Hunsrück

0.4. Das Hunsrücker Platt im deutschen Dialektgebiet

Dieses Kapitel hat zum Ziel, das Hunsrücker Platt in der deutschen Sprach­landschaft zu verorten. Um das zu leisten, ist ein Blick in die Sprachge­schichte notwendig, denn die Dialekte werden gemäß der historischen Entwicklung bestimmter Konsonanten eingeteilt. Die hineinspielenden Vor­gänge sind relativ komplex. Ihre Beschreibung erfolgt an dieser Stelle auf das Wesentlichste reduziert und stark vereinfacht.

Das Deutsche bildet sich zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert heraus. Durch besondere Konsonantenveränderungen, die der Sprachwissenschaftler als zweite Lautverschiebung bezeichnet, sondert es sich von den übrigen mit ihm verwandten germanischen Sprachen (Englisch, Niederländisch, Dänisch, Nor­wegisch, Schwedisch, usw.) ab und etabliert sich als eigenständige Sprache. Bei der zweiten Lautverschiebung werden u. a. die germanischen (vordeutschen) Konsonanten p – t – k zu deutsch pf – s – ch verändert. Der sprachgeschicht­liche Wandel lässt sich schön aufzeigen, wenn man das Englische, das ja die Veränderungen nicht durchgeführt hat, mit dem lautverschiebenden Deut­schen vergleicht. Die folgende Gegenüberstellung von englischen Beispiel­wörtern und ihren deutschen Entsprechungen macht die sprachlichen Ge­gensätze anschaulich:

englisch pound, apple – deutsch Pfund, Apfel
englisch water, that – deutsch Wasser, das
englisch make, book – deutsch machen, Buch

Die zweite Lautverschiebung hat darüber hinaus weitere Lautentwicklungen gezeitigt, aber für die Einteilung der deutschen Dialekte ist vor allem der Wandel von germanisch p – t – k zu Deutsch pf – s – ch von besonderer Bedeu­tung.


Die zweite Lautverschiebung – zu den folgenden Ausführungen ist Kar­te 3 vergleichend heranzuziehen – erfolgt in dem Sprachraum, in dem heu­te deutsch gesprochen wird, nicht durchgängig. Voll­ständig wird sie nur im Süden durchgeführt (Süddeutschland, Österreich, Schweiz). Dort lauten un­sere Beispielwörter folglich Pfund, Apfel, Wasser, das, machen, Buch. Die Dialekte mit vollständiger Lautverschiebung werden in der Sprachwis­senschaft zum Oberdeutschen zusammengefasst. Hierzu zählen z. B. das Bairische und das Schwäbische. Es schließt sich nördlich ein breiter Streifen an, in dem der seinerzeit vom Alpenraum ausgehende Lautwandel allmäh­lich verebbt. Die Dialekte dieses Gebiets mit teilweiser Lautverschiebung bezeichnet man als mitteldeutsch. Hierzu gehören z. B. das Pfälzische, Hes­sische und Obersächsische. Ich werde auf das Mitteldeutsche sogleich ge­nauer zurückkommen. Die dann folgenden Dialekte der norddeutschen Tief­ebene machen die zweite Lautverschiebung überhaupt nicht mit. In ihnen bleiben p, t, k (wie im Englischen) erhalten. Die Beispielwörter lauten da­her: Pund, Appel, Water, dat, maken, Book. Die unverschobenen Dialekte Norddeutschlands fasst man zum Niederdeutschen zusammen.

Betrachten wir nun das Mitteldeutsche, in dem die zweite Lautver­schiebung, von Süden kom­mend, sukzessiv verebbt. Geographisch gesehen, endet als erstes die Verschiebung von p. Die Grenze zwischen unverscho­benem und verschobenem p, die zugleich das Mitteldeutsche vom Ober­deutschen trennt, wird durch die sog. Appel/Apfel-Linie konstituiert. Sie überschreitet bei Speyer den Rhein. Nördlich dieser Isoglosse – so nennt man wissenschaftlich die Grenze zwischen zwei verschiedenen Sprachfor­men – ist p nicht verschoben. Von da ab heißt es: Pund, Appel, Kopp ‘Kopf’ usw.

