Bibliothek

3.2 Die Mühlen der Justiz

Zur Delinquenz zwischen Amerikanern und Deutschen in Koblenz gehört nicht nur eine Untersuchung der begangenen Straftaten, sondern auch die Erforschung der behördlichen Prozesse zur Aufklärung und Verhandlung eben dieser; des Weiteren ein Bericht über das verhängte Strafmaß und die Vollstreckung.

Amerikanische Felddienstübungen, 1920/22[Bild: Stadtarchiv Koblenz, FA 4,45 Nr. 3]

Verständlicherweise kann an dieser Stelle nur die Art und Weise der Aufklärung jener Delikte dargelegt werden, die sich auch als Bericht in den Quellen erhalten hat. Über diese amerikanische Polizei- und Gerichtsarbeit ist ansonsten nur wenig bekannt. Nachfolgende Ausführungen sind demnach aus den Koblenzer Akten entnommen. Nur vereinzelt fanden sich Darstellungen von behördlich geplantem Vorgehen zur Aufklärung und Verhandlung von Delikten. Vielmehr geben die diversen aktenkundigen Fallbeschreibungen nebenher etwas zur Aufklärung preis, d. h. der Suche nach Beweismitteln und der Festnahme der Tatverdächtigen. Dementsprechend gibt es keine Beschreibung eines Standardvorgehens der Behörden. Dennoch ließ sich aufgrund der vielen kleinen Hinweise aber eine Art standardisierter Ablauf der Delinquenzaufklärung und –verhandlung ermitteln.

Zunächst mussten die Militärbehörden von einer Straftat erfahren. Dies geschah meist auf vier unterschiedliche Arten: Oft kam es vor, dass US-Beamte die Delinquenten vor Ort bei der Ausübung einer Straftat ertappten. Oder Dritte teilten den US-Behörden mit, dass eine Straftat erfolgt war. Diese waren entweder unbeteiligte Zeugen der entsprechenden Tat oder als Geschädigte unmittelbar daran beteiligt. Des Weiteren erfuhren sie durch deutschen Behörden von begangenem Unrecht, das in amerikanischen Zuständigkeitsbereich fiel. Auch setzte die MP Spitzel bzw. verdeckte Beamte ein, um Straftaten aufzudecken. Von amerikanischer Seite wurde diese Praxis jedoch offiziell bestritten.[Anm. 1]

Hinweise auf etwaige Erfolgsquoten bei der Aufklärung von Straftaten konnten während der Erstellung dieser Arbeit nicht gemacht werden. Die dazu nötige Auswertung der vielen Akten zu Sachschäden und Schadenersatz im Hinblick auf angezeigte aber ungelöste Fälle hätte den Rahmen dieser Arbeit deutlich überschritten. Weiterhin darf angenommen werden, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt, da während der Besatzung und insbesondere in ihrer ersten Hälfte deutsche Geschädigte oft nicht wagten eine Straftat anzuzeigen. Gründe hierfür lagen in der Frucht vor Repressalien durch die Täter oder einem Abweisen der Anzeige durch das Gericht wegen mangelnder Beweise. In so einem Fall war es durchaus üblich, den eigentlichen Geschädigten selbst wiederum wegen Beleidigung anzuzeigen. Um sich dagegen abzusichern, wandten sich die Geschädigten auch häufig zunächst an deutsche Behörden oder Funktionäre, die dann den Fall an amerikanische Stellen weitergaben.

„The difficulties confronting the military authorities in apprehending soldier criminals were further increased by the fact that the Germans generally seemed to be afraid to make a complaint direct to American officers, but delayed their complaint until they could transmit it through their Bürgermeister. The result of this timidity was very unfortunate, inasmuch as the American authorities usually did not learn of the misdeed until several days after it had been committed. It was by that time, of course, difficult to find the offender.”[Anm. 2]

Moderne Grundsätze der nach einer Anzeige folgenden polizeilichen Tätigkeit, wie z. B. die Beweismittelsammlung bzw. Zeugenbefragung und letztlicher Festnahme des Verdächtigen, werden in den Quellen nicht beschrieben. Die untersuchten Koblenzer Überlieferungen schweigen sich über die konkreten Abläufe bis hin zum Prozessbeginn aus.

