5. Fazit
„Als Fürst Hatzfeld[t] sich heute früh von mir verabschiedete, drückte er die Hoffnung aus, daß [sic!] unser Bestreben nach Menschlichkeit und der hohe Rechtlichkeitssinn […] noch nicht erschöpft sei. […] Er fügte hinzu, daß [sic!] wir als Feinde gekommen wären und als Freunde schieden – was ein seltener Fall in der Geschichte wäre.“[Anm. 1]
- Maj. Gen. Henry T. Allen, Oberbefehlshaber der AFG im Januar 1923
Wohlwollend und die vorangegangenen Besatzungsjahre beinahe schon verklärend schließt Gen. Allen sein Rheinland-Tagebuch ab. Diese Jahre, vom Einmarsch der Amerikaner am 12. Dezember 1918 bis zu ihrem endgültigen Abzug am 24. Januar 1923, waren für die Beteiligten vor Ort keinesfalls einfach, doch nachdem das anfängliche Misstrauen und die indoktrinierte Verachtung allmählich abgebaut waren, offenbarte sich die Möglichkeit einer mehr oder weniger friedlichen Koexistenz zwischen Deutschen und Amerikanern.
Es war nicht Ziel dieser Arbeit, den Koblenzer Besatzungsalltag in all seinen Facetten nachzuvollziehen oder die insgesamt eher positiv verlaufende Wandlung der gegenseitigen Beziehungen zwischen Deutschen und Amerikanern darzulegen. Vielmehr wurde der Fokus durch die empirische Untersuchung aufgetretener Delinquenz zwischen Besatzern und Besetzten auf eben die Punkte innerhalb des Besatzungsalltags gelegt, bei denen es zu Konfrontationen im Sinne von rechtswidrigen Handlungen zwischen beiden Lagern kam. In dieser Untersuchung wurden sowohl die Fragen nach dem räumlichen und zeitlichen Auftreten von Besatzungsdelinquenz gestellt als auch nach den kausalen Umständen geforscht.
Die Besetzung der Stadt Koblenz und die Abriegelung der sie umgebenden Besatzungszone führten zur Entstehung eines eigenen Mikrokosmos, in dem sich Besatzer wie Besetzte täglich ganz eigenen Herausforderungen stellen mussten. Während die Koblenzer Bürger ihren Alltag im Zeichen des ständigen Mangels materieller Güter bei gleichzeitiger Fügung in ein neues, fremdes Ordnungssystem einer zunächst feindlich gesinnten Macht bestreiten mussten, galt es für die amerikanischen Besatzer nicht nur dieses System in einer ihnen ebenso abschätzigen Umgebung zu etablieren und aufrecht zu erhalten, sondern sich ebenfalls in möglichst gewalt- und störungsfreier Weise in ein lange bestehendes gesellschaftliches und soziales Umfeld einzufügen. Dass gerade dieser Mikrokosmos das Aufkommen von Delinquenz in verschiedenen Punkten begünstigte, hat die vorliegende Untersuchung gezeigt. Inwieweit gleichsam andere Arten von Delinquenz in ihrem Aufkommen durch die Wirkungskräfte der Besatzung gehemmt wurden, lässt sich hingegen nicht beantworten.
Die eingeleitete Abschottung vom Deutschen Reich und anderen Versorgungskanälen ließen die Deutschen innerhalb der Besatzungszone zum Teil existentiellen Mangel leiden. Vermögensdelikte wie Diebstahl oder Schmuggel und das Aufkommen eines Schwarzmarktes wurden durch eben diese Abschottungspolitik begünstigt. Oftmals blieb den deutschen Tätern keine andere Wahl als ihre eigene Not und die ihrer Familie durch solche Handlungen zu lindern. Doch gab es auch professionelle Banden, die glänzende Geschäft mit verzweifelten Kunden machten. Amerikanische Täter erlangten dadurch hingegen ihnen sonst nicht zur Verfügung stehende Waren wie etwa hochprozentigen Alkohol. Ebenfalls dem Konstrukt der Besatzung geschuldet waren die vielen amerikanischen Betrugs- und Diebstahldelikte, die ihren Ausdruck z. B. in unrechtmäßigen Requisitionen bei deutschen Bürgern fanden und erst durch die erdrückende Dominanz der Besatzer über die Besetzten ermöglicht wurde.
Zwar nicht unmittelbar besatzungsbedingt, aber dennoch räumlich begünstigt, waren amerikanische Delikte, die zweifelsfrei auf zu hohen Alkoholgenuss zurückzuführen sind. Dazu gehören insbesondere strafbare Handlungen gegen die Person, wie z. B. die Körperverletzungen. Aufgrund der in den USA vielerorts geltenden Prohibition, waren die Doughboys im Gebrauch von Alkohol oftmals unerfahren. Sie taten allerdings Dienst in einer Gegend, in der dessen Genuss seit Jahrhunderten zelebriert wurde und in der Alkohol eines der wenigen Güter darstellte, die vor Ort in erheblichen Mengen vorhanden waren. Demnach begünstigte die Besatzung entsprechend dieser Umstände ein erhöhtes Aufkommen derartiger Delikte. Der von dem ersten Zitat ausgehende persönliche Frust über das eigene Verbleiben in der Besatzungsarmee statt der ersehnten Heimkehr in die USA spielte ebenfalls eine Rolle. Weiterhin sorgte das Wissen um die eigene, scheinbar unanfechtbare Machtstellung für herrisches Verhalten der Amerikaner gegenüber der Bevölkerung, was sich häufig in Delikten wie Beleidigungen, Bedrohungen und Körperverletzungen widerspiegelte. Auf deutscher Seite wiederum hemmte vermutlich das strikte Gebaren der Besatzungsmacht ein Auftreten von gegen die Person gerichteten Delikten.
