Links des Rheines,
zwischen Mainz und Ingelheim, liegt die Verbandsgemeinde Heidesheim, gebildet aus den Dörfern Heidesheim und Wackernheim. Ihre Fluren beginnen am Rheinufer, ziehen sich die Hügel hinauf und grenzen auf der Hochebene an die Essenheimer Gemarkung.
Der Landwirte Mühe am sandigen und oft steinigen Boden wird mit reichen Ernten in Obstplantagen, Weinbergen und Spargelanlagen belohnt.
Aber nicht nur die Erdoberfläche
wurde und wird fleißig bearbeitet, auch unter der Erde werkten tüchtige Vorfahren, uralte Mauerreste bezeugen es.
„Quer durch unseren Wingert“, erzählt ein Heidesheimer Landwirt, „ging ein Strich, wo die Weinstöcke deutlich niedriger waren. Als mein Vater die Reben aushieb und Obstbäume setzen wollte, stieß er auf altes Mauerwerk.“
Ähnliches wie er erlebten auch andere zwischen Heidesheim, Wackernheim und Ingelheim, die etwas tiefer schürften.
Ein Wackernheimer berichtet: „Einst hoben wir eine Baugrube aus und hatten große Mühe mit einem unterirdischen Gang, der uns im Wege war.“
Oft wurden die Funde einfach abgebrochen
und die Steine vielleicht in einem Haus vermauert.
Anfang des 20. Jahrhunderts regte der „Historische Verein Ingelheim“ eine Grabung am Heidesheimer Weg an. Die Archäologen gruben gezielt und fanden ein Meisterwerk altertümlicher Baukunst, einen unterirdischen Tunnel, der, in großem
Bogen den Hügeln angeschmiegt, mit minimalem Gefälle über sieben Kilometer von der Höhe südlich Heidesheims zunächst nach Wackernheim und dann in einem weiteren Bogen bis nach Ingelheim führte. Zweifelsfrei handelte es sich dabei um eine Wasserleitung in antiker Bauweise, vergleichbar mit anderen römischen Wasserleitungen aus dem ersten und zweiten Jahrhundert.
Spätestens seit 1847 ist bekannt,
dass es sich um eine Wasserleitung handeln musste, die von Quellen nahe der Sandmühle in Heidesheim gespeist wurde und Wasser nach Ingelheim brachte (Schaab, Karl Anton in "Geschichte der Stadt Mainz").
Zunächst brachte man den Kanal mit den Römern in Verbindung, wohl inspiriert durch die Reste einer römischen Wasserleitung im nahen Mainz. Sauber aus Kalkbruchsteinen gemauert und überwölbt, im Scheitel ein Meter unter der Erde, misst der Aquädukt außen einhundertfünfzehn mal einhundertsiebzig Zentimeter und innen fünfundvierzig mal einhundertzehn Zentimeter. Sohle und Wände sind mit einem wasserdichten Mörtel verputzt, wie er den Fachleuten von anderen römischen Wasserbauwerken bekannt ist. Diese Bauweise und ein in Ingelheim vermuteter römischer Palast ließ auf eine Entstehung im ersten bis vierten Jahrhundert schließen. Doch so geschichtsträchtig der Boden entlang des Rheins auch ist, beweisen ließ sich das bis heute nicht.
War es nun Karl der Große, der diese unterirdische Wasserleitung im 8. Jahrhundert nach römischer Art errichten ließ oder waren es gar vor 2.000 Jahren die Römer selbst? Sowohl über den Erbauer als auch über den Sinn dieses Kanals, der von Heidesheimer Quellen nach Ingelheim führte, wird noch immer gerätselt.
Auf Ingelheimer Gemarkung, nahe der Grenze zur Heidesheimer Gemarkung hat der „Historische Verein Ingelheim“ die Leitung freigelegt und und eine Schutzhütte darübergebaut. Eine Bank lädt zur Rast ein, Schautafeln weisen auf ein „Römisch-Karolingisches“ Bauwerk hin und liefern Erklärungen.
