Untershausen im Westerwald

Die Zeit des Nationalsozialismus in Untershausen und Umgebung 1933-1945

von Reiner Dennebaum

Die ersten Parteimitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) in Untershausen waren Anton Becher [Haus Nr. 2] und Jakob Laukart [Haus Nr. 17]. Anton Becher war der damalige gewählte Bürgermeister von Untershausen und Jakob Laukart war Blockleiter[Anm. 1] [sog. politischer Bürgermeister][Anm. 2]

Jakob Laukart und Anton Becher sorgten dafür, dass die Anweisungen der Parteizentrale über den langjährigen Ortsgruppenleiter der Ortsgruppe Montabaur der NSDAP, Obersturmführer der SA Otto Schweizer in Unterhausen bekannt wurden.[Anm. 3] An den Gartenzaun von Haus Nr. 24, der an den Gemeindebrunnen grenzte, hatte man Anfang der 1930er Jahre einen Nachrichtenkasten mit Glasscheibe für Bekanntmachungen der NSDAP angebracht.

Der Ortsbauernführer als Vertreter der Ortsbauernschaft und damit der untersten Einheit im Aufbau des Reichsnährstandes war Heinrich Gombert [Haus Nr. 3]. Er vertrat deren Interessen und musste sich mit den örtlichen Führern wie Bürgermeister und Ortsgruppenleiter der NSDAP mit Sitz in Montabaur auseinandersetzen.

Männliche Angehörige des Reichsarbeitsdienstes im RAD-Lager oberhalb von Daubach am Rand des Stelzenbachwaldes, um 1939[Bild: Reiner Dennebaum]

Ab Oktober 1937 ließ die Gauführung des Reichsarbeitsdienstes oberhalb von Daubach das Lager Abt. 3/250 für männliche RAD-Angehörige errichten.[Anm. 4]

Ein Lager für weibliche RAD-Angehörige befand sich in Stahlhofen auf dem Weg nach Daubach auf der linken Seite.

Alle jungen Deutschen waren nach 1935 verpflichtet, ihrem Volk im Reichsarbeitsdienst zu dienen, meist für ein halbes Jahr. Organisatorisch gehörten diese Lager in Daubach und Stahlhofen zum RAD Montabaur unter Leitung von Major Lemb. Dieser hatte vorher in der Reichswehr gedient und trug im RAD auch weiterhin seine Reichswehr-Uniform.[Anm. 5] Walter Dennebaum aus Untershausen [Haus Nr. 13, Haus Nr. 41] war bis zu seiner Erkrankung im Jahr 1941 als Fahrer für diesen Major tätig.[Anm. 6]

Neben den Parteimitgliedern der NSDAP gab es die Hitlerjugend (HJ). Sie war die Jugend- und Nachwuchsorganisation der Partei und war ab 1926 nach Adolf Hitler benannt. Unter der Diktatur des Nationalsozialismus in Deutschland wurde sie ab 1933 zum einzigen staatlich anerkannten Jugendverband mit bis zu 8,7 Millionen Mitgliedern ausgebaut, also mit 98 Prozent aller deutschen Jugendlichen.

Im Mittelpunkt der nach dem »Führerprinzip« geordneten HJ stand die körperliche und ideologische Schulung der Jugendlichen. Die HJ umfasste eine rassistische und sozialdarwinistische Beeinflussung sowie gemeinsame Wanderungen bzw. Märsche und körperliche Übungen im Freien und Zeltlager. Verhaltensregeln wurden geübt: »Grüßen, Marschieren, Sprung auf, marsch, marsch« usw. Die deutsche Jugend sollte: »flink wie die Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl« sein. Die Hitlerjugend sollte die Jugendlichen frühzeitig auf die ihnen zugedachte Rolle als nationale »Rasseelite« vorbereiten, sollte dazu anhalten, alles Schwache und Unproduktive[Anm. 7] zu verachten und »auszumerzen«.

Josef Frink [Haus 34] vor dem Bild mit Adolf Hitler in Feldherrnpose.[Bild: Reiner Dennebaum]

Das vom NS-System propagierte Gedankengut kommt auch in den vielen Texten und Liedern dieser Zeit zum Ausdruck:

»Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt.«

»Fort mit allen die noch klagen,
die mit uns den Weg nicht wagen,
fort mit jedem schwachen Knecht
nur wer stürmt hat Lebensrecht«[Anm. 8]

»Heute hört (gehört) uns Deutschland und morgen die ganze Welt.«

Die Hitlerjugend bestand aus den Gliederungen: Hitlerjugend (HJ), Deutsches Jungvolk (DJ) in der HJ, Bund Deutscher Mädel (BDM) in der HJ und den Jungmädel (JM) in der HJ.

Der erste Führer des Jungvolkes in Untershausen war Otto Velten [Haus Nr. 18], ein Jungenschaftsführer. Der Vorgesetzte von Otto Velten war der Jungzugführer Pauli aus Niederelbert. Der zuständige Fähnleinführer war Antonius Weidenfeller aus Holler, der jüngste Bruder des Bäckers Richard Weidenfeller.[Anm. 9].

Das Deutsche Jungvolk (DJ), kurz auch als Jungvolk bezeichnet, war eine Jugendorganisation der Hitlerjugend für Jungen zwischen 10 und 14 Jahren. Die Mitglieder des Deutschen Jungvolks nannten sich offiziell »Jungvolkjungen«, im lockeren Sprachgebrauch für den jüngsten Jahrgang »Pimpf«. Es gab z. B. 10-jährige »Pimpfe« und 12-jährige »Hordenführer«. 15-jährige mussten zur eigentlichen HJ, 18-jährige in die SA wechseln.

Anekdote

Im Jahr 1939 wurde das Jungvolk über Pfingsten zu einer Übung nach Niederelbert beordert. Die Einquartierung erfolgte in der alten Schule. Geschlafen wurde in einem Saal im Heu – was von den Schulkindern nicht unbedingt als besonders bequem empfunden wurde. Als dann mitten in der Nacht zu einem Nachtmarsch aufgebrochen werden musste, konnte Otto Gombert aus Untershausen nur einen seiner Schuhe finden und bewerkstelligte den nächtlichen Ausflug mit nur einem Schuh, also auch die vormilitärischen Einlagen. Auf dem Weg nach Holler mussten sich die Kinder auf den Zuruf: »Panzer von rechts« in den linken Straßengraben werfen bzw. auf: »Tiefflieger von links« in den rechten Straßengraben. Der Rückweg führte über das «Hähnchen«, wo dann im Jahr 1942 eine Luftwaffen-Nachrichtenstation mit Baracken aufgebaut wurde.[Anm. 10] Der bewusst gewählte Termin von Pfingstsamstag auf Pfingstsonntag hatte für das NS-Regime den Nebeneffekt, dass die Kinder auf jeden Fall nicht auch noch am Pfingstgottesdienst teilnehmen konnten.[Anm. 11]

Unteroffizier Herbert Gombert [Haus 3 und Haus 17][Bild: Reiner Dennebaum]

Der erste HJ- Führer in Unterhausen war Herbert Gombert [Haus Nr. 17], der Sohn von Paul Gombert (*1882), einem jüngeren Bruder von Heinrich Gombert [Haus Nr. 3]. Die Familie lebte später in Hadamar. Herbert Gombert fiel während des 2. Weltkrieges in Russland.

