Nieder-Ingelheim in Rheinhessen

Karolingische (Frisch-)Wasserleitung bei Ingelheim

Teilstück der karolingischen Wasserleitung[Bild: Historischer Verein Ingelheim]

Karl der Große errichtete am Ende des 8. Jhs. bei Ingelheim eine prächtige Königspfalz [Anm. 1]. Hierbei handelt es sich um eins der wenigen Großbauten des Frühmittelalters, von denen noch Reste von beachtlichem Ausmaß erhalten sind. Zu der Königspfalz führte eine aufwendige und knapp 7 km lange und seit der Mitte es 19. Jhs. bekannte Fernwasserleitung [Anm. 2], und zwar zu einem Bereich westlich der heutigen Steingasse. Der aus Kalkbruchsteinen gemauerte Kanal mit einem Gewölbeabschluss wurde unterirdisch angelegt, wohl einen halben Meter unter der Erdoberfläche. Bemerkenswert ist auch, dass der Boden und die Wandung mit einer dünnen Schicht aus opus signinum, einem hydraulischem Kalkmörtel mit Ziegelbeischlag, verputzt waren. Da die hydrotechnische Anlage augenfällig in römischer Bauweise errichtet wurde, nahm man bis in die jüngere Zeit irrig an, sie müsse aus eben dieser Epoche stammen, eine, die man in karolingischer Zeit weiter benutzt habe [Anm. 3].

Auch in den repräsentativen Steingebäuden der Königspfalz finden sich bereits in der Antike bekannte Baukonzepte wieder (z.B. im Falle der Aula regia). Der Bauherr, Karl der Große, stellt sich bewusst in die Tradition antiker römischer Herrscher. Hier und da wurde das antike Wissen über das Ende dieser Epoche hinaus weitergetragen. Waren in Ingelheim erfahrene Baufachleute aus dem Mittelmeergebiet tätig?

Eine frühmittelalterliche Datierung der hydrotechnischen Anlage wird allein schon dadurch nahegelegt, dass die Leitung im Bereich des karolingischen Palastes in Nieder-Ingelheim endet [Anm. 4]. Schließlich konnte die Richtigkeit der Annahme mithilfe der Naturwissenschaft bestätigt werden. 1997 kamen im Rahmen einer archäologischen Untersuchung Holzkohlestückchen zu Tage, die im Mörtel des Kanals eingeschlossen waren. Sie wurden C14-datiert: „Hier ergab sich ein Radiokarbon-Alter von 1230 Jahren BP (+/- 30), kalibrierte Alter sind 779, 793 und 800 n. Chr. (…). Mit dieser Untersuchung und den vorherigen Überlegungen darf die Datierung des Leitungsbaus in das letzte Viertel des 8. Jahrhunderts als gesichert gelten“ [Anm. 5].

Die rund 6,8 km lange Wasserführung verläuft annähernd parallel zu den Isohypsen und folgt sowohl der Rundung des Mainzer Berges als auch des Rabenkofes und schließlich weiter in westliche Richtung. Sie hat ihren Anfang bei den Karlsquellen nordöstlich von Wackernheim (774: Uuachenheim) bzw. südwestlich von Heidesheim (774: Heisinisheim). Die dortigen Grundwasseraustritte speisten bei etwa 180 m ü. NN die karolingische Leitung. Jahreszeitlich bedingt schütten die vier wesentlichen Grundwasseraustritte der „Karlsquellen 3,5-25 l/s in heutiger Zeit. Sicherlich hatte die hydrotechnische Anlage mehrere Zuleitungen. Das Gefälle der Gesamtleitung beträgt zwischen der Pfalz und den Karlsquellen 0,54 %“ [Anm. 6]. Archäologische Grabungen an den Karlsquellen stehen mangels finanzieller Mittel noch aus. Auf dem Weg zur Pfalz mussten zwei Wasserläufe passiert werden, weshalb Haupt an diesen Stellen kleine Aquäduktbrücken vermutet [Anm. 7]. Im Übrigen nahm eine römische Steinwasserleitung nur rund 2 km östlich der Karlsquellen, und zwar im Quellgebiet des Königsborn auf Finthener Gemarkung, Wasser auf und leitete es auf einer Länge von rund 7 km nach Mogontiacum/Mainz, ebenfalls dem Gelände angepasst [Anm. 8]. Möglicherweise wurde der Bau der Ingelheimer Fernwasserleitung durch eben diese inspiriert.

