Ingelheim in Rheinhessen

St. Johann in Groß-Winternheim

Das Bild zeigt die katholische Kirche St.Johann mit ihrem romanischen Westturm (ca.900).
Katholische Kirche St. Johann[Bild: Harald Strube]

Der dreiseitig geschlossene Saalbau der katholischen Kirche stammt aus den Jahren 1760-64. An der Südwestecke befindet sich ein ungegliederter Turm. Erwähnenswert ist der Fluchtturm aus dem 10. Jahrhundert, der bis zum Jahre 1662 von außen nur durch ein Pförtchen, das fünf Meter über dem Boden lag, mit Hilfe einer Leiter zu erreichen war. In der Kirche befindet sich eine Orgel, welche 1796 von Johannes Kohlhaas dem Jüngeren erbaut wurde.


Die Kohlhaas-Orgel in Groß-Winternheim (Dr. Hans Joachim Stenger)

Das Bild zeigt die Orgel, welche von Johann Kohlhaas 1769 gebaut wurde.
Das Bild zeigt ein weiteres Bild von der Orgel, die 1769 von Johann Kohlhaas gebaut wurde.

Der Historiker, ehemalige Orgelbauer und langjährige Pfarrer von Schwabenheim, Dr. Ludwig Hellriegel, schrieb am 10. Januar 1971 in der Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des katholischen Kirchenchores Cäcilia, Groß-Winternheim: "Die Orgel in der katholischen Pfarrkirche zu Groß-Winternheim ist die älteste und interessanteste Orgel der näheren Umgebung."
Dass Hellriegel recht hatte, bestätigt die prächtige Fassade auf der rückseitigen Empore in der Kirche: unten ein kleines Brustwerk und darüber weit ausladend ein kraftvolles, bis zur Decke reichendes Hauptwerk. Bei genauem Hinsehen fällt jedoch auf, dass einige Prospektpfeifen schief hängen, Pfeifenfüße und Schleierbretter fehlen. Damit ist die Misere der Orgel schon rein äußerlich angedeutet. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man sie hören will. Falls ein Spiel auf der schwergängigen Tastatur überhaupt möglich ist, erklingen heute nur noch jämmerliche Laute.  Sicher, die Orgel hat wohl schon einmal besser geklungen.
Die ursprüngliche Disposition ist nicht genau belegt. Erste Unterlagen im Pfarrarchiv stammen aus dem Jahr 1837. Der Mainzer Orgelbauer Köhler machte damals einen Kostenvoranschlag für eine Verbesserung des Werkes, das offensichtlich zu diesem Zeitpunkt in die Jahre gekommen war und seine Aufgabe nicht mehr gebührend erfüllen konnte. Er plante eine Disposition mit 14 Manual- und 3 Bassregistern. Diese hatten aber im Gehäuse keinen hinreichenden Platz gefunden. Die Erweiterung der Orgel war notwendig, weil Kohlhaas zwar ein prächtiges, künstlerisch wertvolles Gehäuse geschaffen hatte, das allerdings einen Fehler hatte: die Pfeifenmensuren konnten nicht die Kraft entwickeln, die für einen Raum der entsprechenden Größe notwendig war. Außerdem wies der Prospekt zweifelsfrei auf  eine zweimanualige Orgel mit Brust- (=Positiv) und Hauptwerk hin. Mag sein, dass diese Idee wegen mangelnder Mittel nicht realisiert werden konnte.  Das verkürzte und wenig bestückte Pedal war in dieser Zeit für Dorfkirchen durchaus normal, denn die Orgel diente im Wesentlichen der Liedbegleitung bei den Gottesdiensten und wurde meist vom Dorfschullehrer nebenbei gespielt.
Der Organologe Franz Bösken schreibt 1967, dass die von Orgelbauer Dreymann 1852 wiedergegebe Disposition die ursprüngliche gewesen sei. Dies ist aber nicht belegt und muss bei der Restaurierung durch genaue Ladenbefunde verifiziert werden. Ob dies nach den vielfachen Umbauten, zuletzt 1978, noch möglich ist, darf mit Recht bezweifelt werden, zumal von dem Erbauer des Werkes, Johannes Kohlaas (=Kohlhaaß), dem Jüngeren, keine weiteren Orgeln mehr erhalten sind. Lediglich in Obersaulheim lassen sich noch deutliche Kohlhaas-Spuren ausmachen.
Heute ist das Pfeifenwerk stark zusammengestückelt. Etwa ein Viertel des Gesamtbestandes dürften noch aus der Werkstatt Kohlhaas stammen: Die Lötfarbe an den Nähten ist nicht abgewaschen. Das große C (Principal 8') enthält auf dem Kern noch die für Kohlhaas typische Signatur "C". Ansonsten wirkt das Pfeifenmaterial mangelhaft: verbeulte Körper und Füße, zerdrückte Kernspalten, primitive Dichtungen an den Hüten, fehlende Stimmvorrichtungen, eingerissene Stimmschlitze u.a.m.  Die Prospektpfeifen stammen  aus dem Jahr 1929, als der Frankfurter Orgelbauer Dülk, die im ersten Weltkrieg zwangsweise abgegebenen Zinnpfeifen durch Zinkpfeifen ersetzte. Zum Teil wurden defekte Pfeifen willkürlich ohne Beachtung der Mensuration durch andere ersetzt. Eine Stimmung ist von daher nahezu unmöglich.
Die ursprünglichen Windladen sind noch erhalten. Die Manuallade ist aus einem Stück und innen mit Papier abgedichtet. Die Abzugsdrähte laufen durch Bohrungen in Elfenbeinstreifen. Die Durchgangslöcher sind im Lauf der Zeit ausgeschlagen und somit undicht. Im Wesentlichen ist die Windlade aus Eiche zwar historisch, aber in einem mangelhaften Zustand. Die mehrfache Änderung der Disposition im Lauf der Zeit hat auch hier ihre Spuren hinterlassen: Löcher im Pfeifenstock sind zugedübelt, nebeneinanderliegende Schleifen sind durch Merantiholzbrücken miteinander verbunden, und die Pfeifen eines Registers stehen auf zwei Schleifen. Die zweiregistrige Pedallade ist durch eine zweite (historische) dreiregistrige Lade ergänzt, weil man 1978 den Pedalumfang erweitert hat.
Die gesamte Traktur stammt aus der letzten Umbauphase in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Sie ist aus Aluminiumdrähten mit Aluwinkeln, allerdings optisch sehr ungeschickt verlegt. Damit die Drähte – besonders die langen für die Manualtraktur nicht durchhängen, sind befilzte Traversen unterlegt, was zu Schwergängigkeit führt. Einzelne Töne gehen so schwer, dass der Organist Einmachgummis anbrachte, damit die Ventile wieder schließen. 1978 wurde auch eine gebrauchte zweimanualige Spielkonsole eingebaut. Allerdings ist nur ein Manuale und das Pedal angeschlossen.
Über der Notennische befinden sich nebeneinander angeordnet die Registerzüge für das Manual. Allerdings gibt Lücken zwischen den einzelnen Zügen. Die dahinterliegende, schräg nach oben führende Registertraktur ist noch nahezu komplett vorhanden, so dass eine Rekonstruktion leicht ausführbar ist. Die Registerzüge lassen sich heute nur mit einem enormen Kraftaufwand betätigen. An der rechten Seite der Spielkonsole sitzen die beiden Pedalregisterzüge übereinander. Das dahinter liegende monströse Holzgestänge stammt aus der letzten Umbauphase. Die Spielnische ist primitiv in das alte Gehäuse eingesetzt worden: Der kastige Einbau ist aus lackiertem Meranti. Original sind lediglich die gedrechselten Manubrien; einige davon sind nach dem Umbau entfallen und wurden als Türgriffe am Hintergehäuse verwendet.
Die Gebläseanlage stammt auch aus den 70er Jahren. Der Ventus musste kürzlich ersetzt werden, da ein Organist vergessen hatte, diesen auszuschalten. Der einseitige scharnierte Schwimmerbalg erzeugt den nötigen Windruck durch Harmoniumbalgfedern und einen Weinbergsstein. Die Windführung erfolgt durch Papier-Alu-Flexibelrohr in die Laden. Das Gehäuse ist weitgehend erhalten, wenngleich Füllungen verändert wurden und die zahlreichen Umbaumaßnahmen ihre Spuren hinterlassen haben.
Die obige Erörterung führt zu folgendem Ergebnis:

  1. Die Orgel ist ein einmaliges historisches Monument und von daher erhaltenswert.
  2. Nur eine grundlegende Restaurierung kann die Orgel wieder spielbar machen und vor weiterem Zerfall retten.
  3. Die Restaurierung stellt den soweit bekannten Ursprungszustand und die dahinter stehende Konzeption der Orgel wieder her.

Aufgrund der Quellenlage ist die folgende Disposition geplant:

Hauptwerk (II. Manual) C – d3

  • Principal 8' (Prospekt)
  • Octav 4'
  • Viol di Gamba 8' Bass
  • Viol di Gamba 8' Disk
  • Gedackt 8' Bass
  • Gedackt 8' Disk
  • Flöth 4'
  • Octav 2'
  • Quintflöt 1 1/3' – 2 2/3'
  • Terz 1 3/5'
  • Trompet 8' Bass
  • Trompet 8' Disk
  • Mixtur 1' 3 f.

Unterwerk (I. Manual) C – d3

  • Principal 4' (Prospekt)
  • Hohlpfeife 8' Bass
  • Hohlpfeife 8' Disk
  • Solicional 8' Disk
  • Flauth travers 8' Disk
  • Rohrflöth 4'
  • Octav 2'
  • Quinte 1 1/3'
  • Vox humana 8' Bass
  • Vox humana 8' Disk

Pedal C – d0

  • Subbass 16'
  • Octavbass 8'

Nachweise

Verfasser Text Kohlhaas-Orgel: Dr. Hans-Joachim Stenger

Redaktionelle Bearbeitung: Ann-Kathrin Zehender, tb

Literatur:

  • Dehio, Georg: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Rheinland-Pfalz, Saarland. 2. Aufl. München 1985.
  • Landesamt Denkmalpflege (Hrsg.): Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Band 18.1: Kreis Mainz-Bingen. Bearb. v. Dieter Krienke. Worms 2007.

Aktualisiert am: 28.08.2014