Bad Sobernheim im Naheland

Synagoge

0.1.1. Ältere jüdische Gebetsräume

Abb. 10: Kulturhaus Synagoge (2010)[Bild: G. Kneib]

In Sobernheim begann die Ansiedlung von Juden um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert als eine Folge der Stadterhebung von 1292. Der älteste urkundliche Beleg stammt aus dem Jahre 1301. Die Anzahl der jüdischen Familien im 14. Jahrhundert ist unbekannt. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts berichten die schriftlichen Quellen regelmäßig von vier Haushalten.

Bereits in dieser ersten Phase der jüdischen Besiedlung gab es in Sobernheim eine Judenschule, die 1616 im Sobernheimer Gerichtsbuch erwähnt wird, damals aber längst nicht mehr für gottesdienstliche oder pädagogische Zwecke genutzt wurde. Der Hausname diente nur noch zur eindeutigen Identifizierung des Gebäudes. Auch nach der jüdischen Neubesiedlung im 17. Jahrhundert gab es nachweislich im Privathaus eines Sobernheimer Juden einen Gebetsraum, der von diesem freiwillig und unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurde.

Mindestens seit 1815 feierte man Gottesdienste im Wohnhaus des Pferdehändlers Philipp Werner in der Marumstraße 20. Die Familie Werner hatte der Kultusgemeinde einen Raum im Obergeschoss kostenlos zur Verfügung gestellt. Der 25 m2 große Betsaal bot allerdings nur für 24 Personen Platz. Außerdem befand er sich in einem baulich schlechten Zustand. [Anm. 1]

0.2.2. Bau der Synagoge

Abb. 1: Aufmaß der Ostfassade [Bild: Landesamt f. Denkmalspflege RP]

Nachdem der Gebetsraum in der Marumstraße zu klein und baufällig geworden war, beschloss man den Neubau eines Synagogengebäudes. Im Jahre 1856 erfolgte der Erwerb des Bauplatzes in der Gymnasialstraße.

Bei der Wahl der Stilrichtung entschied man sich für eine Gesamtkonzeption, die in ihrer schlichten und wohlproportionierten Form am ehesten der spätklassizistischen Stilrichtung zuzuordnen ist. Als Baumaterial verwandte man unverputzte Sandsteinquader aus heimischen Brüchen und ordnete dadurch das Gotteshaus harmonisch in das Sobernheimer Stadtbild ein. Was die Höhe des Gebäudes betrifft, hielt man sich an das damals ungeschriebene Gesetz, dass eine Synagoge nicht stadtbildprägend sein darf. Das bedeutete, dass sie – im Gegensatz zu christlichen Kirchen – nicht die übrigen Gebäude überragen durfte.

Ansonsten wurden die typischen jüdischen Bauelemente verwirklicht, welche aus den Schriften Israels hergeleitet sind. So wurde die Ostwand mit zwei Langfenstern und einem dazwischen erhöht angebrachten Okulus-Fenster, dem sogenannten Auge Gottes, gegliedert. Es musste wegen der Höhe des Thora-Schreins nach oben verlegt werden.

Abb. 2: Renoviertes Eingangsportal [Bild: G. Kneib]

Die Pyramidenform des Daches und die Eindeckung mit roten Falzziegeln verweisen auf das Stiftszelt, welches die Israeliten auf ihrem Wüstenzug ins Gelobte Land mit sich führten. Weitere biblische Bezüge lassen sich aus der Gestaltung des Eingangsportals herleiten.

Dieses wird auf beiden Seiten von je einer Säule mit einem aufwendig gestalteten Blattkapitell eingerahmt und erinnert dadurch an die Architektur des Salomonischen Tempels. Dort standen in der Vorhalle ebenfalls an beiden Seiten des Portals Säulen.

Im Inschriftenbogen über der Eingangstür, der auf der linken Seite das Baujahr in hebräischen Buchstaben und rechts in arabischen Ziffern (1858) nennt, ist in der Mitte die hebräische Inschrift „Beth eloim“ (Haus Gottes) angebracht. [Anm. 2]

Abb. 3 a: Rekonstruktion der ursprünglichen Farbgebung[Bild: G. Kneib]
Abb. 3 b: Rekonstruktion der ursprünglichen Farbgebung[Bild: G. Kneib]

Eine Untersuchung der historischen Putze ergab, dass die Innenwände mit einem hellgrauen Mörtel in zwei Schichten verputzt waren. Der Grundanstrich auf der Mörteloberfläche erfolgte in hellem Grau mit kühlem Tonwert. Um die Fensterlaibungen und die Thora-Nische wurde auf dem Grundanstrich ein malerisch gestalteter Streifen aufgetragen, der mit einem ca. 22 mm schmalen Band in rötlichem Dunkelbraun abschloss. Die Flächen innerhalb dieser Rahmen waren mit arabeskenförmigem Schablonendekor in dunklem Ocker verziert. [Anm. 3]

Im Juni 1858 wurde das Synagogengebäude unter Anteilnahme sowohl Sobernheimer Stadtvertreter als auch der Bevölkerung eingeweiht. [Anm. 4]


0.3.3. Erweiterung des Gebäudes (1904)

Abb. 4: Erweiterungsplan von 1904 [Bild: Synagogen-Archiv]

Da um die Jahrhundertwende die Plätze in der Synagoge kaum noch ausreichten, entschloss sich die jüdische Gemeinde im Jahre 1904, das Gebäude um eine Fensterachse in westlicher Richtung zu erweitern.

