Hunsrück

0.1. Einleitung

Das vorliegende Werk heißt Hunsrücker Platt. Platt ist die in der Umgangs­sprache Nord- und Westdeutschlands übliche Bezeichnung für ‘Dialekt, Mundart’. Der Buchtitel orientiert sich also an dem alltagssprachlichen Wortgebrauch. Der volkstümliche Titel will ein breites Publikum anspre­chen und signalisieren, dass zwischen den Buchdeckeln eine allgemeinver­ständliche Abhandlung der Hunsrücker Dialekte und keine Spezialstudie für einen beschränkten Kreis von Fachwissenschaftlern zu erwarten ist.

Das Werk fasst überblicksmäßig zusammen, was die Sprachforschung bisher über die Hunsrücker Dialekte in Erfahrung gebracht hat. Es strebt da­bei keine Vollständigkeit an, sondern will vielmehr schlaglichtartig das Charakteristische der Sprachlandschaft beleuchten. Vollständigkeit ist im übrigen weder auf grammatischer noch auf sprachgeographischer Ebene zu erreichen. Die Dialekte des Hunsrücks und der ihn begrenzenden Flusstäler von Mosel, Rhein und Nahe sind nicht sehr gut erforscht. Es gibt nur weni­ge Orts- sowie Gebietsgrammatiken und diese untersuchen hauptsächlich die Laute, seltener die grammatischen Formen, kaum die Wortbildung und schon gar nicht den Satzbau. Auch der fünfbändige Mittelrheinische Sprach­atlas (Bellmann [u. a.] 1994-2004), zu dessen Untersuchungsgebiet unter anderem der Hunsrück gehört, behandelt lediglich die Dialektlaute vollstän­dig (vier Bände), die Flexion sowie Wortbildung weniger ausführlich (ein Band) und die Syntax ebenfalls überhaupt nicht.

Der Mittelrheinische Sprachatlas hat von 1979 bis 1988 die Dialekte im linksrheinischen Rheinland-Pfalz sowie im Saarland gründlich erhoben. Be­sonders hervorhebenswert ist, dass nicht nur der Dialekt alter, sondern auch jüngerer Sprecher erkundet wurde, um Aufschluss über Wandeltendenzen in der Sprache zu erhalten. Die Ergebnisse hat das Forschungsteam auf mehr als 1000 Karten in fünf großformatigen Bänden zwischen 1994 und 2002 publiziert. Eine knappe populärwissenschaftliche Zusammenfassung des Mittelrheinischen Sprachatlasses bietet der Linksrheinische Dialektatlas (Drenda 2008).

Das vorliegende Buch stützt sich auf die bisherigen Forschungsergeb­nisse zu den Hunsrücker Dialekten, wobei die hunsrückseitigen Täler von Mosel, Rhein, Nahe und Saar einbezogen werden. Die verwendete Fachlite­ratur wird am Ende des Bandes angegeben. Die Ausführungen werden er­gänzt durch Dialektkarten. Diese zeigen die Verteilung der beschriebenen Sprachphänomene und ‑entwicklungen im Raum. Die Karten basieren meis­tenteils auf dem veröffentlichten oder unveröffentlichten Material des Mit­telrheinischen Sprachatlasses.

Der Begriff Hunsrück wird in dieser Arbeit sehr großzügig ausgelegt. Das Untersuchungsareal umfasst eine Fläche, die im Westen von der Saar, im Norden von der Mosel, im Osten vom Rhein und im Süden von Nahe, Prims und Losheimer Bach begrenzt wird (vgl. Karte 1).

Karte des Untersuchungsgebietes zwischen den Flüssen Mosel, Rhein, Nahe und Saar

Bevor die Dialekte unseres Gebietes unter die Lupe genommen werden, mache ich einen Abstecher und nehme stichwortartig eine außersprachliche Charakterisierung der Region vor. In aller Kürze werden die geographischen Strukturen, die geschichtliche Entwicklung sowie die wirtschaftlichen Ge­gebenheiten beschrieben (Kap. 2.).

