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4.4 Auswirkungen und Folgen

Amerikanische Besatzungssoldaten verlassen Koblenz, Januar 1923[Bild: Stadtarchiv Koblenz, FA 1 Nr. 1]

In der vorliegenden Arbeit wurde die während der Besatzungszeit in Koblenz stattgefundene Delinquenz zwischen Besatzern und Besetzten untersucht und dabei nach den rechtlichen Rahmen, den Delikten und Tatbeständen sowie den Ursachen geforscht. Allerdings ist es mit der Untersuchung der Taten und ihren Verurteilungen nicht vollends getan. Vielmehr zog jeder Fall nach dessen Verfolgung noch weitere Kreise, die zum Teil immense Auswirkungen auf das weitere Leben der Täter und der Geschädigten hatten. Auch wirkte sich der Umgang mit der jeweiligen Delinquenz auf den Besatzungsalltag aus. Wie wichtig es für die Untersuchung insgesamt war, sich diesen Auswirkungen zu widmen, zeigen die Schadensakten, in denen die Fälle der Opfer von Straftaten dokumentiert wurden. Die meisten der dort aufgeführten Fälle tauchen in den übrigen Akten nicht auf, sodass im Umkehrschluss nur diese Schadensakten Auskunft über die vorangegangenen Straftaten und deren Hintergründe geben konnten.

An dieser Stelle wird nun nach den Auswirkungen und Folgen der Delinquenz gefragt. Bedauerlicherweise geben die eingesehenen Quellen insgesamt nur wenig Aufschluss über das Schicksal von Opfern und Tätern. Zu den amerikanischen Beteiligten schweigen sich die vorliegenden Überlieferungen fast gänzlich aus. Wie schon mehrfach erwähnt, wurden die meisten Quellen, die Informationen über die gegenüber stehende amerikanische Seite beinhalten, in die USA verbracht und somit dem Zugriff des Verfassers entzogen. Die deutschen Fälle sind jedoch im Hinblick auf die nachfolgenden Geschehnisse in einigen Fällen dermaßen detailliert dokumentiert worden, dass es achtlos gewesen wäre, sie unbehandelt zu lassen. Trotz dieser Umstände und der damit einhergehenden ungleichen Gewichtung zwischen Deutschen und Amerikanern sollen in diesem Kapitel unter exemplarischer Hinzunahme gut dokumentierter Einzelfälle die Folgen der Koblenzer Delinquenz mit dem Fokus auf deutsche Delinquenten und Geschädigte kurz dargelegt werden.

4.4.1 Gesamtheitliche Auswirkungen

Die wohl offensichtlichste und zugleich gewichtigste Folge von wiederholt auftretenden Schädigungen durch Besatzungsangehörige war das drängende Verlangen der geschädigten Deutschen auf Schadensersatz von Sachschäden. Während der Jahre 1918 bis 1919 wurden an Opfer von Requisitionslasten und Sachschäden Schadenersatz vonseiten der Besatzer bezahlt, doch unterlagen diese keiner formellen Regelung und Schadenersatzansprüche entbehrten sie jeder Möglichkeit des Einklagens. Bis ins Frühjahr 1920 gab es angeblich nur in der britischen Zone deutsche Feststellungsausschüsse, die die entstandenen Schäden erfassten. In den anderen Zonen waren solche Ausschüsse verboten; die Feststellung von Schäden und Ersatzansprüchen oblag einzig der Willkür der Besatzer.[Anm. 1]

Im Zuge des Friedensprozesses erlangten deutsche Behörden im besetzten Gebiet langsam ihre Befugnisse zurück. Folglich wurden im März 1920 vom Deutschen Reich Gesetze erlassen, die Schadenersatzzahlungen von Sachschäden durch Behörden der verursachenden Besatzungsmacht vorsahen. Deren Umsetzung traf auf hartnäckigen Widerstand der Besatzungsbehörden, sodass viele der Geschädigten ihre Ansprüche in einem langwierigen Verfahren über den Reichskommissar für die besetzten Gebiete geltend machen mussten. Mit dem förmlichen Anerkennen dieser Entschädigungsgesetze im Mai 1920 durch die Besatzungsmächte besserte sich auch deren Zahlungsbereitschaft bei der Vergütung von Requisitions- bzw. Sachschäden.[Anm. 2]

„Nicht geregelt durch die Reichsgesetze […] werden die Vergütungen für Personenschäden, d, h [sic!] Beschädigungen an Leib und Leben deutscher Zivilpersonen, insbesondere Autounfälle, Überfälle, körperliche Unfälle aller Art. Die Vergütung dieser Personenschäden ist eines der betrübendsten Kapitel auf dem Tätigkeitsgebiet des Reichskommissars.“[Anm. 3]