Stattdessen scheint es gängige Praxis während der gesamten Besatzung gewesen zu sein, die Verdächtigen sofort festzunehmen, die Personalien aufzunehmen und mittels Anklagebögen den gerichtlichen Prozess einzuleiten.

Sofern die Verdächtigen nicht umgehend ihre Unschuld beweisen konnten, wurden sie in Untersuchungshaft ins Koblenzer Gefängnis[Anm. 3] verbracht. Problematisch bei diesen Praktiken war, dass amerikanische Behörden zwar Tagesberichte von ihren deutschen Kollegen bekamen, sie aber umgekehrt nicht verpflichtet waren deutsche Stellen über

Verhaftungen zu informieren. Erst im Herbst 1920 begannen US-Behörden damit, täglich Verhaftungslisten zu erstellen und entsprechend weiterzuleiten. Zuvor war es den Deutschen kaum möglich von Verhaftungen und Klagen gegen Koblenzer Bürger zu erfahren und eventuell Rechtsbeistand zu leisten.[Anm. 4]

Die Faktenlage zum gerichtlichen Umgang mit Delinquenz während der Jahre 1918/1919 ist bedauerlicherweise sehr dünn. Erst mit dem Jahr 1920 beginnt eine stichhaltigere Darstellung der Gerichtsverhandlungen. Zuvor gestalteten sich die Verhandlungen so, dass die Delinquenten allein vor das Gericht traten, sich bis zu einem gewissen Grad rechtfertigen durften und das Gericht danach ein schnelles Urteil fällte. Dass bei jeder dieser frühen Verhandlungen ein Dolmetscher anwesend war, ist nicht gesichert. Die Urteile wurden meistens ohne Begründung verlesen und galten unverzüglich.[Anm. 5]

Die bis dato am häufigsten vorgekommen Deliktarten haben sich mit den dazugehörigen Strafbemessungen in einem deutschen Verzeichnis erhalten. Die dortigen Ausführungen über Delikte stimmen nicht exakt mit denen in amerikanischen Verstoßlisten überein, doch ist dieses Verzeichnis das einzig erhaltene, was ein exaktes Strafmaß für strafbare Handlungen aufführt.[Anm. 6] Die Strafen waren hart; selbst kleinere Vergehen wurden schnell mit einer Gefängnisstrafe oder hohen Geldstrafen belegt. HENNING bemerkt dazu:

„Anzumerken ist zu diesem ,Vergehenskatalog‘, daß [sic!] die zum Teil drakonischen Strafen nicht die deutsche Bevölkerung tyrannisieren, sondern entscheidend die amerikanischen Armeeangehörigen von der Beteiligung an Straftaten abschrecken sollten.“[Anm. 7]

Demnach waren die US-Soldaten ebenso den Gerichten unterworfen und von den harten Strafen betroffen.[Anm. 8] Ob sie nach dem selben Vergehenskatalog bestraft wurden, bleibt aus Mangel an Belegen fraglich. Amerikanische Behörden äußerten stets, dass ihre Armeeangehörigen bei Vergehen in ebenso strenger Weise abgeurteilt wurden, doch bestanden Seitens der deutschen Bevölkerung dahingehend erhebliche Zweifel.[Anm. 9] Innerhalb dieser Untersuchung konnte die Frage nach der gerechten Verurteilung von Deutschen und Amerikanern gleichermaßen nicht geklärt werden.