Die eigens eingerichteten Militärbehörden zur Verbrechensbekämpfung und Strafverfolgung übernahmen bis etwa zur Mitte des Jahres 1921 weite Aufgabenfelder der Koblenzer Polizei. Der im obigen Zitat genannte „hohe Rechtlichkeitssinn“ der Amerikaner war keineswegs flächendeckend ausgeprägt. Schon kleine Zuwiderhandlungen kamen umgehend zur Anzeige und die von juristisch unausgebildeten Richtern geführten Militärgerichte übten mit ihrer Praxis der schnellen Verurteilung und harten Strafen einen nicht zu unterschätzenden, abschreckenden Einfluss auf die deutsche Bevölkerung aus.
Leider konnte mangels Quellenangaben nicht erforscht werden, wie die Militärbehörden amerikanische Delinquenten behandelten.
Ein Meilenstein in den deutsch-amerikanischen Beziehungen, wie auch in der gerechteren Behandlung von Delinquenten, war die Einrichtung des Gnadengerichtshofs im Frühjahr 1921. Damit war für Verurteilte die Möglichkeit eine Begnadigung zu erwirken wesentlich vereinfacht worden und das Gericht wurde zu einer unverzichtbaren, regulierenden Instanz im Justizsystem der Koblenzer Besatzungsbehörden. Folglich änderte sich auch die deutsche Wahrnehmung von der vormals willkürlichen hin zur gerecht wirkenden amerikanischen Justiz.
Letztlich ist feststellbar, dass Delinquenz zwischen Deutschen und Amerikanern während der Besatzung häufig auftrat. Vermögensdelikte ereigneten sich beiderseits wesentlich häufiger als Delikte gegen die Person. Allerdings nahmen die amerikanischen Straftaten im Vergleich zu den deutschen wesentlich mehr Raum ein, wie sich anhand der tausenden Seiten Aktenmaterial zu deutschen Personen- und Sachschäden zeigt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zwar die prekären Lebensumstände der deutschen Bevölkerung dazu führten, dass eine Vielzahl kleinerer Vermögensdelikte von ihr begangen wurde. Trotz des stetigen Abzugs amerikanischer Soldaten ab dem Sommer des Jahres 1919 blieb die Zahl zur Anzeige gebrachter deutscher Fälle mit anschließender Verurteilung bis zum Ende der Besatzung in etwa gleichbleibend hoch. Es wäre annehmbar gewesen, dass mit schwindender amerikanischer Präsenz auch ihre Autorität verringert wurde und Deutsche daher eher zu Straftaten gegen Besatzungsangehörige verleitet worden wären, doch war dies nicht der Fall.
Dennoch bereitete die Besatzung mit ihren alle Lebensbereiche durchdringenden Konsequenzen die Grundlage für den überwiegenden Teil aufgetretener amerikanischer Delinquenz. Deutsche und Amerikaner begegneten sich keineswegs auf Augenhöhe. Die militärische Übermacht der amerikanischen Besatzer und deutsche Angst vor Repressalien sowie ihre Furcht vor einer Übernahme der Zone durch die noch schlimmer erscheinenden Franzosen schufen einen Raum, in dem es für viele der niederen US-Soldaten den Anschein hatte, sie könnten mittels Faustrecht über alle Stränge schlagen. Ob sich diese Einstellung im Laufe der Besatzungszeit grundlegend änderte, darf bezweifelt werden.
Das Fehlen von Aktenmaterial zur Spätzeit der Besatzung ab etwa 1922 deutet jedoch darauf hin, dass amerikanische Straftaten mit steigender Besatzungsdauer und fortlaufendem Truppenabzug insgesamt seltener auftraten.
Die vorliegende Arbeit soll einen kleinen Beitrag zur umfassenden Erforschung der bisher kaum beachteten Geschichte der amerikanischen Rheinlandbesatzung leisten. Die vorgenommene Erforschung der besatzungsbedingten Delinquenz für den Raum Koblenz kann nur als erster Ansatz einer größeren Untersuchung zum Auftreten von Kriminalität und dem Umgang mit ihr in der gesamten Besatzungszone und weiterführend in allen übrigen Zonen verstanden werden. Wäre dies erst grundlegend erforscht, könnten Schlüsse und Vergleiche zu diesem soziologisch-gesellschaftlichen Phänomen während der gesamten Besatzungszeit gezogen und diese wiederum mit anderen Besatzungen in aller Welt verglichen werden. Außerdem würde eine umfassende Erforschung des Auftretens von Delinquenz und dem gesellschaftlichen wie politischen Umgang mit ihr während der Rheinlandbesatzung dazu beitragen das gängige Verständnis der Besatzungszeit wesentlich zu sensibilisieren, da die daraus erwachsenden Gegebenheiten den Alltag in den besetzten Gebieten nachhaltig und in vielerlei Weise prägten.