Aus den Quellen wird erkennbar, dass sich die USA scheuten, eine rechtskräftige Entscheidung über die Vergütung von Personenschäden, verursacht durch ihre Soldaten, zu treffen. Die vielfach gezahlten Entschädigungen waren im Einzelfall nur der Großzügigkeit der Besatzungsbehörden zu verdanken. Allzu oft scheiterten jedoch die Bemühungen von Opfern überhaupt Entschädigungen zu erhalten und je nach Schwere des erlittenen Schadens wurde das Ausbleiben von Zahlungen häufig existenzbedrohlich.[Anm. 4]

Im Reich diskutierte man schon seit dem Ende des Krieges über ein sogenanntes Personenschädengesetz zur finanziellen Unterstützung kriegs- und besatzungsgeschädigter Bürger durch Finanzmittel des Deutschen Reiches.

„Der Vertreter des Reichsministeriums des Innern erklärte, daß [sic!] der Gesetzentwurf mit allen Mitteln gefördert würde, da es das Reich als eine Ehrenpflicht ansähe, den Personen und den Angehörigen von Personen ausreichende Hilfe zu sichern, die infolge der Besatzung Schaden an Leib und Gesundheit genommen hätten.“[Anm. 5]

Dieses sogenannte Gesetz über den Ersatz der durch den Krieg verursachten Personenschäden wurde erst am 15. Juli 1922 erlassen, also zu einem Zeitpunkt als die drückendsten Belastungen der Koblenzer Besatzung schon vorüber waren. Zuvor schoben sich amerikanische und deutsche Behörden in der Zone im Entschädigungsfall gegenseitig die Verantwortung zu bzw. taten sich schwer mit der Auszahlung von Schadenersatz. Sie verwiesen stets auf das bald in Kraft tretende Personenschädengesetz und der damit einhergehenden Übernahme aller Kosten durch das Reich.[Anm. 6]

4.4.2 Opferschicksale

Oftmals hatten Opfer über Jahre hinweg nicht nur mit den körperlichen Folgen zu kämpfen, sondern auch mit der Durchsetzung ihrer Schadenersatzansprüche. Ein Beispiel hierfür wäre der Fall des Dolmetschers Schmitt[Anm. 7], der sich durch ständige Bedrohungen seitens seines amerikanischen Dienstherren ein Nervenleiden zuzog und dauerhaft arbeitsunfähig wurde. Da sowohl die amerikanischen wie auch die deutschen Behörden sein Ansinnen mit der Begründung, er habe sich der Schwierigkeiten seines Dienstes bewusst sein müssen, abgewiesen hatten, erklärte sich schließlich sein ehemaliger Arbeitgeber, die Stadt Koblenz, bereit ausgefallene Gehälter und Behandlungskosten zu übernehmen.[Anm. 8]

Eine Vielzahl von aktenkundigen Fällen zeugt von den existentiellen Schwierigkeiten, mit denen Geschädigte und deren Angehörige zu kämpfen hatten. An dieser Stelle sollen aus den Akten zwei Fälle herausgegriffen werden:

Der Autounfall eines Amerikaners mit den Gebrüdern Steinebach[Anm. 9] im Jahr 1921 resultierte in schweren körperlichen Schädigungen des einen und dem Tod des anderen Bruders. Beide waren unabkömmliche Metzgergesellen in der väterlichen Fleischerei, die jetzt notgedrungen vom selbst kaum mehr arbeitsfähigen Steinebach Senior geführt werden musste. Während die eingeforderten Sachschäden über einen zerstörten Handkarren und Kleidung sowie die Krankenhaus- und Bestattungskosten von amerikanischer Seite erstattet wurden, fand eine Begleichung der tatsächlichen Personenschäden nicht statt. Über die Jahre 1921 bis 1926 erstrecken sich die Fallakten, in denen die Familie um weitere Zahlungen und eine Versehrtenrente für den überlebenden Bruder bei deutschen Ämtern kämpfte. Die spärlichen deutschen Zahlungen waren jedoch inflationsbedingt kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Aus den Dokumenten wird deutlich erkennbar, wie das eigentlich gut laufende Geschäft der Familie durch diesen Unfall bald ruiniert war und die Steinebachs unausweichlich in die Armut abrutschten.[Anm. 10]

Amerikanische Postkarte aus Koblenz[Bild: Stadtarchiv Koblenz, FA 1 Nr. 7]