Mit dem formalen Ende des Krieges und der folgenden Entspannung, erstritten deutsche Behörden und insbesondere der Reichskommissar für die besetzten Gebiete vor der IRKO bessere rechtliche Rahmenbedingungen für die besetzten deutschen Bürger. Zuvor hatte es auch in der amerikanischen Zone wiederholt Beschwerden über zu harte oder falsche Urteile sowie undurchsichtige Verhandlungsmethoden der amerikanischen Militärgerichtsbarkeit gegeben.[Anm. 10]

„Ohne mir eine Kritik an dem Verhandlungsmodus der gegenwärtigen Provost-Gerichtshöfe gestatten zu wollen, möchte ich doch darauf hinweisen, dass diese Gerichtshöfe auf die Bevölkerung im allgemeinen [sic!] den Eindruck von Kriegsgerichten machen; zu Kriegszeiten mögen solche Gerichtshöfe berechtigt gewesen sein, aber in Friedenszeiten erscheinen sie der Bevölkerung nicht am Platze.“[Anm. 11]

Der genaue Ablauf amerikanischer Gerichtsverhandlungen bis zum April 1921 ist nicht überliefert. Erst danach erläutert ein Bericht des obersten Richters Goodrich den exakten Fortgang einer Verhandlung.[Anm. 12] Aus dem Bericht wird nicht nur die allgemeine Prozessordnung erkennbar, sondern es fallen ebenso Veränderungen zu den vagen Beschreibungen früherer Prozesse auf: Die wichtigste Neuerung ist der nun vorhandene Anspruch auf einen Rechtsbeistand.

 „Die Tätigkeit des Verteidigers besteht neben der Aufklärung des Sachverhalts hauptsächlich in der sofortigen Heranschaffung des etwaigen Beweismaterials, da die Verhandlungen durchweg schon 1-2 Tage nach der Verhaftung stattfindet.“[Anm. 13]

Demnach war es vorher für die Angeklagten allein kaum möglich dem Gericht zeitnah entlastendes Material zu liefern, da sie sich zum Anklagezeitpunkt zumeist schon in Untersuchungshaft befanden. Für deutsche Delinquenten tauchen in den Quellen wiederholt die Anwälte Peters und Treidel sowie ein namentlich nicht erwähnter Justizrat auf. Außerdem bestellte die Stadt Koblenz im Februar 1922 für mittellose Bürger einen Armenanwalt, nämlich den Stadtverordneten Schwink. Er setzte sich, sehr zum Ärger der Amerikaner, die ihm ständige Übertretung von Befugnissen vorwarfen, leidenschaftlich für das Wohl seiner Klienten ein und erwirkte oftmals die Abmilderung von Strafen. Die Kosten dafür trug die Stadt. Der Koblenzer OB Russell sorgte nach seinen Möglichkeiten für die amtliche Rückendeckung der Anwälte und versuchte die Bearbeitung eingereichter Gnadengesuche seinerseits positiv zu beeinflussen.[Anm. 14] Außerdem konnte nun auch noch nach der Verurteilung ein Anwalt hinzugezogen werden, um den Verurteilten bei der Revision zu unterstützen.[Anm. 15] Zudem war es den Angeklagten nun möglich, Zeugen vorzubringen, um den eigenen Standpunkt zu festigen oder den Ankläger direkt zu befragen.[Anm. 16]

Amerikanische Weihnachtspostkarte[Bild: Stadtarchiv Koblenz, FA 1 Nr. 5]

Eine weitere wichtige Neuerung mag auf den ersten Blick nichtig erscheinen: Erstmals wurde dem Angeklagten die Anklageschrift vorgelesen, d. h. zuvor war den Delinquenten oft nicht klar, für welches Vergehen genau sie nun eigentlich vor Gericht standen.[Anm. 17] Dennoch wird auch aus dieser Prozessordnung[Anm. 18] an den Punkten 21) und 22) ersichtlich, dass die Amerikaner die Fälle so schnell wie möglich, d. h. zulasten der Gründlichkeit abschließen wollten. Weiterhin bestand die deutsche Kritik an der Praxis Verdächtige sofort zu verhaften und sie so ohne Vorwarnung aus ihrem Alltag zu reißen.[Anm. 19] Ferner gab es abermals Probleme bei Beweismitteln, die von den Gerichten jedoch nicht anerkannt wurden.[Anm. 20]

