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0.2. Hintergrundinformationen über die Gemeinde Drais

Im Jahr 1933 zählte der Ort zu den kleineren in Rheinhessen. Während man in Drais zu diesem Zeitpunkt 540 Einwohner verzeichnete[Anm. 1], lebten im Vergleich in den Nachbarorten Finthen 3630 und in Gonsenheim 6609 Menschen[Anm. 2].

Die Landwirtschaft stellte über mehrere Jahrhunderte die Existenzgrundlage für die Draiser Bürger dar. Die besondere Lage im rheinhessischen Hügelland mit ihren günstigen warmen klimatischen Bedingungen sowie die kalkhaltigen Lösböden begünstigten diese Entwicklung[Anm. 3].

Die Kriegsereignisse von 1914–1918 waren u. a. ein Grund dafür, dass die Bevölkerungszahl in Drais in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stagnierte. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges zählte man in dem Ort die gleiche Anzahl an Einwohnern wie im Jahr 1900[Anm. 4].

[Bild: Rettinger, Elmar: Vom Leben, Lieben und Sterben. In: Vor den Toren der großen Stadt. 850 Jahre Drais 1149–1999, hg. v. Walter G. Rödel. Mainz 1998, S. 108.]

In den 1920er Jahren gestalteten folgende Vereine das örtliche Vereinsleben: der Turnverein 1876, die Fußballabteilung des VFR 1921, die Feldhandballabteilung des DJK, die Gesangsvereine Sängerlust sowie Sängerbund, die Freiwillige Feuerwehr, der Katholische Männerverein und der Kyffhäuserbund. Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten veränderte sich das Vereinsleben aufgrund von Verboten und der Gleichschaltung erheblich[Anm. 5]. Im Gegensatz zu einigen Nachbardörfern konnte die NSDAP in Drais, wo die Zentrums-Partei bei den Reichstagswahlen von 1920–1930 im Durchschnitt 63 %[Anm. 6] erhielt und 98 % der Bevölkerung dem katholischen Glauben angehörten, jedoch nur schwer Fuß fassen[Anm. 7]. Dieses Phänomen ließ sich ebenfalls in anderen von Katholiken geprägten Gebieten in Rheinhessen beobachten, z. B. im katholischen Sponsheim (Kreis Bingen)[Anm. 8]. Unter Katholiken war die Ablehnung gegenüber dem Nationalsozialismus besonders ausgeprägt. Am 30. September 1930 erklärte erstmals der Generalvikar des Bistums Mainz, Philipp Jakob Mayer, dass die Lehren des Katholizismus und des Nationalsozialismus unvereinbar seien[Anm. 9]. Diese Formulierung behinderte die Unterstützung auch in den Jahren nach 1933, welche die NSDAP von den Katholiken erhielt[Anm. 10]. Auf dem Land führten die soziale Kontrolle und der Konformitätsdruck der dörflichen Gesellschaft zu einem starken Zusammenhalt der katholischen Bevölkerung und behinderten die Etablierung der Ideologie der Nationalsozialisten in vornehmlich katholischen Gemeinden. Des Weiteren lässt sich für diese Gebiete konstatieren, dass die NSDAP erst später begann Propagandaveranstaltungen abzuhalten, wie z. B. in Drais[Anm. 11]. Ein weiteres Indiz dafür ist die Tatsache, dass die NS-Partei Probleme hatte in dieser Gemeinde vor der Machtübernahme eine Ortsgruppe zu installieren[Anm. 12].

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten griffen diese sofort in das geistliche Gemeindeleben ein. Sie übten Einfluss auf Kirchenwahlen sowie auf die Inhalte von Predigten aus. Als 1936 mit Johannes Jürgens, ein Mitglied der NSDAP und Angehöriger der „Deutschen Christen“ – eine rassistische und antisemitische Strömung im deutschen Protestantismus – ein neuer Pfarrer in die evangelische Kirchengemeinde Gonsenheim kam – der auch Finthen und Drais angehörten – blieben viele Bürger aus Protest seinen Gottesdiensten fern. Als jedoch die Gewaltmaßnahmen gegen Juden immer größer wurden, wandte er sich von den „Deutschen Christen“ ab[Anm. 13]. Dies wird in seinem Bekenntnis von 1938 deutlich:

            „Die Lösung von den Deutschen Christen vollzieht sich für jeden Pfarrer, der fest auf dem Boden des Evangeliums alten und neuen Testamentes steht, ganz automatisch, weil sie eine Theologie entwickeln, die an Stelle Gottes ganz einfach das III. Reich setzt […] Das schlimmste Ereignis dieses Jahres ist die Judenverfolgung, die schlagartig am 10. November die gemeinsten Ausschreitungen zur Folge hatte. Alle Warnungen und Proteste sind in den Wind gesprochen“[Anm. 14].

