Nach den Aufzeichnungen von Dekan Georg Joseph Jakob
Dekan Georg Joseph Jakob (1881–1958) war katholischer Pfarrer in Armsheim (1938–1945). Seine Aufzeichnungen zu den Geschehnissen in Armsheim hat der Heimatforscher Theodor Eichberger handschriftlich kopiert und Anmerkungen in Klammern hinzugefügt. Das Manuskript wurde transkribiert und bearbeitet von Marc Theodor Amstad. Die Aufzeichnungen sind wörtlich wiedergegeben, alte oder falsche Schreibweisen wurden beibehalten.
1944
Die Schrecken des langen Krieges rücken immer näher. Die Tiefflieger-Angriffe auf die Gemeinde wiederholen sich seit Oktober immer häufiger. Die Gebäude am und um den Bahnhof (am östlichen Rande des Dorfes) fielen zuerst den Angriffen zum Opfer, wobei Frau Schneider, am Bahnhof, zu beklagen ist. [Anm. 1]
Am 1. Weihnachtstag wurden auch einige Häuser am Bahnhof zerstört, ebenso am 31. Dezember fielen drei Luftminen in die Eulengasse und zerstörten zwei Wohnhäuser und die Scheune von Bäcker Martin. Viele Fensterscheiben zerbarsten, auch im Pfarrhaus in der Hauptstraße 60 vier Stück, in der neuen Sakristei eines. (Bahnhofstraße 12)
1945
18.03.1945
Sonntag: Nachmittags sollte – wie üblich – hier Osterbeichttag sein. Pater Adalbert war bereits am Morgen kurz nach 6 Uhr von Gau-Bickelheim per Rad hier angekommen. Der ganze Tag war so unruhig durch die fortgesetzten Überflüge der feindlichen Flieger und des Artilleriefeuers aus der Gegend von Wöllstein (Westen), daß in den Gottesdienst um 7 Uhr 30 früh nur wenige kamen von Armsheim, von Schimsheim niemand, da es hieß die Amerikaner seien bereits in Gau-Bickelheim und konnten jeden Augenblick eintreffen. Zur Beicht am Nachmittag kamen nur sechs Erwachsene aus Armsheim. P. Adelbert wollte am Abend noch per Rad nach Nieder-Saulheim, kam aber wieder zurück, da er sich nicht durch Wallertheim wagte aus Furcht vor den Amerikanern. In der Nacht gegen Mitternacht wanderten wir alle in den Keller, da das Sausen der Geschosse und die Fliegergefahr immer stärker wurden.
19.3.1945 (St. Josefstag)
Der Gottesdienst – wenig besucht – war gerade beendet, als die Flakbeschießung (Flak = Flugabwehrkanonen) so stark wurde, daß nur unter ständiger Gefahr der Heimweg gewonnen werden konnte. Der Pater war schon vor sechs Uhr früh über Schimsheim, Rommersheim per Rad weggefahren. Der Tag verlief sehr unruhig, viele Einwohner blieben im Keller.
Am Nachmittag erfolgte ein Tieffliegerangriff direkt auf Armsheim, durch den eine größere Anzahl Gebäude beschädigt, zum Teil ganz zerstört wurden. Auch ein deutscher Soldat – aus der kleinen Panzerabwehrkolonne dahier – wurde dabei getötet in der Hauptstraße neben Nummer 15. (Er war aus dem Saargebiet und liegt hier auf dem Friedhof.)
Am Abend wurde Schimsheim nach starkem Beschuß durch die amerikanischen Truppen besetzt. Scheune und Stallungen von Bürgermeister L. Eppelsheimer gingen dabei in Flammen auf.
Die Häuser in der Hauptstraße (in Armsheim) wurden zum Teil schwer beschädigt. 14 Mann deutsche Abwehr hatten Widerstand versucht. Sieben wurden gefangen, die anderen entkamen mit ihrem Leutnant. Zum 20.3.1945 die zweite Nacht im Keller.
20.3.1945 - Einzug der Amerikaner
Dienstag. Die hl. Messe hatte ich gerade beendet und weilte noch mit drei Personen in der Kirche, da erfolgte ein erneuter starker Fliegerangriff zwischen 7 und 7 Uhr 30 auf Armsheim. Es fielen Zerstörungsmittel aller Art auf den Ort. Scheune und Stallung von Jakob Schmitt 2. (Obergasse) hinter dem evang. Pfarrhaus brannten nieder. Bei Bäcker Bayer (Bahnhofstraße 10) neben unserer Kirche entstand in der Backstube ein Brand, der aber gelöscht werden konnte, ohne weitere Ausdehnung zu nehmen. Einige Häuser besonders in der Nähe der Schule (Hauptstraße 26) und bei Ernst Feldmann und Wilhelm Kehr (Bahnhofstraße) wurden ganz zerstört. [Anm. 2] [Anm. 3] Im Anschluss daran zogen amerikanische Truppen in das Dorf ein. Es handelte sich nur um wenige Minuten, so wäre uns dieser Schrecken erspart geblieben. In Schimsheim hatten Amerikaner gerade erfragt, ob in Armsheim noch deutsche Truppen seien. Auf die Antwort „nein“ (es waren die wenigen deutschen Truppen in der Nacht abgezogen) wollte der Kommandierende den Befehl erteilen, den Angriff zu unterlassen, da war es zu spät, er hatte gerade begonnen.