Ein weiteres Problem bestand in den vorkommenden doppelten Verurteilungen: Zuweilen wurden Delinquenten sowohl von deutschen als auch amerikanischen Gerichten zu Strafen verurteilt. Dies lag darin begründet, dass einige Taten im geltenden deutschen Recht gesetzeswidrig waren und ebenso gegen amerikanische Verordnungen verstießen.

Statt dass nur eine der beiden Seiten Anklage erhob, kam es vor, dass beide Seiten einen Prozess anstrengten. Von deutscher Seite wurde dieser Missstand zwar immer wieder kritisiert, doch gab es auch Verfechter dessen, die auf eine abschreckende Außenwirkung hofften.[Anm. 21]

Ein grundlegendes Problem bestand im Nichtanzeigen einer Straftat. Insbesondere die besetzten Deutschen fürchteten die Anzeige von amerikanisch begangenem Unrecht, da sie, im Fall einer Zurückweisung der Klage oder einem negativ ausfallenden Gerichtsverfahren, selbst wiederum wegen Beleidigung eines Angehörigen der Besatzungstruppen angezeigt wurden und ihnen dann hohe Strafen drohten. Außerdem fürchteten sie die Rache der angezeigten Amerikaner, insbesondere wenn diese bei den Geschädigten einquartiert waren. Zusammen mit dem allgemeinen Misstrauen in die US-Justiz sorgte dies für eine ganze Reihe unaufgeklärter Fälle.[Anm. 22]

Außerdem gab es wiederholt Kritik an dem grassierenden Spitzelwesen der Amerikaner. US-Behörden setzten sowohl Deutsche als auch Amerikaner zur verdeckten Aufklärungsarbeit von Vergehen oder Infiltrierung von kriminellen Organisationen ein. Diese Kräfte überschritten jedoch wiederholt ihre Befugnisse und provozierten bzw. zwangen Verdächtige und auch unbescholtene Bürger unter Vorwänden (zum Teil auch mit vorgehaltener Waffe) zu verbotenen Handlungen, wie etwa dem Ausschenken von verbotenem Alkohol. Danach zeigten sie die Delinquenten entweder an oder nahmen sie an Ort und Stelle fest. Gegenüber deutschen Behörden bestritt man das Vorhandensein dieser Aktivitäten vehement und verurteilte derartiges Tun offiziell aufs Schärfste. Diesem Treiben wurde letztlich im Dezember 1920 mit der IRKO-VO 66 Einhalt geboten, sodass generell

Anstifter die gleichen Strafen zu befürchten hatten, wie die Angestifteten.[Anm. 23]

War ein Urteil gesprochen, hatte der Delinquent nur eine Möglichkeit, die Vollstreckung abzuwenden bzw. abzumildern: Er musste ein Gnadengesuch mittels eines direkten Schreibens an Col. Stones Büro stellen. Bis der Gnadenhof zu Beginn des Jahres 1921 seine Arbeit aufnahm, entschied Stone allein über den Ausgang eines Gesuchs. Stone empfand im Hinblick auf die scheinbar standgerichtlichen Zustände die Einrichtung einer unabhängigen, objektiven und letztlich umfassend bevollmächtigten Gnadenkommission für wichtig und richtig. Fortan landeten alle Gesuche, ganz gleich wer sie stellte und unterstützte, bei dieser Kommission.[Anm. 24]