In einem Nachruf hieß es: »Unteroffizier Herbert Gombert [Haus Nr. 3 und Haus Nr. 15], Funker in einer Panzerjäger-Abteilung, zuletzt Führer eines M. G. Trupps, Inhaber des Kriegsverdienstkreuzes mit Schwertern, der in treuer Ausübung seiner Soldatenpflicht am 12. Februar 1942 den Heldentod starb.
Der Verstorbene wurde am 29. August 1917 zu Sterkrade geboren. Nach Beendigung seiner Lehrjahre ging er zum Arbeitsdienst und trat dann im Oktober 1938 in das Panzer-Regiment zu Herford ein. Im Dezember 1940 wurde er zum Unteroffizier befördert. Seine Einsatzbereitschaft und sein Heldenmut in der großen Schlacht in Rußland wurden belohnt durch das Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern. Bei einem Angriff auf Gorenka fiel er als Führer eines M.G. Trupps. Echt christliche, edle Gesinnung, Lebensfreude Tüchtigkeit und nimmermüdes Streben erwarben ihm die Liebe seiner Vorgesetzten und Kameraden...«[Anm. 12]

Der zweite HJ-Führer war sein Cousin Josef Gombert [Haus Nr. 3].

Der dritte HJ-Führer war dessen Bruder Hugo Gombert [Haus Nr. 3].

Erntedankfest auf der Dorfstraße mit Haus 22 (lks.), der Gartenmauer von Haus 13 (r.) und dem Giebel von Haus 12.[Bild: Reiner Dennebaum]

Eine Führerrolle in der Hitlerjugend war mit wirtschaftlichen Vorteilen verbunden. Beziehungen zu Parteimitgliedern konnten zu beruflichen Verbesserungen genutzt werden. So kam z. B. Josef Gombert als HJ-Jugendführer zum Motorsportclub, erhielt eine halbmilitärische Ausbildung in Schwarzenborn in Nordhessen sowie den Führerschein für Zivil- und Militär-Fahrzeuge einschließlich des Panzerführerscheins. Nachdem sein Bruder Hugo dann später HJ-Führer geworden war, erhielt dieser eine Stelle als Schlosserlehrling in der Schlosserei Winter in Montabaur an der Stadtmauer.[Anm. 13]

Die Mädchen waren fast alle im Bund Deutscher Mädel, dem weiblichen Zweig der Hitlerjugend. Die Unterhäuser Mädchen trafen sich in Holler zusammen mit den Hollerer Mädchen unter der Leitung der Tochter des Hollerer Lehrers Ude.[Anm. 14]

Das Erntedankfest 1935 mit dem Thema »Gott unser Schöpfer Dir sei Ehre und Dank« wurde unter Mitwirkung der Hitlerjugend gefeiert, wobei die jugendlichen Spieler des Mandolinenclubs seit dem Umzug 1934 in den HJ-Uniformen mitgingen. Auf dem Pferd [siehe Bild] reitet Wendelin Simon [Haus Nr. 40], mit umgehängter HJ-Führerkordel. Dann kommen 3 Hitlerjungen. Hinter dem Wagen erkennt man Spieler des Mandolinenclubs, z. B. Josef Gombert [Haus Nr. 3] Mandoline, Toni Becher [Haus Nr. 36] mit umgehängter Mandola und andere Personen aus dem Dorf, z.B. Nikela Ferdinand [Haus Nr. 15] im schwarzen Anzug und Toni Roth [Haus Nr. 1] mit umgehängter Sät.

In Unterhausen gab es auch einige Personen, die Mitglieder der sog. Sturmabteilung (SA) waren. Die SA war die paramilitärische Kampforganisation der NSDAP während der Weimarer Republik und spielte als Ordnertruppe eine entscheidende Rolle beim Aufstieg der Nationalsozialisten, indem sie deren Versammlungen vor Gruppen politischer Gegner mit Gewalt abschirmte oder gegnerische Veranstaltungen behinderte. Teilweise trat sie als reine Schlägertruppe auf; sie provozierte Zusammenstöße mit linksgerichteten Parteien, vor allem der KPD, die vielfach in brutale Straßenkämpfe ausarteten. Besonders aktiv in der SA waren allen voran Jakob Laukart [Haus Nr. 17] und Theo Diehl [Haus Nr. 5][Anm. 15], aber auch Wendelin Simon [Haus Nr. 40] »trug häufiger seine braune SA-Uniform spazieren«[Anm. 16] und einige andere zeigten deutlich ihre Sympathie für die NS-Ideen. Selbst die Kinder sangen fröhlich und unbedarft die NSDAP-Parteihymne, das die SA glorifizierende Horst-Wessel-Lied: »Die Fahne hoch! Die Reihen fest geschlossen! SA marschiert mit ruhig festem Schritt«.

Anekdote:

1935 wurde der Oberbannführer der Hitler-Jugend und NSDAP-Kreisleiter Unterwesterwald, das SS-Mitglied Oskar W. Koch in Montabaur verabschiedet. Zur offiziellen Verabschiedung war u.a. das Jungvolk auf dem Juxplatz angetreten. SA-Männer mit Knüppel »sicherten« die Veranstaltung. Otto P. Gombert war auch bei diesem Großaufmarsch eingesetzt, machte sich aber mit der Begründung, er müsse »austreten«, vorzeitig auf den Heimweg nach Untershausen.[Anm. 17] Die SA schirmte nicht nur die Veranstaltungen der NSDAP ab. Sie übernahm auch andere Aufgaben im Sinne der Partei. SA-Männer sorgten z. B. dafür, dass der »Der Stürmer« mit seinen antijüdischen Artikeln und Karikaturen (»Wochenblatt zum Kampf um die Wahrheit«) in einem Schaukasten vor Haus 43 ausgehängt wurde. SA-Leute zerstörten die Synagogen in der sog. Reichskristallnacht.