In unserer (katholischen) Kirche kostete es nur einen Teil der Fenster auf der Epistelseite (rechts), sonst blieb sie unversehrt, trotz der großen Gefahr, in der die Kirche und wir in ihr durch den Treffer in der Backstube von Bayer und den Blindgänger in die Scheune von Hofmann nebenan (An der Weed 1) gekommen waren. Dank dem hl. Josef. Auch das Pfarrhaus blieb, von kleinen Schönheitsfehlern abgesehen, unversehrt, obwohl hinter dem Pfarrgarten etwa zwölf Trichter von Granaten zu zählen waren.
Die 17jährige Tochter (Käthi) von Philipp Heck in der Neugasse (29), das einzige Kind, wurde getroffen und war sofort tot. Die Helene Hartmann, die bei ihr weilte, wurde am Bein schwer verletzt und durch amerikanische Sanitäter nach (Bad) Kreuznach gebracht. Sie kam davon.
Ein zweites Opfer wurde der Landwirt (Wilhelm) Welkenbach, Hauptstraße 22, 49 Jahre alt, der den Verletzungen bei hinzukommender Lungenentzündung erlag.
Im Laufe des Tages erlebten wir noch wiederholt Schreckensscenen durch die amerikanische Flakabwehr gegen deutsche Flugzeuge, die uns anflogen.
22.3.1945
Donnerstag. Am Tage durchzogen öfters große amerikanische Autokolonnen das Dorf in Richtung Wallertheim, es hieß: zum Kampf um Mainz. Am Nachmittag kamen amerik. Quartiermacher von Haus zu Haus, besonders in der Hauptstraße und auf dem Rosenplatz. Die größeren Häuser sollten teils bis zum Abend, teils bis zum kommenden Morgen von allen Einwohnern geräumt werden. Auch unser katholisches Pfarrhaus wurde beschlagnahmt. Nur wurden mir als dem Pfarrer zwei Zimmer eingeräumt:
Eins, das mittlere als Church (Kirche), weil ich darin das Allerheiligste niedergestellt hatte, und mein Wohnzimmer als Amts- und Schlafzimmer. Die Mannschaft war sehr anständig. [Anm. 4] Der 1. Soldat zeigte sofort seinen Rosenkranz und bat, da der seine zerrissen war, um einen neuen, den ich ihm gab. Gegen Abend brachen die Quartiermeister ihre Arbeit ab und gaben die Befehle, daß die Häuser einstweilen nicht zu räumen seien. Der Vormarsch an den Rhein ging nämlich schneller, als die Amerikaner gerechnet hatten.
31.03.1945
Mittwoch. Der Tag verlief in allgemeiner Aufregung. Öfters durchzogen amerikan. Panzer und Autoparks aller Art über die Hauptstraße das Dorf. Am Nachmittag wurde ein Transport deutscher Kriegsgefangener, ca. 1000 Mann, durch das Dorf in der Richtung nach Flonheim geführt: ein betrübender Anblick. Darunter sollen ein Wallertheimer und zwei Flonheimer gewesen sein.
Am Morgen hatte ich gleich zu Anfang die hl. Messe wieder abbrechen müssen, da die einsetzende Flakabwehr gegen deutsche Flugzeuge allgemeinen Schrecken einjagte. Der einzige Tag in dieser aufregenden Zeit ohne hl. Messe dahier.
Die Nacht wieder im Hause in dem Bett geschlafen. Die folgenden Wochen und Monate waren wir von der Welt ziemlich abgeschlossen: keine Eisenbahn, keine Post, kein elektrisches Licht, keine Zeitung, kein Radio, kein Verkehr untereinander. [Anm. 5]
Da die Einwohner die Orte nicht verlassen durften, konnten die Schimsheimer nicht hierher zum Gottesdienst kommen. Ich hielt daher am 1. und 2. Ostertag in Schimsheim um 17 Uhr Gottesdienst unter freiem Himmel im Hofe von Mathias Weiß, Kirchgasse (wo ganz in der Nähe die ehemalige Martinskirche stand). Der Gottesdienst war sehr gut besucht.
Vom ersten Sonntag nach Ostern an konnte Schimsheim mit Erlaubnis der amerik. Militärbehörde wieder den Gottesdienst hier (in Armsheim) besuchen. Die Erstkommunionsfeier der Kinder war Sonntag 22.4.1945. Allmählich im Laufe des Sommers wurden die anfangs sehr strengen Verordnungen mehr und mehr gelockert. Schulunterricht war keiner, nur die Religionsstunde hielt ich hier und in Schimsheim. (Hier in Armsheim wieder im Schulhaus. Dies war vorher von den Nationalsozialisten verboten.)
Noch im Laufe des Jahres 1945 gaben die amerikanischen Truppen die Besetzung Rheinhessens auf und damit auch Armsheims, und die Franzosen übernahmen die Besatzung.
Die religiösen Verhältnisse in unserem engeren Bundesstaat Rheinland-Pfalz waren Dank der christlichen Mehrheit im Landtag geordnet und verhältnismäßig günstig, sodaß sich das religiöse Leben ruhig entfalten durfte und die einschränkenden Verordnungen des 3. Reiches immer mehr sich lockerten und ganz fielen. Die „freie Kirche im freien Staate“ verwirklichte sich immer mehr.
Nachweise
Verfasser: Georg Joseph Jakob
Bearbeiter: Theodor Eichberger, Marc Theodor Amstad
Verwendete Literatur:
- Eichberger, Theodor: Von Aribosheim über Armsheim bis Armsem. Mosaik eines rheinhessischen Dorfes. Wörrstadt 1991.
- Leiwig, Heinz: Flieger über Rheinhessen. Der Luftkrieg 1939 bis 1945. Alzey 2002.
- Mahlerwein, Gunter: Rheinhessen 1816– 2016. Mainz 2015.
Aktualisiert: 18.08.2021