Mit der Analyse des Namens Hunsrück (Kap. 3.) erfolgt die Überlei­tung zum sprachwissenschaft­lichen Teil. Zunächst wird das Hunsrücker Platt in das Gesamtgefüge der deutschen Dialektlandschaft eingeordnet, um anschließend seine sprachliche Binnendifferenzierung zu betrachten (Kap. 4. und Kap. 5.). Der darauffolgende Abschnitt demonstriert beispielhaft die Ver­schiedenartigkeit der Dialekte unseres Raumes und erklärt sie aus der Sprachgeschichte. Es schließt sich die Frage an, welche Richtung die weite­re Dialektentwicklung einschlägt (Kap. 6.). Unsere Sprache besteht nicht nur aus den Dialekten auf der einen und dem Hochdeutschen (Standardspra­che) auf der anderen Seite. Zu ihr gehört ebenso der breite Bereich, der zwi­schen den beiden Polen fließend vermittelt. Dialektforscher sprechen hier von Regionalsprache, landschaftlicher Umgangssprache, Regionalakzent usw. Die Betrachtung von Dialekten wäre heutzutage unvollständig, würde man nicht auch einen Blick auf das dialektnahe Teilstück dieses Zwischen­bereichs werfen (Kap. 7.). Sodann wird aufgezeigt, warum für Auswärtige manche Hunsrücker Dialekte besser verstehbar sind als andere (Kap. 8.). Ziel des nächsten Abschnitts ist es zu verdeutlichen, dass auch Dialekte (und nicht nur die Standardsprache) eine Grammatik haben (Kap. 9.). Es folgt der Hauptteil des Buches, der die wichtigsten Sprachmerkmale des Hunsrücker Platt herausarbeitet (Kap. 10. und Kap. 11.).

Die einzelnen Sprachebenen werden in der Darstellung gemäß der For­schungslage (s. o.) unter­schiedlich gewichtet. Ziemlich umfassend sind die lautlichen Erscheinungen und Entwicklungen be­schrieben. Die Formenlehre (Flexion) wird nur exemplarisch behandelt, Wortbildung und Syntax über­haupt nicht.

Im Gegensatz zur Grammatik ist der Wortschatz der Hunsrücker Dia­lekte hervorragend dokumen­tiert. Das leistet das neunbändige Rheinische Wörterbuch (1928-1971), dessen Arbeitsgebiet sich aus der ehemaligen preußischen Rheinprovinz rekrutiert. Das vorliegende Werk bietet eine kur­ze Charakteristik des Hunsrücker Wortschatzes mit sprachgeschichtlich-etymologischer Betrachtung einiger Beispielwörter (Kap. 12.). Ein Blick fällt auch auf die Lehnwörter aus dem Lateinischen, Französischen, Jiddi­schen und Rotwelschen (Jenischen). Die das Wortschatz-Kapitel begleiten­den Karten rekrutieren sich aus dem Erhebungsmaterial des Mittelrheini­schen Sprachatlasses oder sind Umzeichnungen von Karten des Rheinischen Wörterbuchs (Karte 58 Möhre) oder des Rheinischen Wortatlasses (Karte 60 Stachelbeere).

Im 19. Jahrhundert sind Hunsrücker aus wirtschaftlicher Not zu Tausenden nach Brasilien ausgewandert. Dort ließen sie sich in Kolonien nieder. Ihre Nach­fahren haben die dazumal mitgebrachte Sprache sowie die alten Sitten und Gebräuche bis heute bewahrt. Ein Buch über das Hunsrücker Platt wäre un­vollständig, würde es nicht zumindest kurz auf das Hunsrückisch in Brasili­en eingehen (Kap. 13.).

Nicht unmittelbar zum Dialekt gehören Familien-, Gewässer- und Orts­namen, auch wenn sie mitunter eine mehr oder weniger starke dialektale Prägung aufweisen. Mit ihnen befasst sich eine eigenständige Teildisziplin der Sprachwissenschaft, die Namenkunde (Onomastik). Wenn in diesem Dialektbuch dennoch einige Hunsrücker Familiennamen sowie manche Ge­wässer- und Ortsnamen keltischen Ursprungs zum Thema werden (Kap. 14.), so hat das folgende Gründe: Wie der Dialektwortschatz zeigen auch große Bereiche des Familiennamenschatzes eine spezifische Verbreitung im Raum. So wie es begrenzt vorkommende regionaltypische Wörter gibt, gibt es auch begrenzt vorkommende regionaltypische Namen, die zudem teil­weise im Dialekt verankert sind. Der Zusammenhang zwischen Dialekt und Familienname wird in diesem Buch anhand einiger Beispiele demonstriert. Die exemplarische Behandlung von keltischen Fluss- und Ortsnamen will die weit zurückreichende historische Dimension der Sprache in unserem Raum vor Augen führen.

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