit mehrfach belasteten Gütern auszugehen, das sich in Gau-Algesheim durch seine Komplexität wahrscheinlich von den nichtstädtischen Gemeinden der Umgebung unterschied.
0.2.Ortsherrschaft
Die Rechte und Besitzungen der Mainzer Kirche in Gau-Algesheim wurden spätestens mit der Veroneser Schenkung Ottos II. 983 begründet. 1189-90 nannte Erzbischof Konrad den Ort unter den während seines Exils entfremdeten und von ihm wiedergewonnenen Gütern des Erzstiftes. Die nach 1200 an Gottfried von Eppstein gelangte Vogtei über den Mainzer Besitz scheint ohne Einfluß auf die Entwicklung der Ortsherrschaft geblieben zu sein. Dagegen gelang es den Mainzer Erzbischöfen selbst, ihre Herrschaft im Verlauf des 13. Jahrhunderts zu stabilisieren und auf den gesamten Ort auszuweiten. Bereits 1209 verzichteten sie auf Steuereinkünfte in Gau-Algesheim und 1268 war ihr Hubgericht für Hof und Dorf zuständig, ein erster Hinweis auf das entstehende Dorfgericht unter mainzischer Herrschaft. Die von Balduin von Luxemburg erwirkte Stadtrechtsverleihung durch Ludwig den Bayern 1332 scheint zunächst Anfänge einer städtischen Entwicklung gefördert zu haben. So weisen die Verleihung eines Wochenmarktes und die Erwähnung einer Judensteuer sowie eines Weinmarktes zumindest auf eine gewisse wirtschaftliche Mittelpunktfunktion hin. 1350 befand sich Gau-Algesheim unter einer Reihe von anderen kurmainzischen Städten, die einen Vertrag mit Heinrich von Virneburg abschlossen. Die Erneuerung der Stadtrechtsprivilegien durch Karl IV. war im wesentlichen militärisch motiviert, dürfte aber auch die Weiterentwicklung städtischer Verfassungsstrukturen befördert haben, zumal der Ort 1358 verpfändet wurde.
1365 musste sich Bingen an der Auslösung Gau-Algesheims beteiligen. Möglicherweise nutzte Gau-Algesheim die unsichere herrschaftliche Situation in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, um sich gewisse städtische Freiheiten und Selbstverwaltungsrechte seinem Stadtherren gegenüber herauszunehmen; jedenfalls deutet die als gerichtlicher Vergleich "getarnte" Ordnung von 1417 darauf hin, dass der Erzbischof einen innerstädtischen Streit zum Anlass nahm, seine Herrschaft über den Ort zu festigen. Demonstrativ bezeichnete er in der Urkunde Gau-Algesheim als "unser dorf" und vermied es, die Verfassungsorgane "Schöffen" und Geschworene "Rat" zu nennen. Dagegen machte er seinen Repräsentanten, den Rheingauer Landschreiber, zum wichtigsten Funktionsträger innerhalb der Stadtverfassung, während der Schultheiß in dieser Ordnung nicht erwähnt wird. Möglicherweise war dem Erzbischof der Einfluss über dieses Amt durch die Praxis der Amtsverpfändung zeitweise entglitten oder es hatte seine Funktion als Interessenvertretung des Ortsherren verloren. Die Ordnung von 1417 war jedenfalls ein Versuch des Erzbischofs, die Entwicklung städtischer Formen zumindest im Bereich der Verfassung zu stoppen. Auch der von Gensicke für die Zeit zwischen 1422 und 1444 vermutete (Neu)bau der Burg würde in diese Tendenz passen; er könnte - neben der militärischen Funktion nach außen - in diesem Sinne auf die innere Entwicklung des Ortes gewirkt haben.
Um seine rechtliche Position dem Ortsherrn gegenüber zu behaupten, betonte Gau-Algesheim im 15. Jahrhundert immer wieder die Zugehörigkeit zum Rheingau. 1459 etwa wurde bei der Erneuerung der Rheingauer Freiheiten ausdrücklich auch Gau-Algesheim als zum Rheingau gehörig erwähnt. Während der Verpfändung an Baden bzw. Katzenelnbogen setzte sich der Rheingau wiederholt für Gau-Algesheim ein, um dessen Auslösung zu erreichen und eine Abtrennung vom Rheingau zu verhindern. Außerdem scheint die Stadt selbst in dieser Zeit Einfluß auf die Wahl des Schultheißen gehabt zu haben, da es über die Neubesetzung des Amtes durch den Pfandherren, den Markgrafen von Baden, mit den Bürgern und den Vertretern des Rheingaus zu Konflikten kam. Im Bauernkrieg (1525) waren die Stadt Gau-Algesheim zusammen mit Bingen und Mainz die einzigen linksrheinischen Orte des Erzstiftes, die sich an den Unruhen beteiligten. Daher war es naheliegend, dass Albrecht von Brandenburg Gau-Algesheim in der Rheingauer Landordnung ausdrücklich vom Rheingau loslöste und es damit von dessen freiheitlicher Bewegung isolierte. Auch die Vereinigung des Amtes Algesheim mit dem Amt Olm, durch die dem Ort ein gewisses Maß an Zentralität und Unabhängigkeit verloren ging, dürfte eine Antwort des Erzbischofs auf die Freiheitsbestrebungen der Stadt gewesen sein, die nun statt mit dem nach Unabhängigkeit strebenden Rheingau mit dem aus landesherrlicher Sicht zuverlässigeren Nieder-Olm verbunden war. In der Folgezeit wurde Gau-Algesheim als kleiner Verwaltungsmittelpunkt in den Kurstaat integriert, ohne dass sich weitere Hinweise auf besondere Unabhängigkeitsbestrebungen erkennen ließen.
Nachweise
Redaktionelle Bearbeitung: Stefan Grathoff und Anne-Kathrin Zehender
Verwendete Literatur
- Karl Johann Brilmayer: Rheinhessen in Vergangenheit und Gegenwart. Geschichte der bestehenden und ausgegangenen Städte, Flecken, Dörfer, Weiler und Höfe, Klöster und Burgen der Provinz Rheinhessen nebst einer Einleitung. Gießen 1905.
- Sigrid Schmitt: Ländliche Rechtsquellen aus den kurmainzischen Ämtern Olm und Algesheim. Franz Steiner Verlag Stuttgart 1996. (Geschichtliche Landeskunde. 44).
Aktualisiert am: 18.09.2018