„Ferner soll die Commission ermächtigt sein [sic!] eine Verkürzung oder gänzliche Aufhebung der Frieheits- [sic!] bezw. derGeldstrafe [sic!] oder gegebenenfalls beider eintreten zu lassen [sic!] wenn besondere Umstände vorliegen ,die [sic!] eine derartige Massnahme [sic!] rechtfertigen.selbst [sic!] dann wenn die Schuld erwiesen oder zugegeben ist [sic!] kann eine Begnadigung eintreten.“[Anm. 25]

Wie im vorherigen Kapitel beschrieben, bestand der Gnadenhof aus den drei ständigen Mitgliedern, Cpt. Fieker, Maj. Flynn (später Baker) und Dr. Biesten sowie einem Dolmetscher. Mit dem Einsetzen Bakers waren alle Mitglieder zweisprachig. Das Gericht trat nur bei Bedarf zusammen; die Verhandlungen fanden stets in Fiekers Büro im Koblenzer Stadthaus, Zimmer 114, statt.[Anm. 26]

 Bei den Verhandlungen hatte in der Regel Dr. Biesten als erster das Wort, danach Maj. Flynn und schließlich Cpt. Fieker. Biesten war demnach in einer wichtigen, meinungsbildenden Position, die den weiteren Verhandlungsverlauf grundlegend prägte. Seine bedingungslos objektive Aufarbeitungs- und Verhandlungsart wirkte sich für die Delinquenten daher durchaus vorteilhaft aus. Besonders kleinere Vergehen und Übertretungen, wie z. B. der Besitz von US-Heeresgut ohne entsprechende Papiere, wurden in der Regel milde behandelt.[Anm. 27]

„Oberst Stone führte dann aus, dass er annehme, dass der Verurteilte durch die teilweise Vollstreckung gewarnt, im Falle der Gnade sich eher vor zukünftigen Verfehlungen hüten werde, als wenn er durch den Strafvollzug und Umgang mit verdorbenen Häftlingen verbittert werde.“[Anm. 28]

Demgegenüber wurde unbelehrbaren Wiederholungstätern und gewerbsmäßig agierenden Rauschgifthändlern, Schleichhändlern und Schmugglern grundsätzlich keine Gnade gewährt.[Anm. 29]

„Es geschieht dies mit Rücksicht auf die üblen Folgen, welche der Genuss von Brantwein [sic!] und Cocain [sic!] bei den Soldaten hervorruft, z. B. Ueberfälle [sic!], Vergewaltigungen etc.“[Anm. 30]

Die Arbeit des Gnadenhofs wurde von Deutschen wie Amerikanern gelobt. HENNING beziffert für die Monate März bis November 1921 über 198 Gnadengesuche, von denen etwa 120 ganz oder teilweise gewährt wurden.[Anm. 31] Woher genau diese Zahlen stammen und wie viele Fälle davon das Koblenzer Gebiet betreffen, ist unklar. Weiterhin führt HENNING aus, dass für die übrige Zeit kein weiteres Zahlenmaterial vorläge, was nur zum Teil zutrifft: Es finden sich noch weitere Verstoßlisten: Eine für den Monat Dezember

1919, drei weitere für die Monate Februar bis April 1921 sowie weitere Listen für die

Monate Mai bis Oktober des Jahres 1922.[Anm. 32] Alle Listen enthalten exakte, zahlenmäßige Angaben über Delikte, Anklagen, Verurteilungen und Strafmaß, wobei dort jedoch keine Angaben über den Ort, Zeit oder Täter gemacht wurden und Ausführungen über die Beteiligung des Gnadenhofs ebenfalls fehlen. Zusammengenommen geben diese 10 Listen folgende Auskunft: 

JahrMonatAngeklagtVerurteilt
1919Dezember12798
1921Februar139122
März10384
April12998
1922Mai245218
Juni241221
Juli125114
August175157
September124104
Oktober152130
Insgesamt 1.5601.346