In den Wahlen vor 1933 konnte die NSDAP in der kleinen Gemeinde keine achtbaren Ergebnisse erzielen. Bei der Reichstagswahl im September 1930 erzielten die Nationalsozialisten nur sechs Stimmen, was einem Anteil von 2 % entsprach. Demgegenüber waren sie zur gleichen Zeit als zweitstärkste Fraktion in den Reichstag gewählt worden. Im darauffolgenden Jahr bei den Landtagswahlen im November 1931 sowie der Landtagswahl 1932 und der Reichstagswahl im Juli stimmten nur etwa 30 Draiser Bürger für die Hitler-Partei, was 10 % der abgegebenen Stimmen entsprach. Bei der Reichstagswahl vom 5. März 1933 erreichte die NSDAP nur 14,5 % der abgegebenen Stimmen, was dem schwächsten Ergebnis im gesamten Kreis entsprach[Anm. 15].

Anmerkungen:

  1. Statistisches Reichsamt: Amtliches Gemeindeverzeichnis für das Deutsche Reich auf Grund der Volkszählung 1933. Berlin 31936 (Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 450), S. 203. Zurück
  2. Bentz, Hans: Die Gliederung und Entwicklung der Berufsbevölkerung in Rheinhessen. Gießen 1930 (Arbeiten der Anstalt für Hessische Landesforschung an der Universität Gießen. Geographische Reihe, H. 9), S. 58.  Zurück
  3. Wollstädter, Erwin: Landwirtschaft, Handwerk und Handel. In: Vor den Toren der großen Stadt. 850 Jahre Drais 1149–1999, hg. v. Walter G. Rödel. Mainz 1998, S. 177. Zurück
  4. Rettinger, Elmar: Vom Leben, Lieben und Sterben. In: Vor den Toren der großen Stadt. 850 Jahre Drais 1149–1999, hg. v. Walter G. Rödel. Mainz 1998, S. 108. Zurück
  5. Lehr, Helmut: Bilder aus dem alten Drais. Über 200 Fotos von 1872–1958 mit Geschichten, Gedichten und Dokumenten. Mainz-Hechtsheim 2009, S. 47. Zurück
  6. Rommel, Martina: Drais vom Ende des alten Reiches bis 1945. In: Vor den Toren der großen Stadt. 850 Jahre Drais 1149–1999, hg. v. Walter G. Rödel. Mainz 1998, S. 57. Zurück
  7. Würz, „Kampfzeit unter französischen Bajonetten“, S. 24. Zurück
  8. Ebd., S. 220–221. Zurück
  9. Kißener, Michael: Katholiken im Dritten Reich. Eine historische Einführung. In: Die Katholiken und das Dritte Reich. Kontroversen und Debatten, hg. v. Karl-Joseph Hummel/Michael Kißener (Hg.). Paderborn 22010, S. 18. Zurück
  10. Würz, „Kampfzeit unter französischen Bajonetten“, S. 169. Zurück
  11. Mainzer Anzeiger vom 2. November 1932. Zurück
  12. Würz, „Kampfzeit unter französischen Bajonetten“, S. 219. Im Mainzer Anzeiger vom 21. April 1933 wird berichtet, dass am 17. April 1933 die offizielle Gründungsversammlung des Stützpunktes Drais der NSDAP stattfand, dem rund 40 Mitglieder angehörten. Zurück
  13. Schott, Christian-Erdmann: Die Gonsenheimer Pfarrer. In: […] und lobten Gott. Hundert Jahre evangelische Kirchengemeinde Gonsenheim, hg. v. Evangelische Kirchengemeinde Gonsenheim. Gonsenheim 1993, S. 57. Zurück
  14. Koppitz, Ingeborg: Die Geschichte der Evangelischen in Drais. In: Vor den Toren der großen Stadt. 850 Jahre Drais 1149–1999, hg. v. Walter G. Rödel. Mainz 1998, S. 153. Zurück
  15. Klein, Thomas: Die Hessen als Reichstagswähler. Tabellenwerk zur politischen Landesgeschichte 1867–1933. Bd. 3: Großherzogtum/Volksstaat Hessen 1867–1933. Marburg 1995 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, Bd. 51), S. 1145–1199. Zurück