Es gibt demnach
über die Zeit der Errichtung des Aquädukts unterschiedliche Meinungen. Aber wie dem auch sei, ob römisch oder karolingisch, der Bau ist eine Meisterleistung. Es war gewiss nicht einfach, mit den damals bekannten Hilfsmitteln und Werkzeugen eine Trasse zu finden, die das Wackernheimer Tal ohne ein Pfeiler-Aquädukt umging und das Wasser mit fast gleichmäßigem Gefälle entlang den Hügeln nach Ingelheim fließen ließ.
Der Kanal beginnt
im Quellgebiet Sandmühle und Orbel bei etwa einhundertachtzig Meter über Normal Null und verliert sich an einer Fundstelle in Ingelheims Steingasse bei etwa einhundertfünfunddreißig Meter über Normal Null. Fachleute schätzen den Aufwand an Baumaterial auf etwa neuntausend Kubikmeter und die notwendigen Erdbewegungen auf das Doppelte. Mindestens einmal musste bei Wackernheim ein Bachlauf gekreuzt werden. Ob durch eine gemauerte Unterführung oder über eine Aquäduktbrücke ist nicht bekannt.
Obwohl sich also die Gelehrten noch über die Zeit streiten, in der dieses aufwändige Bauwerk entstand, wenn es um den Sinn desselben geht, sind sie sich einig, sie kennen ihn nämlich nicht.
Bei einer angenommenen Durchflusshöhe
von sechzig Zentimeter wird der tägliche Wassertransport auf ca. 1.400.000 Liter geschätzt, also rund sechzehn Liter pro Sekunde.
Im Vergleich dazu transportierte der um das Jahr 70 erbaute Mainzer Aquädukt, mit neun Kilometer um zwei Kilometer länger und mit seinen bis zu dreißig Meter hohen Arkaden auch imposanter, nur durchschnittlich 30.000 Liter Wasser am Tag für die 12.000 Legionäre.
Die Wasser der Quellen hinter der der Sandmühle fanden später ihren Weg als Sandbach zu Tal und trieben mehrere Mühlen an.
Eigentlich hätten weder die Römer noch die Karolinger das Wasser aus Heidesheim gebraucht, Quellen gab und gibt es in Ingelheim und Umgebung selbst genug. Für die normale Trinkwasserversorgung jedenfalls war der Bau nicht notwendig.
Was sollte also diese enorme Wassermenge, von fern herangeführt? Diente sie der Dauerspülung römischer Latrinen oder speiste sie aufwendige Wasserspiele und Bäder, mit denen der Kaiser imponieren wollte? Die Überlegungen gehen in alle Richtungen; ja sogar ob es sich um ein besonders gesundes Wasser handelt, dessen heilende oder magische Kräfte lediglich in Vergessenheit gerieten, wird spekuliert.
Ein nicht ganz ernst gemeinter Schluss: Sitzen die Heidesheimer vielleicht auf einem Schatz und wissen es nicht? Fließt etwa ein köstliches Gut ungenutzt in den Abwasserkanal? Möglicherweise entsteht eines Tages aus ihrem verschlafenen Dorf noch ein elegantes „Bad Heidesheim“.
Verfasser: Franz Eiermann
Verwendete Literatur:
- Haupt, Peter "Die karolingische Wasserleitung der Ingelheimer Königspfalz" im Katalog zur Ausstellung im Alten Rathaus Nieder-Ingelheim 29. August bis 27. September 1998. , Karheinz Henn, Ernst Kähler und Stadt Ingelheim; .S. 52
- Illig Herbert und Lelarge, Günter, www.lelarge.de/Ingelheim vom 09.04.2003
Bilder und Karten:
Bild 06: Trauttnerkarte Heidesheim von 1754/55 Stadtarchiv Mainz, Sign. VII H3 / Bild 07: Französisches Kataster Heidesheim 1812 im Landesarchiv Speyer mit Zustimmung / Bild 08: Urkataster beim Katasteramt Alzey mit Zustimmung / Bild 01 - 04, 9 -12, 14 -16 und 17 - 23: Eiermann, Franz, Heidesheim
Erstellt: 20.04.2010, ergänzt 10.11.2014