Gleiches gilt für den Fall des Herrn Brack[Anm. 11], der von betrunkenen Soldaten im Jahr 1920 so schwer misshandelt wurde, dass er eine traumatische Epilepsie entwickelte und seiner Arbeit als Schiffer nicht mehr nachgehen konnte. Die Amerikaner weigerten sich aus unbekannten Gründen die beanspruchte Entschädigung von insgesamt 7.279,98 RM zu zahlen, sodass die Stadt Koblenz folglich die entstandenen Krankenhauskosten über 504 RM sowie eine kleine monatliche Rente über 661 RM zahlte. Dies konnte jedoch auch Bracks Abgleiten in Armut und Verwahrlosung nicht verhindern. Anhand dieses Falls lässt sich hervorragend die horrende Geldentwertung seit 1922 nachvollziehen, da im wöchentlichen Abstand die auszuzahlenden Rentenbeträge neu berechnet werden mussten. Ständig wurden Teuerungszuschläge von mehreren hunderttausend Prozent hinzugerechnet, sodass sich seine Rente in der letzten Feststellung vom Dezember 1923 auf 67.147.000.000.000 RM belief. Die Inflation bedeutete sowohl einen bürokratischen Mehraufwand für die Stadtverwaltung, als auch ein beständiges Absenken des dem Geschädigten eigentlich zugestanden Ersatzwertes.[Anm. 12]

Die aktenkundigen Fälle in den Schadensakten sind größtenteils gut dokumentiert und alle Beschreibungen decken sich letztlich mit den hier exemplarisch angeführten Problemen. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass amerikanische Behörden zwar Sachschäden vergüteten, Personenschäden jedoch in der Regel abwiesen. Die Gründe dafür bleiben zumeist unklar. Womöglich war das wiederholte Ankündigen des Personenschädengesetzes von Seiten des Deutschen Reiches über Jahre hinweg auch ein gewichtiger Faktor, der dazu beitrug, dass amerikanische Stellen ihre eigentliche Verantwortung auf das Reich abwälzten und keinen eigenen Handlungsbedarf sahen.

4.4.3 Täterschicksale

Zu den Schicksalen deutscher Delinquenten können leider keine umfassenden Ergebnisse präsentiert werden, da die entsprechenden Fallakten insgesamt lückenhaft sind und nur selten Auskunft über weitere Geschehnisse nach der Verurteilung geben. Über die Haftbedingungen ist ebenso wenig überliefert wie zum gesellschaftlichen Umgang mit entlassenen Straftätern und ihrem folgenden sozialen Status innerhalb der Koblenzer Gemeinschaft. Einzig zur Preistreiberei und zum Handel mit verbotenem Alkohol, d. h. zu Straftaten, die über den Umweg der amerikanischen Beteiligten letztlich auch deutsche Bürger wieder schädigen könnten, scheinen die wenigen Quellenverweise Einigkeit in Form von genereller gesellschaftlicher Ablehnung solcher Delikte und ihrer Täter zu zeigen.[Anm. 13]

Die wenigen Beschreibungen jener Täterschicksale haben sich nur deshalb erhalten, weil ihre Akten im Zuge von Begnadigungsverfahren fortgeführt wurden. Die dort angeführten Begründungen für eine Begnadigung geben wiederum Aufschluss über das weitere Leben des Delinquenten.

Wiederholt finden sich Bitten um eine Begnadigung oder wenigstens eine Verkürzung der Haftstrafen. Ursächlich ist in diesen Fällen meistens die familiäre Not der Angehörigen, die sich noch weiter verschärfen würde, wenn der Verurteilte in Haft ginge. Demnach waren die Delinquenten, insbesondere bei den Diebstahldelikten, gleichzeitig die einzigen Ernährer ihrer Familien.[Anm. 14]

Eine andere mehrfach angeführte Begründung für Begnadigungsgesuche war die Furcht vor dem Verlust des privaten Eigentums im Fall einer Haftstrafe. So hatte z. B. das Wirts-Ehepaar Ruhrig im Mai 1922 innerhalb der Sperrzeiten Alkohol an US-Soldaten ausgeschenkt und beide wurden zu Gefängnisstrafen von 1-2 Monaten verurteilt. Ihr Vorschlag an den Gnadenhof war, dass beide ihre Haftstrafen zwar voll verbüßen, jedoch nacheinander antreten sollten, damit ihre Gastwirtschaft nicht unbesetzt zurückbliebe. Der Ausgang des Falls ist unbekannt.[Anm. 15]

