Heidesheimer Gerichtssiegel
In der von der Gemeinde Heidesheim herausgegebenen Festschrift zur 1250-Jahrfeier des Ortes wird u. a. das historische heidesheimer Gerichtssiegel besprochen (1). Auf den Seitenleisten links und rechts des einschlägigen Textes finden sich zwar die entsprechenden Siegelabbildungen, allerdings waren aus Platzgründen keine die Beschreibung unterstützenden Detailvergrößerungen möglich. Im folgenden seien deshalb auch die an den Originalen mitunter nur schwer zu erkennenden Einzelheiten besprochen und dargestellt. Außerdem ist zwischenzeitlich ein heidesheimer Gerichtssiegel aus dem Jahr 1591 aufgetaucht, dass in seinem Erscheinungsbild in wichtigen Details von den übrigen Siegeln abweicht und am Schluss dieses Artikels gesondert vorgestellt wird.
Der Erhaltungszustand der runden Siegel ist sehr unterschiedlich. Zum Vergleich seien hier zunächst sieben Ausführungen, eine befindet sich im Staatsarchiv Darmstadt (1576), fünf im Stadtarchiv Mainz (5. 2. 1475, 13. 5. 1475 ,1570, 1571 u. 1577) und eine als Dauerleihgabe beim Verein Heimatmuseum Burg Windeck e. V. (1766), vorgestellt.
Sechs der Siegel aus dunklem Wachs (mit farblichen und härtenden Beimischungen?) hängen an Pergamenturkunden und das Exemplar von 1766 ist ein Papiersiegel, das auf eine Papierurkunde aufgeklebt ist. Der Durchmesser aller Siegel misst etwa 3,5 cm. Dabei ist der barocke Schmuckkranz von 1766 nicht mitgerechnet.
Es muss aber noch besser erhaltene Siegel gegeben haben - und gibt sie vielleicht auch noch. Am deutlichsten ist das Siegelbild auf einem vor dem Ersten Weltkrieg entstandenen Foto und auf einem Gipsreplikat zu erkennen, das um 1935 angefertigt wurde (2). Auf der Fotografie treten die Gesichter der beiden Heiligenfiguren besonders plastisch hervor und auf dem Replikat ist die Umschrift mit den Worttrennungszeichen, Kreuze und Rosenblüten, besonders gut zu erkennen.
In der erwähnten Festschrift habe ich die Siegelumschrift "SIGILLU + IUDICII ++ IN ++ HEISESHEIM +++" (Gerichstsiegel von Heidesheim) zitiert und ausgeführt, die Wörter seien jeweils durch ein, zwei oder drei Kreuzzeichen getrennt. Bei nochmaliger eingehender Betrachtung des Gipsreplikats stellt sich nun heraus, dass das nicht ganz sicher so ist: das erste Kreuzzeichen ist wohl eher eine fünfblättrige Rosenblüte, danach folgen zwei Kreuzzeichen, dann eher wieder zwei Rosenblüten die zum Schluss deutlich dreimal auszumachen sind. Über dem "U" des Wortes "SIGILLU" ist ein waagrechter Auslassungsstrich zu erkennen, der für das "M" bei Sigillum zu lesen ist. Nicht zuverlässig zu entscheiden ist, ob zwischen den Figuren, etwa in der Mitte, ein Kreuz oder eine Blüte steht.
Auf allen Siegeln sind zwei weibliche Heilige zu sehen, die jeweils von einem Palmzweig flankiert werden: links (vom Betrachter aus gesehen) die Gründerin des Altmünsterklosters zu Mainz Bilhildis, und rechts die heilige Katharina von Alexandrien. Zu Füssen der beiden findet sich ein etwa 0,9 x 0,8 cm messender Wappenschild.
Auf dem Schild liegt ein vierspeichiges Rad und darauf mittig ein Kreuz. Die Radspeichen sind unterbrochen und pfeilförmig ausgebildet, deren Spitzen auf den Kreuzmittelpunkt weisen. Auf dem Schild stehen in einem Kreis, in lange Faltenkleider gehüllt, nebeneinander die beiden Frauen mit Haube und Nimbus (Heiligenschein).
Die linke Figur, Bilhildis, hält in der Rechten ein Kirchen- oder Klostermodell und in der Linken den Äbtissinnenstab, der in der Krümmung mit vier Dornen bestückt ist. Knapp unterhalb der Krümmung wird der Stab von dem Buchstaben "M" umschlungen, der als Abkürzung für "Moguntia", der lateinischen Bezeichnung für Mainz, steht.
Die zweite Frauengestalt hält in ihrer Rechten eine nach unten hängende Waage und in ihrer Linken ein Buch.
Die Figur stellt die heilige Katharina dar, die seit dem 13. Jahrhundert im gesamten Abendland die beliebteste weibliche Heiligenfigur war. Sie verkörpert als "Iustitia" die abwägende und unparteiische Personifikation der Gerechtigkeit.