Die aufgeführten Delikte selbst werden dort nicht näher anhand von Tatbeständen u.ä. erläutert, zum Teil wird auf die dabei geltende Verordnung hingewiesen. Aufgrund der Deliktbezeichnungen wie „Sale of Spirits etc. to troops“ oder „Vagrancy and Prostitution“ könnte angenommen werden, dass es sich um rein deutsche Delinquenten handelt, doch ist die Aufführung amerikanischer Delikte auf diesen Listen mitnichten auszuschließen. Annehmbar wäre, dass es sich dabei um Fälle aus der gesamten Zone handelt, da eine klare Abgrenzung zum Raum Koblenz ist nicht erkennbar ist. Interessanterweise stimmen die aufgeführten Delikte nicht exakt mit dem deutschen Verzeichnis über die Strafbemessungen[Anm. 33] überein.[Anm. 34]

„Vagrancy“ nachweisbar auch von Amerikanern verübt wurden, geben diese Listen nur einen nützlichen Gesamtüberblick. Anhand dessen können Tätergruppen jedoch nicht näher identifiziert oder ausgeschlossen werden; Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 32-34, 132, 143; SA, KO, Best. 623, Nr. 5104, S. 14, 18, 19, 29f., 34. Ursächlich könnten Übersetzungsfehler sein. Vielleicht haben sich die deutschen Übersetzungen dieser Verstoßlisten auch nicht im untersuchten Aktenmaterial erhalten.

Sofern das endgültige Urteil über einen Koblenzer eine Haftstrafe vorsah, wurde diese in der Regel im Koblenzer Gefängnis abgeleistet, das an der Fischelstraße lag. Wo amerikanische Delinquenten ihre Haft verbüßten, ist unbekannt. Die Tage, die bereits in Untersuchungshaft verbracht worden waren, wurden von der noch zu leistenden Strafe abgezogen. Verurteilte Prostituierte, die an Geschlechtskrankheiten litten, wurden zwangsweise in eine Klinik in Bendorf überstellt und dort behandelt, bevor sie in die normale Haft überführt wurden. In Ausnahmefällen wurde die Haftstrafe auch umgewandelt, z. B. in einen entsprechend langen Aufenthalt im Kloster der barmherzigen Brüder in der Florinspfaffengasse oder einer anderen Fürsorgeeinrichtung. Insbesondere verurteilte Jugendliche versuchte man auf diese Art von anderen verurteilten Delinquenten, d. h. einem kriminellen Umfeld fernzuhalten.[Anm. 35]

Das vorliegende Material gibt einen Eindruck von den herrschenden Zuständen bei der Koblenzer Strafverfolgung und ihrem Vollzug. Zunächst noch unter strenger US-Aufsicht, erlangten deutsche Behörden langsam das Vertrauen und den Respekt der amerikanischen Seite. Dazu trug auch der Umstand bei, dass innerhalb des vergleichsweise kleinen Koblenzer Gebiets die Beamten beider dort agierenden Seiten bald miteinander bekannt waren und man sich letztlich auf gemeinsame Ziele verständigen konnte bzw. musste; nämlich grundsätzlich die Verbrechensbekämpfung und Wahrung der öffentlichen Ordnung, sodass im Endeffekt Besatzer wie Besetzte eine möglichst reibungslos ablaufende Besatzungszeit erlebten. Schließlich war allen Beteiligten die zeitliche Begrenzung der Besatzung bewusst.[Anm. 36]

Anmerkungen:

  1. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 190-201.  Zurück
  2. HUNT, S. 214.   Zurück
  3. Genaue Angaben zu diesem Gefängnis finden sich in den Akten nicht; es wird allerdings erwähnt, dass das Gefängnis in der Fischelstraße lag. Zurück
  4. Vgl. HENNING, 1996, S. 79.  Zurück
  5. Vgl. Ebenda, S. 79.  Zurück
  6. Siehe Anhang: Anlage 1 und 2, S. 127f.; Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5104, S. 14.  Zurück
  7. HENNING, 1996, S. 78.  Zurück
  8. Vgl. Ebenda, S.78f.  Zurück
  9. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4560, S. 89.  Zurück
  10. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5775, S. 34f.  Zurück
  11. SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 206f. Zurück
  12. Siehe Anhang: Anlage 3, S. 129.   Zurück
  13. SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 200.  Zurück
  14. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4560, S. 5-7; SA, KO, Best. 623, Nr. 4576, S. 16; SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 199; Da es in Koblenz nur begrenzt juristisch ausgebildetes Personal gab und demgegenüber viele Verhandlungen zu führen waren, war es rechtens den Anwaltsposten auch deutschen Beamten, Lehrern und Geistlichen zu übertragen; Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4560, S. 6, 9.  Zurück
  15. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4560, S. 7f.  Zurück
  16. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 199. Zurück
  17. Vgl. Ebenda. Zurück
  18. Siehe Anhang: Anlage 3, S. 129.  Zurück
  19. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 199; Zu nennen ist hier der Fall eines deutschen Wirts-Ehepaars, die beide für das verbotene Ausschenken von Alkohol eine mehrmonatige Gefängnisstrafe verbüßen mussten und ihrer Wirtschaft demnach der Bankrott drohte; Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4578, S. 37.  Zurück
  20. Hier der Verweis auf einen Fall über den Verkauf von verbotenem Kokain, was von deutschen Chemikern jedoch zweifelsfrei als gesetzlich erlaubtes Novocain erkannt wurde. Das Gericht erkannte die Gutachten nicht an; Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 25.  Zurück
  21. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5534, S. 129; Ein Beispiel für beidseitig verbotene Aktivitäten, die dann entsprechend doppelt verurteilt wurden, war der unerlaubte Waffenbesitz; Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4576, S. 92: Kölnische Zeitung vom 09.01.1921.  Zurück
  22. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4576, S. 87: Koblenzer Zeitung vom 09.01.1921; SA, KO, Best. 623, Nr. 5534, S. 146f.  Zurück
  23. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 161f.; VOGELS, 1925, VO 66 (kein Titel) ergänzend zu VO 2 – Gerichtsorganisation, Art. 23, S. 118, 190; Bei diesen Anstiftungen kam es nachweislich zu mindestens einem Todesfall: Der Futtermittelhändler Weber wurde beim heimlichen Verkauf von Branntwein an einen verdeckten US-Ermittler von diesem erschossen; Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5543, S. 3-17.  Zurück
  24. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 15. Zurück
  25. Ebenda. Zurück
  26. Vgl. HENNING, S. 80; SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 15f. Zurück
  27. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 6. Zurück
  28. Ebenda, S. 16. Zurück
  29. Vgl. HENNING, S. 80f.; SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 15f. 188 SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 16.  Zurück
  30. SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 16. Zurück
  31. Vgl. HENNING, S. 80f.  Zurück
  32. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 32, 132, 143; SA, KO, Best. 623, Nr. 5104, S. 14, 18, 19, 29, 34.  Zurück
  33. Siehe Anhang: Anlage 2, S. 128; Vgl. HENNING, S. 80.  Zurück
  34. Da die Delikte nicht näher erläutert wurden und einige Bezeichnungen wie z. B. „Assault“, „Insult“ oder „Trespassing“ weithin Spielraum für unterschiedliche Auslegungen lassen und ebenso Delikte wie  Zurück
  35. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4579, S. 27; SA, KO, Best. 623, Nr. 4736, S. 41-44; SA, KO, Best. 623, Nr. 4737, S. 10f.   Zurück
  36. Die betroffenen Delinquenten und insbesondere diejenigen, die zu Unrecht oder übermäßig hart bestraft wurden, sahen dies freilich anders. Sie hatten zum Teil über Jahre mit den Folgen ihrer Verurteilung zu kämpfen. Siehe dazu Kapitel 4.4.  Zurück