Als nächstes ist die Verschiebung von t betroffen. Das Verschiebungs­gebiet von t zu s reicht weit über die Appel/Apfel-Isoglosse hinaus. Die Nordgrenze des Lautwandels bildet die sog. dat/das-Linie, die, was in die­sem Zusammenhang hervorhebenswert ist, durch den Hunsrück führt und bei Sankt Goar den Rhein überquert. Während p also im gesamten Mittel­deutschen unverschoben ist, erscheint unverschobenes t nur in seinem nörd­lichen Teil. Das gilt aber nicht ausnahmslos wie für das Niederdeutsche. Es gibt nördlich der dat/das-Grenze nur einige unverschobene Formen: Neben dat ‘das’ finden sich wat ‘was’, et ‘es’, eent ‘eins’ gelott ‘gelassen’ usw. Die Mehrzahl der Wörter weist jedoch Verschiebung auf, z. B. Wasser, wissen, beißen, Maß, groß, besser und Fuß.

Am weitesten reicht die Verschiebung von k zu ch, nämlich bis zur sog. maken/machen-Isoglosse, die bei (Düsseldorf-)Benrath den Rhein quert. Diese stellt den nördlichen Abschluss der zweiten Laut­verschiebung dar und bildet zugleich die Grenze zwischen dem Nieder- und dem Mitteldeutschen.

Ich komme noch einmal auf die Verschiebung von p zu sprechen. In der Position nach r und l wird p nicht nur bis zur Appel/Apfel-Linie (s. o.) ver­schoben, sondern darüber hinaus bis in die Nord­eifel und ins Oberbergische Land. Der Wandel erfolgt allerdings zu f und nicht zu pf. So steht südli­chem Dorf, scharf und helfen nördliches Dorp, scharp und helpen gegenüber. Die sog. Dorp/Dorf-Grenze, die rp von rf (und lp von lf) scheidet, überschreitet den Rhein bei Remagen.

Zwischen der Appel/Apfel- und der maken/machen-Linie, also im Mit­teldeutschen, läuft, wie ge­sehen, die zweite Lautverschiebung schrittweise aus. Das heißt, die Lautverschiebungslinien sind ge­staffelt. Im Rothaar­gebirge an der maken/machen-Grenze zusammentreffend, zeigen sie ein fä­cherartiges Bild, weshalb man vom Rheinischen Fächer spricht (vgl. Kar­te 4). Anhand der Wortbeispiele machen, Dorf, das, Apfel dokumentiert die Karte, wie die Lautverschiebung von Süd nach Nord allmählich verebbt.

Die Lautverschiebungsisoglossen des Rheinischen Fächers bilden die Grundlage für die Eintei­lung der mitteldeutschen Dialektlandschaft. Die Dialekte, die zwischen der Appel/Apfel- und der dat/das-Linie gesprochen werden, fasst man zum Rheinfränkischen zusammen. Hierzu zählen u. a. das Pfälzische sowie das Hessische. Zwischen der dat/das- und der maken/ machen-Grenze ist das Mittelfränkische angesiedelt. Dieses konstituiert sich aus dem Moselfränkischen im Süden (bis zur Dorp/Dorf-Isoglosse) und dem Ripuarischen im Norden (ab dieser Linie).

Das Mitteldeutsche wird in das West- und das Ostmitteldeutsche unter­teilt. Die Trennlinie ver­läuft zwischen den Flüssen Fulda und Werra. Der erstgenannte Dialektverband hat anlautend unver­schobenes p (Pund, Perd ʻPferdʼ usw.), wohingegen der zweitgenannte f aufweist (Fund, Ferd usw.). Das Ober- und Mitteldeutsche fasst man zum Hochdeutschen (als Gegenpol zum Niederdeutschen) zu­sammen. Der Begriff Hochdeutsch ist also in der Dialektforschung ein sprachgeographischer. In der Alltagssprache dagegen wird er sprachsozial im Sinne von ‘Einheitssprache, Hochsprache, Literatur­sprache’ verwendet (Sie kann kein Platt, nur Hochdeutsch). Dem Sprach­wissenschaftler steht hierfür der Ausdruck Standarddeutsch zur Verfügung.

Die Karte 4 zeigt die Lage des Hunsrücks im mittleren Bereich des Rheinischen Fächers. Sprach­geographisch hat der südöstliche Teil der Re­gion mit verschobenem t (das, es usw.) Anteil am Rheinfränkischen. Der Rest – und das ist bei weitem der größere Teil des Gebietes – gehört zum Moselfrän­kischen mit (teilweise) unverschobenem t (dat, et usw.). Diese grobe sprachgeographische Einordnung des Hunsrücks hat durch ihre klare Zweiteilung den Vorteil recht praktikabel zu sein. Nimmt man jedoch die Dialekte der Region schärfer in den Blick, wird eine differenziertere Eintei­lung der Sprach­landschaft unumgänglich. Das folgende Kapitel handelt da­von. Dort findet sich auch auf Karte 5 der detaillierte Verlauf der dat/das-Linie im Hunsrück.


[vorheriges Kapitel] [nächstes Kapitel]