Wie bereits erwähnt, findet sich im Stadtarchiv Mainz ein Siegel, das von den beschriebenen Exemplaren deutlich abweicht. Das Siegel hängt an einer Urkunde der Mainzer Kartause vom 22. April 1591. Es handelt sich dabei um ein in einer Holzkapsel mit Deckel liegendes Wachssiegel, dessen Durchmesser etwa einen halben Zentimeter größer ist als der der bisher bekannten Exemplare.
Flankiert werden die Figuren von zwei Palmwedeln, die nunmehr deutlich größer und schlanker sind. Vor allem: Der Äbtissinnenstab ist eindeutig der rechtsstehenden Figur zuzuordnen und unterscheidet sich. Endet hier doch der Stab (Pedum) nicht in einer Krümme sondern ist als Kreis, der ein Prankenkreuz (?) umschließt, ausgebildet. Hier findet sich außerdem ein Tuch, das seit dem 14. Jahrhundert als Schweißtuch (Sudarium) in Gebrauch war.
Eindeutig ist in der linken Hand der linksstehenden Figur nun ein Kirchen- oder Klostermodell auszumachen. Ob die rechtsstehende Gestalt in ihrer Linken eventuell vor dem Körper ein Buch hält ist an diesem Siegelexemplar nicht eindeutig festzustellen.
Soweit auf dem leider nicht besonders gut erhaltenen Siegel zu erkennen ist, weicht das zu Füssen der beiden Heiligen angebrachte Wappen von den bisher bekannten Darstellungen wohl nicht ab. Die Siegelumschrift ist nicht mehr vollständig zu entziffern, beginnt aber mit "SIGILLUM IUDICII" und endet auf "...HEIM". Die Umschrift weicht also in ihrer Darstellungsform ab: Zweifelsfrei ist "SIGILLUM " und nicht wie sonst "SIGILLU" zu lesen! Es bleibt zu erforschen ob und gegebenenfalls seit wann ein neues Siegelbild auftaucht. Auch an eine Fälschung ist zu denken.
Das vorzüglich erhaltene Papiersiegel von 1766 ist aufgrund der Herstellungsart nicht besonders detailreich und insofern nicht zielführend. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ist hier auch "SIGILLU" mit dem Auslassungsstrich über dem "U" zu lesen und auch die Gesichterform und die Palmwedel korrespondieren mit den Darstellungen der bisher bekannten Wachssiegel. Der Äbtissinnenstab ist hier aber nicht zu erkennen und auch die Falten auf den Kleidern sind nicht zu sehen.
In der Urkunde dokumentieren die "Schoepffen des Gerichts zue Haydesheim" - der Oberschultheiss Thomas Mohr, der Mainzische Schultheiss Wendel Diethmar (im zwischen dem Altmünsterkloster und dem Mainzer Erzbischof aufgeteilten Heidesheim gab es zwei Bürgermeister) und die weiteren Mitglieder Mathes Jacob, Johan Schender, Jost Quirin, Conrad Ruepp und Nicolaus Kremer - ein Grundstücksgeschäft zwischen dem Mainzer Kartäuserkloster und dem Mainzer Bürger und Ratsmitglied Friedrich Jordan, der dem Kloster in der Heidesheimer Gemarkung an der Grenze zu Budenheim und Finthen verschiedene Waldgrundstücke verkauft (3).
An der in Deutsch abgefassten Pergamenturkunde findet sich nur das Siegel des Heidesheimer Gerichts und keine Unterschriften. Urkunde und Siegel lassen einige Fragen offen: wieso taucht ein abweichendes Siegel auf?
Weitere Nachforschungen sind erforderlich.
1) Karl Urhegyi, Wappen und Siegel von Heidesheim, in: Heidesheim 1250 Jahre. Die Festschrift, o. O u. o. J. [Heidesheim 2012], S. 121-150.
2) Christian Rauch, Die Kunstdenkmäler des Kreises Bingen. Geschichtliche Beiträge von Fritz Herrmann. Zeichnungen von Ludwig Greb und Carl Bronner (Die Kunstdenkmäler im Volksstaat Hessen, hrsg. durch eine von der hessischen Regierung bestellte Kommission. Provinz Rheinhessen. Kreis Bingen), Darmstadt 1934, S. 333 und Stadtarchiv Mainz, Siegelsammlung Gipsreplikate, Heidesheim 1465 u. 1577 und Urkunde Kartäuserkloster Mainz v. 22. 4.1591.
3) Siehe hierzu Stadtarchiv Mainz, Urkundenverzeichnis/Regesten - Kartäuserkloster Mainz zur Urkunde v. 22. 4. 1591.
Das Foto des Siegels von 1576 wurde im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt angefertigt, das Papiersiegel von 1766 fotografierte Franz Eiermann und die übrigen Aufnahmen entstanden im Stadtarchiv Mainz.
Text und Recherche Karl Urhegyi. Layout und Bildbearbeitung Franz Eiermann.
Heidesheim im Mai 2012