August 1914: Kriegsbegeisterung in Mainz
Der in unserem Geschichtsbuch (Anno 4, S. 242) abgedruckte Bericht des Mainzer Schriftstellers Carl Zuckmayer bestätigt, was die alten Dokumente im Schularchiv über die Haltung der Lehrer und Schüler unserer Schule zum Kriegsausbruch im August 1914 wiedergeben:
Die deutschen Zöllner, sonst unbeteiligte, gleichgültige Beamte, hatten uns Heimkehrende mit einer fast freudigen Herzlichkeit begrüßt. „Es geht los", sagte der Eine oder andere, „morgen muss ich einrücken." Das hatte etwas von einem heiteren Stolz, einer frohen Zuversicht, als ginge es zu einem Schützenfest oder einer Hochzeitsfeier. Der Zug füllte sich mit Urlaubern und Reservisten. Fast alle hatten lachende, ja strahlende Gesichter, man sah keinen, der betrübt, nachdenklich, unsicher wirkte. „Wir haben es nicht gewollt", sagten viele, „aber jetzt heißt es die Heimat schützen." Der große Bahnhof [in Köln] hallte und dröhnte: von Marschtritten, Fahrgeräuschen, Liedern, Geschrei, dem Rasseln einer Geschützverladung, Pferdewiehern, Hufknallen auf der harten Rampe: ein Regiment oder mehrere rückten ab. Wir hatten uns auf dem Bahnhof Extrablätter ergattert: noch war die Mobilmachung nicht offiziell, noch war kein Krieg erklärt, aber niemand dachte mehr an Frieden. Der Morgen dämmerte. Es war Samstag, der 1. August. In unserer Gegend, der Mainzer Neustadt, war alles totenstill. Aber von der Stadtmitte her hörte man ein leises Brausen von vielen Stimmen, Gesang, Militärmusik. Ich lief in die Stadt. Je näher ich dem Schillerplatz kam, desto dichter wurde das Gedränge: so ging es sonst nur zu, wenn an Fastnacht der Rosen-montagszug erwartet wurde. Aber die Stimmung war anders. Nichts von müßiger Neugier, so als hätte jeder etwas Dringendes, Unaufschiebbares zu tun. Mitten durch die Menschen marschierten kleine Kommandos, die an den Straßenecken noch druckfeuchte Plakate anschlugen, darauf stand in großen, weithin lesbaren Buchstaben: „Seine Majestät der Kaiser hat die Mobilmachung angeordnet. Erster Mobilmachungstag ist der 2. August."
Wer damals dabei war, hat diesen Text nie vergessen. Noch einmal fanden wir uns im Schulsaal ein um das Notabitur zu absolvieren. Fast alle waren bereits in Uniform und die, die noch nicht Soldat waren, fühlten sich unglücklich und beneideten uns. Die Uniform gab auch dem schlechtesten Schüler noch einen Zug von Manneswürde, gegen die der Lehrer machtlos war. Es wurden uns nur die leichtesten Fragen gestellt. Das Abitur wurde zu einem Familienfest. Der Rektor bezeichnete uns als junge Helden und drückte sogar mir, seinem schwarzen Schaf, markig die Hand.
(nach: Funkkolleg Jahrhundertwende, Studienbegleitbrief 6, S. 58 ff., gekürzt)
Wer kann die Schriften auf dem Foto entziffern?