Segelfliegergruppe ca. 1937 im Norden von Montabaur "hinter dem Bahnhof" Richtung Staudt. Die meisten Personen tragen SA-Uniformen. In der Mitte (siebter von lks.) steht Aloisius Hübinger [Haus 27][Bild: Marlene Hübinger (Ebernhahn)]

Die SA unterstützte auch aktiv die Segelflieger in der »Kehl« nahe dem »Hähnchen«. Die Segelflugzeuge wurden in Schreinereien in Montabaur gebaut. An Sonntagen fanden dann Segelflug-Veranstaltungen in der »Kehl« statt. SA-Leute waren dabei eingesetzt, um mit Gummiseilen die Segler anzuziehen.[Anm. 18] Sehr interessiert an den Aktivitäten in der »Kehl« zeigte sich auch Franz Müller [Haus 24], damals wohnhaft in Niederelbert; er gehörte der Schwarzen SS (Heimat-SS) an und unterstützte die Segelflieger mit seinem Auto.

Die meisten Personen auf dem nebenstehenden Bild tragen SA-Uniformen. In der Mitte steht Aloisius Hübinger [Haus 27] (siebter von links), der in Montabaur Schreiner gelernt hatte und mithalf, Segelflieger zu bauen. Besonders aktiv bei den Segelfliegern waren u.a. auch Johann Adam, der eine Motorrad-Werkstatt in Montabaur betrieb und der Bahnhofswirt Ahlschwede.[Anm. 19]. Das Bahnhofsgebäude sieht man im Hintergrund hinter dem Heck.

Mitglieder der Unterhäuser SA waren auch am 9. Nov. 1938 an der Schändung des Isselbacher Bethauses beteiligt. Das Häuschen, im Volksmund »kleine Synagoge« genannt, wurde in Brand gesetzt[Anm. 20] Adolf G. aus Untershausen [Haus Nr. 8], einer der SA-Männer, die an der Zerstörung der »kleinen Synagoge« beteiligt waren, erhielt als Dank für seinen gezeigten Einsatz eine Stelle bei der Deutschen Reichsbahn in Montabaur zugesprochen.[Anm. 21]

Anekdote:

Im Jahr 1939 oder 1940 versuchten auswärtige SA-Männer mit Hammer und Meißel während des Hochamtes in Holler die eiserne Umzäunung zu entfernen, die den kleinen Platz mit dem Kreuz mitten in Holler umgab. Der Versuch, Eisen für »Kriegszwecke› zu sammeln, wurde abgebrochen, als die ersten Kirchgänger das Gotteshaus verließen und die SA-Männer sich ertappt sahen.[Anm. 22]

Neben den Isselbacher Juden, die als Viehhändler in Untershausen und Umgebung tätig waren, Kahn[Anm. 23], de Itzig[Anm. 24], kam auch ein jüdischer Hausierer regelmäßig nach Untershausen, um seine Kurzwaren anzubieten. Er hieß Heimann, gen. Heimchen, kam aus Montabaur und hatte dort eine Familie mit sechs Kindern zu versorgen. In Untershausen machte er regelmäßig im Haus Nr. 7 bei Dickobs Station. Margarethe Dickob, die selbst 13 Jahre lang in der Kaffeehalle Hübinger in Montabaur arbeitete, hatte ihm angeboten, doch seine Mittagspause in ihrem Haus zu halten. Er brachte seine Matzen mit - ließ auch die Kinder von dem Brot kosten - und ging nach einer kurzen Rast wieder seinen Geschäften nach. Als im Jahr 1941 die Judenverfolgung immer intensiver wurde, empfahl ihr Nachbar Adam Gilles aus Haus 6 ihr sehr dringend, dem jüdischen Hausierer nicht länger die Rastmöglichkeit in ihrem Haus zu gewähren, »ansonsten könnten ihr große Nachteile entstehen.«[Anm. 25]

Auch indirekt verfehlten die Aktivitäten der SA nicht ihre Wirkung. So führten ihre Tätigkeiten bei den Segelfliegern in der Kehl dazu, dass viele Unterhäuser Jungen später zur Luftwaffe gingen: Franz und Johann Dennebaum [Haus Nr. 20], Eugen Müller [Haus Nr. 24], Wendelin Simon [Haus Nr. 40]. Aloisius Hübinger [Haus Nr. 27] wurde Bordfunker in einer Junkers Ju 52.

Neben der Sturmabteilung (SA) gab es noch die Schutzstaffel (SS). Sie war das wichtigste Terror- und Unterdrückungssystem in der Zeit von 1933-1945 und maßgeblich an den Kriegsverbrechen und der Judenverfolgung beteiligt. Durch den Aufbau der Waffen-SS entstand eine militärische Macht, die Funktionen neben der Wehrmacht übernahm.

Waffen-SS war ab 1939 die Bezeichnung für die schon früher gegründeten militärischen Verbände der nationalsozialistischen Parteitruppe SS. Ihr gehörten sowohl Kampfverbände an als auch die Wachmannschaften der Konzentrationslager, in denen die Häftlinge systematisch entwürdigt wurden durch absolute Rechtlosigkeit, Hunger, Sklavenarbeit, Kälte, Entzug von Schlaf und Hygiene[Anm. 26] SS-Angehörige haben auch mit dem Gewehr im Anschlag Soldaten der Wehrmacht zu Kampfhandlungen gezwungen.[Anm. 27]

Der Untershäuser Walter O. [Haus Nr. 17] war während des 2. Weltkriegs als Kapo eingesetzt, also als Aufsichtsperson in einem Konzentrationslager. Er selbst zählte als Exhibitionist zwar zu den »verurteilten Kriminellen« (sog. Berufsverbrecher), hatte aber als Kapo durch bessere Ernährung und körperliche Schonung die Chance, länger am Leben zu bleiben - was ihm auch gelang. Er überlebte den Zweiten Weltkrieg und starb 1952 durch eine Polizeikugel (Genickschuss) bei einem Fluchtversuch auf dem Weg vom Gefängnis in Montabaur zu einem Gerichtstermin in Limburg.[Anm. 28]

