Worms in Rheinhessen

Das Wormser Kiautschau

Typische Häuser der Siedlung Kiautschau.[Bild: Jörg Bürgis]

Die ehemalige Arbeitersiedlung liegt im Nordwesten der Stadt. Als sie Ende des 19. Jahrhunderts gebaut wurde, befand sie sich noch weit außerhalb des Zentrums, weshalb die Wormser sie spöttisch nach der entlegenen chinesischen Kolonie Kiautschou benannten, die das Kaiserreich zu dieser Zeit gepachtet hatte. Der Bau der Siedlung war nötig geworden, weil die ansässige Industrie immer mehr Arbeiter einstellte, die angemessen untergebracht werden mussten. Auf Anregung des Lederindustriellen Cornelius von Heyl (1843-1923), der das Gelände im Liebenauer Feld und das Startkapital zur Verfügung stellte, entschied sich der Stadtrat für das Bauprojekt. Um die Finanzierung zu sichern, gründete von Heyl eine "Aktiengesellschaft zur Erbauung billiger Wohnungen namentlich zum Besten von Arbeitern in Worms am Rhein". Seine eigene Firma, die Heyl AG, hielt die Hälfte aller ausgegebenen Aktien. Der Rest wurde von der Stadt Worms, verschiedenen Banken und Unternehmen aufgekauft.

Die Pläne für die neue Siedlung stammten von dem Wormser Stadtbaumeister Dr. Karl Hofmann, an den heute noch Bauwerke wie die Nibelungenbrücke und der Wasserturm erinnern. Er entwarf kleine, mit Fachwerk verzierte Häuschen, unterkellert und mit einem Vor- und Nutzgarten versehen. Auf den heutigen Betrachter wirkt die Wohnsituation im Kiautschau ebenso malerisch wie beengt, doch für damalige Verhältnisse war sie großzügig. Ursprünglich war sogar geplant, die Häuser einzeln an kinderreiche Familien zu vermieten, doch hierfür gab es - wohl aufgrund des Preises - nicht genug Interessenten. So ging man dazu über, die Einheiten mit Zwei- und Dreizimmerwohnungen auszustatten, die über separate Eingänge verfügten. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs standen insgesamt 112 Häuser, die von ca. 2000 Menschen bewohnt wurden. Die Siedlung wurde während des Zweiten Weltkriegs nur leicht beschädigt und hat, sieht man von einem in den 70er-Jahren hinzugefügten Wohnblock in der Alicestraße ab, ihren historischen Charakter gewahrt.

Nachweise

Verfasserin: Sarah Schrade
Verwendete Literatur:

  • Landesamt Denkmalpflege (Hrsg.): Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Band 10: Stadt Worms. Bearb. v. Irene Spille. Worms 1992.
  • Reuter, Fritz: Karl Hofmann und das 'neue Worms'. Stadtentwicklung und Kommunalbau 1882-1918. Darmstadt 1993 (Quellen und Forschungen zu hessischen Geschichte 91).

Erstellt am: 12.08.2013

Aktualisiert am: 19.12.2014