Maße der karolingischen Wasserleitung

 

  • Gesamtlänge: rund 6,8 km
  • Gesamthöhe: 150-170 cm
  • Gesamtbreite: 100-135 cm
  • Lichte Innenbreite: 43-45 cm
  • Lichte Innenhöhe: ca. 110 cm
  • Dicke der Wangen: meist ca. 40 cm
  • Stärke des opus signinum: 0,5-2 cm

Nachweis

Verfasser: Mathias Faul

Abgekürzte Literatur:

  • Haupt 2007 = P. Haupt, Die karolingische Wasserleitung bei Ingelheim, Kr. Mainz-Bingen. In: Wasser auf Burgen im Mittelalter. Geschichte der Wasserversorgung 7 (Mainz 2007) 183-189.
  • Böhner 1969 = K. Böhner, Ingelheim. Führer vor- und frühgeschichtlicher Denkmäler 12 (Mainz 1969).

Geändert: 17.10.2010

Anmerkungen:

  1. Zu den baulichen Resten siehe H. Grewe, Die Ausgrabungen in der Königspfalz zu Ingelheim am Rhein. In: L. Fenske/J. Jarnut/M. Wemhoff (Hrsg.), Splendor palatii. Neue Forschungen zu Paderborn und anderen Pfalzen der Karolingerzeit. Deutsche Königspfalzen. Schriften des Max-Planck-Instituts für Geschichte 11/5, 2001, 155-174. Siehe auch H. J. Jakobi/C. Rauch, Ausgrabungen in der Königspfalz Ingelheim 1909-1914. Monographien des RGZM 2 (Mainz 1976) sowie U. Wengenroth-Weimann, Die Grabungen an der Königspfalz zu Nieder-Ingelheim in den Jahren 1960-1970. In: Beiträge zur Ingelheimer Geschichte 23 (Ingelheim 1973). Zurück
  2. P. Haupt, Die karolingische Wasserleitung der Ingelheimer Königspfalz. In: Karl der Große. Ausstellungskat. Ingelheim 28.8.98-30.9.98. Beiträge zur Ingelheimer Geschichte 43 (Ingelheim 1998) 48-55. Zurück
  3. Beispielsweise liest man in Böhner 1969, 97 f. oder im Text der Erklärungstafel vor dem Schutzbau in Ingelheim von einer „römischen“ Datierung der Wasserleitung. Siehe auch z. B. K. Weidemann, Die Königspfalz in Ingelheim. In: F. Lachenal/H. Weis/T. Harald (Hrsg.), Ingelheim am Rhein 774-1974. Geschichte und Gegenwart (Ingelheim 1974) S. 43. Zurück
  4. Zu den dortigen hydrotechnischen Anlagen siehe H. Grewe, Die Wasserversorgung der Kaiserpfalz Ingelheim am Rhein im 8./9. Jahrhundert. In: Wasser in Burgen im Mittelalter. Geschichte der Wasserversorgung 7 (Mainz 2007) 191-199. Zurück
  5. Haupt 2007, 188 f.  Zurück
  6. Haupt 2007, 183.  Zurück
  7. Haupt 2007, 186. Zurück
  8. Zum Verlauf der Anlage ist im Besonderen verwiesen auf K. Ries, Wasser für das römische Mainz (Mainz 1981). Siehe desweiteren auch etwa F. S. Pelgen, Aquädukt-Ansichten. Aus der Denkmalgeschichte der Wasserversorgung für das römische Mainz. Archäologische Ortsbetrachtungen 5 (Mainz 2004) sowie G. Rupprecht, Mainz. In: H. Cüppers (Hrsg.), Die Römer in Rheinland-Pfalz (Stuttgart 1990) 458-470. Zurück