Da die Waffen-SS hervorragend für Kampfeinsätze ausgerüstet war, z. B. mit besonders hochwertigen Panzern, galt sie als besonders effizient und genoss ein hohes Ansehen bei vielen Jugendlichen. Das führte dazu, dass sich im Jahr 1942 vier Unterhäuser junge Männer bei einer Werbeaktion für die SS in Limburg mustern ließen: Oswald Becher [Haus Nr. 36], Josef Dickob [Haus Nr. 7], Gottfried Ferdinand [Haus Nr. 9] und Erich Neuroth [Haus Nr. 33]. Obwohl die ersten drei wegen zu geringer Körpergröße von den Ärzten nicht akzeptiert wurden, haben einige Familienangehörige die Bewerbung der Jugendlichen missbilligt.[Anm. 29]

Junge Untershäuser; die Älteren in Uniform, die 17-Jährigen noch in Zivil auf einer Wiese bei Millersch [Haus 24] im Winter 1942-43. [Bild: Reiner Dennebaum]

Günther Roth [Haus Nr. 1] (1925-1943†) in Zivil, war aber bereits bei der Wehrmacht im Heer; Hermann Neuroth [Haus Nr. 33] (1924-1977) in der Uniform des Reichsarbeitsdienstes und einer Hakenkreuzbinde; Eugen Müller [Haus Nr. 24] (1917-1981) in Uniform Heer, Infanterie; Paul Schnee [Haus Nr. 29] (1926-2008) in Zivil; Josef Müller [Haus Nr. 24] (1924-1993) in Uniform Heer Infanterie; Reinhold Metternich [Haus Nr. 23] (1925-2019) in Zivil; Felix Becher [Haus Nr. 36] (1925-1995) in Zivil. Theo Dickob [Hais Nr. 7] (*1926) in Zivil, war aber bereits gemustert in Limburg von Ärzten der Waffen-SS und von diesen zur Waffengattung Nachrichten gezogen.

Freiwillig zur Waffen-SS gingen u. a. die Brüder Erich und Hermann Neuroth [Haus Nr. 33]. Weil sie sich freiwillig gemeldet hatten, brauchte Erich seine Schreinerprüfung und Hermann seine Maurerprüfung nicht abzulegen und erhielten trotzdem den Gesellenbrief.[Anm. 30]

Ende 1942 kam es zu einer Nachmusterung, zu der junge Männer nach Limburg beordert wurden. Zu ihrer Verwunderung waren die untersuchenden Ärzte SS-Angehörige, die sie dann aufgeforderten, sich freiwillig zur Waffen-SS zu melden. Von den ca. 100 gemusterten Jugendlichen wurde ca. ein Drittel als diensttauglich eingestuft. Von diesen gut 30 Personen meldete sich dann einer freiwillig zur Waffen-SS und durfte sich deshalb die Waffengattung aussuchen. Die restlichen jungen Männer wurden dann zur Waffen-SS gezogen, darunter auch Theo Dickob.[Anm. 31]

Neben der Waffen-SS gab es eine Allgemeine SS, auch Schwarze SS oder Heimat-SS genannt. Ab Herbst 1934 war dies die offizielle Bezeichnung jenes Teils der Schutzstaffel, der seinen Dienst in dieser Organisation ehrenamtlich, das heißt freiwillig und unentgeltlich versah.

Gestapo: Die Geheime Staatspolizei, war ein kriminalpolizeilicher Behördenapparat und die Politische Polizei während der Zeit des Nationalsozialismus. Ihre Hauptaufgabe war die Beobachtung und Bekämpfung politischer Gegner.

Die Gestapo war ein völlig selbständiger Zweig der inneren Verwaltung, direkt dem Ministerpräsidenten Göring unterstellt und aus der Bindung an die Gesetze entlassen.

Sie war ein Instrument der NS-Regierung und besaß weitreichende Machtbefugnisse bei der Bekämpfung politischer Gegner. In den Nürnberger Prozessen wurde sie zu einer verbrecherischen Organisation erklärt. Berüchtigt war die Gestapo für ihre brutalen Folter- und Ermittlungsmethoden, um beim Verhör Aussagen zu erzwingen. In Untershausen wurde vermutet, dass der Polizist Geest [Haus Nr. 24] Mitglied der Gestapo gewesen is.[Anm. 32]

0.1.In der Heimat verfolgt: Falsche Diagnosen, Fehlurteile, Intrigen

Engelbert Fombert (1917-1946)[Bild: Reiner Dennebaum]

Engelbert Gombert (1917-1946†), Sohn der Eheleute Katharina und Johann Gombert [Haus Nr. 13], galt während seiner Schulzeit als stilles, unauffälliges Kind. Er gehört zu den Unterhäuser Verfolgten durch die Nationalsozialisten. Deren Rassenlehre zur Verhinderung »lebensunwerten Lebens« wurde ihm zum Verhängnis. Nach Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes Limburg wurde die »Diagnose« »angeborener Schwachsinn« gestellt.[Anm. 33] Geschwister und Bekannte bezeugen dagegen, dass er allenfalls leicht verlangsamt war. Am 14. Dezember 1937 erfolgte seine Zwangssterilisation im Krankenhaus Kemperhof in Koblenz. Anschließend trat bei ihm eine nichtheilende Fistel im Unterleib unterhalb des Steißbeins auf, er verlor seinen Lebensmut und hat die NS-Zeit nur um eineinhalb Jahre überlebt.[Anm. 34]

Zu den Verfolgten durch die Nationalsozialisten gehörten in Untershausen auch die Söhne des ehemaligen Bürgermeisters Peter Ludwig, die Brüder Anton und Josef Ludwig [siehe Haus Nr. 26]. Sie wurden in der »Aktion T4« mit Hilfe der NS-Psychiatrie Opfer der nationalsozialistischen Rassenlehre. Häufig wurden diese Patienten in grauen Bussen der »Gemeinnützigen Krankentransport GmbH« in die Tötungsanstalten gebracht.[Anm. 35] Anton und Josef Ludwig wurden in der Landesheilanstalt Hadamar in einer Gaskammer mit Kohlenmonoxyd getötet:

Anton Ludwig (1899-1941†), gen. Krouse Toni, Spitzname Limmes [siehe Haus Nr. 26]. Er galt in der Bevölkerung als weniger begabt; sein Spitzname Limmes bedeutet so viel wie junges Schaf, einfältig. Er arbeitete im elterlichen Betrieb in der Landwirtschaft. Bei den Kirmesumzügen war er oft der Fahnenträger. Im Jahr 1941 kam die Gestapo aus Montabaur, um ihn in die Landesheilanstalt Herborn zu bringen. Theo Dickob lief zu ihm aufs Feld, um ihn zu warnen. Kurzfristig gelang es der Familie Dickob [Haus Nr. 7], ihn in ihrer Scheune zu verstecken und mit Nahrung zu versorgen. Trotzdem konnte er später inhaftiert werden und wurde kurze Zeit danach im Rahmen der NS-Euthanasie in Hadamar vergast. Seine Mutter erhielt seine Kleider zurückgeschickt mit dem Hinweis, er sei an einer »Lungenentzündung« gestorben: »Anton Ludwig wurde in einem Transport mit 67 weiteren Patienten am 12. März 1941 [von Herborn] nach Hadamar verlegt und noch am selben Tag ermordet. Der 12. März 1941 ist damit als Todestag von Herrn Anton Ludwig zu betrachten«.[Anm. 36] Die »Patientenakten« wurden von Hadamar in die Tötungsanstalten Bernburg und Hartheim verschickt, um den Mord zu verschleiern.[Anm. 37]

Junge Unterhäuser im Jahr 1940[Bild: Reiner Dennebaum]

Das Foto links aus dem Jahr 1940 zeigt eine Gruppe junger Unterhäuser, darunter auch den Ermordeten Anton Ludwig (vlnr): Hermann Neuroth [Haus Nr. 33] mit Bierkrug, Oswald Becher [Haus Nr. 36],  Josef Dickob [Haus Nr. 7] mit Schifferklavier, Erich Neuroth [Haus Nr. 33] (teilweise verdeckt), Willi Roth [Haus 1], Anton Ludwig Haus Nr. 26],  Klara Gombert [Haus Nr. 13],  Felix Becher (dahinter) [Haus Nr. 36], Maria Daum [Haus Nr. 14], Oswald Frink [Haus Nr. 10], Josef Müller [Haus Nr. 24] (halb verdeckt), Gottfried Ferdinand [Haus Nr. 9] mit Violine, Otto Velten [Haus Nr. 18] und Helmut Roth [Haus Nr. 1].

Josef Ludwig (1904-1941†), gen. Bubbes, [Haus Nr. 26], war ein jüngerer Bruder von Anton Ludwig. Er galt nach Aussagen von Zeitzeugen[Anm. 38] als besonders intelligent, konnte allerdings auch sehr heftig bzw. jähzornig reagieren. In der Volksschule unterstützte er andere Kinder bei der Erledigung der gestellten Aufgaben, schrieb ihnen sogar manchmal die Aufsätze vor. Er fühlte sich auch verantwortlich für seinen älteren Bruder Anton, der langsam von Begriff war und mit Hilfsarbeiten zu Hause und im Feld betraut wurde. Nach der Schulzeit machte Josef Ludwig eine Ausbildung bei Revierförster Ludwig Velten und war als Förster tätig.[Anm. 39] Zwischenzeitlich war es aber zu Spannungen zwischen seinem Vorgesetzten und ihm gekommen. Dieser hatte ihm vor Erteilung eines Zeugnisses eine »Mutprobe« abverlangt.[Anm. 40] Außerdem wurde ihm ein gewisses Verständnis für einen dorfbekannten Wilderer [Haus Nr. 21] nachgesagt. Die »Mutprobe« brachte ihm im Dorf seinen Spitznamen ein: Er hatte sich nämlich mit bloßem Gesäß in einen Ameisenhaufen gesetzt, wobei viele Untershäuser allerdings nicht den eigentlichen Grund für dieses ungewöhnliche Verhalten kannten.

Als sein Bruder Anton im Jahr 1941 von der Gestapo nach Montabaur ins Gefängnis gebracht wurde, zog er sich seine Försteruniform an, ging nach Montabaur und randalierte vor dem Rathaus. Überliefert ist sein Ausruf: »Der Hitler ist das größte Arschloch in ganz Deutschland.«[Anm. 41] Er wurde inhaftiert und in die Landesheilanstalt Herborn gebracht.

»Von dort gelangte Josef Ludwig in einem Transport mit 74 weiteren Patienten am 3. Februar 1941 nach Hadamar. Da die Patienten eines solchen Transportes in der Regel noch am Tag ihrer Ankunft in die im Keller der Anstalt befindliche Gaskammer geschickt und ermordet wurden, ist der 3. Februar 1941 als Todestag von Herrn Josef Ludwig zu betrachten. Das damals offiziell mitgeteilte Todesdatum - in diesem Fall der 17. Februar 1941 - und die Todesursache wurden falsch angegeben, um Angehörige und Behörden zu täuschen.«[Anm. 42] Die Mutter erhielt seine Kleider zurück mit dem Hinweis, er sei an einer »Lungenentzündung« gestorben.[Anm. 43]

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie hat im Jahre 2010 erstmals ganz offiziell die Opfer und deren Angehörige um Verzeihung gebeten. In der Veröffentlichung findet sich der Hinweis: »die Opfer (und deren Angehörige[Anm. 44]) schämten sich - und nicht die Täter.«[Anm. 45]

Anton Dennebaum (1907-1942)[Bild: Reiner Dennebaum]

Im Jahr 1941 zog der Schreinermeister Anton Dennebaum mit seiner Familie, seinen Maschinen und seinem Stammholz von Steinefrenz zurück nach Untershausen [Haus Nr. 20]. Er sollte dort den elterlichen Betrieb weiterführen, den sein 66 Jahre alter Vater nicht mehr leiten konnte.
Anton Dennebaum hatte sich den Ruf erworben, sehr gute Schränke zu bauen und erhielt von der Pfarrei in Holler den Auftrag, für die Sakristei einen Paramenten-Schrank zu erstellen. Kurze Zeit nach Fertigstellung des Schrankes wurde auf Betreiben eines Schreiners aus Holler, der Mitglied der NSDAP war, seine »Freistellung vom Kriegsdienst« aufgehoben. Er wurde nach Russland an die Front geschickt und starb 14 Tage später - am 25. Mai 1942 »den Heldentod«.