Das mit roten Falzziegeln eingedeckte Pyramidendach erhielt drei verschieferte Gauben und wurde mit einem Davidstern bekrönt. Im neu erbauten Teil errichtete man eine Empore. Sie diente der Aufstellung eines Harmoniums und wurde für die Auftritte des Synagogen-Chores genutzt. Mit der Gebäudeerweiterung wurde auch die Wandbemalung des Rauminneren verändert. Ein Sockelband zwischen Fußboden und Fenstern endete an der unteren Fensterkante mit einer rotbraunen Abgrenzung.

Die darauf gemalten mehrfarbigen Bildmotive des Dekors können nicht rekonstruiert werden. Zum Gewölbe hin schloss die Wandbemalung mit einem Dekorband ab, das im Binnenfeld eine grünliche Umbrafarbe und diagonal verlaufende rote Striche aufwies. Wie 1858 wurde die Einweihung feierlich unter Anteilnahme der bürgerlichen Administration begangen. [Anm. 5]

0.4.4. Dacherneuerung (1929)

Abb. 5: Bauzeichnung zur Dacherneuerung 1929 [Bild: Synagogen-Archiv]

Bereits bei der Erweiterung des Gebäudes im Jahre 1904 hatte das Kreisamt statische Schwachstellen in der Dachkonstruktion bemängelt. Folgerichtig konnte im Jahre 1929 eine Sanierung des Daches nicht länger hinausgeschoben werden. Das neue Deckengewölbe im Innenraum, das vor der Dacherneuerung pyramidenförmig fast bis zur Spitze anstieg, endete nun ca. 2 m tiefer in einem Flachspiegel.

Mit der Dacherneuerung ging auch eine Umgestaltung der Farbgebung im Innenraum einher. Für den Flächenanstrich wählte man ein stumpfes helles Ocker. Die Sockelfläche bis zur Fensterhöhe war mit geometrischen Formen in rotbraunen und braunen Farbtönen gegliedert. Die neue Decke erhielt zunächst einen Anstrich in einem mittleren Blauton, der aber mit einem helleren Blau übertüncht wurde. [Anm. 6]

0.5.5. Inneneinrichtung (1929-1938)

Abb. 6 a: Rekonstruktion der Inneneinrichtung[Bild: G. Kneib]
Abb. 6 b: Rekonstruktion der Inneneinrichtung[Bild: G. Kneib]

Die Innengestaltung in der nun beginnenden letzten Phase ist noch genau rekonstruierbar. Nach jüdischem Brauch war in der Ostwand unter dem Rundfenster, dem sogenannten Auge Gottes, in einer Wandnische der Thora-Schrein eingebaut. In diesem wurden die Kultgeräte, insbesondere sechs Thora-Rollen aufbewahrt.

Der hölzerne Schrein war von den zwei Gesetzestafeln bekrönt und von einem Thora-Vorhang aus purpurfarbenem Samt verdeckt. Vor dem Thora-Schrein stand auf einem Podest ein Vorlesepult, dessen Decke in Stoff und Farbe denen des Thora-Vorhangs entsprach. Über dem Vorlesepult leuchtete das an der Decke befestigte sogenannte Ewige Licht in der traditionell roten Farbe. Links vom Schrein stand ein siebenarmiger Leuchter.

Im Mittelgang verlief vom Vorlesepult bis zum Portal ein roter Läufer, der die Bänke der Erwachsenen in zwei Hälften teilte. Auf beiden Seiten standen acht Bankreihen mit je sechs Klappsitzen und je zwei Pulten für die Gebetbücher. Die Sitzplätze auf der (linken) Nordseite waren den Männern vorbehalten. Auf der Südseite nahmen die Frauen Platz. Sie mussten sich nicht – wie in orthodoxen Gemeinden üblich – auf die Empore zurückziehen. Die Empore auf der Westseite bot Platz für ein (nur in liberalen Gemeinden geduldetes) Harmonium und den Chor.

