Das Pfalzgebiet heute - ein Rundgang
Ein Rundgang beginnt am besten auf dem Rathausplatz beim klassizistischen Marktbrunnen. Das Rathaus, ein 1865 errichteter neoromanischer Bau, diente bis 1982 als Rathaus der Stadt. Heute ist es Museumsgebäude. An der Ecke zur Mainzer Straße steht die ehemalige Schule, die 1826 errichtet wurde. Sie ist ein Dokument für die nachhaltige Förderung des Bildungswesens nach der Übernahme der Herrschaft durch das Großherzogtum Hessen-Darmstadt im Jahre 1816. Hier ist die "Forschungsstätte Kaiserpfalz" untergebracht.
Auf dem Rathausplatz ist ein Überblicksplan über das Pfalzgebiet aufgestellt (zur Zeit der Abfassung dieses Textes geplant, vgl. Abbildung 67). Der Plan informiert über die Lage der Pfalz vor dem Hintergrund des heutigen Straßenverlaufs. Die erhaltenen Teile der Pfalzanlage sind kenntlich gemacht.
Zunächst bietet sich ein Besuch im "Pfalzbistro" (gegenüber dem Rathaus) bzw. dem dort untergebrachten Pfalzmuseum an. Die dortigen Exponate ermöglichen einen Einstieg in die Problematik "Pfalz" undgeben einen Eindruck von der Erforschung der Ingelheimer Pfalz. Die Notwendigkeit von Pfalzanlagen ergabt sich aus der mittelalterlichen Herrschaftspraxis (vgl. oben). Eine Schautafel vermittelt einen Überblick über die "Reisetätigkeit" (Itinerar) Karls des Großen und Ludwigs des Frommen.
In zwei Vitrinen sind verschiedene Modelle der karolingischen Pfalzanlage ausgestellt. Das kleinere (hintere) Modell ist auf der Basis der Rauchschen Ausgrabungen (1909-1914) erstellt worden. Das größere (vordere) Modell basiert auf den Ergebnissen der Ausgrabungen von 1960-1970. Gemeinsam ist beiden Rekonstruktionen die charakteristische Grundform der Pfalzanlage und vor allem die Lage der aula regia. Im Detail ergeben sich jedoch deutliche Unterschiede, an welchen man sehr gut die Entwicklung der Grabungstechnik erläutern kann. Rauch ging noch davon aus, daß schon in karolingischer Zeit eine Kirche im Pfalzgebiet vorhanden war. Er mußte zu diesem Schluß kommen, da er lediglich 30-40 cm tiefe und breite Gräben an den Mauern entlang anlegte und so die unterschiedliche Zeitstellung der Gebäudereste nicht erfassen konnte.
Erst mit Hilfe einer "stratigraphischen" Grabungsmethode, bei der man bis auf den gewachsenen Boden in die Tiefe gräbt und größere Flächen freilegt, ist man in der Lage, durch Vergleiche mit Keramikfunden unterschiedliche Bauphasen von Gebäuden zu unterscheiden. In den 60er Jahren hat man so vor allem herausgefunden, daß die Kirche aus ottonischer Zeit, d.h. dem 10. Jahrhundert, stammt.
Die jüngsten Grabungen haben diesen Befund bestätigt, korrigieren allerdings auch Modell 2 in einigen Punkten. So hat man sich zum einen den Innenraum der Anlage stärker bebaut vorzustellen, und zum anderen ist die Gestalt einer wehrhaften Anlage mit Zinnen und starken Befestigungstürmen, wie sie das Modell suggeriert, durch die Grabungen nicht nachzuweisen. Bei allen Unzulänglichkeiten gibt das alte Modell Rauchs den Eindruck der Pfalz als Wohnanlage (wie er auch in der Rekonstruktion in Abbildung 66 zum Ausdruck kommt) besser wieder. Der Einfluß der Pfalzanlage auf den heutigen Ortsgrundriß läßt sich sehr gut am Beispiel des an der Wand aufgehängten Luftbildes deutlich machen.