0.2.Kriegsverlauf und Kriegsende 1939-1945

Direkt nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges fanden die gewalttätigen Auseinandersetzungen vorwiegend in den überfallenen Ländern wie Polen und Frankreich statt. Aber spätestens nach der Ausweitung zu einem Weltkrieg zeigte der Krieg auch in Deutschland selbst immer stärker seine vernichtende Kraft. »Englische Flieger überflogen im ersten Kriegsjahr zur Nachtzeit öfters einzeln unser Heimatgebiet. Im September 1940 warfen sie zum ersten Mal Bomben in« unserer Nähe ab - bei Welschneudorf.[Anm. 46]

Im Jahr 1942 errichtete die deutsche Luftwaffe auf dem »Hähnchen« bei Niederelbert nahe den Gemarkungsgrenzen von Holler und Untershausen eine »Radar- bzw. Funkmeßstation mit Jägerleitstelle«, die der Erfassung und Verfolgung von einfliegenden britischen Bombern im Großraum Frankfurt galt und deren Abwehr durch deutsche Nachtjäger und Flak-Einheiten. Das Lager mit eigener Strom- und Wasserversorgung bestand aus mehreren Baracken auf festen Fundamenten und hatte eine Besatzung von 120 Personen[Anm. 47] Die großen schüsselförmigen Radarantennen standen nahe den Baracken südlich im Feld Richtung Heiligenhäuschen. Der riesige Funkmast mit seinen Betonfundamenten befand sich noch weiter südlich - auf der nördlichen Hangseite des »Röthchens› an dem Waldweg, der auf den »Langer Weg stößt« - ca. 50 m entfernt vom Feldweg nach Niederelbert.[Anm. 48]

Bei der militärischen Besatzung der Radarstation auf dem »Hähnchen« handelte es sich teilweise um Wehrmachtshelferinnen (»Blitzmädchen«), die aber zunehmend durch weibliche Angehörige des Reichsarbeitsdienstes abgelöst wurden.

Neben der Luftnachrichtenstation auf dem »Hähnchen« gab es in der Nähe von Untershausen noch ein Treibstofflager für die V2, die im Koblenzer Wald nahe des »Hillscheider Stocks« in Stellung gebracht worden war. Das Treibstofflager befand sich in der Gemarkung Untershausen am Anfang des Stelzenbachwaldes kurz vor dem Waldweg in »Die Seit« und wurde von den jugendlichen Soldaten der 1. Wiener Panzerdivision bewacht, die später beim Kampf um die Eisenbahnbrücke bei Remagen eingesetzt wurden.[Anm. 49]

»Ab 1943 überfliegen größere feindliche Verbände unsere Gegend auch am Tag. Am 12. Aug. stürzte ein amerikanisches Bombenflugzeug gegen 10 Uhr bei Welschneudorf ab. Es wurde ein Splittergraben für die Schule gebaut.«[Anm. 50]

»Am 20.12.1943 explodierte ein feindliches Flugzeug an der Hollererstraße - Spießweiher. Sieben Leichen wurden, zum Teil verkohlt, geborgen (Engländer). Sie wurden von deutschen Stellen würdelos behandelt. Es durfte kein Deutscher bei der Beerdigung helfen. Bei uns arbeitende Ausländer (Polen) besorgten unter Leitung unseres Gärtnerbruders die Beerdigung auf unserem Brüderfriedhof. Ein schmachvolles Zeugnis für unsere damalige städtische Leitung.«[Anm. 51]

1944 verstärkte sich die Fliegertätigkeit immer mehr. Am 20. Oktober kommt es zu einer Notlandung eines deutschen Jägers bei Niederelbert.[Anm. 52]

1945

In Holler wird immer häufiger der Fliegeralarm ausgelöst: 10- bis 12-mal pro Tag. Kleinere und größere Flugverbände versetzen Jung und Alt in Angst und Schrecken.Schulchronik Holler.
Am 13. Febr. 1945 kommt es zu einem Luftkampf über Daubach. »Ein deutscher Jäger stürzt bei Stahlhofen ab.«[Anm. 53] Ende Februar 1945 wurde der Schulsaal in Untershausen mit Soldaten der dt. Panzerwaffe belegt.[Anm. 54]

Am 9. März trafen in Holler Wagengespanne und Autokolonnen deutscher Soldaten ein, die sich auf dem Rückzug Richtung Osten bewegen. Ein hastendes Kommen und Gehen.[Anm. 55]

Der »Volkssturm« bildete, ohne Ausbildung und Waffen, das letzte verzweifelte Aufgebot.[Anm. 56] »Ein kriegstechnischer Widersinn war es, dass man den Volkssturm mobilisieren wollte, sie Tag für Tag zum Dienst nach Montabaur befahl, während zur gleichen Zeit, z. B. in Holler, versprengte Teile der über den Rhein zurückgeeilten regulären Truppen auf weitere Befehle warteten und sich langweilten.«[Anm. 57]

Am 13. März 1945 fielen der Fuhrunternehmer Jakob Nink und sein 12-jähriger Sohn Klemens aus Daubach einem Tieffliegerangriff zum Opfer. Er fuhr in regelmäßigen Abständen mit seinem Pferdefuhrwerk durch Untershausen und transportierte Waren für die Landbewohner nach oder von Montabaur, z.B. Bretter von der Firma Quirmbach für einen Schuppen. Auf dem Weg zurück aus Montabaur wurden sie ca. 300-400 m unterhalb von Untershausen von Tieffliegern beschossen. Die Kugeln trafen Vater, Sohn und ein Pferd tödlich.[Anm. 58]

Am 26. März 1945, am letzten Kriegstag, wurden die Anhänger der verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands, Adolf Edel aus Holler und sein Freund Alois Skatulla aus Montabaur, in einer Kiesgrube an der Limburger Straße von einem Standgericht der Wehrmacht erschossen - eine Stunde, bevor die Amerikaner in Montabaur einmarschierten. Die Morde wurden nie juristisch aufgearbeitet.[Anm. 59]

Am 26. März 1945, gegen 11 Uhr, fuhr der NSDAP-Ortsgruppenleiter Anton Erfurth, Bürgermeister von Niederelbert, als »Flüchtling« auf einem Leiterwagen durch Stahlhofen: »Gezogen wurde er von etwa 8 zerlumpten russischen Gefangenen ohne Schuhe. Er selbst saß in Uniform oben auf einem Strohhaufen. Die Bevölkerung sah dies mit Empörung«.[Anm. 60]

Am 26.03.1945 um die Mittagszeit sahen die deutschen Soldaten vom »Hähnchen« aus die von der Autobahn auf Montabaur vorrückende endlose Kolonne amerikanischer Späh- und Kampfpanzer sowie anderer US-Fahrzeuge und sprengten daraufhin ihre Luftüberwachungsstation in die Luft.[Anm. 61]

Am gleichen Tag zogen mittags Amerikaner durch unser Dorf ostwärts vor.[Anm. 62] Sie feuerten vereinzelt Schüsse ab auf Gebäude, in denen sie Heckenschützen vermuteten: in den Glockenturm vom Backes sowie auf die Häuser Nr 22 und Nr. 43 - dort waren Fenster geöffnet.[Anm. 63]

In Unterhausen hielten sich bis zum Einzug der Amerikaner noch zwei deutsche Soldaten im Haus Nr. 18 bei Förster Velten auf. Als die amerikanischen Soldaten immer näher kamen, ergriffen sie dann doch die Flucht und wurden anschließend von den ankommenden Soldaten in der Nähe des Wendelinus-Kapellchens erschossen. Die Bestattung der Leichen erfolgte auf dem Friedhof in Stahlhofen.[Anm. 64] In der Dorfchronik von Stahlhofen ist nur von einem erschossenen Soldaten die Rede.

