Die Sprendlinger Synagoge
Die Untere Denkmalpflegebehörde bei der Kreisverwaltung Mainz-Bingen hat 22. März 1984 von Amts wegen die ehemalige Synagoge in Sprendlingen unter Denkmalschutz gestellt. Der Seltenheitswert der Synagoge besteht darin, dass sie, als letztes sichtbares Zeichen, Zeugnis ablegt vom Bestehen einer jüdischen Gemeinde in Sprendlingen, die 1931 noch 39 Personen umfasste. Zu dieser Zeit wurde auch der jüdische Friedhof aufgegeben, einst beheimatet hinter der Gaststätte „Bauernschänke“. Die älteren Einwohner Sprendlingens erinnern sich an jüdische Mitbürger, die sie von heute auf morgen aus politischen Gründen meiden mussten. Hitlerreden und Hasstiraden eines Joseph Goebbels hatten den Boden bereitet. Widerstände gegen niedrige menschliche Neigungen wie Hass und Herrschsucht wurden abgebaut, begünstigt durch die Schmach des materiellen Niedergangs infolge von Inflation und Arbeitslosigkeit.
Lassen sich so die schrecklichen Ereignisse der Reichskristallnacht am 9. November 1938 erklären, unter denen auch die Sprendlinger Juden schwer zu leiden hatten? Das Volksbildungswerk bot 1978, zum 40. Jahrestag des Pogroms, in einer Veranstaltung mit dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Mainz, die Gelegenheit, diese Fragen zu erörtern. Neben zahlreichen Bürgern waren auch viele interessierte Jugendliche gekommen, dank der Aufklärungsarbeit von Kreisjugendpfleger Schwarz. Der Referent, Dr. Gerhard Breitbart, sprach über die Judenverfolgungen seit der Christianisierung im Römischen Reich und deren Gründe.
Unter dem Eindruck dieser Veranstaltung wurde von Dekan Iber und Frau, Kreisjugendpfleger Thomas Schwarz, den Eheleuten Volker und Giselotte Boos, Helge und Wolfgang Genther sowie von dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Mainz, Dr. Breitbart, die Forderung erhoben, dass die in ,,Berggasse" umbenannte Synagogengasse wieder ihren ursprünglichen Namen zurückerhalten solle und am Gebäude der ehemaligen Synagoge eine Gedenktafel angebracht werde. Diese Eingabe wurde im Rathaus vorgelegt und in der nächsten Ratssitzung besprochen. Die Umbenennung erfolgte wenige Wochen später, und .die Tafel wurde am 18. November 1979 während einer Gedenkfeier enthüllt.
Das ehemalige jüdische Gotteshaus ist seitdem kein stummer Zeuge der Geschichte mehr. Durch die Unterschutzstellung rückt dieses Kulturdenkmal wieder in das Bewusstsein der Bevölkerung. Wie Landrat Römer dazu feststellt, ist der Landkreis Mainz-Bingen um ein Kulturgut reicher geworden.
1825 erbaut in einem ,,Baustil", der sich während der Zeit des Biedermeier durch Schlichtheit, Nüchternheit und Sparsamkeit auszeichnet – ist es ein Gebäude ohne schmückende Architektur. Auf der Zeitschwelle zur Emanzipation wirkt die Architektur der vergangenen Jahrhunderte nach, die durch ein Ineinanderfließen von romanischen, gotischen und barocken oder diesen ähnlichen Ausdrucksformen christlicher Kirchen gekennzeichnet ist.
Das Gebäude ist etwa 10,5 x 11 m groß, ein Einraumgebilde. Im Gebäudeinneren ist das ringsum laufende profilierte Gesims zum Aufstellen von Kerzen noch weitgehend erhalten, das auf den auf das Bima zentral ausgerichteten rituellen Gebrauch der Synagoge hinweist. Die auf die Raummitte gerichtet gewesene Bestuhlung entlang der Wände ist nachvollziehbar. Die Empore, die den Frauen die ,,Teilnahme" am Männergottesdienst ermöglicht hatte. ist nicht mehr vorhanden. Der Westgiebel ist die Eingangsseite mit 2 Eingangstüren, getrennt für Männer und Frauen. Nord- und Südseite sind gleichmäßig in vier Fensterfelder gegliedert; die Fenster sind mit Rundbogen und Sandsteingewände ausgebildet. Vor dem Eingang in der Westfassade, über dem die Öffnung der ehemaligen runden Rosette yerschlossen und noch erkennbar ist, sind noch Teile der üblichen Vortreppe und des roten Sandsteinplattenbelags des Vorplatzes erhalten. Vorhanden sind ferner die Freiflache des zugehörigen Schulhofs.
Die bauliche Anlage ist ein Zeugnis des geistigen Schaffens und ein kennzeichnendes Merkmal der Gemeinde, an dessen Erhaltung und Pflege aus wissenschaftlichen und städtebaulichen Gründen ein öffentliches Interesse besteht, weil sie ein seltenes und gut erhaltenes Beispiel der Synagogenarchitektur am Anfang des 19. Jahrhunderts ist und weil sie für die Entwicklung des Ortsgrundrisses in diesem Ortsbereich bestimmend war.
Die Synagoge wird heute [1984] als Schreinerwerkstatt genutzt. Gegen eine Veränderung im Innenraum werden auch nach der denkmalpflegerischen Anordnung keine Einwände erhoben. Vorrangig ist die Erhaltung des äußeren Erscheinungsbildes, so Hans Kahl, verantwortlich für die Denkmalpflege im Kreis. Der Eigentümer ist verpflichtet, die Synagoge zu erhalten und zu pflegen, was auch in seinem eigenen Interesse ist. Für denkmalpflegerische Mehrkosten bei der Instandsetzung kann er Zuschüsse beantragen und steuerliche Vorteile in Anspruch nehmen.
Die ehemalige Synagoge wurde in den Jahren 2003-2004 renoviert. Die ehemalige Thoranische enthält eine neue Thorarolle. Das Gebäude wird für musikalische und kulturelle Veranstaltungen genutzt. Daneben wurden Proberäume für das Blasorchester Sprendlingen eingerichtet.