Herr Welker hatte ebenfalls Angst um sein Hab und Gut, denn er war nach einem Streit von seiner „süchtig[en] und böse[n]“[Anm. 16] Frau, die außerdem mit einem Bendorfer Herrn „ehrkränkenden Verkehr“[Anm. 17] pflegte, wegen unerlaubten Waffenbesitzes angezeigt worden und wurde folglich zu zwei Monaten Haft verurteilt. Aufgrund seines sofortigen Geständnisses und der berechtigten Vermutung, dass seine Frau während Welkers Haftzeit seinen gesamten Besitz veräußern und sich mit ihrer Affäre davonstehlen könnte, wurde Welkers Strafe auf einen Monat abgesenkt.[Anm. 18]

Eine weitere Folge der aufgetretenen Delinquenz und ihrer Verfolgung war die Einrichtung eines Gnadengerichtshofs, im Jahr 1921. Seit dem Beginn der Besatzung hatte es immer wieder Klagen über die harte, ungerechte und ungerechtfertigte Behandlung deutscher Straftäter vor amerikanischen Militärgerichten gegeben.[Anm. 19] Zudem war Col. Stones Büro im OCA die einzige Anlaufstelle der gesamten Zone für das Einlegen von Berufung oder Revision und es agierte dahingehend nicht besonders milde. Dem energischen Drängen der Deutschen auf die Einrichtung eines gesonderten Gnadengerichts wurde letztlich entsprochen.[Anm. 20] Unklar ist, wer letztlich den Befehl zu dessen Gründung gab. Zudem bleibt offen, ob der zunehmende deutsche Druck oder eine zu hohe Beanspruchung des Büros von Col. Stone den Ausschlag zur Gründung des Gnadenhofs gegeben haben. Festzuhalten ist jedoch, dass die amerikanische Rechtsprechung nicht nur von den Delinquenten, sondern insgesamt von der deutschen Seite als ungerecht empfunden wurde, woraus wiederum Entrüstung, Misstrauen und Feindseligkeit gegenüber der Besatzungsmacht erwuchsen. Dass solche Unzufriedenheit bei weiterer Vernachlässigung und gleichzeitig stetigem Truppenabzug, d. h. einer Verringerung der militärischen Präsenz, in offenen Aufruhr umschlagen konnte, dürfte auch den amerikanischen Entscheidungsträgern bekannt gewesen sein. Die Einrichtung des Gnadenhofs war demnach die logische Folge all dieser Umstände.

Anmerkungen:

  1. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5775, S. 99f.  Zurück
  2. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4574, S. 41: Koblenzer Zeitung vom 23.09.1920; SA, KO, Best. 623, Nr. 5775, S. 99f.  Zurück
  3. SA, KO, Best. 623, Nr. 5775, S. 101.  Zurück
  4. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4574, S. 87: Coblenzer Zeitung vom 19.01.1921; SA, KO, Best. 623, Nr. 5220, S. 60-62; SA, KO, Best. 623, Nr. 5537, S. 34, 49-56; SA, KO, Best. 623, Nr. 5540, S. 23; SA, KO, Best. 623, Nr. 5543, S. 34; SA, KO, Best. 623, Nr. 5775, S. 100-102.  Zurück
  5. SA, KO, Best. 623, Nr. 4574, S. 87: Coblenzer Zeitung vom 19.01.1921.  Zurück
  6. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5161, S. 2; SA, KO, Best. 623, Nr. 5775, S. 101f. Zurück
  7. Siehe Kapitel 4.2.2. Zurück
  8. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4640, S. 29-73.  Zurück
  9. Siehe Kapitel 3.2.2, S. 90.  Zurück
  10. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5220, S. 7-66. Zurück
  11. Siehe Kapitel 4.2.2. Zurück
  12. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5537, S. 6-34, 74-110. Zurück
  13. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5103, S. 27; SA, KO, Best. 623, Nr. 5534, S. 81; SA, KO, Best. 623, Nr. 5775, S. 173.  Zurück
  14. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4576, S. 67f.; SA, KO, Best. 623, Nr. 4578, S. 43; SA, KO, Best. 623, Nr. 4579, S. 51.  Zurück
  15. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4578, S. 51.  Zurück
  16. SA, KO, Best. 623, Nr. 4739, S. 11.  Zurück
  17. Ebenda, S. 11.  Zurück
  18. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 4739, S. 10f.  Zurück
  19. Vgl. HENNING, 1996, S.77-79; SA, KO, Best. 623, Nr. 5775, S. 36. Vgl. SA, KO, Best. 623, Nr. 5775, S. 6; SA, KO, Best. 623, Nr. 5775, S. 37.  Zurück
  20. Vgl. HENNING, 1996, S.77-79; SA, KO, Best. 623, Nr. 5775, S. 36.  Zurück