In der Westwand unter der Empore waren auf beiden Seiten unter den Fenstern Wandschränke eingebaut, in denen die Gebetsutensilien wie Kippa (Kopfbedeckung), Tallit (Gebetsschal) und Tefillin (Gebetsriemen) untergebracht werden konnten. Beleuchtet wurde der Sakralraum von einem im Zentrum von der Decke hängenden sechsarmigen Leuchter und Wandleuchten, die in Kopfhöhe zwischen den Fenstern angebracht waren. [Anm. 7]


0.6.6. Schändung und weitere Nutzung

Am Vormittag nach dem Novemberpogrom 1938 wurde auch in Sobernheim das jüdische Gotteshaus geschändet und das Inventar demoliert. Man legte sogar Feuer, löschte es aber wieder, da die Umnutzung des Gebäudes in eine Aula des benachbarten Gymnasiums geplant war. Die Kultgeräte wurden als Beute mitgenommen. Nur die Thora-Rollen, der Thora-Vorhang und die Decke des Vorlesepultes konnten gerettet werden.

Im Juli 1939 musste die jüdische Gemeinde ihre Synagoge an die Stadt verkaufen. Diese beauftragte einen Architekten, den Sakralbau in eine Aula der benachbarten Schule umzubauen. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhinderte jedoch die Verwirklichung dieses Planes. Während des Krieges nutzte die Wehrmacht das Gebäude als Lagerraum.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging das jüdische Gotteshaus infolge der Restitutionsmaßnahmen von ehemals jüdischem Eigentum in den Besitz der jüdischen Kultusgemeinde Bad Kreuznach und Birkenfeld über. Diese verkaufte das Gebäude im Jahre 1953 an einen Sobernheimer Kaufhausbesitzer, der es in ein Möbellager umwandelte. Später diente es als Getränke- und Warenlager. [Anm. 8]

0.7.7. Restaurierung zum Kulturhaus Synagoge

Abb. 7: Thora-Vorhang[Bild: Martha Eicher]
Abb. 8: Decke des Vorlesepultes [Bild: G. Kneib]

Auf Initiative eines Fördervereins wurde das Gebäude im Jahre 1982 unter Denkmalschutz gestellt, 2001 von der Stadt gekauft und in den Jahren 2008 bis 2010 von Grund auf restauriert. Zur Einweihung im Mai 2010 übergab die jüdische Gemeinde Bad Kreuznach den Thora-Vorhang und die Decke des Vorlesepultes, welche nach dem Weltkrieg in deren Besitz gelangten, zur Aufbewahrung an ihrem Sobernheimer Ursprungsort.


Abb. 9 a: Die zurückgekehrte Thora-Rolle [Bild: G. Kneib]
Abb. 9 b: Die zurückgekehrte Thora-Rolle [Bild: G. Kneib]

Die sechs Thora-Rollen waren dem 1945 nach Sobernheim zurückgekehrten einstigen Gemeindevorsitzenden Alfred Marum übergeben worden. Dieser überließ zwei von ihnen einer französisch-jüdischen Militärgemeinde. Die übrigen nahm er mit in seine neue Heimat (Andover, USA). Eine davon brachte seine Enkeltochter Kathrin Krakauer-Withe zur Einweihung des restaurierten Synagogengebäudes nach Bad Sobernheim zurück.

Zusammen mit weiteren Erinnerungsstücken werden die Kultgegenstände in der ehemaligen Thora-Nische aufbewahrt. 


Das von Stadt und einem Förderverein geschaffene Kulturhaus Synagoge wird als Gedenkstätte, Bücherei und Versammlungsraum für kulturelle Veranstaltungen genutzt. [Anm. 9]

Abb. 11: Das Innere des Kulturhauses (2012)[Bild: G. Kneib]

NACHWEISE

Verfasser: Gottfried Kneib

Redaktionelle Bearbeitung: Marion Nöldeke

Verwendete Literatur:

  • Berkemann, Hans-Eberhard: Vom Gotteshaus zum Möbellager. In Sobernheim steht die letzte Synagoge des Nahetals. In: Landeskundliche Vierteljahresblätter 27 (1981), S. 17-19.
  • Kneib, Gottfried: Die Synagoge von Bad Sobernheim. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 38 (2012), S. 39-78.
  • Lawen, Ferdinand: Untersuchungen zum Bestand und Zustand der historischen Putze, Malereien und Farbfassungen des Innenraums der Synagoge in Bad Sobernheim vom 25.10.2002, Briedel 2002.

Weitere Literatur in der Literaturliste (rechte Spalte).

Erstellt am: 10.06.2022

Anmerkungen:

  1. Kneib 2012, S. 40-44  Zurück
  2. Kneib 2012, S. 45-52  Zurück
  3. Lawen 2002, S. 9 f.  Zurück
  4. Kneib 2012, S. 53  Zurück
  5. Kneib 2012, S. 55-60 / Lawen 2002, S. 11  Zurück
  6. Kneib 2012, S. 60-62 / Lawen 2002, S. 12 u. 15  Zurück
  7. Kneib 2012, S. 53  Zurück
  8. Berkemann 1981, S. 17-19 / Kneib 2012, S. 67 f. u. 72 f.  Zurück
  9. Kneib 2012, S. 76 f.  Zurück