Im Nebenraum können Fundstücke der Rauchschen Grabung besichtigt werden. Die in Zigarrenkisten (!) verpackten Teile stammen ausschließlich aus der Neuzeit. Die Art der Funde dokumentiert nochmals seine Grabungsmethode: Er konnte keine älteren Stücke finden, da er lediglich an den Mauern entlang und nur bis zu einer geringen Tiefe grub. Eine Datierung der Pfalzgebäude war auf dieser Basis natürlich nicht möglich.
Gegenüber dem "Pfalzbistro" befindet sich der Zugang zur aula regia.Die aula regia - ein Gebäude von ca. 40 mal 16,5 m - war der Hauptbau der ehemaligen Pfalzanlage. Der Kaiser saß an erhöhter Stelle in der halbrunden Apsis. Dort ist noch in erheblichem Umfang orginales Mauerwerk aus karolingischer Zeit erhalten. Der Eindruck des Mauerwerks wird allerdings durch die nachträglich vermörtelten Mauerfugen beeinträchtigt. Senkrechte Fugen weisen auf ehemalige Fensteröffnungen hin. Die Gedenktafel aus Sandstein ist später in die Wand eingelassen worden. Der Saal muß ehemals prächtig ausgestattet gewesen sein. Aktuelle Funde von Marmorresten und bemalten Putzstücken deuten darauf hin, daß der Schilderung des Ermoldus Nigellus (vgl. oben) durchaus Glauben zu schenken ist.
Durch die Straßen "Im Saal" und "Karolingerstraße" führt der Weg zur Saalkirche. Die Kirche hat in karolingischer Zeit - auch wenn es überrascht, daß in der Pfalz damals kein Sakralraum vorhanden war -noch nicht existiert. Ihre Ursprünge gehen auf das 10. Jahrhundert zurück. Der Ausdruck 'Saalkirche' kann verschiedene Wurzeln haben: Erstens bedeutet das Wort 'Sal', wie es sich in der Bezeichung 'Salfranken' oder 'Salier' findet, 'herrschaftlich' bzw. 'königlich'.Zweitens bezeichnet 'Saal' ursprünglich den 'Innenraum des Einraumhauses' im Sinne von 'großer Raum'. Ein 'Geselle' war jemand,der mit einem anderen gemeinschaftlich in einem solchen 'Saal' lebte. Heute dient die Michaelskirche der protestantischen Pfarrei als Kirche.
Durch die Karolingerstraße und Sebastian-Münster-Straße gelangt man zum Heidesheimer Tor. Das ehemalige Hauptzugangstor zur Pfalz ist durch die spätere Bebauung zerstört worden. Der Name der Straße "Auf dem Graben" erinnert an die durch einen Graben gesicherte Pfalz, deren charakteristische Bogenform sich auch im heutigen Straßenverlauf widerspiegelt.
Über die Straßen "Im Saal" und "Zuckerberg" führt der Weg entlang der späteren, staufischen Pfalzbefestigung. Der Boländer, ein charakteristischer Rundturm, ist der auffallendste Rest der stauferzeitlichen Pfalzerweiterung. Der Name "Boländer" erinnert an die Familie von Bolanden, die als Ministerialen (Diener) des Reiches als Pfalzgrafen für die Staufer in Ingelheim tätig waren.
Nachweise
Verfasser: Grewe
Redaktionelle Bearbeitung: Stefan Grathoff, mk
Literatur:
- Böhner, Kurt: Ingelheim am Rhein. Geschichte und Gegenwart. Ingelheim 1976.
- Landesamt Denkmalpflege (Hrsg.): Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Band 18.1: Kreis Mainz-Bingen. Bearb. v. Dieter Krienke. Worms 2007.
Aktualisiert am: 28.08.2014