Im Zweiten Weltkrieg verloren insgesamt 20 Unterhäuser Soldaten ihr Leben bzw. galten als vermisst oder starben an den Folgen des Krieges - Untershausen hatte in dieser Zeit ca. 220 Einwohner.[Anm. 65]

Rückseite des Totenzettels von Günther Roth[Bild: Reiner Dennebaum (Druck: Welbers, Ob.-Osterfeld)]

0.2.1.Gefallene

Josef EbertHaus Nr. 12* 21.01.1918† 02.05.1941
Josef FrinkHaus Nr. 34*03.09.1918† 28.11.1941
Johann BeckHaus Nr. 9*06.09.1913† 07.03.1942
Anton DennebaumHaus Nr. 20*27.12.1907† 25.05.1942
Rudolf HerrmannHaus Nr. 32* 14.9.1914† 02.08.1942
Hermann BornHaus Nr. 35* 14.08.1917† 16.08.1943
Günther RothHaus Nr. 1* 25.08.1925† 02.11.1943
Antonius RothHaus Nr. 21* 28.09.1925† 20.03.1944
Ludwig OrtseifenHaus Nr. 17* 12.03.1909† 07.11.1944
Arnold BecherHaus Nr. 2* 16.09.1927† 05.04.1945
Erich NeurothHaus Nr. 33* 04.06.1923† 21.04.1945

0.2.2.Vermisste

Paul BornHaus Nr. 35* 26.06.1908† 08.02.1943
Karl FerdinandHaus Nr. 9* 29.08.1924† 11.09.1943
Toni BecherHaus Nr. 36* 09.05.1915† 13.03.1944
Josef DaumHaus Nr. 14* 21.02.1911† 24.06.1944
Toni FerdinandHaus Nr. 9* 06.10.1916† 15.01.1945

In Gefangenschaft verstorben

Toni Becher [Haus 36] wurde am 13.03.1944 als vermisst gemeldet. Lt. DRK-Suchdienst ist er am 17.01.1945 in Kiew in Gefangenschaft gestorben.

Christian Laurentius Holzenthal [Haus 32] ist als russischer Gefangener in Jugoslawien gestorben. *09.08.1899 † 14.11.1945

0.2.3.An den Kriegsfolgen in der Heimat verstorben

Karl GrempHaus Nr. 20* 26.03.1913† 30-08.1946
Alois BrillHaus Nr. 30* 21.06.1906† 16.09.1949
Felix BecherHaus Nr. 36* 01.07.1925† 27-07-1995
Walter DennebaumHaus Nr. 13* 22.12.1909† 21.05.1947 (RAD)

0.2.4.Spätheimkehrer aus Russland und Frankreich

Ende 1948 und 1949 kamen 5 ehemalige Soldaten als Spätheimkehrer zurück

  1. Ewald Becher (1923-1991) [Haus Nr. 2], kam am 02.11.1949 aus einem polnischen Kohlebergwerk in Kattowitz aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück.
  2. Oswald Becher (1923-1990) [Haus Nr. 36], kehrte im Sept. 1949 aus Saporoshje /Ukraine zurück.
  3. Theo Dickob (*1926) [Haus Nr. 7], kam im Dezember 1948 aus französischer Gefangenschaft in Saint-Médard nordwestlich von Bordeaux nach Hause.
  4. Otto Paul Gombert (*1926) kehrte am 6. Oktober 1949 aus Sibirien zurück.
  5. Hugo Herrmann (1915-2017) kam am 31.12.1949 aus russischer Gefangenschaft aus einem Kriegsgefangenlager bei Riga /Lettland zurück.

Die Spätheimkehrer erhielten von der Gemeinde Untershausen ein Begrüßungsgeld vom 50 DM (Frankreich) bzw. 100 DM (Russland).[Anm. 66]

0.3.Literatur und Schriftverkehr

  • Beuttenmüller, Claus Peter: NS-Zeit in Unterhausen, Schriftverkehr vom 25.01. 2019.
  • Goddemeier, Christof: Euthanasie. Erinnerungskultur unverzichtbar. Deutsches Ärzteblatt 2019, Jg. 116, Nr. 4, S 280-1.
  • Greifendorf, Oliver: Kriegsschauplatz Westerwald, Helios-Verlag 2005 , Aachen, ISBN 978-3-9382080-52, 176 S.
  • Hucke, Hermann-Josef: Daubach 1343-1993. Ein Dorf im Wandel der Zeit. ISBN 3-921548-51-9. Herausgegeben von der Ortsgemeinde Daubach 1993, 512 S.
  • Jacharetz, Norbert: Krankenmorde in der NS-Zeit. Das Bußritual der Psychiater. Deutsches Ärzteblatt 2011, Jg. 108, Heft 1-2, C 27-8.
  • Jösch, Joachim, Hrsg. Arbeitskreis Spurensuche - Nationalsozialismus im Westerwald: Erinnern für die Zukunft. Druckerei Hachenburg GmbH, Montabaur 2005.
  • Levi, Primo: Ist das ein Mensch? Taschenbuch dtv Literatur. Aus dem Italienischen von Heinz Riedt ISBN 978-3-423-12395-2, 176 S.
  • Lilienthal, Georg: Beantwortung einer Rechercheanfrage vom 13.08.2011 bzgl. Anton Ludwig und Josef Ludwig. Erforschung der Orts- und Regionalgeschichte von Untershausen. Gedenkstätte Hadamar, 19.12.2011.
  • Lilienthal, Georg: Ihre Anträge auf Recherche für Opfer der NS-Euthanasie-Verbrechen vom 17.08.2012; Anton Ludwig und Josef Ludwig aus Untershausen. Gedenkstätte Hadamar, 28.08.2012.
  • Limburger Texte 25: Montabaur: Mutterhaus und Krankenhaus der Barmherzigen Brüder von Montabaur. In: Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in katholischen Einrichtungen im Bereich der Diözese Limburg. Ein Werkstattbericht. Buchdruckerei Lichel, Limburg, Oktober 2001, 95 S.
  • Pawelletz, Jörg: Engelbert Gombert, geb. 1917 in Unterhausen bei Montabaur. LHAK, Koblenz, 05.09.2018.
  • Poitrot, Robert: Die Ermordeten waren schuldig? Amtliche Dokumente der Direction de la Santé Publique der Französischen Militärregierung, Baden-Baden 1947, 108 S.
  • Schulchronik Holler in teilweiser Abschrift von Hermann-Josef Hucke.
  • Schulchronik Untershausen von 1843-1968 - geführt von den Dorflehrern - liegt lediglich in unvollständiger Abschrift vor. Die Original-Schulchronik wurde 1968 von Herrn Lehrer Hermann- Josef Hucke aus Daubach, später Wiesbaden, nur teilweise abgeschrieben und ist seitdem verschollen. Eine Kopie der Abschrift ist im Besitz von Reiner Dennebaum, Mainz.
  • Stahlhofen, Anneliese: Wie die Amerikaner Stahlhofen besetzen. In: Stahlhofen auf den Gelbachhöhen - Heimatbuch, zusammengestellt von Hermann-Josef Hucke, Stahlhofen 2001, 415 S.

0.3.1.Gespräche mit Zeitzeugen

  • Becher, Richard, Untershausen [Haus Nr. 36].
  • Caspers, Hans Hermann, Duisburg; Ehemann von Else geb. Müller, ehem. Unterhausen [Haus Nr. 24].
  • Dickob, Theo, Heiligenroth, ehem. Untershausen [Haus Nr. 7].
  • Eufinger, Gisela, Mainz; die Familie Eufinger führte in den 1930er und 1940er Jahren die Heckenmühle bei Ettersdorf im Gelbachtal.
  • Gombert, Otto Paul: Briefe und Gespräche mit einem Zeitzeugen in den Jahren 2011-13, (*1926), Mettlach, ehemals Untershausen [Haus 3]. Unterlagen im Besitz von Reiner Dennebaum, Mainz.
  • Gombert, Heinrich, Untershausen [Haus Nr. 21].
  • Herrmann, Hugo, Untershausen [Haus Nr. 25].
  • Laukart, Manfred, Unterhausen [Haus Nr. 17].
  • Wittkuhn, Käthe, geb. Frink verw. Herrmann (1925-2019), Holler, ehem. Untershausen [Haus Nr. 34].

Anmerkungen:

  1. Beuttenmüller, NS-Zeit. Zurück
  2. Otto Paul Gombert. Zurück
  3. Otto Paul Gombert. Zurück
  4. Hermann-Josef Hucke, Daubach. Zurück
  5. Hugo Herrmann. Zurück
  6. Otto Paul Gombert; Hugo Hermann. Zurück
  7. Poitrot, Robert, diee Ermordeten. Zurück
  8. Richard Becher. Zurück
  9. Otto Paul Gombert; Theo Dickob; Claus Peter Beuttenmüller Zurück
  10. Otto Paul Gombert. Zurück
  11. Theo Dickob. Zurück
  12. Totenzettel Herbert Gombert (1917-1942). Druck: Welbers, Ob.-Osterfeld. Zurück
  13. Otto Paul Gombert. Zurück
  14. Käthe Wittkuhn. Zurück
  15. Otto Paul Gombert. Zurück
  16. Hans Hermann Caspers. Zurück
  17. Otto Paul Gombert. Zurück
  18. Otto Paul Gombert. Zurück
  19. Theo Dickob Zurück
  20. Gisela Eufinger. Zurück
  21. Otto Paul Gombert. Zurück
  22. Theo Dickob. Zurück
  23. Otto Paul Gombert] Zurück
  24. Gisela Eufinger. Zurück
  25. Theo Dickob. Zurück
  26. Levi, Primo, Mensch. Zurück
  27. Otto Paul Gombert. Zurück
  28. Theo Dickob; Manfred Laukart. Zurück
  29. Theo Dickob. Zurück
  30. Theo Dickob. Zurück
  31. Theo Dickob. Zurück
  32. Theo Dickob. Zurück
  33. Pawelletz, Jörg. Zurück
  34. Reiner Dennebaum. Zurück
  35. Goddemeier, Christof, Euthanasie. Zurück
  36. Lilienthal, Georg, Rechercheanfrage vom 13.08.2011 bzgl. Anton Ludwig und Josef Ludwig. Zurück
  37. Lilienthal, Georg, Rechercheanfrage vom 13.08.2011 bzgl. Anton Ludwig und Josef Ludwig; Lilienthal, Georg, Anträge. Zurück
  38. Theo Dickob. Zurück
  39. Theo Dickob. Zurück
  40. Heinrich Gomber. Zurück
  41. Theo Dickob. Zurück
  42. Lilienthal, Georg, Rechercheanfrage vom 13.08.2011 bzgl. Anton Ludwig und Josef Ludwig; Lilienthal, Georg, Anträge. Zurück
  43. Theo Dickob. Zurück
  44. Richard, Becher, Untershausen [Haus Nr. 36]. Zurück
  45. Jacharetz, Norbert, Krankenmorde. Zurück
  46. Hermann-Josef Hucke, Daubach. Zurück
  47. Oliver Greifendorf, Kriegsschauplatz. Zurück
  48. Theo Dickob. Zurück
  49. Heinrich Gombert. Zurück
  50. Hermann-Josef Hucke, Daubach. Zurück
  51. Limburger Texte. Zurück
  52. Hermann-Josef Hucke, Daubach. Zurück
  53. Hermann-Josef Hucke, Daubach. Zurück
  54. Schulchronik Untershausen. Zurück
  55. Schulchronik Holler. Zurück
  56. Schulchronik Holler. Zurück
  57. Schulchronik Holler. Zurück
  58. Schulchronik Holler; Richard Becher. Zurück
  59. Joachim Jösch, Joachim, Arbeitskreis Spurensuche. Zurück
  60. Stahlhofen, Anneliese, Amerikaner Stahlhofen. Zurück
  61. Oliver Greifendorf, Oliver, Kriegsschauplatz. Zurück
  62. Schulchronik Untershausen. Zurück
  63. Richard Becher. Zurück
  64. Heinrich Gombert. Zurück
  65. Weitere Erklärungen zu den Gefallenen sind bei der Beschreibung der Hofreiten, also bei ihren Elternhäusern aufgeführt.Siehe auch Kulturdenkmäler: Kriegergedächtniskapelle. Zurück
  66. Theo Dickob. Zurück